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Die Drachenkinder von Nicaragua

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
166 Seiten
Deutsch
SAGA Egmonterschienen am26.05.2016
Drachenkinder. So nannte man die Kinder, die während des Bürgerkriegs in Nicaragua, Geheimbotschaften, die in bunten Papierdrachen versteckt waren, der Widerstandsbewegung der Sandinisten überbrachten.Die drei Freunde Isabell, Victor und David gehörten einst zu dieser Gruppe. Doch jetzt ist Frieden. Das Land ist seit vier Jahren von der Diktatur befreit, aber Not und Armut beherrscht das tägliche Leben. Isabell, Victor und David sind noch immer unzertrennbare Freunde. Zusammen versuchen sie täglich das Beste aus ihren schweren Lebensumständen zu schöpfen. Sie wollen die Welt verbessern - das ist ihr klares Ziel! Doch wie lange wird der Frieden bestehen?DIE DRACHENKINDER VON NICARAGUA ist ein spannendes Buch über drei Freunde, die ihren Lebensmut nie verlieren.-mehr

Produkt

KlappentextDrachenkinder. So nannte man die Kinder, die während des Bürgerkriegs in Nicaragua, Geheimbotschaften, die in bunten Papierdrachen versteckt waren, der Widerstandsbewegung der Sandinisten überbrachten.Die drei Freunde Isabell, Victor und David gehörten einst zu dieser Gruppe. Doch jetzt ist Frieden. Das Land ist seit vier Jahren von der Diktatur befreit, aber Not und Armut beherrscht das tägliche Leben. Isabell, Victor und David sind noch immer unzertrennbare Freunde. Zusammen versuchen sie täglich das Beste aus ihren schweren Lebensumständen zu schöpfen. Sie wollen die Welt verbessern - das ist ihr klares Ziel! Doch wie lange wird der Frieden bestehen?DIE DRACHENKINDER VON NICARAGUA ist ein spannendes Buch über drei Freunde, die ihren Lebensmut nie verlieren.-
Details
Weitere ISBN/GTIN9788711501221
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2016
Erscheinungsdatum26.05.2016
Seiten166 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.5619768
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe

Der Unterricht war schon seit einer halben Stunde in vollem Gang, als David schließlich ankam. Er klopfte nicht an die Tür, er öffnete sie lediglich und trat in die Klasse. Er entschuldigte sich nicht, blickte gar nicht zu Lidia hin, die der Klasse den Rücken zuwandte und Zahlen an die Tafel schrieb. Er stieg über unzählige Beine und rempelte viele Arme in dem viel zu engen Klassenzimmer an, bis er endlich auf seinen Stuhl neben Victor sank.

Aha. Du bist also auch schon da , sagte Lidia, ohne sich umzusehen. Hast du eine Erklärung?

Nein , antwortete David und beugte sich vornüber, um seine Schnürsenkel zu binden. Lidia drehte sich um und schaute ihn an. David band weiter. Lidia wartete. Als er fertig war, begegnete er ihrem Blick. Er konnte keinen Ausdruck in ihren Augen erkennen, sie schien abzuwarten.

Nein , wiederholte David. Es ist eben passiert. Ich kam zu spät. Ich habe auch kein Buch dabei, sehe ich...

Lidia legte die Kreide zur Seite und machte einige Schritte nach vorn.

Aber, David! Warum nicht? Du weißt doch, daß du jeden Tag das Buch dabei haben sollst.

O.k. , schrie David so laut, das die ganze Klasse zusammenzuckte. Bevor jemand in der Lage war, etwas zu sagen, war er an allen Armen und Beinen vorbei verschwunden.

Was ist denn mit dem los? flüsterte jemand vorsichtig.

Er geht natürlich sein Buch holen , erklärte Lidia und wandte sich wieder der Tafel zu. Wir rechnen derweil weiter.

Victor konnte sich schlecht auf die Zahlen konzentrieren. Er verstand nicht, warum sich David so aufführte. Erstens: David kam nie zu spät. Er bemühte sich mehr als die anderen, pünktlich zu sein. Zweitens: David vergaß nie seine Bücher. Das war noch nie dagewesen. Drittens: Nicht einmal mit einem Blick zu grüßen, das paßte nicht zu David. Er drehte sich zu Isabel, um zu sehen, ob sie genauso erstaunt war. Sie beantwortete seinen fragenden Blick mit einem unschlüssigen Achselzucken. Sie nahm ihren Bleistift und fing an zu rechnen.

Dann kam David zurück. Lidia hatte recht behalten, er hielt die Bücher in der Hand. Bevor Victor mit der Aufgabe fertig war, hatte sie David sowohl abgeschrieben, als auch schon ausgerechnet. 15 600 schrieb er schnell und Victor seufzte über seine eigene Langsamkeit, während er weiterrechnete. Doch es stimmte, er bekam auch 15 600 heraus.

David kümmerte sich nicht um Victor, der neben ihm saß. Nicht einmal, als sie die Mathematikbücher zuschlugen und als Lidia begann, über den Aufstand in Monibo zu erzählen, würdigte er ihn eines Blickes. Er war völlig mit sich selbst beschäftigt. Victor hatte den Eindruck, daß er nicht einmal Lidias Erzählungen folgte.

Die Leute von Monibo errichteten Barrikaden, um ihren Stadtteil, um sich vor der Nationalgarde zu schützen. Sieben Tage lang hielten sie stand, aber am 26. Februar 1978 brachen die Soldaten der Nationalgarde durch die Barrikaden und stürmten die Häuser. Viele Menschen wurden erschossen, zweihundert Jugendliche wurden gefangengenommen ...

Victor schielte zu David hinüber. Hörte er denn nicht, daß Lidia von Monibo erzählte, der alten Indianerstadt, in der David gelebt hatte, als das Schreckliche passierte? Seine Mutter war doch krank geworden, und die Kinder hatten damals bei Freunden gewohnt. David war gerade in die Stadt gekommen, als Victor und er sich zum ersten Mal trafen. Obwohl sie jetzt schon gut vier Jahre befreundet waren, wußte Victor nichts von dem, was David in Monibo erlebt hatte. Ob er an den Kämpfen teilgenommen hatte? Er hatte nie etwas davon erzählt.

David war eigentlich gar nicht zu spät zur Schule gekommen. Gerade als es klingelte, eilte er in Oscars Klassenzimmer, um die Bücher abzuholen, die Oscar für ihn hatte mitnehmen sollen. Aber Oscar war nicht da. Davids Blick glitt über die engen Reihen der Zweitkläßler, und er fühlte die Wut in sich aufsteigen. Es war nicht das erste Mal, daß Oscar sich auf dem Weg zur Schule verirrte.

Er fand ihn schließlich am Bahnhof. Völlig abwesend bewegte Oscar seine Füße über die Schienen zu einem Takt, den er nur selbst hörte. Er nahm nicht wahr, daß David auf ihn zukam. Er kam erst zu sich, als David ihn unsanft am Arm packte und kräftig schüttelte. Er wollte dem wütenden Bruder entkommen, aber der Griff um den Arm machte jeden Gedanken an Flucht zunichte.

Was zum Teufel treibst du hier? Bist du nicht ganz dicht? Warum bist du nicht in der Schule?

David bombardierte seinen Bruder mit Fragen, obwohl er wußte, daß er keine Antwort bekommen würde. Oscar sprach seit drei Jahren nicht mehr. Er verfolgte alles, was um ihn herum geschah, mit den Augen und verstand offensichtlich auch alles, was man ihm sagte, aber man brachte aus ihm kein Wort heraus. Er lachte auch nicht und weinte nie.

Nun kommen wir beide zu spät , schalt David und schleppte den stummen Bruder hinter sich her.

Ich hätte dich doch heute Morgen mitnehmen sollen, aber ich war dumm genug zu glauben, daß du selbst in die Schule gehen kannst. Du bist immerhin schon zehn!

Erst als er, erschöpft vor Wut und Anstrengung, neben Victor auf seinen Stuhl sank, bemerkte er, daß er vergessen hatte, seine Bücher aus Oscars Rucksack herauszunehmen.

Das war ja nicht so schlimm, weil Oscars Klassenzimmer gleich nebenan lag. Es ist aber ärgerlich, zu spät zu kommen und obendrein noch die Bücher zu vergessen. Als Lidia außerdem so vorwurfsvoll klang, verlor er die Fassung und stürzte aus dem Zimmer, anstatt langsam zu gehen. Als er zurückkehrte, war er so verlegen, daß er es nicht wagte, Victor und Isabel einen Blick zuzuwerfen.

So hatte er sich diesen Morgen nicht vorgestellt. Er stürzte sich auf die Mathematikaufgaben, die Lidia an die Tafel schrieb. Das Rechnen hinderte ihn am Nachdenken, und das war gut so. Als dann allerdings die Geschichtsstunde anfing, hatte er keine Zahlen mehr, hinter denen er sich verstecken konnte. Er schloß die Augen und versuchte Lidia zuzuhören, aber es gelang ihm nicht.

Die Enttäuschung darüber, daß alles schiefgelaufen war, brodelte in seinem Innern; er wollte am liebsten aus dem Klassenzimmer verschwinden und das Heft mit dem neuen Lied zerreißen. Wenn er nun aber nicht davon erzählte, würde er ihre freudigen Gesichter nicht sehen. Er würde ihren mißbilligenden Blicken begegnen müssen, sich erklären, sich entschuldigen, und und und ...

Er seufzte und öffnete die Augen. Um ihn herum schienen alle Lidias Erzählungen aufmerksam zu folgen. Er verstand plötzlich, daß sie von Monibo sprach: Der Aufstand war das erste Signal, war beispielhaft für den Rest des Landes. Die Menschen in Monibo taten das, was alle wollten, aber noch nicht wagten, sie zeigten den Nationalgardisten, daß es nun genug sei, jetzt müsse endlich Schluß sein mit der Ungerechtigkeit. Sie griffen zu den Waffen, und durch sie bekamen auch wir Mut und konnten uns von der Diktatur befreien.

Komisch, daß sie es so ausdrückt , dachte David. Damals hatte er zum ersten Mal begriffen, wie es um dieses Land stand. Sein Gesicht verriet keine Regung, er wirkte vollkommen abwesend. Das war er auch, denn er versetzte sich in Gedanken in die Ereignisse zurück, die vor vier Jahren in Monibo passiert waren. Er erinnerte sich an den Tag, an dem er seine Tante in die Kirche begleitet hatte. Ein Zeitungsredakteur war erschossen worden, und nun sollte eine Messe für ihn gehalten werden. Es war alles sehr schön und traurig, seine Tante und viele andere weinten.

Er selbst hatte nicht alles begriffen, er saß nur da und fand es schön kühl in der Kirche.

Als sie aus der Kühle der Kirche in die Hitze hinaustraten, sahen sie die Nationalgardisten. Der ganze Marktplatz war voll von Soldaten, die Tränengasbomben warfen und um sich schossen. Menschen schrien durcheinander, weinten oder fielen einfach um. Er konnte sich nicht mehr daran erinnern, wie seine Tante und er davonkamen, aber er wußte noch, wie sie die Straße entlang zu dem Viertel rannten, in dem sie wohnten, und wie sie die ganze Zeit die gleichen Sätze herunterleierte, mit Tränen auf ihrem Gesicht und Wut in der Stimme: So kann man nicht leben! Wir haben nichts getan, gar nichts!

Als sie zu Hause ankamen, hatte man schon begonnen, Barrikaden zu errichten. Alle waren über die Geschehnisse wütend. Die unbeliebten Nationalgardisten hatten zwar schon mehrere Male in Monibo geschossen und getötet, aber was an diesem Tag geschehen war, war zu dreist. Kirchenbesucher zu überfallen - Frauen, Kinder und Jugendliche -, weil sie einer Messe beiwohnten! Das ging zu weit. Von nun an sollten die Nationalgardisten Monibo nicht mehr betreten können. Die Einwohner würden sich zur Wehr setzen. Tag und Nacht wurde an den Barrikaden gebaut und Waffen hergestellt. Tag und Nacht wurde Wache gehalten, um bereit zu sein, wenn die Nationalgardisten auftauchten. Und sie kamen. Mehrmals versuchten sie, die Mauern zu durchbrechen, die Straßen und Wege versperrten. Sie schienen aber unentschlossen, sogar ein wenig eingeschüchtert, als sie die Standhaftigkeit der Barrikaden bemerkten, und so blieben ihre Versuche halbherzig. Schließlich ließen sie von weiteren Angriffen ab.

Nach einer Woche aber war der Widerstand gebrochen. Die Nationalgarde kehrte mit Panzern und schweren Schußwaffen zurück. Die Barrikaden fielen. Viele Menschen wurden erschossen, viele wurden als Geiseln verschleppt. Davids achtzehn Jahre alter Vetter gehörte zu denjenigen, die für immer verschwanden.

David half beim Bau der Barrikaden nicht mit. Seine Tante hielt ihn für zu jung, und sie spürte wohl auch die Verantwortung für ihn, der so weit entfernt...
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