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Fromme Wölfe

E-BookEPUB0 - No protectionE-Book
Deutsch
Querverlagerschienen am01.03.20211. Auflage
Eine Nacht, die alles verändert. Eine Nacht, nach der alles anders ist, alles im Rausch verschwimmt. Samstagabend in Berlin: fünf junge Menschen streifen allein oder mit Freunden durch die Stadt auf der Suche nach Musik, Rausch und Gemeinschaft. Eine schicksalshafte Nacht, in der Pakte geschlossen, Herzen gebrochen, Geschlechtergrenzen sich auflösen und neue Wege beschritten werden. Neben den Protagonist*innen wird die Stadt in diesem Episodenroman zu einer der Hauptfiguren. Ein Berlin-Roman, der uns rasant durch das Nachtleben führt, als wären wir dabei im bass-schweren Club.

Kevin Junk (geb. 1989) lebt und arbeitet in Berlin. Er studierte Japanologie mit Schwerpunkt moderne Literatur und Kultur in Trier, Berlin und Kyoto. Junk ist seit 2011 als freier Autor tätig und schreibt essayistisch über queere Gegenwartskultur.
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Verfügbare Formate
BuchKartoniert, Paperback
EUR18,00
E-BookEPUB0 - No protectionE-Book
EUR9,99

Produkt

KlappentextEine Nacht, die alles verändert. Eine Nacht, nach der alles anders ist, alles im Rausch verschwimmt. Samstagabend in Berlin: fünf junge Menschen streifen allein oder mit Freunden durch die Stadt auf der Suche nach Musik, Rausch und Gemeinschaft. Eine schicksalshafte Nacht, in der Pakte geschlossen, Herzen gebrochen, Geschlechtergrenzen sich auflösen und neue Wege beschritten werden. Neben den Protagonist*innen wird die Stadt in diesem Episodenroman zu einer der Hauptfiguren. Ein Berlin-Roman, der uns rasant durch das Nachtleben führt, als wären wir dabei im bass-schweren Club.

Kevin Junk (geb. 1989) lebt und arbeitet in Berlin. Er studierte Japanologie mit Schwerpunkt moderne Literatur und Kultur in Trier, Berlin und Kyoto. Junk ist seit 2011 als freier Autor tätig und schreibt essayistisch über queere Gegenwartskultur.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783896566737
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format Hinweis0 - No protection
Erscheinungsjahr2021
Erscheinungsdatum01.03.2021
Auflage1. Auflage
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.5652865
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe


TOM
Tom lag auf der Couch in seiner Neuköllner Wohnung, starrte die hohen Decken des Altbaus an, der Stuck zu oft übermalt und kaum noch erkennbar. Der Fernseher schallte durch das Wohnzimmer wie aus einem anderen Jahrzehnt. Er hatte einen festen Freund, lebte in einer schönen Wohnung, er hatte alles, was eine Beziehung in der Welt akzeptabel machte. Sie teilten das Bett, gingen zusammen zu Ausstellungen, aßen gemeinsam gesund zu Abend und tanzten durch das Berliner Nachtleben. Tom fehlte etwas, das Andreas nicht zu vermissen schien. In der westdeutschen kleinen Großstadt, wo sie sich kennengelernt hatten, war die Verbundenheit stärker gewesen. Man hatte sich gefunden, inmitten der austauschbaren Provinz-Schwuchteln, der anderen Schwulen, die sie gemeinsam verachteten, beide aus ihren ganz eigenen Gründen, keine davon nobel. Tom fühlte sich nie schwul genug, denn für die Schwulis war er zu seltsam, zu nerdy, zu unangepasst. Blieb ihm nur: cool sein. Von Andreas fühlte er sich gesehen, von ihm verstanden, bei ihm geborgen. Andreas war gebildet, kannte Kunstschaffende in New York, hatte eine beste Freundin in Berlin, war belesen und intelligent. Bildung war für Tom der Ausweg aus dem Gefängnis der Provinz. Noch eine Gemeinsamkeit. Gut sein in der Schule, auch wenn alle ihn mobbten. Gut sein an der Uni, auch wenn die Schule scheiße war. Und das Gutsein, das hatte ihn jetzt nach Berlin gebracht. Immer noch gut, zu gut, zu brav.

Alles, was Andreas missfiel, übergoss er mit ätzender Häme. Verachtung, gespeist aus nagendem Unverständnis, und Tom scheute sich davor zu widersprechen. Für den Mann, der ihn aus der Provinz geholt hatte, wollte er sich nicht unattraktiv machen, denn er war dankbar dafür, dass ihn jemand mit in die Großstadt genommen hatte. Alleine hätte er den Ausgang nie gefunden, er hatte ja nicht mal einen Führerschein. Die Arbeit bei einem Start-up machte Andreas Umgang mit der Welt nur noch hämischer und bürgerlicher. Den ganzen Tag von gut designten Möbeln und gut gekleideten Menschen umgeben, in einem Büro, das allen Komfort bot, aber schlecht bezahlte, wähnte Andreas sich als Teil einer Vorhut, die die Zukunft gestaltete. Disruption nannte Andreas das dann, wenn er über seine Projekte dozierte. Andreas kam sich dabei cool vor, und Tom wusste nicht mal, was das war, dieses cool , aber er war sich sicher: Andreas war es nicht. Oder vielleicht schon, aber eine Art von cool, die Tom nicht wollte. Zu viel Verachtung und Habitus lagen in dieser Coolness, sie schirmte Andreas ab, schmeckte metallen, wie ein Löffel, wenn der Joghurt schon lange leer ist.

Für Andreas waren alle, die Drogen nahmen, Ziehmäuse . Obwohl Tom ihn in einem Club kennengelernt hatte, umgeben von Ziehmäusen, von denen Tom nie wusste, ob Andreas sie wirklich mochte oder verachtete. So war An­dreas ein Schritt in die richtige Richtung und Hindernis zugleich. Auf dem Geburtstag einer dieser Ziehmäuse ging es weiter in die Richtung, aus der Tom die Sirenengesänge der süßen Gegenwart hörte. Die Ziehmaus, alle nannten sie Chris­si, denn ein Spitzname genügte hier, war aus dem Teil von Andreas Freundeskreis, der bereits nach Berlin gezogen war. Sie war ihnen einen Schritt voraus, hatte schon Freunde und Connections in der Hauptstadt. Andreas verachtete sie für ihren Drogenkonsum, Tom schwamm hier nur in Andreas Fahrwasser. Doch so viel sie sich über sie lustig machten, süß war sie dennoch. Und nette Freunde hatte sie. Sehr nette sogar. Ein Freund war sogar so nett, eine fette Dosis MDMA in die Geburtstagsbowle zu mischen. Es gingen Shots herum, die Tom neugierig beäugte, als wäre er endlich in den inneren Kreis eines Kultes vorgedrungen. Als dürfte er endlich von etwas kosten, das ihm zuvor versagt gewesen war. Er wollte endlich high sein. Hier war seine Chance, in den Zaubertrank zu fallen.

Nein, du aber nicht, oder?

Der mütterliche Blick der Gastgeberin traf Tom schwer.

Musste selber wissen , sagte Andreas mit väterlichem Murren.

Ich will aber , war Toms kindliche, rollenkonforme Antwort.

Der Wohltäter mit dem MDMA war in Andreas Alter, aber im Gegensatz zu Andreas ein durchtrainierter Muskeltyp, viel zu glatt rasiert, aber ein feistes Lächeln auf dem Gesicht, das ihn sympathisch machte. Tom spielte den Jüngling, unterhielt sich nett und war dabei so flirty, als wäre es sein eigener mit MDMA überwürzter Geburtstag. Er roch Freiheit, denn es sollte danach noch in den Club gehen. Da, wo er so oft tanzte, aber noch nie so richtig - wie sagten alle immer? - hart gefeiert hatte.

Natürlich wurde sein Mann eifersüchtig. Das war nicht geplant, aber Tom beschwichtigte weder Andreas noch den Muskeltypen. Die Situation berauschte ihn, denn die beide älteren Männer feilschten um ihn wie um ein Stück Fleisch. Tom war das bald wieder egal, denn ihm sagte jemand, der Typ, der allen hier die Haare schnitt, sei da. Alle waren so nett, ein paar schien es schlecht zu gehen. Zu viel Bowle. Er hörte, wie jemand sagte, die Leute sollten aufpassen. Wenn sie nicht wüssten, was sie machten, sollten sie halt auch nicht so viel davon nehmen. Wieso? Ist doch nur Schnaps, das sollten wir alle gelernt haben. Oh, da war noch was ⦠dieses MD. EM-DE. EMM-DEE.

Natürlich wusste er, was MDMA war. So richtig aber dann doch nicht. Eine Droge. Ihm wurde klar, dass Drogen nicht nur schlichtweg Drogen waren, sondern dass man auch differenzieren musste. Kiffen und Saufen machte auch einen erheblichen Unterschied. Als er sich von einem Laberflash losreißen konnte, bei dem er versuchte, Leute zu beeindrucken, die nicht zu beeindrucken waren, von denen er gesehen werden wollte, die aber an ihm vorbeistarrten, stahl Tom sich aufs Klo. Schnell googeln, was MDMA macht. Das Internet war wie immer voller Weisheit und Wissen. Tom hatte Probleme, den Blick scharf zu stellen, aber was er lesen konnte, klang gut: Euphorie, Liebe, gesteigertes Sozialverhalten, allgemeine Empathie. Ecstasy-Tote waren laut Wikipedia nur eine Seltenheit. Viel trinken war wichtig, das hämmerte Tom sich sofort ein. Viel trinken. Also noch ein Shot?

Der Abend zog selbst die Handbremse. Andreas war komisch, Tom machte sich Sorgen. Andreas wurde zickig, wirkte betrunken, so kannte ihn Tom gar nicht, komplett außer Kontrolle, richtig dicht. Eifersucht - oder war da mehr? Tom dachte, Andreas ließe ihn gewähren, ohne selbst high zu werden. Andreas wollte gehen, war total durch, also musste Tom sich auch die Jacke überziehen, wusste dabei selbst nicht, wo oben und unten war. Andreas kotzte draußen, weinte, war total zerstört, wurde anhänglich. Was hatten sie ihm in den Drink gemacht? Wenn er ehrlich war, interessierte es Tom nicht wirklich, was die Party-Junkies mit Andreas getrieben hatten. Er wollte wissen, was sie mit ihm getrieben hätten, hätte er nicht das Spaßland verlassen müssen. In ein Taxi gequetscht, Andreas Rücken durch seinen hässlichen, übergroßen Parka streichelnd. Beruhigen brachte kaum was. Zwanzig Euro später, die Tom von seinem BAföG abzwackte, waren sie daheim. Tom brachte Andreas ins Bett. Der wollte verzweifelt Sex mit Tom, wimmerte: Fick mich. Schlaf mit mir. Bitte fick mich.

Er wusste nicht, was er mit Andreas machen sollte. Wer sagt: Schlaf mit mir ? Das klang nach Vorabendserie, dennoch versuchte er, Andreas zu ficken, was nicht richtig funktionierte. Tom war nicht in Stimmung für Sex, und seine Durchblutung ging auch nicht in die richtige Richtung. Andreas weinte und winselte sich in den Schlaf, wie ein Hundewelpe, irgendwann so erschöpft, dass er einfach einschlief. Tom aber hatte Bock, wollte tanzen. Seine Gedanken drehten sich um die anderen, die jetzt bestimmt schon im Club waren. Er schrieb dem Geburtstagskind Chrissi eine Nachricht, und die blauen Widerhaken verkeilten sich in Toms Selbstbewusstsein, die Nachricht blieb kurz auf gelesen , dann tippte Chrissi. Sie antwortete, es sei gut, er solle sich Zeit lassen. Er hatte sich aber schon sein ganzes Leben Zeit gelassen. Tom lag dösend neben Andreas, der laut schnarchte. Druff wie ein Schnitzel, ohne es genießen zu können, lag er neben seinem Freund. Andreas sah süß aus, mit den kurzen Haaren, ein wenig licht schon, aber fein und zart, wenn man sie streichelte. Er wäre so gerne bei den anderen coolen Partykids dabei. Er sah sie euphorisch tanzen, sich verschwörerisch anlächeln, zusammen auf Toiletten gehen. Seine Gedanken tanzten im Kreis, so weit wie noch nie. Am nächsten Morgen ging es Andreas scheiße, aber er erinnerte sich an nichts.

Mann, muss ich gestern viel gesoffen haben.

Genau, viel gesoffen, sonst war da nichts. Doch Tom hatte Freiheit gerochen. Spürte, dass die Häme nur ein Vorwand war, dass Andreas Angst hatte. Aber Tom verharrte weiter im goldenen Käfig, hing in der homobourgeoisen Idylle.

Sie verabschiedeten sich an der U7 direkt am Rathaus Neukölln, mitten im Geschehen, mitten unter Menschen, die sich nicht um sie scherten. Tom nutzte die Menge als willkommene Ausrede, Andreas nicht zu nahe zu kommen. Die Umarmung spürte Tom noch immer auf seinem Körper. Tom nahm Andreas ehrliche Wehmut und das Versprechen, ihm etwas von der Reise mitzubringen, nur zögernd an - wie die Rosen eines Kavaliers, den man innerlich schon abgesägt hat. Die Erinnerung an die erste MDMA-Erfahrung ließ seinen Körper kribbeln. Flackerte auf....

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