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Im Tal der träumenden Götter

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
535 Seiten
Deutsch
hockebookserschienen am17.03.2021Überarbeitete Neuausgabe
Ende 19. Jahrhundert in Mexiko: Benito Alvarez, Gouverneur von Querétaro, und seine deutsche Frau Katharina leben mit ihren Kindern Josefa, Anavera und Vincente auf ihrem Landgut. Die Eltern lieben ihre Kinder, doch Josefa fühlt sich stets zurückgesetzt, hat das Gefühl, nicht dazuzugehören. Eines Tages flieht sie in ihrem Zorn in die Hauptstadt und begegnet dort einem zwielichtigen Großgrundbesitzer, dem sie von Anfang an verfällt. Schafft Katharina es, ihre Tochter vor einem folgenschweren Fehler zu bewahren?

Charlotte Lyne wurde 1965 in Berlin geboren, studierte Germanistik, Latein und Italienische Literatur in Neapel und Berlin sowie Anglistik in Berlin und London. Als Übersetzerin, Lektorin und Autorin lebt sie mit ihrem britischen Mann und ihren drei Kindern in London. Sie hat unter ihrem Namen und Pseudonymen zahlreiche Bücher unter anderem bei Droemer Knaur und Lübbe veröffentlicht, ihr Roman »Als wir unsterblich waren« stand wochenlang auf der Bestseller-Liste.
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Produkt

KlappentextEnde 19. Jahrhundert in Mexiko: Benito Alvarez, Gouverneur von Querétaro, und seine deutsche Frau Katharina leben mit ihren Kindern Josefa, Anavera und Vincente auf ihrem Landgut. Die Eltern lieben ihre Kinder, doch Josefa fühlt sich stets zurückgesetzt, hat das Gefühl, nicht dazuzugehören. Eines Tages flieht sie in ihrem Zorn in die Hauptstadt und begegnet dort einem zwielichtigen Großgrundbesitzer, dem sie von Anfang an verfällt. Schafft Katharina es, ihre Tochter vor einem folgenschweren Fehler zu bewahren?

Charlotte Lyne wurde 1965 in Berlin geboren, studierte Germanistik, Latein und Italienische Literatur in Neapel und Berlin sowie Anglistik in Berlin und London. Als Übersetzerin, Lektorin und Autorin lebt sie mit ihrem britischen Mann und ihren drei Kindern in London. Sie hat unter ihrem Namen und Pseudonymen zahlreiche Bücher unter anderem bei Droemer Knaur und Lübbe veröffentlicht, ihr Roman »Als wir unsterblich waren« stand wochenlang auf der Bestseller-Liste.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783957513700
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Erscheinungsjahr2021
Erscheinungsdatum17.03.2021
AuflageÜberarbeitete Neuausgabe
Seiten535 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse3831 Kbytes
Artikel-Nr.5672964
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe

Prolog

Eisacktal, Kronland Tirol
März 1888

Sie starben beide in derselben Nacht.

Therese hätte damit rechnen müssen. Der Doktor hatte sie oft gewarnt, sie solle die Familie darauf vorbereiten, aber das war leichter gesagt als getan. Welche Familie sollte sie vorbereiten, wo doch die beiden, die in ihren Kammern vor sich hin starben, ihre ganze Familie waren? Neben ihnen gab es nur noch den Gustl, ihren verwitweten Schwager, der das arme Anndl geheiratet hatte, um an ihr Geld und an den Titel zu kommen. Letzten Endes würde er sein Ziel erreichen. Es war ja keiner mehr übrig, der ihm das Erbe streitig machen konnte.

Therese hatte nur sich selbst auf den Tod ihrer letzten Verwandten vorzubereiten. Sie war sechzig Jahre alt und würde demnächst allein in der Welt stehen. Ohne Veit. Sich darauf vorzubereiten war unmöglich, auch wenn sie seit Jahren wusste, dass der Junge ihr eines Tages genommen werden würde. Sie hatte sich an seinem bisschen Leben festgehalten wie ein Steiger am Seil. Solange Veit sie brauchte, hatte ihr Leben einen Sinn. Ohne ihn würde die Stille im Haus so unerträglich werden wie die Leere in ihrem Herzen.

Es hatte keinen Sinn, sich etwas vorzumachen. Am Nachmittag hatte der Doktor geraten, nach dem Priester zu schicken und Veit mit den Sterbesakramenten versehen zu lassen. Das allein war noch kein Zeichen dafür, dass es diesmal wahrhaftig zu Ende ging, denn die Sterbesakramente hatte der arme Bub mit seinen noch nicht zwanzig Jahren gewiss ein Dutzend Mal erhalten. Diesmal jedoch hatte der Priester, der sonst ein herzloser Eiferer war, Therese beide Hände gedrückt, als wollte er ihr die Knochen brechen. »Gott steh Ihnen bei«, hatte er gemurmelt. Da wusste Therese, dass sie das bisschen Hoffnung, das in ihr noch flackerte, aufgeben musste.

Sie sagte Franziska, dem Mädchen, sie solle ihr eine Kanne Zimtwein und einen Teller Gebäck hinstellen und sich dann um Zenta kümmern. Anschließend schickte sie den Doktor nach Hause: »Sie können sich auf den Weg machen. Es bleibt ja nichts mehr zu tun.«

»Sind Sie sicher, dass Sie zurechtkommen?«, fragte der Doktor, dem die Geldgier aus den Augen blitzte. »Vielleicht sollten Sie sich das Ende nicht antun. Wenn Sie es wünschen, bleibe ich gern die Nacht über hier.«

Und ziehen uns noch mehr Geld aus der Tasche, fügte Therese im Stillen hinzu. Dabei war es albern, aufs Geld zu achten, um es nachher dem Gustl in den Rachen zu stopfen. »Veit ist mein Neffe«, erwiderte sie, »der einzige Nachkomme meiner Familie. Ich war hier, als der Junge in die Welt gekommen ist. Ich werde auch hier sein, wenn er sie wieder verlässt.«

»Wie beliebt«, erwiderte der Doktor verschnupft und zog ab. Kurz darauf brachte Franziska den Zimtwein und einen Teller mit Pinzen und Zuckerkipferln. Kindergebäck. Wie Veit es geliebt hatte. Valentin hat es auch geliebt, durchfuhr es Therese. »Geh jetzt und sieh nach meiner Schwester«, herrschte sie das Mädchen an und ohrfeigte es, weil der Schmerz sich Luft verschaffen musste. Danach war Therese mit ihrem sterbenden Neffen allein.

Märzwind rüttelte am Fensterglas, dass es in der Stille klirrte. Dazu rasselten Veits schwere Atemzüge, doch sonst gab es in der Kammer kein Geräusch. Die rechte Hand des Jungen war verbunden, die linke lag knochig und wächsern auf dem Laken. Bei jedem anderen hätte Therese sich überwinden müssen, solche Totenklaue zu berühren, doch bei Veit fiel es ihr leicht. Sie wollte seine Hand noch einmal halten, wie sie seine kleine Kinderhand gehalten hatte.

Damals waren seine Gelenke noch nicht von der Krankheit verkrüppelt gewesen, und er war an ihrer Hand über die Wiesen gelaufen wie ein glückliches, gesundes Kind. Sie liebte ihn. Nach Valentins Tod hatte sie geglaubt nie wieder einen Menschen lieben zu können, aber in diesem Jungen war Valentin ihr noch einmal geschenkt worden. Knapp zwanzig Jahre lang. Sie waren zu Ende. Therese nahm Veits Hand in die ihre und weinte.

»Brauchst du noch etwas, mein Lieber?«, fragte sie mit krächzender Stimme. Dass keine Antwort kam, überraschte sie nicht. Sie hatte nur sichergehen wollen, dass es ihm an nichts fehlte. Ihr Bruder Valentin war ganz allein in der Fremde gestorben und lag in der Erde des Höllenlandes verscharrt. Ihr Neffe Veit sollte in der Todesstunde spüren, dass er geliebt worden war und dass sein Leben nicht spurlos verlosch.

Der Schweiß auf seiner Stirn war kalt. Behutsam rieb Therese sie trocken und deckte ihn noch fester zu. Sandte er ihr mit geschlossenen Augen ein Lächeln? Nein, auch dafür war er jetzt zu schwach. Er war immer schwach gewesen. Blutarm wie seine Mutter hieß es, ehe sie alle begreifen mussten, dass in Veits Körper ein Leiden wütete, das tausendmal tückischer war.

Er war ihnen so spät geboren worden. Sechs waren sie gewesen, fünf Schwestern und ein Bruder, und sie hatten nur dieses eine, kostbare Kind hervorgebracht. Valentins Tod hatte das Leben der Familie aus der Bahn geworfen. Zwei der Schwestern waren ihm ins Grab gefolgt, und das Anndl hatte den Gustl geheiratet, der sich mit Flittchen herumtrieb, statt seiner Frau ein lebensstarkes Kind zu machen. Die zwei bedauernswerten Bübchen, die sie bekam, waren innerhalb von Wochen regelrecht verkümmert und gestorben. Therese selbst hatte ihre Verlobung gelöst. Ihr Verlobter war Toni Mühlbach gewesen, Valentins Freund und Offizierskamerad, und sooft sie ihn ansah, drehte es ihr das Herz um. Als ihre Schwester Zenta den Toni an ihrer Stelle nahm, tat es ihr nicht einmal weh.

Und diese kränkliche Zenta hatte schließlich das ersehnte Kind geboren. Einen Jungen mit ebenmäßigen Zügen, grünen Augen und goldblondem Haar. Er sah aus wie ein kleiner wiedergeborener Valentin, und mit ihm kehrten Leben und Lachen ins Haus der Familie zurück.

Der Besitz, der Valentin hätte zufallen sollen, hatte nun wieder einen Erben. Es war kein großes, aber ein schönes, ertragreiches Stück Land, und es brachte einen Titel mit sich. Thereses Mutter hatte zwar einen Habenichts geheiratet, doch sie selbst war eine geborene von Tschiderer gewesen, und am Ende erbte sie das väterliche Gut. Ihr Sohn Valentin war sinnlos gestorben, doch ihr Enkel Veit sollte den Titel der Familie tragen.

Wie lange waren sie wunschlos glücklich gewesen? Ein paar Monate, ein Jahr? Der kleine Veit war schwächlich, doch so, wie er gepäppelt wurde, würde er gewiss gedeihen. Als er sich am Finger verletzte und die Wunde nicht heilen wollte, machte niemand sich Sorgen. Auch nicht, als er laufen lernte und am ganzen Leib blaue Flecken davontrug. Seltsam war nur, dass die Blessuren nicht verblassten, sondern beständig dunkler und größer wurden - wie eine schwarze Wolke über ihrem Glück. Dann begannen seine Gelenke zu schwellen, und bald wimmerte er Tag und Nacht vor Schmerz. Sie ließen den Arzt kommen, der Weinsteinsäure zum Kühlen und Bittersalz zum Abführen von Giften verschrieb. Nichts davon half. Als der Arzt das nächste Mal kam, schüttelte er traurig den Kopf und sagte: »Es ist die Krankheit. Die Blutsucht. Machen Sie es dem Kleinen schön, denn er wird nicht lange leben.«

Therese sah auf das geliebte Gesicht hinunter. »Das habe ich versucht«, presste sie heraus. »Es dir schön zu machen. Es war der Sinn meines Lebens.« Sie beugte sich vor und küsste ihn auf die Stirn. Sein engelsgleiches Gesicht wirkte müde - ausgezehrt vom ständigen Schmerz. Das Glas des Fensters klirrte weiter, aber Veits Atemzüge rasselten nicht mehr. Er hatte sich auf den Weg gemacht. Dort, wo er hinging, würde nichts ihn mehr quälen.

Therese hielt seine Hand, bis die letzte Wärme daraus wich. Dann wischte sie sich das Gesicht ab. Keinen Atemzug später klopfte es so heftig, dass sie zusammenzuckte. »Herein.«

Franziska steckte den Kopf in den Türspalt. Sie war von liederlicher Abkunft, schlecht erzogen, weshalb sie wie ein Hottentotte auf die Tür einschlug. »Ihre Schwester!«, rief sie. »Sie möcht Sie sprechen. Und der Priester soll kommen. Sie sagt, es geht ans Sterben.«

Therese hasste sich dafür, doch das half nicht, sie war neidisch auf Zenta, und sie hatte ein Leben lang Grund dazu gehabt. Nicht sie, die sich wie eine Mutter um ihn gekümmert hatte, war Valentins Lieblingsschwester gewesen, sondern Zenta, die meist krank im Bett lag. Nicht sie, die alles dafür gegeben hätte, hatte Veit zur Welt bringen dürfen, sondern Zenta, der für ein Kind die Kraft fehlte. Und jetzt durfte nicht sie, die ihn Tag und Nacht gepflegt hatte, Veit in den Tod folgen, sondern Zenta, die ihren sterbenskranken Sohn allein gelassen hatte. Schwerfällig, als trüge sie die Last von Jahren auf den Schultern, stand Therese auf. »Schick den Hausknecht nach dem Priester«, sagte sie zu Franziska und ohrfeigte sie leise, um dem armen Toten keinen Schrecken zu versetzen. Dann ging sie hinüber zur Kammer ihrer Schwester.

Was Zenta fehlte, hatte nie ein Arzt herausgefunden. Sie war einfach nicht stark genug gewesen, um dem Leben standzuhalten. Bettlägerig war sie, seit ihr Mann Toni vor sieben Jahren gestorben war. Ob sie jetzt wirklich auch starb? Therese schob die Tür auf. Das Gaslicht war heruntergedreht. Am Bett der Kranken brannte eine einzelne Kerze. Zenta wandte ihr nicht das Gesicht zu, doch sie flüsterte etwas, das Therese nicht verstand. Sie trat näher zu ihr heran. »Kommt der Priester?«, vernahm sie endlich das Wispern unter schleppenden Atemzügen.

»Der Hausknecht holt ihn.«

»Dann setz dich rasch, Resl. Uns bleibt kaum noch Zeit.« Therese wollte ihr sagen, dass ihr Sohn gestorben war, aber Zenta gebot ihr mit schwacher Hand zu schweigen. »Lass mich sprechen. Mir geht die Kraft aus, und ich muss dies zu Ende bringen.«

»Was?«

»Resl ⦫...
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Autor

Charlotte Lyne wurde 1965 in Berlin geboren, studierte Germanistik, Latein und Italienische Literatur in Neapel und Berlin sowie Anglistik in Berlin und London. Als Übersetzerin, Lektorin und Autorin lebt sie mit ihrem britischen Mann und ihren drei Kindern in London. Sie hat unter ihrem Namen und Pseudonymen zahlreiche Bücher unter anderem bei Droemer Knaur und Lübbe veröffentlicht, ihr Roman »Als wir unsterblich waren« stand wochenlang auf der Bestseller-Liste.