Hugendubel.info - Die B2B Online-Buchhandlung 

Merkliste
Die Merkliste ist leer.
Bitte warten - die Druckansicht der Seite wird vorbereitet.
Der Druckdialog öffnet sich, sobald die Seite vollständig geladen wurde.
Sollte die Druckvorschau unvollständig sein, bitte schliessen und "Erneut drucken" wählen.

In die Arme der Flut

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
336 Seiten
Deutsch
Penguin Random Houseerschienen am04.10.2021
Nebel steigt auf über dem Fluss bei Ross Point in Maine, und auch um die hohe Brücke vor der Mündung ins Meer wallen Nebelschwaden. Dort steht Luke Roy und wartet. Er will springen - schon öfter hat er an Selbstmord gedacht. Als der Himmel endlich klar wird, hört er vom Fluss her Schreie. Ein Ausflugsboot ist gekentert, und ein Junge wird von der Strömung Richtung Klippen und Meer getrieben. Luke zögert nicht: Der Außenseiter wird zum Helden wider Willen, und sein Leben ändert sich auf eine Weise, die er sich nie hätte träumen lassen ...

Gerard Donovan wurde 1959 in Wexford, Irland, geboren und lebt heute im Staat New York. Er studierte Philosophie, Germanistik und klassische Gitarre, veröffentlichte Gedichtbände, Shortstorys und Romane. Sein erster Roman »Ein bitterkalter Nachmittag« wurde mit dem Kerry Group Irish Fiction Award ausgezeichnet und stand auf der Longlist des Man Booker Prize. Sein Roman »Winter in Maine« war ein internationaler Bestseller.
mehr
Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR20,00
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR14,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR8,99

Produkt

KlappentextNebel steigt auf über dem Fluss bei Ross Point in Maine, und auch um die hohe Brücke vor der Mündung ins Meer wallen Nebelschwaden. Dort steht Luke Roy und wartet. Er will springen - schon öfter hat er an Selbstmord gedacht. Als der Himmel endlich klar wird, hört er vom Fluss her Schreie. Ein Ausflugsboot ist gekentert, und ein Junge wird von der Strömung Richtung Klippen und Meer getrieben. Luke zögert nicht: Der Außenseiter wird zum Helden wider Willen, und sein Leben ändert sich auf eine Weise, die er sich nie hätte träumen lassen ...

Gerard Donovan wurde 1959 in Wexford, Irland, geboren und lebt heute im Staat New York. Er studierte Philosophie, Germanistik und klassische Gitarre, veröffentlichte Gedichtbände, Shortstorys und Romane. Sein erster Roman »Ein bitterkalter Nachmittag« wurde mit dem Kerry Group Irish Fiction Award ausgezeichnet und stand auf der Longlist des Man Booker Prize. Sein Roman »Winter in Maine« war ein internationaler Bestseller.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783641088309
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2021
Erscheinungsdatum04.10.2021
Seiten336 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1534 Kbytes
Artikel-Nr.5691737
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe


DER UNFALL
16.

Luke läuft zur anderen Seite der Brücke. Ein leichter Wind siebt den Nebel, der sich an den Fluss geschmiegt hat. Er wartet, bis sich seine Augen an den Anblick gewöhnt haben.

Auf dem Serenity Pond herrscht Aufruhr. Luke befindet sich so weit oben, dass er die ganze Szene beobachten kann. Ein Boot ist gekentert. Es sieht aus wie ein Amphibienfahrzeug, ein überdachtes Ausflugsboot, das bei gutem Wetter für kurze Fahrten benutzt wird. Im Wasser treiben kleine Punkte. Er sieht Kahlköpfe und weißes Haar. Das sind alte Leute.

Helfer laufen an den Schlammwänden entlang und werfen Seile und gelbe Schwimmwesten, die durch den Dunst fliegen. Luke sucht eine sinnvolle Erklärung, doch es gibt nur wenige Möglichkeiten: Aus irgendeinem Grund müssen sie im Nebel abgelegt haben. Sie haben irgendetwas gerammt.

Als das Boot sich wieder aufrichtet, strömt Wasser über das Deck. Das Dach bleibt an der Oberfläche, bis riesige Luftblasen hervorsprudeln: Das Boot dreht sich und geht unter. Solange es noch schwamm, hatten sie Hoffnung. Doch die hat sich zerschlagen. Sie wissen nicht, wie sie sich retten sollen, sind starr vor Angst.

Es ist eine Katastrophe im Kleinformat. Das Flehen der leisen Stimmen verwandelt sich in Geschrei.

Die Leute sehen den Tod vor Augen.

Ein Ruderboot kämpft sich zu der zerfransten Girlande aus Schreien und fuchtelnden Armen. Die Leute klammern sich daran fest.

Einige versuchen, sich zu retten. Ein Schwimmer löst sich aus der Gruppe und zieht eine kaum sichtbare Spur. Ein zweiter folgt ihm, wird aber von jemandem festgehalten, der zu ertrinken droht. Die beiden gehen unter, doch als der Schwimmer wieder auftaucht, hält er ein Seil, mit dem sie an Land gezogen werden.

Ein zweites Ruderboot ist neben den Schaulustigen an der Anlegestelle befestigt. Es ist leer und einsatzbereit. Eigentlich müssten sie längst abgelegt haben. Er könnte schwören, dass sie nichts anderes tun als glotzen.

Filmt da etwa einer von ihnen das Unglück?

Der Teich ist nicht weit von der Brücke entfernt - gerade mal zwei Minuten. Doch Luke dürfte zu spät kommen, um den Leuten im Wasser zu helfen, denn es ist jetzt schon zu spät. Alle, die überleben werden, wurden bereits gerettet.

Auf seinem hohen Beobachtungsposten regt sich sein Gewissen. Nur einen Steinwurf von den unnützen Schaulustigen entfernt, kämpfen diese alten Leute immer noch um ihr Leben.

Luke läuft zum anderen Ende der Brücke und rennt auf dem Pfad am Ufer in Richtung Teich, nur einen falschen Schritt vom Felsvorsprung entfernt. Sollte der tiefliegende Dunst, den er durchquert, eine Felsspalte sein, wird er den Hang hinab in den tosenden Fluss stürzen. Das Wasser wird ihn unter dieselbe Brücke schwemmen, von der er gerade fortläuft.

An einer Flussbiegung verlangsamt er sein Tempo, um sich im Nebel zurechtzufinden.

Der Teich ist ruhig.

Das eine Unglück, das er von der Brücke aus gesehen hat, zerfällt allmählich in mehrere Ereignisse, die nicht mehr miteinander verbunden sind. Auf der Schlammwand trösten zwei Frauen eine verstörte Gestalt in lilafarbenem Hemd. Ein Mann wird am grasbewachsenen Ufer wiederbelebt. Das Ruderboot bringt ein Gewirr aus Armen zur Anlegestelle.

In einer Stunde wird die kurze Tragödie ausgelöscht sein.

Plötzlich sieht er eine Gestalt in roter Jacke zu den Strudeln zwischen Teich und Fluss treiben. Die Strömung ist stark, und die Strudel sind in Aufruhr geraten. Die Jacke wird unter Wasser gesaugt, schnellt wieder hoch und treibt weiter.

Das ist eine Leiche. Die Gestalt ist so reglos, wie nur ein Toter es sein kann. Sie durchquert die Strudel und ist im Fluss. Luke sucht die Fluten nach einem roten Fleck ab und sieht ihn flussabwärts treiben, die Arme beiderseits ausgestreckt und eindeutig in Bewegung, aber das kommt vom aufgewühlten Wasser.

Das Gesicht ist weiß, wie der Schemen eines Gänseblümchens. Schwarzes Haar. Ein Jugendlicher. Luke glaubt, dass es ein Junge ist. Dieser leblose Friede in ihm.

Luke kann doch keinen Toten retten.

Der Junge ist in der Mitte des Flusses gefangen und wird dorthin treiben, wohin der Fluss strömt. Er wird unter der Brücke hindurchrauschen und kopfüber gegen die Felsen krachen.

Das Gesicht im Fluss kehrt sich ihm zu.
17.

Ihre Blicke treffen sich.

Die Gedanken, die Luke durch den Kopf schießen, sind unkoordiniert. Es ist unnatürlich, dem Tod ins Gesicht zu starren und keinen Finger zu rühren. Jemand muss ihm beigebracht haben, sich treiben zu lassen. Vielleicht hat er einen Plan. Er glaubt, dass die vor ihm liegenden Hindernisse ihn aufhalten werden - dass er sich aus dem Kessel befreien kann. Sein Leben wird an derselben Stelle gerettet, an der Luke sein eigenes beenden wollte.

Dieser Plan wird den Aufprall auf die Felsen nicht überdauern.

Der Junge ist nicht mehr weit entfernt.

Luke kann nicht von der Klippe springen, um ihn abzufangen. Es geht dreißig Meter tief hinab. Er wird in stetigem Abwärtstrudeln zu nah an der Böschung bleiben. Falls er hinausschwimmen kann, wird er nicht rechtzeitig zu dem Jungen gelangen.

Sie dürften ein paar Meter voneinander entfernt ins Verderben treiben.

Doch die Arme des Jungen bewegen sich nach einem festen Muster, und sein Gesicht ist ihm immer noch zugekehrt. Die Tragödie macht eine Marionette aus ihm.

Oder ist er noch am Leben?

Luke musste an diesem Morgen nur eines tun - sich umbringen, indem er von einer Brücke in einen Fluss sprang.

Auch um den Jungen zu retten, muss er jetzt von der Brücke in den Fluss springen.

Luke läuft auf dem schmalen Pfad zu der Brücke zurück, der er offenbar nicht entkommen kann. Sie sieht so riesig und doch zerbrechlich aus. Das Gitterwerk und die Stahlkabel sind nur vor die Sonne gezeichnete Bleistiftstriche. Sie ist ein altes Bauwerk, das sich vor dem Blick auf die Bucht erhebt.

Er ist schneller als der Junge, weil er das Gespür für Geschwindigkeit nicht verloren hat - die Ellbogen dicht am Körper, reiner Vorwärtsdrang, kein Gedanke, der ihn bremsen könnte.

Noch vierzig Meter, dann dreißig. Ein Wettlauf zu den tödlichen Felsen.

Luke biegt auf die Rampe der Brücke und beugt sich der Steigung entgegen, als wäre es die Zielgerade vor einer jubelnden Menge. In der Mitte der Brücke wirft er einen Blick auf den herantreibenden Jungen und springt übers Geländer.

Luke Roy tritt in eine dreisekündige Leere.

Die Luft um ihn herum flattert.

Er ist in einer Welt zwischen Welten, in der sich die Zeit zwischen den Sekunden bewegt. Gedanken dauern hier eine Ewigkeit. All das verrückte Gerenne, nur um in einem Sprung, der unendlich lange dauert, aufgehalten zu werden.

Sein Leben zieht nicht vor seinen Augen vorbei. Er bereut nichts. Ihm fällt nichts ein, was er in Ordnung bringen könnte, wenn er am Leben bliebe.

Er erinnert sich, wie er an der Badezimmertür hing und sich gerade noch retten konnte. An dem Tag fand er heraus, dass das Sterben stets gleich ist, egal, ob geplant oder ungeplant. So endet es also. Das war die ganze Zeit seine Strategie, die er vor sich verborgen hat. Zu springen. Was für einen Wirbel er darum gemacht hat.

Das eisige Wasser schlägt die Fingernägel in seine Haut. Luftblasen strömen aus seinem Mund, Cartoondialoge eines Mannes, der nichts zu sagen hat.

Tiefer, tiefer.

Seine Stiefel berühren den Grund, und er ist ein Ton auf einem Keyboard, der in diesem herrlichen Zustand schwebt. Wie schnell die Gefühle, die ihm das Leben zur Qual gemacht haben, abgestreift sind. Wie unbedeutend sie plötzlich sind.

Er besteht nur noch aus Luftmangel. Noch nie hat er sich so lebendig gefühlt.

Als der sanfte Auftrieb vom Flussbett beginnt, wehrt er sich mit kreisförmigen Bewegungen seiner Arme.

Jetzt bleibt nur noch eins. Den Mund zu öffnen und den Fluss einzuatmen. Doch der Junge gehört nicht in diesen Fluss.

Luke streckt die Arme aus und strebt dem Licht entgegen. Als er aus dem Wasser auftaucht, schnappt er nach Luft.

Der Körper prallt gegen sein Gesicht. Luke packt die Jacke, und sie wirbeln umeinander auf die Brücke zu.

Er brüllt dem Jungen ins Ohr: »Alles wird gut!«

Er erhält keine Antwort. Der Körper ist schlaff. Die Armbewegungen waren nur ein Trugbild. Jetzt hält der Fluss sie beide gefangen. Luke strampelt nutzlos mit den Beinen und manövriert vergeblich mit dem freien Arm.

Der Schatten der Brücke zieht über ihm vorbei. Das ist sein Leben. Er schließt die Augen.

Seine rechte Schulter kracht gegen eine Felswand. Von der Wucht des Aufpralls wird er herumgewirbelt. Mit der Stirn prallt er an einen zweiten Felsen. An einem dritten kann er sich festhalten. Der Körper des Jungen treibt im Kreis und droht, ihn wieder in den Fluss zu schleudern, aber Luke wird nicht loslassen.

Eingekeilt zwischen den riesigen Steinen, ist er vorerst in Sicherheit. Er muss fünfzehn klirrend kalte Minuten warten, bis die Fluten sich wieder beruhigen. Wenn die Felsen ihn nicht festhalten, wird er im tosenden Wasser der vor ihm liegenden engen Schlucht sterben.

Er sieht nach, ob der Junge ein Lebenszeichen von sich gibt. Seine Augen sind unstet wie zwei pendelnde Waagschalen. Es sind die Augen eines Fisches, dessen Kampf zu Ende geht. Ganz kurz hatte Luke Hoffnung. Die Vorstellung, dass er hergekommen war, um ein Leben zu beenden, und stattdessen ein anderes rettete.

Bis zur Brust im Wasser, schiebt Luke den...

mehr

Autor

Gerard Donovan wurde 1959 in Wexford, Irland, geboren und lebt heute im Staat New York. Er studierte Philosophie, Germanistik und klassische Gitarre, veröffentlichte Gedichtbände, Shortstorys und Romane. Sein erster Roman »Ein bitterkalter Nachmittag« wurde mit dem Kerry Group Irish Fiction Award ausgezeichnet und stand auf der Longlist des Man Booker Prize. Sein Roman »Winter in Maine« war ein internationaler Bestseller.