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Meine Freundin Annabel Lee. Roman

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
153 Seiten
Deutsch
Reclam Verlagerschienen am12.03.2021Deutsche Erstausgabe
Zwei Frauen erzählen einander alles, was sie bewegt: Sie sprechen über Freundschaft und Liebe, über die Schönheit des Alltäglichen, die Einsamkeit und die Anonymität der Großstadt. Doch wer ist Annabel Lee, die Freundin der Ich-Erzählerin, eigentlich? Ist es ihre Geliebte? Oder doch nur eine japanische Porzellanfigur, benannt nach der Heldin des schwermütigen Gedichts von Edgar Allan Poe? Oder handelt es sich am Ende um ein Selbstgespräch? Mary MacLanes Roman lässt all das elegant in der Schwebe. Das literarische Können der Autorin, die 1902 mit ihrem ungestümen Debüt 'Ich erwarte die Ankunft des Teufels' für Furore sorgte, zeigt sich hier von einer zarten und melancholischen Tonart. Nachdem MacLanes Werk zwischenzeitlich völlig in Vergessenheit geraten war, wird es seit einigen Jahren wiederentdeckt und in immer mehr Sprachen übersetzt. Die deutsche Erstübersetzung ihres Debüts von Ann Cotten stand 2020 auf Platz 1 der SWR-Bestenliste, der Süddeutschen Zeitung galt sie als 'die literarische Wiederentdeckung der Saison', und die NZZ urteilte: 'Die Autorin wird schreibend zu ihrem eigenen Kunstwerk.'

Mary MacLane (1881-1929) wurde als 19-Jährige mit ihrem ersten Buch Ich erwarte die Ankunft des Teufels schlagartig berühmt, weitere autobiographische Texte folgten. Sie schrieb den Stummfilm Men Who Have Made Love to Me (1918), in dem sie selbst die Hauptrolle spielte. MacLane, deren bohemehafter Lebensstil und Bisexualität immer wieder für Skandale sorgten, starb im Alter von 48 Jahren in Chicago. Der Übersetzer: Mirko Bonné, geb. 1965, lebt als Schriftsteller und Übersetzer in Hamburg. Er verfasste mehrere Romane, Gedichtbände und übersetzte u. a. Werke von Emily Dickinson, Joseph Conrad und Robert Louis Stevenson ins Deutsche.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR18,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR15,99

Produkt

KlappentextZwei Frauen erzählen einander alles, was sie bewegt: Sie sprechen über Freundschaft und Liebe, über die Schönheit des Alltäglichen, die Einsamkeit und die Anonymität der Großstadt. Doch wer ist Annabel Lee, die Freundin der Ich-Erzählerin, eigentlich? Ist es ihre Geliebte? Oder doch nur eine japanische Porzellanfigur, benannt nach der Heldin des schwermütigen Gedichts von Edgar Allan Poe? Oder handelt es sich am Ende um ein Selbstgespräch? Mary MacLanes Roman lässt all das elegant in der Schwebe. Das literarische Können der Autorin, die 1902 mit ihrem ungestümen Debüt 'Ich erwarte die Ankunft des Teufels' für Furore sorgte, zeigt sich hier von einer zarten und melancholischen Tonart. Nachdem MacLanes Werk zwischenzeitlich völlig in Vergessenheit geraten war, wird es seit einigen Jahren wiederentdeckt und in immer mehr Sprachen übersetzt. Die deutsche Erstübersetzung ihres Debüts von Ann Cotten stand 2020 auf Platz 1 der SWR-Bestenliste, der Süddeutschen Zeitung galt sie als 'die literarische Wiederentdeckung der Saison', und die NZZ urteilte: 'Die Autorin wird schreibend zu ihrem eigenen Kunstwerk.'

Mary MacLane (1881-1929) wurde als 19-Jährige mit ihrem ersten Buch Ich erwarte die Ankunft des Teufels schlagartig berühmt, weitere autobiographische Texte folgten. Sie schrieb den Stummfilm Men Who Have Made Love to Me (1918), in dem sie selbst die Hauptrolle spielte. MacLane, deren bohemehafter Lebensstil und Bisexualität immer wieder für Skandale sorgten, starb im Alter von 48 Jahren in Chicago. Der Übersetzer: Mirko Bonné, geb. 1965, lebt als Schriftsteller und Übersetzer in Hamburg. Er verfasste mehrere Romane, Gedichtbände und übersetzte u. a. Werke von Emily Dickinson, Joseph Conrad und Robert Louis Stevenson ins Deutsche.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783159618456
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2021
Erscheinungsdatum12.03.2021
AuflageDeutsche Erstausgabe
Seiten153 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1506 Kbytes
Artikel-Nr.5694192
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Inhaltsverzeichnis
1 Annabel Lees Ankunft
2 Die glatten Oberflächen der Dinge
3 Meine Freundin Annabel Lee
4 Boston
5 Ein kleines Haus auf dem Land
6 Die sich halb bewusste Seele
7 Die Jugendbücher von Trowbridge
8 "Gib mir drei Körner Mais, Mutter!"
9 Relativ
10 Minnie Maddern Fiske
11 Wie eine Mauer aus Stein
12 Sich verlieben
13 Als ich auf die Butte High School ging
14 "Und Mary MacLane und ich"
15 Eine Löffelreiher-Geschichte
16 Ein Maßstab für Kummer
17 Eine Laute ohne Saiten
18 Ein weiteres Traumbild von meiner Freundin Annabel Lee
19 Die Kunst der Betrachtung
20 Über den kleinen Willy Kaatenstein
21 Eine einfühlsame Verbindung
22 Die Botschaft einer zarten Seele
23 Ich an meine Freundin Annabel Lee
24 Meine Freundin Annabel Lee an mich
25 Das goldene Kräuseln

Zu dieser Ausgabe
Anmerkungen
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Leseprobe

4 Boston

Gestern war die Dame in liebenswürdigster Stimmung, und wir unterhielten uns - zufälligerweise über Boston.

»Mögen Sie Boston?«, fragte sie mich.

»Ja«, erwiderte ich, »Boston gefällt mir. Es fasziniert mich.«

»Gefällt Ihnen aber nicht mehr als Butte, in Montana?«

»O nein«, sagte ich rasch. »Butte in Montana ist meine erste Liebe. Es gibt lauter öde Berge dort - die sind immer bei mir. Boston berührt mein Herz nicht im Geringsten, doch ich mag es sehr. Ich lebe gern hier.«

»Ich liebe Boston - manchmal zumindest«, meinte Annabel Lee. »Hier am Meer ist ja eigentlich nicht Boston. Hier ist alles. Dasselbe Meer strömt an verwunschenen Purpurinseln vorbei und brandet an die Küste von Spanien. Aber wenn man mal nur für einen Moment die Augen davon lassen kann, dann ist Boston eine schöne, gute und interessante Sache.«

»Das denke ich auch - in mehrfacher Hinsicht«, stimmte ich zu.

»Erzählen Sie mir, was Sie an Boston interessant finden«, sagte meine Freundin Annabel Lee.

»Da gibt es vieles«, erwiderte ich. »Ich habe eine kleine Nische unten an der East-Boston-Werft entdeckt, in der ich an kalten Tagen oft sitze. Die Sonne scheint hell und warm auf eine schmale hölzerne Plattform zwischen zwei großen Speicherfässern, dort kann mich keiner sehen, aber ich das Treiben der Menge beobachten. Die Leute sind ja ziemlich wuselig da unten in der Gegend rund um East Boston. Und mir fehlt es nie an Gesellschaft - manchmal trauen sich mutig und scharfzähnig ein paar Ratten heraus auf die Planken unter mir. Das Gewusel der Leute können sie nicht sehen, aber sie können den Sonnenschein genießen und im Müll nach Mäusen jagen.

Die Einwohner von East Boston - sie sind die Armen, die wir immer bei uns haben. Sie sind nicht die sanftmütigen, die würdevollen, die rechtschaffenen Armen. Sie sind die teuflischen, die boshaften - eins mit den Werftratten, die nach Mäusen jagen. Außer darin, dass die Ratten gelegentlich ihren weichen, grauen Pelz zu putzen versuchen, indem sie ihn mit ihren kleinen roten Zungen ablecken; wohingegen die Armen â¦ Aber weshalb sollten die Armen sich waschen? Sind sie nicht die Armen?

Wenn ich mich zwischen meinen zwei großen Fässern ausruhe und dieses grausige Schauspiel verfolge, denke ich: Arm zu sein in Boston scheint eine ziemlich verzweifelte Sache zu sein, denn Boston wird nachgesagt, es habe die vorzüglichsten Kenntnisse und trage einen Eisklumpen im Herzen. Zwischen meinen zwei Fässern in East Boston sitzend habe ich erlebt, wie Menschen sind - oh, so brutal, oh, so barbarisch, wie sie es im glücklichen England unter dem guten alten Heinrich VIII. schlimmer nicht hätten sein können.

Und das halte ich für schon sehr interessant.«

»Das ist es in der Tat«, sagte meine Freundin Annabel Lee. »Boston ist schön, sogar sehr schön. Erzählen Sie mir mehr.«

»Und manchmal«, sagte ich, »sitze ich an einem der Fensterplätze an der Treppe zur Öffentlichen Bücherhalle. Und ich blicke die Wände an. Ein Franzose mit wundersamer Erfindungsgabe und großer Fingerfertigkeit hat diese Wände gestaltet. Was es zu allen Zeiten an großen materiellen Dingen überall auf der Welt gab, hat er dort in Sinnbildern gemalt. Und darüber malte er einen dünnen grauen Schleier aus jenen Dingen, die nicht materiell sind, die aus keiner Zeit stammen, die stets mit uns, um uns, über uns sind - so wie sie das für die Kinder von Israel, für die Leute von Pompeij, für die schönen Städte Griechenlands und ihre Bewohner waren.

Ich sah mir die Wandbilder an und war geblendet und hingerissen. Was ist dort auf diesen Wänden nicht alles zu sehen!

Ich sah wahrhaftig die Vision der Welt und all des Wundersamen, das geschehen wird .

Ich sah das Ringen der verpuppten Seele und ihr Hineinplatzen ins Licht; ich sah die Erde einst beschützt von Göttlichkeit; ich blickte auf ein Konzept von Poesie und hörte die dünnen, rhythmischen Klänge von Schalmeien und Saiteninstrumenten; und ich hörte leise, wollüstige Musik aus dem Innern des Tempels - menschliche Stimmen wie süßer Jasmin; ich sah die faszinierende Götzenanbetung der Heiden - und fahl im Lichtschein eines Sterns am Abend die hölzerne Gestalt am Kreuz; ich beugte mich über den Rand eines Abgrunds und erblickte die graue Vorzeit - Hannibals Armee vor Karthago - die mit ihren Schiffen untergehenden Norsen - die zwecklosen, wilden Kämpfe der Goten und Vandalen; ich sah Wissenschaft und Kunst in ummauerten Städten, und ich sah zittrige Lämmchen am Bachufer umhertollen; ich sah nächtliche Schatten sich über geheime Werke beugen und sah an einem schönen Sommermorgen Bienen schwer beladen zu ihren Stöcken fliegen; ich hörte, wie an einer winzigen Stromschnelle auf einer Laute gespielt wurde und wie sich Pans Flötenklänge mischten mit den sprudelnden Tönen eines Rotkehlchens in Feldern voller Pfefferminze; ich sah Seiten über Seiten voller gedruckter Zeilen, die von einem Ende der Welt bis zum anderen reichten; ich sah tiefsinnige Worte, vor Jahrhunderten niedergeschrieben in vielfarbigen Tinten; das alles sah ich und war überwältigt von den Wunderwerken technischer Errungenschaften, die nur so strotzen vor präzisen Kenntnissen, die ich nie erlangen werde - in alldem sah ich die völlige Gleichmut des Antlitzes der Welt, so wie der Pinsel des Franzosen Chavannes sie darstellt.

Und über allem die nebelartige Vorstellung vom langen Schweigen der Unwissenheit.

Was ist dort auf diesen wundervollen Wänden nicht alles zu sehen!

Da sitze ich auf diesem kleinen Fensterplatz, und was ich halb träumend wahrnehme, verschwimmt mir vor den grauen Augen. Meine Gedanken sind erfüllt vom Anblick murmelnden, pulsierenden Lebens.

Was aber ist das alles, verglichen mit dem wahren Leben - denn so wundersam diese Bilder sind â¦ was ich manchmal dort unten sah, wo die Ratten im Müll nach Nahrung suchen, ist doch viel wundersamer.«

»Stimmt«, sagte meine Freundin Annabel Lee, »es gibt viel, viel zu sehen in Boston. Erzählen Sie mir mehr.«

»Tja, und es gibt die South Station«, fuhr ich fort. »O ja, bevor man nicht tausend Stunden herumgeschlendert ist und vertrödelt hat an diesem Ort für Züge und Leute aller Art, hat man keine Ahnung davon, was in seinen Wartesälen wirklich zu finden ist.

Ich habe Massachusetts dort gefunden - nicht das Massachusetts, von dem ich immer gelesen hatte, sondern das Massachusetts, das mit einer Einkaufstasche für Boston angefahren kommt aus Braintree, Plymouth und Middleboro; das Massachusetts, das gebildet ist und den Zeigefinger durch den Henkel seiner Teetasse steckt; das Massachusetts, das Suppe von seiner Löffelspitze isst; das Massachusetts, das herzensgut ist und dabei einen komischen Gang hat; das Massachusetts, das alle Kinder nimmt und für einen Tag runter nach Providence fährt - jedes Kind mit einer dicken gelben Banane in der Hand; das Massachusetts, das es gibt, weil die Welt Schuhe trägt - denn es ist gebildet und weiß Schuhe herzustellen.

Und an der South Station gibt es außerdem Leute aus der weiten Welt ringsum. Schauspieler und Schriftsteller und Künstler sieht man ankommen und abreisen und wartend in den Wartesälen sitzen. Einige reichlich prächtige und sonderbare Personen haben dort in diesen Wartesälen gesessen, aber auch schmuddelige Italiener mit Perlenketten um den Hals.

Und an der South Station gibt es so viele, viele Leute, dass einem dort ab und an etwas von den Winzigkeiten begegnen kann, auf die man seit Jahrhunderten gewartet hat. In einer Vielzahl von Gesichtern gibt es so vielleicht ein junges mit zugleich erschöpften und lebhaften Zügen, mit wachsamen Augen, die viel gesehen haben, und mit weichem, stumpfem Haar darüber. Blitzschnell erkennt man es, und ebenso blitzschnell ist es verschwunden. Es ist ein Gesicht, das Schönes verheißt und das man seit langer, langer Zeit ebenso kennt wie seine Göttlichkeit. Und hier an der Bostoner South Station erhaschte man davon den einen, goldenen Anblick.

Und ich sah an der South Station eine merkwürdige Szene mit an: Da kümmerte sich nämlich ein sanftmütiger Jude fast ganz allein um seine vielen kleinen Kinder, während deren kindermüder Mutter einmal im Leben erlaubt war, sich voll und ganz auszuruhen, indem sie mit geschlossenen Augen und gefalteten Händen bloß dasaß. Ebenso beruhigt hätte sie wohl der Gedanke, dass sie mit dem Zur-Welt-Bringen dieser kleinen Hebräerarmee ihren Anteil an der fragwürdigen Buße gegenüber der Welt erfüllt habe.

Außerdem atmet man an der South Station so gut wie irgendwo die Bostoner Luft.

Und auch die Bostoner Luft ist wundervoll - auch wenn sie einzuatmen nicht jedermann freisteht. Sie ist für die Gesalbten da - die anderen müssen sich zufriedengeben mit der farblosen, geruchlosen Luft, die ungestüm herabweht von den Berggipfeln und über die Meere im Norden. Ich aber habe ja Augen, um zu sehen - und da die Bostoner Luft farbig ist, kann ich sie sehen. Und ich habe Ohren, um zu hören - und da die Bostoner Luft vibriert von Musik, kann ich sie hören. Und ich bin feinfühlig - weshalb alles, was in der Bostoner Luft beißend ist, alles, was fein ist, alles, was Kunst ist, alles, was schön ist, alles, was wahr ist, alles, was gütig ist, und insbesondere alles, was sehr kühl ist, und alles, was bitterlich herablassend...
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Autor

Mary MacLane (1881-1929) wurde als 19-Jährige mit ihrem ersten Buch Ich erwarte die Ankunft des Teufels schlagartig berühmt, weitere autobiographische Texte folgten. Sie schrieb den Stummfilm Men Who Have Made Love to Me (1918), in dem sie selbst die Hauptrolle spielte. MacLane, deren bohemehafter Lebensstil und Bisexualität immer wieder für Skandale sorgten, starb im Alter von 48 Jahren in Chicago.

Der Übersetzer:
Mirko Bonné, geb. 1965, lebt als Schriftsteller und Übersetzer in Hamburg. Er verfasste mehrere Romane, Gedichtbände und übersetzte u. a. Werke von Emily Dickinson, Joseph Conrad und Robert Louis Stevenson ins Deutsche.