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Unsichtbarer Tod

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
384 Seiten
Deutsch
dtv Verlagsgesellschafterschienen am20.10.20211. Auflage
»Das letzte Wort haben die Mikroben.« Louis Pasteur Am Anfang war der Lockdown: Menschen wurden sesshaft, Tiere gesellten sich zu ihnen. Das war praktisch. Aber tödlich. Weil sich unsere Vorfahren das Sterben nicht erklären konnten, suchten sie Antworten bei den Göttern. So entstanden religiöse Hygiene- und Nahrungsvorschriften. Man fand heraus, welchen Wert saubere Straßen, frisches Wasser, gut belüftbare Wohnungen besaßen, man entdeckte die Keime und das Penicillin. Dirk Bockmühl, Professor für Hygiene und Mikrobiologie, nimmt uns mit auf einen faszinierenden Streifzug durch die Geschichte der Zivilisation, der Religionen, der Architektur, der Medizin und der Wissenschaften. Er erzählt eine Geschichte ohne Ende, ein wesentliches Kapitel schreiben wir alle gerade selbst.

Prof. Dirk Bockmühl, geboren 1972, forschte bereits als Doktorand zu Keimen: In seiner Dissertation befasste er sich mit den krankheitsfördernden Mechanismen beim Hefepilz. Seit 2010 ist er Professor für Hygiene und Mikrobiologie an die Hochschule Rhein-Waal in Kleve.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR24,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR14,99

Produkt

Klappentext»Das letzte Wort haben die Mikroben.« Louis Pasteur Am Anfang war der Lockdown: Menschen wurden sesshaft, Tiere gesellten sich zu ihnen. Das war praktisch. Aber tödlich. Weil sich unsere Vorfahren das Sterben nicht erklären konnten, suchten sie Antworten bei den Göttern. So entstanden religiöse Hygiene- und Nahrungsvorschriften. Man fand heraus, welchen Wert saubere Straßen, frisches Wasser, gut belüftbare Wohnungen besaßen, man entdeckte die Keime und das Penicillin. Dirk Bockmühl, Professor für Hygiene und Mikrobiologie, nimmt uns mit auf einen faszinierenden Streifzug durch die Geschichte der Zivilisation, der Religionen, der Architektur, der Medizin und der Wissenschaften. Er erzählt eine Geschichte ohne Ende, ein wesentliches Kapitel schreiben wir alle gerade selbst.

Prof. Dirk Bockmühl, geboren 1972, forschte bereits als Doktorand zu Keimen: In seiner Dissertation befasste er sich mit den krankheitsfördernden Mechanismen beim Hefepilz. Seit 2010 ist er Professor für Hygiene und Mikrobiologie an die Hochschule Rhein-Waal in Kleve.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783423439534
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2021
Erscheinungsdatum20.10.2021
Auflage1. Auflage
Seiten384 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse4056 Kbytes
Artikel-Nr.5702567
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe


1 Steinzeitliche Begegnungen

Was das Immunsystem mit der Sesshaftwerdung der Menschen und der Domestizierung ihrer Haustiere zu tun hat und warum Infektionen ein Spiegel der Mobilität und Vernetzung sind

Als sie das, was von den Körpern der jungen Frau und ihrer wohl zwölf Monate alten Tochter über die Jahrtausende übriggeblieben war, im Labor genauer untersuchten, machten die Forscher eine Entdeckung, die sie innehalten ließ. Die Skelette, die das Team um Israel Hershkovitz von der Universität Tel Aviv und seine Kollegin Helen Donoghue vom University College in London unter die Lupe nahm, stammten von einer Fundstelle südlich von Haifa vor der israelischen Küste.1 Die Siedlung Atlit-Yam war irgendwann, lange nachdem das Baby und seine Mutter bestattet worden waren, überflutet worden; das Marschland, auf dem die Menschen von Atlit sich niedergelassen hatten, wurde vom Mittelmeer überspült, so dass die Gräber, die die britisch-israelische Forschergruppe im Jahr 2007 entdeckte, mitsamt den Bestatteten und ihren Grabbeigaben seit wohl neuntausend Jahren unberührt geblieben waren. Der lehmige Boden und die darüberliegende Sandschicht hatten ein nahezu sauerstofffreies Milieu geschaffen, das die menschlichen Überreste ebenso gut konservierte wie die Schilfmatten und hölzernen Gefäße, die ihnen auf dem Weg in die Ewigkeit mitgegeben worden waren.

Vermutlich war der Tod für Mutter und Tochter eine Erlösung gewesen: Das Schädelinnere des kleinen Mädchens war von schlangenförmigen Einkerbungen gekennzeichnet und die langen Röhrenknochen waren an den Schäften geschwollen. Bei ihrer Mutter fanden sich ähnliche Abdrücke, wenn auch nicht so ausgeprägt. Ein erfahrener Mediziner schöpft bei einem solchen Befund augenblicklich Verdacht. Um diesen zu erhärten, wird er sich auf die Suche nach Spuren von DNA machen.

Unsere Erbsubstanz allerdings ist kein besonders stabiles Molekül. Daher ist es schwierig, DNA, die aus lange vergangenen Zeiten stammt, zu isolieren. So reizvoll und spektakulär die Idee auch ist, mithilfe der kompletten Genome von im Eis konservierten Tieren zum Beispiel Mammuts quasi wiederauferstehen zu lassen, so schwierig ist das Unterfangen doch in der Umsetzung. Und das, obwohl dank des sibirischen Permafrostbodens manche Exemplare wirklich fantastisch erhalten sind. Noch weniger aussichtsreich wäre solch ein Experiment, wenn die klimatischen Verhältnisse ungünstiger oder, wie im Fall der Siedlung am Mittelmeer, nur noch Skelette vorhanden sind, auf denen sich bestenfalls Reste von Zellen finden. Unter solchen Bedingungen müssen Biologen mühsam versuchen, den Proben die wenigen DNA-Moleküle abzuringen und sie von anderen organischen Bestandteilen zu befreien, die eine weitere Analyse beeinträchtigen würden. Wegen der vielen störenden Substanzen, die sich sonst noch in einer Probe befinden können, ist es bereits eine Herausforderung, DNA aus einer frischen Bodenprobe zu isolieren - ganz zu schweigen von Tausende Jahre alten Knochen mit spärlichen Resten von Gewebe.

Hershkovitz und Donoghue hatten jedenfalls kein Glück: Menschliche DNA war in den Skeletten der beiden Bestatteten aus Atlit-Yam leider nicht nachweisbar. Was die Forscher aber sehr wohl gefunden haben, war die Erbsubstanz von Bakterien. Da das Erbgut der meisten gängigen Bakterien mittlerweile bekannt und auch recht charakteristisch ist, war es möglich, mit großer Sicherheit jene Art zu ermitteln, die für das Leid von Mutter und Tochter verantwortlich gewesen war.

Bereits 1993 war es den Wissenschaftlern Mark Spigelman und Eshetu Lemma erstmals gelungen, bakterielle DNA aus antiken menschlichen Gebeinen zu isolieren.2 Bei den dreihundert bis tausendvierhundert Jahre alten Skeletten, die sie untersuchten, handelte es sich um Menschen aus Europa, dem asiatischen Teil der Türkei und aus Borneo. Sie alle wiesen ähnliche Symptome auf wie die Skelette aus Atlit-Yam. Steckte also derselbe Erreger dahinter, und litten diese Menschen, die auf unterschiedlichen Kontinenten und in verschiedenen Epochen lebten, an der gleichen Krankheit? Mithilfe seiner DNA fanden Spigelman und Lemma heraus, dass es sich beim Verursacher der Infektion in allen Fällen um die Bakterienart Mycobacterium tuberculosis handelte.

Noch heute sind weltweit etwa 1,5 bis zwei Milliarden Menschen damit infiziert und auch Mutter und Tochter aus der Bucht von Atlit waren zweifelsfrei an Tuberkulose erkrankt, denn auch bei ihnen konnte ebendieser Keim mittels DNA-Analyse nachgewiesen werden. Der neuntausend Jahre alte Fund aus Atlit ist bislang der älteste Nachweis von Tuberkuloseerregern beim Menschen, das heißt aber nicht, dass die Schwindsucht, wie die Krankheit auch genannt wurde, erst zu dieser Zeit aufgetreten ist. In einer Höhle im US-Bundesstaat Wyoming fand man DNA-Spuren dieser Bakterien auf einem Bison, das vor ungefähr siebzehn- bis zwanzigtausend Jahren gelebt hat.3 Und möglicherweise erkrankten Angehörige der ersten aufrecht gehenden Menschen, Homo erectus, tatsächlich schon vor fünfhunderttausend Jahren an Tuberkulose - zumindest legen das Fossilienfunde nahe, die einmal mehr die für die Tuberkulose typischen Knochendeformationen aufweisen.4 Die Funde in Atlit-Yam stammen jedenfalls aus der beginnenden Jungsteinzeit. Und genau zu diesem Zeitpunkt scheinen sich Tuberkulose und andere Infektionen sprunghaft ausgebreitet zu haben.5 Aber wieso?

Zu ebenjener Zeit fingen die Menschen an, die Samen wildwachsender Vorgänger von Weizen und Gerste auf einem freien Stück Erde vor ihren primitiven Behausungen auszustreuen, um fortan diese Pflanzen dort anzubauen, wo sie lebten, und nicht mehr durch die weiten Landschaften ziehen und sie sammeln zu müssen. Auch pferchten sie die ersten Schafe ein, nachdem das Klima in der Region östlich des Mittelmeers immer trockener geworden war und die Gazellenjäger daher immer häufiger ohne Beute heimkehrten. Eine neue Epoche begann, aber selbstverständlich schrieb niemand diesen Wandel für die Nachwelt nieder, der sich weit mehr als zehntausend Jahre vor unserer Zeitrechnung vollzog. Und natürlich ist er auch nicht allein mit dem Ende des rastlosen Umherwanderns auf der Jagd nach Beute und des Sammelns von essbaren Früchten und Pflanzen zu erklären. Die Zeitenwende ging nach und nach vonstatten und hat doch bis heute gravierende Auswirkungen. Und so wird es der Tragweite dieser Veränderung gerecht, wenn wir sie uns als einen Moment vor Augen führen, nach dem für die Menschheit nichts mehr so war wie zuvor für sehr lange Zeit. Immerhin existiert unsere Spezies Homo sapiens in der jetzigen Form mehr oder weniger bereits seit etwa hundertfünfzigtausend Jahren. Und das bedeutet nichts anderes, als dass die Menschheit neunzig Prozent ihrer Geschichte als Jäger und Sammler und eben nicht mit Ackerbau und Viehzucht verbracht hat.

Abgesehen von den soziologischen, kulturellen und technologischen Entwicklungen, die die Sesshaftwerdung nach sich zog, sind es nicht zuletzt die biologischen Rahmenbedingungen, die sich durch die veränderte Ernährung und das Zusammenleben mit den Geschöpfen, die wir als Haustiere bezeichnen, dramatisch wandeln sollten. Der Umbruch, für den der australische Archäologe Vere Gordon Childe in den 1930er Jahren den Begriff »neolithische Revolution« prägte,6 ist kein Aufstand gegen die Obrigkeit, auch wenn der überzeugte Marxist diese Analogie im Sinn gehabt haben mag, als er die drastischen Veränderungen unserer Spezies in der Jungsteinzeit zu beschreiben versuchte. Die Verwandlung vom jagenden Steinzeitmenschen zum mehr oder weniger ortsgebunden lebenden Bauern ist vielmehr eine Reaktion auf das sich ändernde Klima in jener Gegend, die häufig als »Levante« umschrieben wird. Die Ableitung dieses altitalienischen Wortes für das »Emporsteigen« oder »sich Erheben« hat als poetischer Begriff des Morgenlandes für lange Zeit unsere Sicht auf die Länder des östlichen Mittelmeerraumes geprägt. Goethe schreibt im West-östlichen Divan, seinem großen Morgenland-Epos: »Und so lang du das nicht hast, dieses Stirb und Werde, bist du nur ein trüber Gast auf der dunklen Erde.«7

Sterben und Werden - im Neolithikum kämpften nicht nur Mutter und Tochter aus Atlit-Yam als trübe Gäste auf der dunklen Erde gegen den Hunger, seitdem die Tierherden ausblieben, die ihnen bislang als Nahrungsgrundlage gedient hatten. Es zog also mitnichten ein neuer, hoffnungsvollerer Tag aus dem Osten herauf, nun, da die Menschen sich nicht mehr damit begnügten, die Ähren wild wachsender Getreidesorten zu sammeln, sondern sie selbst anbauten. Die Erkenntnisse, die wir über diese Zeit haben, legen in der Tat nahe, dass sich die Welt um sie eher verdunkelte, denn wie die in Atlit-Yam entdeckten Skelette zeugen die meisten Funde aus den ersten Jahrtausenden nach der Sesshaftwerdung keineswegs von gesunden und kräftigen Menschen. Vielmehr weisen die zum Teil deformierten knöchernen Überreste vielfach klare Zeichen für Mangelernährung, Infektionen und chronische Entzündungen auf. Doch warum litt Homo sapiens unter der neuen Lebensweise, statt buchstäblich an den Früchten seiner Arbeit zu gedeihen? Die Evolution, die diese Menschen über Zehntausende von Jahren erschuf, hatte lange schlicht andere Maßstäbe an das menschliche Individuum angelegt. Die darauf beruhenden genetischen Voraussetzungen hatten den Menschen besonders »fit« für die damaligen...

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Autor

Prof. Dirk Bockmühl, geboren 1972, forschte bereits als Doktorand zu Keimen: In seiner Dissertation befasste er sich mit den krankheitsfördernden Mechanismen beim Hefepilz. Seit 2010 ist er Professor für Hygiene und Mikrobiologie an die Hochschule Rhein-Waal in Kleve.
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Bockmühl, Dirk