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78° tödliche Breite

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
320 Seiten
Deutsch
dtv Verlagsgesellschafterschienen am02.10.20211. Auflage
Die Polarnacht bringt den Tod Kurz nach Weihnachten reist der frisch pensionierte norwegische Ex-Kommissar Trond Lie nach Spitzbergen, wo er sich längere Zeit um seinen vierjährigen Enkel Bjarne kümmern muss. Doch das Leben in dem kleinen Ort Longyearbyen und vor allem die arktische Kälte und Dauerdunkelheit der langen Polarnacht am fast nördlichsten Punkt der Welt sind gewöhnungsbedürftig. Als die junge Hundeschlittenführerin Frida van Namen plötzlich einen Toten im Schnee entdeckt, die Polizei vom Festland aber nicht anreisen kann, übernimmt Trond nur zu gerne die Ermittlung. Bald ahnt er, dass er einem Verbrechen von großem politischem Ausmaß auf der Spur ist. Aber in der arktischen Nacht lauert nicht nur ein gefährlicher Mörder, sondern auch ein hungriger Eisbär.

Hinter dem Pseudonym Hanne H. Kvandal verbirgt sich die deutsche Autorin und ehemalige Rundfunk-Journalistin Hannelore Hippe. Als Hannah O'Brien hat sie ihre erfolgreiche irische Krimireihe um die Ermittlerin Grace O'Malley geschrieben. Zuletzt erschien unter ihrem Klarnamen bei dtv der Roman >Die verlorenen TöchterZwei Leben< (2012) diente. Die Autorin lebt in Köln und an der Mosel.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR10,95
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR9,99

Produkt

KlappentextDie Polarnacht bringt den Tod Kurz nach Weihnachten reist der frisch pensionierte norwegische Ex-Kommissar Trond Lie nach Spitzbergen, wo er sich längere Zeit um seinen vierjährigen Enkel Bjarne kümmern muss. Doch das Leben in dem kleinen Ort Longyearbyen und vor allem die arktische Kälte und Dauerdunkelheit der langen Polarnacht am fast nördlichsten Punkt der Welt sind gewöhnungsbedürftig. Als die junge Hundeschlittenführerin Frida van Namen plötzlich einen Toten im Schnee entdeckt, die Polizei vom Festland aber nicht anreisen kann, übernimmt Trond nur zu gerne die Ermittlung. Bald ahnt er, dass er einem Verbrechen von großem politischem Ausmaß auf der Spur ist. Aber in der arktischen Nacht lauert nicht nur ein gefährlicher Mörder, sondern auch ein hungriger Eisbär.

Hinter dem Pseudonym Hanne H. Kvandal verbirgt sich die deutsche Autorin und ehemalige Rundfunk-Journalistin Hannelore Hippe. Als Hannah O'Brien hat sie ihre erfolgreiche irische Krimireihe um die Ermittlerin Grace O'Malley geschrieben. Zuletzt erschien unter ihrem Klarnamen bei dtv der Roman >Die verlorenen TöchterZwei Leben< (2012) diente. Die Autorin lebt in Köln und an der Mosel.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783423439176
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2021
Erscheinungsdatum02.10.2021
Auflage1. Auflage
Seiten320 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1844 Kbytes
Artikel-Nr.5702575
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe

1

»Bestefar!«

Die helle Kinderstimme drängte sich in Trond Lies Bewusstsein, das sich tief in seinen erschöpften Körper zurückgezogen hatte.

Trond Lie hasste die Arktis. Sie bescherte ihm Schlafprobleme. Er war erst seit drei Wochen hier oben auf 78 Grad nördlicher Breite, 1300 Kilometer südlich des Nordpols, in Longyearbyen auf Spitzbergen, der größten Insel im Archipel des norwegischen Svalbard. Er war mitten im Eismeer, am Ende der Welt. In einem gottverlassenen Nest, umgeben von Menschen, die auch noch stolz auf die Krankheit waren, mit der sie sich hier infiziert hatten und die sie liebevoll kultivierten - den »arktischen Bazillus«, eine Art Beklopptheit, die sie auch das »Svalbard-Virus« nannten. Wer sich damit infiziert hatte, musste entweder immer wieder nach Spitzbergen zurückkehren oder beschloss auf der Stelle, für einen längeren Zeitraum auf 78 Grad zu bleiben.

»Beste?«

Nun ertönte die helle Stimme genau vor seinem Bett und Trond öffnete mühsam die Augen.

Trond hätte sich am liebsten für keines von beidem entschieden und wäre rasch wieder von der Insel verschwunden. Doch es war der Besitzer dieser Stimme, sein Enkel Bjarne, der nach ihm, dem Großvater, fragte, der ihn hier in Longyearbyen hielt.

Tronds Tochter Ingvild, Bjarnes Mutter, hatte ihm Anfang Dezember eine Mail geschickt, in der sie ihm sehr zurückhaltend, wie es ihre Art war, ihre Nöte schilderte. Mittlerweile jonglierte sie mit drei Jobs gleichzeitig: Sie saß an der Kasse im Supermarkt, jobbte ein paarmal die Woche abends im Kroa, einer der zahlreichen Kneipen des feiersüchtigen Örtchens, und alle zwei Wochen übernahm sie die Wochenendschicht in der Taxizentrale, bei der sie auch zwischendurch manchmal für einen erkrankten Fahrer einspringen musste.

Sie habe zwar für den vierjährigen Sohn einen Kindergartenplatz, könne sich aber trotzdem nicht immer gut um ihn kümmern, besonders abends werde es manchmal schwierig. Auch wenn es Nachbarinnen und Bekannte gab, die ihr schon mal halfen, war das sicher keine Dauerlösung und für Bjarne nicht optimal. Ingvild hatte ihn nicht ausdrücklich darum gebeten, aber er hatte ihren Hilferuf herausgelesen.

Seit zwei Monaten war Trond als Kriminalkommissar im Ruhestand. Und seit über einem Jahr war er Witwer. Er vermisste seine Hilde schmerzlich. Schon seit Langem wollte er weg aus Bergen. Denn seine gemütliche Wohnung in Zentrumsnähe hatte sich zum Nebenschauplatz eines Albtraums entwickelt. Sowohl der Besitzer der Wohnung unter ihm als auch der aus der Wohnung über ihm waren kurz nacheinander ausgezogen, um einer unüberschaubaren Schar polternder Rollkoffer-Nomaden, herangelockt durch fragwürdige Internetportale, buchstäblich das Schlachtfeld zu überlassen.

Zum gleichen Zeitpunkt hatten die Bergenser Behörden beschlossen, das alte Hanseviertel Bryggen und den Fischmarkt täglich Abertausenden von Tagestouristen auszuliefern, die sich aus Kreuzfahrtschiffen über die Stadt ergossen, alles andere hinwegspülten, um am Ende jedes Tages Berge von Plastikmüll und andere Überreste, einer ekligen menschlichen Schneckenspur gleich, zurückzulassen.

Nein, Bergen war tatsächlich zu einem Albtraum geworden, sein Enkelsohn Bjarne erschien Trond dagegen wie ein zart verschwommener, ein versöhnlicher Traum seiner eigenen Kindheit.

Bjarne war das Wertvollste in seinem Leben. Wie sehr hatte er es bedauert, als Ingvild mit dem Baby vor gut drei Jahren nach dem Scheitern ihrer Beziehung mit Bjarnes Vater verkündet hatte, sie gehe nun nach Svalbard, um bei den hohen Löhnen und niedrigen Steuern dort ihr Glück zu versuchen. Die suchten angeblich händeringend nach Personal im Servicebereich. Das sei ihre Chance, schnell an gutes Geld zu kommen, denn Ingvild wusste genau, was sie wollte: eine eigene Werkstatt als Goldschmiedin.

»Bestefar, wach auf! Es hat die ganze Nacht geschneit.«

Trond schlug endlich die Augen auf und lächelte seinen Enkel an.

Wie der Knirps wohl während der andauernden Polarnacht Tag und Nacht zu unterscheiden wusste? Trond gelang das ohne die Hilfe einer Uhr bisher leider nicht.

»Du bist ja schon angezogen! Wie spät ist es denn?«

Er griff nach seinem Handy auf dem Nachttisch, denn er wusste, dass ein Blick nach draußen ihm diese Frage nicht beantworten würde.

Es war sechs Uhr morgens und stockdunkel. Genau wie um zehn, um zwölf, um vierzehn, um sechzehn Uhr. Ein eisiges, düsteres Immer, das die Menschen hier oben umfing, um sie fertigzumachen und sie in den Irrsinn zu schicken.

Trond Lie war mit zwei Koffern kurz vor Weihnachten in der sogenannten Kernpolarnacht auf der Insel gelandet. Das bedeutete schwärzestes Dunkel rund um die Uhr. Vierundzwanzig Stunden, fast vier Monate lang.

»Ziehst du dich auch an? Dann gehen wir zusammen raus in den frischen Schnee, Beste! Das macht Spaß!«

Seufzend und mit etwas steifen Knochen stand Trond auf. Es wäre unsinnig gewesen, dem Kind zu sagen, man solle noch etwas warten mit dem Rausgehen, es sei ja noch dunkel. Dann würde Bjarne nur verwundert gucken und damit Recht haben.

Zehn Minuten später öffnete Trond leise die Haustür und spähte zu beiden Seiten auf die schmale, leicht ansteigende Straße des Stadtteils Haugen.

Es handelte sich um eine gute Handvoll bunt angemalter Häuser, die wie kleine Kästen wirkten, was sie im Grunde auch waren - Containerbauten. Longyearbyen war eine Art farbenfrohe Schuhkartonsiedlung. Das hatte er auf einem Foto erkennen können. Sehen konnte man es in der Dunkelheit ja nicht.

Bjarne sauste an ihm vorbei ins Freie und rannte los. Trond Lie stolperte hinter seinem Enkel her und suchte mit dem mageren Strahl seiner Taschenlampe nach dem Jungen.

Der war doch eben die Straße hinuntergelaufen? Oder etwa nach oben?

Da merkte Trond, dass er tatsächlich im Dunkeln stand. Seine Brillengläser waren obendrein beschlagen und raubten ihm das Wenige an Ausblick, das ihm hier überhaupt vergönnt war.

Außerdem hätte er bei minus zwanzig Grad natürlich sein Gesicht schützen müssen. Bjarne hatte sich seine dünne baumwollene Gesichtsmaske übergestreift, die nur Augen, Mund und Nase freiließ. Er dagegen hatte seinen dicken Schal so drapiert, dass er sein halbes Gesicht bedeckte. Innerhalb von ein paar Sekunden dampfte er so, dass die Gläser und damit auch er vollkommen erblindeten.

Nachdem er mit den dicken Handschuhen umständlich die Brille abgenommen hatte, um sie - ja, womit denn, bitte? - blank zu wischen, erlebte er die zweite Überraschung an diesem helllichten schwarzen Morgen: Der feine Beschlag hatte sich bereits in festen Reif verwandelt und ließ sich nicht so leicht wegkratzen. Trond schluckte und hasste die Arktis wieder einmal aus vollem Herzen, mehr als je zuvor.

 

Die App auf Ingvilds Nachttisch fiepte dreimal hintereinander. Beim dritten Mal tastete sie im Halbschlaf nach ihrem Handy und klickte sie an. Die Botschaft erschien in großen Lettern mit einem roten Rand auf dem Display.

»Oh nein, nicht schon wieder«, murmelte sie, richtete sich aber sofort auf.

Ingvild war todmüde und fühlte sich wie gerädert. Erst vor knapp vier Stunden war sie aus der Kneipe gekommen, wo sie am Abend bedient hatte. Für diesen Vormittag hatte sie kurzfristig die Schicht an der Supermarktkasse von der kranken Kollegin übernommen, und Anders, der Chef des Kroa, war so nett gewesen, sie schon gegen zwei Uhr morgens in den Feierabend zu schicken, da nicht mehr viel los gewesen war.

Er selbst hatte mit den drei Gestalten an der Theke ausgeharrt, die erfahrungsgemäß erst zwischen vier und fünf nach Hause fanden. Es waren Stammkunden, drei Mechatroniker, die zwei Kilometer ins Tal hinein in Nybyen in einem der zahlreichen Wohncontainer für Zeitarbeiter wohnten. Ein Schwede, ein Isländer und ein Norweger. Ein skandinavisches Kleeblatt, schweigsam und im Suff vereint, verlässlich in der Ausübung ihres Lasters.

Ingvild musste unbedingt ihrem Vater Bescheid sagen. Der hatte als Neuankömmling ja keinen Schimmer und die App natürlich noch nicht auf dem Handy. Nur für alle Fälle.

Papa und Bjarne würden sicher noch in ihren warmen Betten liegen. Ingvild gähnte und ging auf die Toilette. Als sie sich die Hände wusch und ihr erschöpftes Gesicht im Spiegel sah, fiel ihr ein, dass der Supermarkt jetzt ja höchstwahrscheinlich geschlossen bleiben würde, bis alles vorbei war.

Der Gedanke schob ihr ein Lächeln ins Gesicht.

Sie ging zur Tür, die wie üblich nicht verschlossen war. Niemand auf Svalbard sperrte seine Haustür ab, außer wenn ein Kreuzfahrtschiff vor Anker lag. Genau wie alle auch immer die Schuhe auszogen und sie in der Nähe der Tür deponierten. Das war in ganz Norwegen üblich. Aber auf Spitzbergen setzte man noch einen drauf, indem man das auch im Museum, in der Stadtbücherei, in der Universität und in den Restaurants praktizierte. Überall standen Schuhe in Reih und Glied direkt neben der Tür und warteten auf ihren nächsten Einsatz. Ingvild hatte es einmal gezählt: Sie zog sich im Schnitt fünfundzwanzig Mal am Tag die Stiefel an und aus.

Als sie an die Haustür trat, sah sie es sofort. Die schweren Schneeschuhe ihres Vaters waren verschwunden. Und auch die Moonboots ihres Sohnes.

Ingvild merkte, wie ein Schwindel sie ergriff, und sie fasste an die Garderobe, um sich festzuhalten.

»Bjarne! Papa!«

Sie stürzte ins Kinderzimmer, als sie es auch schon hörte. Der Helikopter war aufgestiegen und schwebte mit ohrenbetäubendem Lärm ganz niedrig über der Siedlung. Sein Suchscheinwerfer...
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Autor

Hinter dem Pseudonym Hanne H. Kvandal verbirgt sich die deutsche Autorin und ehemalige Rundfunk-Journalistin Hannelore Hippe. Als Hannah O'Brien hat sie ihre erfolgreiche irische Krimireihe um die Ermittlerin Grace O'Malley geschrieben. Zuletzt erschien unter ihrem Klarnamen bei dtv der Roman ¿Die verlorenen Töchter¿ (dtv 21835), der als Vorlage für den Oscar nominierten deutsch-norwegischen Film ¿Zwei Leben¿ (2012) diente. Die Autorin lebt in Köln und an der Mosel.
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Kvandal, Hanne H.