Hugendubel.info - Die B2B Online-Buchhandlung 

Merkliste
Die Merkliste ist leer.
Bitte warten - die Druckansicht der Seite wird vorbereitet.
Der Druckdialog öffnet sich, sobald die Seite vollständig geladen wurde.
Sollte die Druckvorschau unvollständig sein, bitte schliessen und "Erneut drucken" wählen.

Vom Versuch, einen silbernen Aal zu fangen

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
432 Seiten
Deutsch
dtv Verlagsgesellschafterschienen am23.07.20211. Auflage
Die Unberechenbarkeit zweiter Chancen Morgen wird alles anders oder jetzt ist auch schon egal. So leben die Bewohner des heruntergekommenen rheinischen Kurorts Villrath. Seit die lokale Heilquelle vor Jahren versiegte, stehen die Gästezimmer leer. Da fördern Bauarbeiten ein mineralhaltiges Rinnsal zutage. Was könnte den Glanz vergangener Tage zurückbringen, wenn nicht das gute alte Heilwasser?  Vera, letzte Trägerin der Villrather Nixenkrone und Wirtin des »Stübchen«, beschließt gegen jede Vernunft, einen alten Jugendtraum wiederzubeleben. Notfalls mit Lug und Trug. Der alte Kamps bringt sich mit Klappstuhl und Gewehr gegen die Dämonen der Vergangenheit in Angriffsstellung. Und während die Erwachsenen abgelenkt sind, bricht Johannes auf in Richtung Freiheit oder was er dafür hält. »Das Leben ist mal existenziell, natürlich, und mal irre peinlich. Wo liegt eigentlich der Unterschied? Ein tragikomischer Roman.« Bov Bjerg

Janine Adomeit, 1983 in Köln geboren, studierte Literatur- und Sprachwissenschaft. Sie nahm an der Schreibwerkstatt der Jürgen Ponto-Stiftung und an der Autorenwerkstatt Prosa des Literarischen Colloquiums Berlin teil. Sie lebt und arbeitet als Autorin und Texterin in Flensburg. >Vom Versuch, einen silbernen Aal zu fangen< ist ihr Debütroman.
mehr

Produkt

KlappentextDie Unberechenbarkeit zweiter Chancen Morgen wird alles anders oder jetzt ist auch schon egal. So leben die Bewohner des heruntergekommenen rheinischen Kurorts Villrath. Seit die lokale Heilquelle vor Jahren versiegte, stehen die Gästezimmer leer. Da fördern Bauarbeiten ein mineralhaltiges Rinnsal zutage. Was könnte den Glanz vergangener Tage zurückbringen, wenn nicht das gute alte Heilwasser?  Vera, letzte Trägerin der Villrather Nixenkrone und Wirtin des »Stübchen«, beschließt gegen jede Vernunft, einen alten Jugendtraum wiederzubeleben. Notfalls mit Lug und Trug. Der alte Kamps bringt sich mit Klappstuhl und Gewehr gegen die Dämonen der Vergangenheit in Angriffsstellung. Und während die Erwachsenen abgelenkt sind, bricht Johannes auf in Richtung Freiheit oder was er dafür hält. »Das Leben ist mal existenziell, natürlich, und mal irre peinlich. Wo liegt eigentlich der Unterschied? Ein tragikomischer Roman.« Bov Bjerg

Janine Adomeit, 1983 in Köln geboren, studierte Literatur- und Sprachwissenschaft. Sie nahm an der Schreibwerkstatt der Jürgen Ponto-Stiftung und an der Autorenwerkstatt Prosa des Literarischen Colloquiums Berlin teil. Sie lebt und arbeitet als Autorin und Texterin in Flensburg. >Vom Versuch, einen silbernen Aal zu fangen< ist ihr Debütroman.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783423439398
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2021
Erscheinungsdatum23.07.2021
Auflage1. Auflage
Seiten432 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1634 Kbytes
Artikel-Nr.5702612
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe

2. Sieben Tage nach der Entdeckung. Samstag.

Der Himmel war gelb, stockfleckig, kündigte einen weiteren schwülen Tag an. Johannes warf das Garagentor zu und stieg auf sein Rad. In der Kirchgasse war Hotte bereits wach, harkte Unkraut in seinem Gärtchen, nichts an außer Badehose und Schlappen. Er nickte. Johannes erwiderte den Gruß. Zum Glück war er so schnell vorbei, dass Hotte ihn in kein Gespräch verwickeln konnte. Der konnte sich nicht kurzfassen. Dem tat alles immer so leid; die Menschen, die Tiere, er sich. Johannes überquerte den Unteren Markt und nahm den Schleichweg parallel zum Wald. Schloss die Hände fest um den Lenker, als das Fahrrad über die Furchen im Feldweg stotterte und seine Zähne aufeinanderschlagen ließ. In seinem Nacken kitzelte Schweiß. Warum musste es bereits jetzt so warm sein? Seine Laune wurde mit jedem Meter mehr auf den Prüfstand gestellt. Immerhin würde er durch seine Schicht im Supermarkt der Sache im Kurhaus entgehen. Eine Versammlung. Wichtiges über den Fund an der Bahnbaustelle sollte mitgeteilt werden. Seit einer Woche schien es kein anderes Thema mehr in der Stadt zu geben. Sogar auf dem Schulhof. Und die Mutter war zerstreut, er erkannte es daran, dass sie die Zipfel der Küchenhandtücher zu harten Würsten drehte.

Vor dem Zubettgehen hatte er sich gestern noch einmal die Meldungen über den Quellenfund durchgelesen, sich durch die Bildergalerie auf der Website der Lokalzeitung geklickt. Hatte nichts daran finden können. Wasser. Nein, Heilwasser, wie die Mutter nicht müde wurde zu betonen. Mit Mineralien. Gut zum drin Baden und ganz besonders zum Trinken. Innere und äußere Reinigung. So ernst hatte sie das gesagt, dass Johannes sich gefragt hatte, ob sie noch ganz dicht war. Sich angesteckt hatte. Bei Bärbel und Kurti, die nun ständig von damals erzählten, als die Quelle in der Altstadt aus den Brunnen sprudelte und alles voller Touristen gewesen war. Immer konnte der eine die Geschichte des anderen beenden. Das waren schon keine Anekdoten mehr. Für Johannes waren das Märchen. Damit konnten sie kleine Kinder in Staunen versetzen, aber nicht ihn.

Er hatte die Website geschlossen und die Kopfhörer in sein Telefon gestöpselt, war zu YouTube gewechselt, zu einem Yamaha-R1-Video, das er noch nicht kannte: eine Alpen-Tour, Helmkamera. Es war schon nach zwei gewesen, als er das Handy aus der Hand gelegt hatte und unter die Bettdecke gekrochen war. Der fehlende Schlaf brannte in seinen Augen. Er würde heute extra achtgeben müssen. Noch hatte er nicht die Routine der anderen. Ansonsten hatte er es mit der Truppe gut getroffen. Ela aus seiner Klasse, ein großer Tätowierter, der nie sprach, und eine freundliche, ältere Frau, die T-Shirts mit Herzen oder Katzen aus Strasssteinen trug. Der Erste vor Schichtbeginn bestimmte den Radiosender für den Rest des Tages. Der Zweite und der Dritte machten Kaffee, den es stark gab, in der blauen Kanne, und nicht ganz so stark in der weißen. Wer als Letzter kam, machte Spülmaschinendienst. Johannes trat in die Pedale. Er dachte an den vorherigen Samstag, als Ela und er einander, beim Sortieren, durch eine Lücke zwischen den Trockenfrüchten auf seiner Seite und dem Dosenfisch auf ihrer zugewunken hatten. Ein Fenster, das nur ein paar Minuten offen gewesen war, von dem nur er und Ela gewusst hatten und sonst niemand. Er fragte sich, ob es heute wieder aufgehen würde und wo.

Er verließ den Feldweg und fuhr durchs Gewerbegebiet, vorbei am Autohaus, am Knattern und Plingen der Fahnen an ihren Masten. Dahinter wartete die kleine Anhöhe. Johannes biss die Zähne zusammen, kämpfte keuchend gegen die Steigung. Die Muskeln in seinen Oberschenkeln brannten. Er strampelte weiter und duckte sich über den Lenker. Die Motorradjacke klebte feucht und schwer an seinem Rücken. Nicht anhalten. Nicht absteigen. Auf keinen Fall schieben. Am höchsten Punkt sah Johannes die Stadt, wie sie kauerte in ihrer Mulde, erkannte das Rathaus und seine Schule, schon fühlte er den Wind nach sich greifen, fühlte, wie die Straße das Fahrrad an sich riss. Jetzt. Johannes nahm die Füße von den Pedalen und lehnte sich im Sattel zurück. Büsche mit bunten Müllfetzen, die in seinem Augenwinkel zu einer flirrenden Welle zerliefen; Luft, die in seine Lungen drängte, frisch und scharf und viel. So. So müsste es immer sein. Ein einziges langes Einatmen, jeden Tag aufs Neue, bis man genug hatte und platzte. Das Rad schoss auf die Straße, Johannes hielt den Atem an. Der Schwung reichte fast bis auf den Parkplatz des Supermarkts.

*

Kamps lag im trüben Licht und dachte an Angelika. Sein Mund war trocken, und er tastete nach dem Becher auf der Glasplatte des Nachttischs. Der Becher stand da, wo er auch damals gestanden hatte, einen Fingerbreit entfernt von der Kante. Sie hatte nur den Arm ausstrecken müssen. Hatte sich dennoch stets entschuldigt, wenn sie Kamps zwei Stunden später hatte wecken müssen, damit er sie auf die Toilette begleiten und beim Abputzen helfen konnte. Später auch, wenn der Beutel des Katheters oder die Windel voll gewesen war. Am liebsten, hatte sie gesagt, würde sie gar nichts mehr essen oder trinken. Dann käme auch nichts mehr aus ihr heraus. Kamps hatte die Windel wortlos in den Mülleimer geworfen, den er im Babymarkt gekauft hatte, rosa, geruchsdichte Klappe; hatte Angelika kurz darauf einen winzigen Kühlschrank ans Bett gestellt. Eine Minibar. Fruchtsaft, Cola, Malzbier. Den Pudding, den sie so mochte.

Er nippte, das Wasser schmeckte abgestanden; er stellte den Becher wieder zurück. Aus dem Garten konnte er bereits die Katzen hören, ihr ungeduldiges Miauen. Sie hatten seit dem vorigen Abend nichts mehr zu fressen bekommen, und sie wussten, dass er zuhause war. Dass er grübelte. Die Katzen wussten immer über alles Bescheid. Kamps stand auf und zog die Bettdecke glatt. Ging hinunter in die Küche, um das Frühstück vorzubereiten. Einen Napf brachte er in die Werkstatt, wo die Mutterkatze sich rasch von ihrem Lager erhob und ihm entgegeneilte. Die Jungen weinten neuerdings nicht mehr, hatten begriffen, dass sie jedes Mal zurückkehrte. In ein paar Wochen würden sie in der Werkstatt frei herumlaufen, die Klappe zum Haus und schließlich die zum Garten hin entdecken. Das Dach des Schuppens, der Lieblingsplatz der Mutterkatze, wäre jedoch noch eine Weile zu hoch für sie. Eine Stiege, überlegte Kamps. Zwei Bretter, Holzkeile. Die großen Zimmermannsnägel. Als er die übrigen Schüsseln nach draußen trug, musste er achtgeben, nicht zu stolpern, die anderen Tiere erwarteten ihn bereits.

Hunger.

Sie drückten sich an seine Beine.

Hunger.

Sie sprangen an ihm hoch, Krallen piekten durch sein Hosenbein.

Hunger, Hunger, Hunger.

»Ist ja gut«, sagte er.

Er ließ die Größten und Stärksten als Erste ans Futter, an den Quark und das alte Brot, um abseits den Alten und Mickrigen den Dosenfisch und den kleingeschnittenen Speck hinzustellen. Keine Spur von Luises aggressivem Kater. Kamps war zufrieden, er lehnte sich an den Zaun. Blickte in den angrenzenden Garten, über den mannshohen Bärenklau, den wuchernden Rhododendron. Noch ein paar Monate, und die Fenster, hinter denen das Wohnzimmer der Nachbarn gelegen hatte, wären vollständig zugewachsen. Als sie am Tag vor ihrem Umzug gekommen waren, um sich zu verabschieden, hatten sie alte Fotos dabeigehabt. Karneval, Kirmes, Kegelclubfahrt. Stadtfest und Erntedank. »Sechsundvierzig Jahre«, hatten sie gesagt, und Kamps hatte genickt und den beiden Kaffee nachgegossen. Dass sie sich fast noch zu rüstig vorkämen fürs betreute Wohnen, hatten sie geseufzt. Doch sie fühlten sich nicht mehr wohl hier. Klagten über die schließenden Geschäfte und Praxen, den Wegzug alter Freunde und Kollegen. Das Haus nebenan stand nun schon seit einem Jahr zum Verkauf, doch zur Besichtigung war bislang niemand gekommen. Wie auch, wenn die ehemals so schöne Siedlung, die ganze Stadt so ein jämmerliches Bild bot. Vergessen und links liegen gelassen. Und keinen scherte es. Als sei alles, wofür man sich jahrzehntelang krummgelegt hatte, Auto, Haus und Sparbuch, Redlichkeit, ein Witz. Man hätte es schon damals ahnen können, als die alte Bundesrepublik aufhörte zu existieren. Da war auch nicht alles schlecht gewesen. Im Gegenteil, sie hatten im Paradies gelebt. Sich auf die eigene Lebensleistung verlassen können. Made in West-Germany, die D-Mark, darum war sich doch im Ausland nicht ohne Grund gerissen worden. Alles Geschichte. Aber was zeigten sie im Herbst im Fernsehen? Trabis, Applaus, Bornholmer Straße. Die weinende Frau, die durchs Brandenburger Tor gehen wollte. Wiedervereinigung, gut und schön. Aber zu welchem Preis? Dafür, dass gleich zwei Länder untergegangen waren. Man sich nicht mehr zurechtfand und dafür noch kritisiert wurde. Als sei es seine eigene Schuld. Als habe er auf der Autobahn seines Lebens die Ausfahrt verpasst. Absurd! Es war nur folgerichtig, dass er seit Ewigkeiten an keiner Bundestagswahl mehr teilgenommen hatte: Solange er seine Stimme für sich behielt, konnte er zumindest nicht noch einmal aufs Kreuz gelegt werden.

Die Katzen waren bei den Resten angelangt, zankten sich um die letzten Bröckchen. Kamps begann, die leeren Schüsseln einzusammeln. Er sah auf die Uhr. Es war Zeit.

 

Der Friedhof war leer bis auf ein paar Kaninchen, die das Quietschen des Eisentors in die Büsche trieb. Kamps stellte den Handwagen ab. Er schritt den Friedhofszaun entlang bis zum Komposthaufen, inspizierte alle Nischen, in denen sich erfahrungsgemäß der Unrat und der Müll häuften, für die Meldung an die Stadt. Anschließend pumpte er Wasser in den Eimer und spritzte einige...
mehr

Autor

Janine Adomeit, 1983 in Köln geboren, studierte Literatur- und Sprachwissenschaft. Sie nahm an der Schreibwerkstatt der Jürgen Ponto-Stiftung und an der Autorenwerkstatt Prosa des Literarischen Colloquiums Berlin teil. Sie lebt und arbeitet als Autorin und Texterin in Flensburg. ¿Vom Versuch, einen silbernen Aal zu fangen¿ ist ihr Debütroman.
Weitere Artikel von
Adomeit, Janine