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Die lange Reise des Yong Sheng

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
432 Seiten
Deutsch
Piper Verlag GmbHerschienen am03.01.20221
Eine große Reise durch das China des letzten Jahrhunderts Es ist das Jahr 1911. Zimmermann Yong, der die besten Taubenflöten im Bezirk Putian fertigt, wird ein Sohn geboren. Dem kleinen Yong steht ein außergewöhnliches Leben bevor. Mary, die Tochter des amerikanischen Pastors, in dessen Obhut er aufwächst, ermutigt ihn, der erste chinesische Pastor Putians zu werden. Und so beginnt für Yong eine Reise durch das ganze Land. Er studiert Theologie, erlebt Familienglück und Verrat, den Ausruf der Volksrepublik und die Gräuel der Kulturrevolution.  Die Lebensreise eines Mannes auf der Suche nach Duldsamkeit und Demut, Liebe und Gerechtigkeit. Dai Sijie erzählt von seinem Großvater, der die großen Umbrüche im Reich der Mitte selbst miterlebte. Eine bewegende Geschichte von Liebe und Verrat, Demut und Glück, und davon, dem Leben mit Duldsamkeit zu begegnen. Der biografische Roman des Autors von »Balzac und die kleine chinesische Schneiderin« »Mit zarter Poesie erzählt, aberwitzig, tröstlich und geheimnisvoll zugleich.« Le Figaro Littéraire

Dai Sijie, geboren 1954 in der Provinz Fujian in China, wurde von 1971 bis 1974 im Zuge der kulturellen Umerziehung in ein Bergdorf geschickt. Nach Maos Tod studierte er Kunstgeschichte und emigrierte 1984 nach Paris. »Balzac und die kleine chinesische Schneiderin«, sein erster Roman, wurde ein großer internationaler Erfolg und in einer französisch-chinesischen Produktion erfolgreich verfilmt. Zuletzt erschien von ihm auf deutsch »Die lange Reise des Yong Sheng«.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR24,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR10,99

Produkt

KlappentextEine große Reise durch das China des letzten Jahrhunderts Es ist das Jahr 1911. Zimmermann Yong, der die besten Taubenflöten im Bezirk Putian fertigt, wird ein Sohn geboren. Dem kleinen Yong steht ein außergewöhnliches Leben bevor. Mary, die Tochter des amerikanischen Pastors, in dessen Obhut er aufwächst, ermutigt ihn, der erste chinesische Pastor Putians zu werden. Und so beginnt für Yong eine Reise durch das ganze Land. Er studiert Theologie, erlebt Familienglück und Verrat, den Ausruf der Volksrepublik und die Gräuel der Kulturrevolution.  Die Lebensreise eines Mannes auf der Suche nach Duldsamkeit und Demut, Liebe und Gerechtigkeit. Dai Sijie erzählt von seinem Großvater, der die großen Umbrüche im Reich der Mitte selbst miterlebte. Eine bewegende Geschichte von Liebe und Verrat, Demut und Glück, und davon, dem Leben mit Duldsamkeit zu begegnen. Der biografische Roman des Autors von »Balzac und die kleine chinesische Schneiderin« »Mit zarter Poesie erzählt, aberwitzig, tröstlich und geheimnisvoll zugleich.« Le Figaro Littéraire

Dai Sijie, geboren 1954 in der Provinz Fujian in China, wurde von 1971 bis 1974 im Zuge der kulturellen Umerziehung in ein Bergdorf geschickt. Nach Maos Tod studierte er Kunstgeschichte und emigrierte 1984 nach Paris. »Balzac und die kleine chinesische Schneiderin«, sein erster Roman, wurde ein großer internationaler Erfolg und in einer französisch-chinesischen Produktion erfolgreich verfilmt. Zuletzt erschien von ihm auf deutsch »Die lange Reise des Yong Sheng«.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783492999137
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2022
Erscheinungsdatum03.01.2022
Auflage1
Seiten432 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse8010 Kbytes
Artikel-Nr.5703875
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

Prolog

Man kam, um sich den Sohn des Zimmermanns anzusehen.

Wie eine lange hellgraue Schlange wand sich der Weg in Serpentinen den leuchtend grünen Hang eines Hügels von Jiangkou im Bezirk Putian hinauf. Aus der Luft betrachtet ähnelte er einem offenen Riss in diesem Relief aus Kalksteinfelsen und sandigem Boden, in dem sich das Licht der Dämmerung brach. Jeden Augenblick, so sah es aus, musste man damit rechnen, in diesen engen Spalt zu stürzen, in den Tiefen einer anderen Zeit zu versinken, aber dann, endlich, richtete das Reptil seinen Kopf auf, wurde am Gipfel des Hügels zu Gestein, und in den Nebelschleiern zeichnete sich die Bleibe des Zimmermanns ab.

Unter einem Vordach, rechts des Hauses, das umgeben von Sägespänen war, fertigte Zimmermann Yong gerade eine seiner Taubenflöten, die die Züchter ihren Vögeln ins Gefieder banden. In einen kleinen Flaschenkürbis, den er zuvor ausgehöhlt hatte und der als Klangkörper diente, schob er ein feines, scharfes Rohrblatt aus Bambus, strich behutsam mit den Fingern über dessen Rand, der mit einem Beitel bearbeitet war und in den Strahlen der untergehenden Sonne blutrot schimmerte.

In diesem Moment trat die blinde alte Frau auf ihn zu, die mit fachkundiger Hand seinen zweijährigen Sohn untersuchen sollte. In der Mitte des Hofs hatte man einen Holztisch aufgestellt. Der kleine Junge tappte vorsichtig heran, er steckte in einem roten Seidenhöschen, das seine intimen Körperregionen bedeckte und ihm bis zur Brust reichte. Besorgt sah er nach rechts und nach links, hielt Ausschau wie ein Seefahrer, der unbekanntes Terrain betritt.

Die Blinde war winzig und trug einen langen grauen Rock, dazu ein scharlachrotes, trägerloses Oberteil, das mit violetten Blumen bestickt war, und einen roten Schal, den sie sich um den Hals geschlungen hatte. Oben auf ihrem Kopf saß ein strenger Haarknoten. Mit wiegendem Schritt, den ihre kleinen gebundenen Füße ihr vorgaben, näherte sie sich dem Tisch.

Mit ihrer knochigen Hand tippte sie auf eins der roten Filzschühchen des Kindes und kraulte mit den langen Nägeln der anderen, deren Finger so mager wie Vogelkrallen wirkten, seinen Schädel, der kahl rasiert war bis auf ein pfirsichgroßes Haarbüschel, das aussah wie eine dunkle Düne.

Dann nestelte sie am Unterleib des Kindes, hob schließlich den Kopf und rief:

»Es gibt ein Problem. Ihm fehlt ein Hoden. Der andere scheint aber, soweit ich es ertasten konnte, in Ordnung zu sein. Also ist einer genug.«

»Nur ein Hoden?«, erkundigte sich der Zimmermann entsetzt. »Wie soll er da jemals Kinder zeugen?«

»Einer reicht, um Ihre Nachfolge zu sichern.«

»Ach, wenn das so istâ⦫ Der Zimmermann entspannte sich ein wenig.

»Keine Sorge. Wenn ich hierhin fasse, spüre ich deutlich, dass sein Vögelchen putzmunter ist.«

Zimmermann Yong seufzte erleichtert. Er stellte ein langes Bambusrohr im Hof auf, spaltete es mit seinem Messer, kniff die Augen zusammen und besah sich das Mark. Im Schein der Abendsonne glänzte der Stock wie eine schmelzende Goldstange.

Er führte die Blinde zu einem Strauch vor dem Haus. Zwei Jahre zuvor, im Frühjahr 1911, als sein Sohn gerade geboren war, hatte der Zimmermann einem chinesischen Pilger aus Vietnam, der zur Insel Meizhou unterwegs war, um der Göttin Mazu zu huldigen, einen Platz an seinem Tisch angeboten. Bevor der Mann weiterzog, wollte er seinem Gastgeber etwas Geld dalassen, und als dieser höflich ablehnte, überließ er ihm zum Dank einen Beutel mit Samenkörnern. Der Zimmermann hatte daraufhin ein Loch vor seinem Haus gegraben, die Körner hineingestreut und es mit Schlick wieder aufgefüllt. Nach einer Woche war der Schlick zwar getrocknet, doch es zeigte sich nicht der kleinste Trieb an der Oberfläche. Noch erstaunlicher war, dass die im Jahr zuvor ringsum gesetzten Pflanzen und Blumen, die bereits Knospen trugen, plötzlich verdorrten. Die Iris warfen ihre Kelchblätter ab, und ihre kleinen gelben Blüten verwelkten, noch ehe sie richtig aufgingen. Dasselbe Schicksal ereilte die Minze, die zwar in die Höhe geschossen war, aber auf einmal bitter schmeckte, und auch der Fenchel kümmerte vor sich hin. Dann, endlich, am zehnten Tag, durchstieß ein frischer grüner Trieb die Erde, ein erster Spross des einzigen exotischen Baums im Garten, dem es vergönnt war, unter der chinesischen Sonne zu gedeihen.

»Sagen Sie«, fragte Zimmermann Yong die Blinde, »kennen Sie den Namen dieses Baums? Er hat alles, was um ihn herum wuchs, vernichtet.«

Der Strauch war bereits einen Meter hoch. Die Alte ging in die Hocke, strich mit ihren Fingerspitzen über die Blätter, riss dann mit den Zähnen ein Stück Rinde heraus. Das Mark war frisch und zart und verströmte einen angenehm blumigen Duft.

»Es ist ein Aguilar«, sagte sie mit Bestimmtheit. »Ein Weihrauchbaum. Erzählen Sie bloß niemandem davon, es würde nur Neid und Missgunst erregen.«

»Warum?«

»Weil dieser Baum, sobald er größer ist, einen wertvollen Saft produziert. Ihr Sohn mag nur einen Hoden haben, aber wenn man Ihnen am Tag seiner Geburt Samenkerne des Aguilars geschenkt hat, ist ihm ein außergewöhnliches Schicksal beschieden.«

 

Die Spezialisten stimmten darin überein, dass die bemerkenswertesten Taubenflöten die der Marke Yong aus Putian waren. Was zweifellos daran lag, dass sie die Arbeit eines Zimmermanns waren, der sowohl über die geeigneten Werkzeuge als auch über eine immense Könnerschaft verfügte, denn nicht nur in der Herstellung von Taubenflöten hatte er sich einen Namen gemacht, er genoss darüber hinaus einen hervorragenden Ruf als Bautischler. Das Krankenhaus von Putian, die erste Einrichtung in der Provinz Fujian, die von protestantischen Missionaren gegründet wurde, und vor allem die große Treppe des Hauptgebäudes, die noch heute existiert, zeugten von Yongs außergewöhnlichem Talent. Damals waren die Handwerker in Putian - wie auch die in den meisten anderen chinesischen Städten - noch nie mit abendländischer Architektur in Berührung gekommen. Die Tischler und Zimmermeister, die chinesische Häuser bauten, hatten keine Ahnung, wie man einen Parkettboden, eine Zimmerdecke oder Glasfenster anfertigte. Geschweige denn etwas so Kompliziertes wie eine Treppe.

Zimmermann Yong hatte viele Stunden über der Zeichnung einer Treppe gebrütet, die ihm ein Fremder überlassen hatte, und eines Tages war der Groschen gefallen, er wusste plötzlich, wie er es anstellen musste.

Die Einweihung der ersten christlichen Kirche von Putian, an deren Fertigstellung er mitgewirkt hatte, war ein Ereignis, das die ganze Stadt bewegte. Das Krankenhaus befand sich zu diesem Zeitpunkt noch im Bau, trotzdem brüllten und drängten sich die Leute davor, um einer erstaunlichen Szene beizuwohnen: Vor aller Augen schwankte die Mutter von Zimmermann Yong mit leicht angehobenem Rock auf ihren gebundenen Füßen die Stufen einer Treppe hinauf. In den Gesichtern der Schaulustigen waren Angst und Verwirrung zu lesen. Sie hatte es bis nach oben geschafft, aber nun musste sie wieder herunter. Würde sie dabei ihr Leben lassen?

Der Kleine Yong war ebenfalls dabei. Sein Vater stellte ihn am Fuß der Treppe ab, und das Kind kraxelte auf Knien Stufe um Stufe empor, hielt nur ab und zu inne, um ein Detail der Ausführung zu bewundern. Vielleicht war dieser Tag der glücklichste seiner Kindheit. Oben angekommen, setzte sein Vater ihn rittlings aufs Geländer, ließ dann seine Hand los, lief zum unteren Ende der Treppe, um ihn dort aufzufangen: »Komm, mein Sohn, rutsch runter!«, rief er mit ausgebreiteten Armen. Der Kleine schloss die Augen und glitt, ohne sich festzuhalten, nach unten, ihm war, als würde er durch den Himmel fliegen. Er fühlte sich wie der Herr über die Geschwindigkeit, der Wind blies ihm um die Ohren, und er hörte den Gesang der Taubenflöten. Ein langer feiner Ton, der sich wie ein magisches Band durch die Luft zog, sich ihm näherte, schnell wie ein Blitz, und dann, ganz allmählich, in der Ferne wieder verhallte.

 

Drei Jahre waren seit der Konsultation der blinden Alten vergangen. Der Kleine Yong war kaum fünf, konnte jedoch bereits unterscheiden, und zwar beim ersten Ton, ob eine Taubenflöte aus der Werkstatt seines Vaters stammte oder nicht.

Die Flöten aus Putian und den benachbarten Ortschaften hatten in der...
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Dai Sijie, geboren 1954 in der Provinz Fujian in China, wurde von 1971 bis 1974 im Zuge der kulturellen Umerziehung in ein Bergdorf geschickt. Nach Maos Tod studierte er Kunstgeschichte und emigrierte 1984 nach Paris. "Balzac und die kleine chinesische Schneiderin", sein erster Roman, wurde ein großer internationaler Erfolg und in einer französisch-chinesischen Produktion erfolgreich verfilmt. Zuletzt erschien von ihm auf Deutsch "Der kleine Trommler". Er kehrte 2011 nach China zurück, um die Geschichte seines Großvaters aufzuschreiben.