Hugendubel.info - Die B2B Online-Buchhandlung 

Merkliste
Die Merkliste ist leer.
Bitte warten - die Druckansicht der Seite wird vorbereitet.
Der Druckdialog öffnet sich, sobald die Seite vollständig geladen wurde.
Sollte die Druckvorschau unvollständig sein, bitte schliessen und "Erneut drucken" wählen.

Das Mädchen mit der lauternen Stimme

E-BookEPUB0 - No protectionE-Book
367 Seiten
Deutsch
Eichbornerschienen am27.08.20211. Aufl. 2021
»Mutig, originell, unvergesslich« The New York Times

Die vierzehnjährige Adunni weiß genau, was sie will: Bildung. Denn das ist der einzige Weg für ein nigerianisches Mädchen aus ärmlichen Verhältnissen, Unabhängigkeit zu erlangen und den eigenen Träumen ein Stück näherzukommen.

Doch stattdessen verkauft ihr Vater sie als dritte Ehefrau an einen deutlich älteren Mann, damit sie ihm endlich den gewünschten Sohn schenkt. Adunni flieht in die Hauptstadt Lagos, in der Hoffnung, dort in die Schule gehen zu können. Doch auch hier muss sie zunächst viele Widerstände überwinden, bevor sie sich traut, ihre eigene Stimme zu erheben.




»Adunni steht für die Stärke der Schwachen, Ausgebeuteten und Benachteiligten« FAZ

»Einer der stärksten Kunstgriffe von Abi Daré ist Adunnis Sprache - von Simone Jakob wunderbar ins Deutsche übertragen« SZ





Abi Daré ist in Lagos / Nigeria aufgewachsen und lebt seit vielen Jahren in Großbritannien. Sie hat in Wolverhampton und Glasgow studiert sowie Kreatives Schreiben an der Birkbeck University of London. Ihr Debütroman "Das Mädchen mit der lauternen Stimme" war für den Desmond Elliott Prize sowie die Literary Consultancy Pen Factor Competition nominiert und gewann 2018 den Bath Novel Award. Sie lebt mit ihrem Mann und ihren zwei Töchtern, die sie zu dieser Geschichte inspiriert haben, in Essex.
mehr
Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR22,00
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR14,00
E-BookEPUB0 - No protectionE-Book
EUR10,99

Produkt

Klappentext»Mutig, originell, unvergesslich« The New York Times

Die vierzehnjährige Adunni weiß genau, was sie will: Bildung. Denn das ist der einzige Weg für ein nigerianisches Mädchen aus ärmlichen Verhältnissen, Unabhängigkeit zu erlangen und den eigenen Träumen ein Stück näherzukommen.

Doch stattdessen verkauft ihr Vater sie als dritte Ehefrau an einen deutlich älteren Mann, damit sie ihm endlich den gewünschten Sohn schenkt. Adunni flieht in die Hauptstadt Lagos, in der Hoffnung, dort in die Schule gehen zu können. Doch auch hier muss sie zunächst viele Widerstände überwinden, bevor sie sich traut, ihre eigene Stimme zu erheben.




»Adunni steht für die Stärke der Schwachen, Ausgebeuteten und Benachteiligten« FAZ

»Einer der stärksten Kunstgriffe von Abi Daré ist Adunnis Sprache - von Simone Jakob wunderbar ins Deutsche übertragen« SZ





Abi Daré ist in Lagos / Nigeria aufgewachsen und lebt seit vielen Jahren in Großbritannien. Sie hat in Wolverhampton und Glasgow studiert sowie Kreatives Schreiben an der Birkbeck University of London. Ihr Debütroman "Das Mädchen mit der lauternen Stimme" war für den Desmond Elliott Prize sowie die Literary Consultancy Pen Factor Competition nominiert und gewann 2018 den Bath Novel Award. Sie lebt mit ihrem Mann und ihren zwei Töchtern, die sie zu dieser Geschichte inspiriert haben, in Essex.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783751709484
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format Hinweis0 - No protection
FormatFormat mit automatischem Seitenumbruch (reflowable)
Verlag
Erscheinungsjahr2021
Erscheinungsdatum27.08.2021
Auflage1. Aufl. 2021
Seiten367 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse471 Kbytes
Artikel-Nr.5708695
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe


Kapitel 3

Vor lauter Sorgen und Erinnern kann ich die ganze Nacht nicht schlafen.

Heute steh ich nicht beim ersten Hahnenschrei auf, um zu fegen, zu waschen und für Papas Morgenessen Bohnen zu mahlen. Ich bleib liegen, lass die Augen zu und lausch den Geräuschen um mich rum. Ich hör irgendwo weit weg einen Hahn krähen, klingt wie ein durchdringender Klageschrei. Hör das fröhliche Lied der Amseln in unserem Mangobaum. Und wie jemand, vielleicht ein Farmer, ganz weit weg - zack, zack, zack - einem Baum die Axt ins Hinterteil haut. Und wie jemand einen Hof fegt und in einem anderen Hof eine Mutter ihren Kindern zuruft, sie sollen aufstehen und zum Waschen das Wasser im Tontopf, nicht das im Eimer benutzen.

Die Geräusche sind jeden Morgen die gleichen, aber heute ist jedes wie ein Stich ins Herz, eine grausame Erinnerung daran, dass meine Hochzeit immer näher kommt.

Ich setz mich hin. Kayus schläft noch auf der Matte. Seine Augen sind zwar noch zu, aber er sieht aus, als ob er sich nicht entscheiden kann, ob er aufwachen soll oder nicht. Seit wir Mama begraben haben, wirft er beim Schlafen immer mit zuckenden Augenlidern den Kopf hin und her. Ich geh zu ihm, leg ihm die Hand auf die Augen und sing ihm leise was ins Ohr, bis er wieder still liegt.

Kayus ist erst elf. Er hört oft nicht auf mich, aber mein Herz gehört ihm. Kayus kommt immer zu mir und weint, wenn die Jungs auf dem Dorfplatz ihn auslachen und Katzenopfer nennen, weil er als Kind mal lange krank war und Papa ihn zu jemand gebracht hat, der ihm mit Rasierklingen die Wangen eingeritzt hat, drei in die eine, drei in die andere Richtung, um den Geist der Krankheit auszutreiben. Sieht aus, als hätt er mit einer großen Katze gekämpft, die ihm das Gesicht zerkratzt hat.

Ich hab Kayus alles beigebracht, was ich noch aus der Schule weiß - Plus-Minus, Naturwissenschaft und vor allem Englisch, weil Papa auch kein Schulgeld für Kayus hatte. Ich hab Kayus gesagt, dass er nur eine gute Zukunft hat, wenn er was lernt.

Wer kümmert sich um Kayus, wenn ich Morufus Frau werd? Born-boy?

Ich guck zu meinem großen Bruder Born-boy rüber, der im Bett liegt und sogar im Schlaf sauer aussieht. Sein echter Name ist Alao, aber keiner nennt ihn so. Born-boy ist der Erstgeborene, und Papa sagt, aus Respekt davor kriegt er das Bett in unserem Zimmer. Aber das macht mir nichts. Auf dem Bett liegt nur eine dünne Schaummatratze voller Löcher, die die Bettwanzen als Küche und Klo benutzen. Manchmal riecht sie wie die Maurer auf dem Marktplatz unter den Achseln, wenn sie den Arm heben, um zu grüßen - der Geruch bringt einen um.

Wie soll sich Born-boy um Kayus kümmern? Der weiß nicht, wie man kocht, putzt oder irgendwas anderes macht als Mechanikerarbeit. Er lacht nicht, lächelt nicht und sieht mit neunzehneinhalb Jahren aus wie ein Boxer, mit Armen und Beinen wie Baumstämme. Manchmal arbeitet er bis spätabends bei Kassim Motors, und wenn er nach Hause kommt, fällt er nur noch ins Bett und schläft. Jetzt schnarcht er völlig fertig, und jeder Atemzug von ihm fühlt sich an wie heißer Wind.

Ich schau kurz zu, wie sich Born-boys Brust in einem Rhythmus ohne Lied hebt und senkt, bevor ich wieder Kayus anseh und ihm sanft zwei Klapse auf die Schulter geb. »Kayus, aufwachen.«

Kayus öffnet zuerst ein Auge, dann das andere. Das macht er immer so, wenn er aufwacht: Erst ein Auge aufmachen, dann das andere, als hätt er Angst, wenn er beide gleichzeitig aufmacht, passiert was Schlimmes.

»Gut geschlafen, Adunni?«, fragt er.

»Ja, gut geschlafen«, lüg ich. »Und du?«

»Nicht gut«, sagt er und setzt sich neben mir auf der Matte auf. »Born-boy sagt, nächste Woche wirst du Morufus Frau. Hat er Witze gemacht?«

Ich nehm seine Hand, die sich klein und kalt anfühlt. »Kein Witz«, sag ich. »Nächste Woche.«

Kayus nickt einmal, beißt sich auf die Lippe, sagt nichts. Nimmt nur meine Hand und drückt sie fest.

»Kommst du nach der Hochzeit mal zurück?«, fragt er. »Um mir Sachen beizubringen? Oder mir Palmöl-Reis zu kochen?«

Ich zuck mit den Schultern. »Palmöl-Reis kochen ist nicht schwer. Du musst den Reis dreimal waschen und ihn in einer Schüssel einweichen. Dann nimmst du frische Paprika und ...« Tränen schneiden mir die Worte ab. »Ich will Morufu nicht heiraten«, sage ich. »Du musst Papa für mich anflehen.«

»Nicht weinen«, sagt Kayus. »Wenn du weinst, muss ich auch weinen.«

Kayus und ich halten uns an den Händen und weinen leise.

»Lauf weg, Adunni«, sagt Kayus, wischt sich die Tränen ab, und seine Augen werden vor lauter Hoffnung und Angst ganz groß. »Lauf weg und versteck dich.«

»Nein«, sag ich und schüttel den Kopf. »Was, wenn der Dorf-Chief mich erwischt? Hast du vergessen, was mit Asabi passiert ist?«

Asabi ist ein Mädchen aus Ikati, das einen alten Mann nicht heiraten wollte, weil sie in Tafa verliebt war, einen Jungen, der wie Born-boy bei Kassim Motors gearbeitet hat. Am Tag nach ihrer Hochzeit ist sie mit Tafa weggelaufen, aber sie sind nicht weit gekommen. Asabi haben sie noch vor der Grenze erwischt und sie grün und blau geschlagen. Und Tafa? Sie haben den armen Kerl auf dem Dorfplatz aufgehängt wie ein Huhn und seine Leiche in den Ikati-Wald geworfen. Der Dorf-Chief hat gesagt, Tafa hat einem anderen Mann die Frau gestohlen und muss sterben, weil in Ikati müssen alle Diebe grausam sterben. Der Dorf-Chief hat gesagt, Asabi muss für hundertunddrei Tage in einem Raum eingesperrt werden, damit sie lernt, dass sie im Haus ihres Mannes bleiben muss und nicht weglaufen darf.

Aber Asabi hat nichts gelernt. Nach den hundertunddrei Tagen, die sie in dem Raum eingesperrt war, hat sie gesagt, sie kommt nie wieder raus. Und jetzt ist sie immer noch da, starrt die Wände an, reißt sich die Haare aus, steckt sie in ihren BH, spricht mit sich selbst und dem Geist von Tafa.

»Vielleicht kannst du zu Morufu zum Spielen kommen«, sag ich. »Und wir können uns am Fluss sehen, auf dem Markt, überall.«

»Glaubst du?«, fragt Kayus. »Was, wenn Morufu mich nicht zum Spielen kommen lässt?«

Bevor mir eine Antwort einfällt, dreht Born-boy sich im Schlaf um, macht die Beine breit und lässt laut einen fahren, sodass es im ganzen Zimmer nach toter Ratte riecht.

Kayus lacht schniefend und hält sich die Nase zu. »Vielleicht ist es besser, Morufu zu heiraten, als mit Born-boy und seinem Mief in einem Haus zu wohnen.«

Ich drück seine Hand und zwing meine Lippen, zu lächeln.

Ich warte, bis Kayus wieder eingeschlafen ist, bevor ich rausgeh.

Ich find Papa draußen auf der Küchenbank beim Brunnen. Es wird langsam hell, die Sonne wacht grad erst auf; sieht aus wie eine halbe Orange, die unterm dunklen Himmelstuch rauslugt. Papa trägt nur eine Hose, kein Hemd und keine Schuhe. Er hat einen Zweig im Mundwinkel, sein schwarzes Radio in einer Hand und in der anderen einen Stein, mit dem er das Radio aufweckt. Das macht er jeden Morgen, schon seit bevor Kayus geboren wurde, und ich lass mich auf den Sand sinken, stütz mir mit der Hand den Rücken und warte drauf, dass das Radio aufwacht.

Papa klopft dreimal mit dem Stein drauf - ko, ko, ko -, und das Radio fängt an zu knistern. Dann sagt eine Männerstimme: »Guuuten Morgen! Sie hören OGFM 89,9. Die Station der Nation!«

Papa spuckt den Zweig in den Sand und schaut mich an, als wollte er mir eine verpassen, damit ich den Kopf senk. »Was ist, Adunni? Ich will die Sechs-Uhr-Nachrichten hören.«

»Guten Morgen, Papa«, sag ich. »Es sind keine Bohnen da. Kann ich welche von Enitans Mama borgen gehen?«

Eigentlich hab ich schon Bohnen, die in einer Büchse mit Wasser einweichen, aber ich muss mit irgendwem über diese Hochzeitssache reden, und Enitan und ich sind beste Freundinnen, seit wir das Abc und das 123 können. Ihre Mama hat eine kleine Farm, gibt uns oft Bohnen, Yams und Egusi ab und sagt, wir können bezahlen, wenn wir Geld haben.

Ich bin geschockt, als er lacht und »warte« sagt.

Er stellt das Radio vorsichtig auf die Bank, aber das Radio knackt nur, dann ist es plötzlich tot. Gibt den Geist auf. Keine OGFM-89,9-Stimme mehr. Keine Station der Nation. Papa starrt den stummen schwarzen Kasten an, dann zischt er und fegt ihn von der Bank, sodass er kaputtgeht.

»Papa!«, ruf ich und fasse mir an den Kopf. »Warum hast du dein Radio kaputtgemacht, Papa? Warum?« Das Fernseh hat noch nie funktioniert, und jetzt ist auch das Radio nur noch ein Haufen Plastikschrott, aus dem gelbe, rote und braune Drähte rausgucken.

Papa zischt wieder, hebt die linke Pobacke an, nimmt zwei Fünfzig-Naira-Scheine aus der Hosentasche und gibt sie mir. Ich mach große Augen, guck die Scheine an, die schmutzig und aufgeweicht sind und nach Siga stinken. Wo hat Papa die her? Von Morufu? Mein Herz verkrampft sich, als ich die Scheine unter mein Umschlagtuch steck.

Ich sag nicht: Danke, Sah.

»Hör gut zu, Adunni«, sagt Papa. »Mit dem Geld bezahlst du die Bohnen. Dann sagst du zu Enitans Mama, nach deiner Hochzeit werd ich, dein Papa ...« - er schlägt sich fest auf die Brust, als wollte er sich selbst verprügeln - »... alles bezahlen, was sie uns je gegeben hat. Absolut alles. Selbst wenns Tausende kostet, ich werds bezahlen. Bis auf den letzten Naira. Das sagst du ihr, verstanden?«

»Ja, Sah.«

Er schaut auf den Radioschrott runter und lächelt grimmig. »Und ich kauf mir ein neues Radio. Ein richtiges. Vielleicht sogar ein neues Fernseh. Ein Sofa...

mehr

Autor

Abi Daré ist in Lagos / Nigeria aufgewachsen und lebt seit vielen Jahren in Großbritannien. Sie hat in Wolverhampton und Glasgow studiert sowie Kreatives Schreiben an der Birkbeck University of London. Ihr Debütroman "Das Mädchen mit der lauternen Stimme" war für den Desmond Elliott Prize sowie die Literary Consultancy Pen Factor Competition nominiert und gewann 2018 den Bath Novel Award. Sie lebt mit ihrem Mann und ihren zwei Töchtern, die sie zu dieser Geschichte inspiriert haben, in Essex.
Das Mädchen mit der lauternen Stimme