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Einband grossFlucht nach Patagonien
ISBN/GTIN

Flucht nach Patagonien

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
416 Seiten
Deutsch
Aufbau Verlage GmbHerschienen am16.08.20211. Auflage
'Ich liebe Anfänge. Anfänge erfüllen uns mit Erstaunen.' Eugenia Errázuriz.

Februar 1937: Eugenia Errázuriz, die einflussreichste Kunstmäzenin der Pariser Moderne, hat die Karrieren von Coco Chanel, Pablo Picasso und Blaise Cendrars gefördert. Jetzt lädt sie den jungen jüdischen Innenarchitekten Jean-Michel Frank auf eine Reise nach Patagonien ein. Sie hat ihr gesamtes Vermögen in den Bau des ersten Grand Hotels der Anden investiert, das ihn weltweit bekannt machen soll. In Wahrheit ist dieses Projekt am südlichsten Ende der Erde aber ihre gemeinsame Flucht aus Europa, das sie von Hitler und dem Nationalsozialismus bedroht sieht. Als die beiden nach Paris zurückkehren, ist die Welt eine andere ...

Jana Revedin erzählt die Geschichte einer außergewöhnlichen Freundschaft zwischen Paris, Patagonien und New York.


Jana Revedin, geboren 1965 in Konstanz, ist Architektin und Schriftstellerin. Nach dem Studium von Architektur und Städtebau in Buenos Aires, Princeton und Mailand promovierte und habilitierte sie an der Universität Venedig und ist heute ordentliche Professorin für Architektur und Städtebau an der Ecole Spéciale d´Architecture Paris. 2018 erschien ihr Bestseller über Ise Frank, 'Jeder hier nennt mich Frau Bauhaus', 2020 ihr Roman 'Margherita' über die Renaissance Venedigs in den 1920er Jahren, der ebenfalls zum Bestseller wurde. Sie lebt sie in Venedig und Wernberg in Kärnten.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR14,00
HörbuchCompact Disc
EUR19,99
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR4,99

Produkt

Klappentext'Ich liebe Anfänge. Anfänge erfüllen uns mit Erstaunen.' Eugenia Errázuriz.

Februar 1937: Eugenia Errázuriz, die einflussreichste Kunstmäzenin der Pariser Moderne, hat die Karrieren von Coco Chanel, Pablo Picasso und Blaise Cendrars gefördert. Jetzt lädt sie den jungen jüdischen Innenarchitekten Jean-Michel Frank auf eine Reise nach Patagonien ein. Sie hat ihr gesamtes Vermögen in den Bau des ersten Grand Hotels der Anden investiert, das ihn weltweit bekannt machen soll. In Wahrheit ist dieses Projekt am südlichsten Ende der Erde aber ihre gemeinsame Flucht aus Europa, das sie von Hitler und dem Nationalsozialismus bedroht sieht. Als die beiden nach Paris zurückkehren, ist die Welt eine andere ...

Jana Revedin erzählt die Geschichte einer außergewöhnlichen Freundschaft zwischen Paris, Patagonien und New York.


Jana Revedin, geboren 1965 in Konstanz, ist Architektin und Schriftstellerin. Nach dem Studium von Architektur und Städtebau in Buenos Aires, Princeton und Mailand promovierte und habilitierte sie an der Universität Venedig und ist heute ordentliche Professorin für Architektur und Städtebau an der Ecole Spéciale d´Architecture Paris. 2018 erschien ihr Bestseller über Ise Frank, 'Jeder hier nennt mich Frau Bauhaus', 2020 ihr Roman 'Margherita' über die Renaissance Venedigs in den 1920er Jahren, der ebenfalls zum Bestseller wurde. Sie lebt sie in Venedig und Wernberg in Kärnten.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783841227805
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Erscheinungsjahr2021
Erscheinungsdatum16.08.2021
Auflage1. Auflage
Seiten416 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse781 Kbytes
Artikel-Nr.5710805
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe

1
Das Kassenbuch

Am achten Tag ihrer Überfahrt holte Jean ein neues rotes Kassenbuch aus seiner Aktentasche und legte es vor sich auf den Tisch. Es war der 23. Februar 1937, sie saßen in der Bordbibliothek der Madrid, des »komfortabelsten Postschiffs der Norddeutschen Werften«, wie Eugenia ihm den frisch überholten Transportfrachter der Lloyd-Linie noch in Paris angepriesen hatte. Dieses Postschiff war spartanisch eingerichtet, kein Vergleich zu den englischen Ozeandampfern, auf denen Jean sich im vorletzten Sommer von Le Havre nach New York eingeschifft hatte, doch immerhin durfte hier bei den Deutschen eine kleine Bibliothek mit langem Schreibtisch nicht fehlen.

Er schraubte seine Füllfeder auf, sog sie mit Tinte aus Eugenias Tintenglas voll und kritzelte ein paar Probekringel auf das hellbeige Seidenpapier, in das das Kassenbuch eingepackt war. Dann enthüllte er es vorsichtig, öffnete den Buchdeckel, schlug die Vorsatzpapiere um, falzte sie mit einem Kniff seiner Linken und setzte diese drei Sätze auf die erste Seite: »Ich heiße Jean-Michel Frank. Das Michel können Sie vergessen, nach dem Erzengel hat mich nie jemand gerufen. Was für eine Idee auch, in einer jüdischen Familie!«

Er betrachtete das Blatt einen langen Moment. Er hatte gar nicht nachgedacht, was er da schrieb, denn er war Schreiben nicht gewohnt, die drei Sätze hatten wohl in der Luft gehangen, und nun standen sie, aufs Papier geworfen, schwarz auf weiß vor ihm. Seine Identität las man im ersten Satz, doch gleich danach stellte er sie infrage.

War er etwa ein Persönlichkeitsgespaltener? Ein Frühdementer, wie die Ärzte neuerdings die nannten, die sich in mehreren Lebenslinien verirrten?

René hatte ihn seit jeher dazu gemacht. »Wer weiß, wer Jean wirklich ist?«, war eine seiner Standardfragen gewesen, oder: »Wo hocken Jeans Schatten?«

Jedenfalls, das stand außer Frage, war er ein perfekter Fall für Professor Binswanger, den großen Freud-Schüler. Und er wusste das seit Jahren. Genauer gesagt seit Renés Tod.

René hatte er zu Binswanger in die Bellevue Klinik hoch über dem Bodensee geschickt, in dieselbe Klinik, in die er auch seine Mutter hatte einliefern müssen. Nur konnte selbst eine Koryphäe nicht alle Patienten retten. Seine Mutter, die an einer vehement fortschreitenden Demenz gelitten hatte, war schließlich im sanften Wahn aus dem Leben gesegelt. René hingegen, dem Binswanger eine bipolare Depression attestiert hatte, saß trotz dessen jahrelanger Mühen eines Tages noch blutjung, aber tot in der Küche einer muffigen Mansarde in der Rue de Beaune.

Wie würde Jean selbst enden?

Eine gute Frage, die er aufschreiben könnte. Er hatte Zeit hier auf dem Schiff. Er hatte nichts zu tun, und es schrieb sich herrlich auf dem samtigen, schlammfarben linierten Canson®-Papier unter seinen Händen, das durch drei rote senkrechte Tabellarstriche in vier ungleichmäßige Felder geteilt war. Jean schraubte die Füllfeder zu, legte sie neben das Kassenbuch und strich mit den Fingerspitzen seiner Rechten über die erste Seite. Das Papier erzeugte einen klitzekleinen Widerstand auf der Haut, einen Widerstand, den man als Vibration bis in den Nacken spüren konnte. Sein Blick ruhte auf den drei schwungvoll geschriebenen Sätzen, zu seiner Überraschung sah seine Handschrift ganz passabel aus.

Wann hatte er das letzte Mal mit dieser Füllfeder geschrieben?

So wie er nicht zeichnen konnte, konnte er nämlich auch nicht schreiben. Beziehungsweise, er zog das Lesen dem Schreiben vor, war ja auch seit seiner Kindheit von anerkannten Schriftstellern und fiebernden Jungliteraten umgeben gewesen. Da verging einem das Selbstvertrauen. Zeichnen und Schreiben erledigte in seiner Einrichtungsboutique heute Chanaux, sein Associé, das Rechnen überließen sie dem Komptorverwalter, der die Bücher führte. Jean selbst war für die Entwürfe und die Kundenbetreuung, die Materialauswahl und die Vertragsabschlüsse zuständig. Sein Schreiben beschränkte sich demnach auf Post- und Briefkarten, und auch die schrieb er nur widerwillig. Billetts zu den Blumenarrangements an seine Mutter oder an deren beste Freundin Eugenia, die jetzt hier vor ihm am schmalen Ende des langen Schreibtisches der Bordbibliothek saß. Briefkarten zu den Geburtstagen seiner Nichten, der kleinen Anne oder der schon etwas größeren Margot, der einzigen Familienmitglieder, die sich im weitverzweigten Frank-Clan wie Verwandte anfühlten. Postkarten oder halbseitige Briefe schließlich, aus Capri oder Hammamet oder Venedig an seine zwei Freunde, an Francis Poulenc und an Cole Porter.

Er betrachtete seine Schrift, das schwungvoll ausholende J und M und F seines Namens, Jean-Michel Frank.

Konnte das die Schrift eines Seelenkranken sein?

Zumindest die eines Krüppels, denn in seinem vierten Lebensjahr hatte ihn die Kinderlähmung erwischt. Mit dem Krüppelsein hatte er sich seither gut arrangiert, hatte gelernt, ohne Drama mit zwei halb gelähmten Beinen und einem schief gewachsenen Rücken zu leben. Mit dem Seelenkranksein hingegen kam er bis heute nicht klar.

Lange genug war er aus seiner tristen Familiengeschichte geflohen, in die Reisen mit seiner Mutter und Eugenia erst, später in die Reisen mit René. Mit ihm war Alkohol in Unmaßen dazugekommen, dann auch Opium, Kokain, schließlich Heroin.

Nach dem Tod seiner Mutter hatte er aber Schluss gemacht mit dieser Flucht, mit dieser galoppierenden Sehnsucht nach dem Sich-Auslöschen. Er hatte begonnen, zunächst an minimalen, dann an größeren, inzwischen an sehr verantwortungsvollen Aufträgen zu arbeiten und so seinem Dasein einen Sinn zu geben. Eugenia hatte ein Talent in ihm entdeckt und ihn in ihrer mütterlich-beharrlichen Art in ein Handwerk gezwungen: das Gestalten von Lebensräumen.

Dieses Handwerk begann damit, Menschen zuzuhören, sich ihrer Träume anzunehmen, um ihre Welt dann in eine überraschend frische und ganz und gar ungewohnte Ordnung zu bringen. Allein, zu dieser Ordnung gelangte man nicht leicht. Man brauchte Zeit dazu. Zahllose Gespräche, langwierige Experimente, Fehler und Rückschläge waren notwendig, wenn man an Jeans Ziel gelangen wollte. Und dieses Ziel war, jedem Auftraggeber, der sich ihm anvertraute, eine ungeahnt neue Freude am Alltag zu schenken. Denn schließlich waren es diese kleinen, beinahe unmerklichen Freuden, die das Leben Tag für Tag ausmachten.

Von den Erfolgen seiner ersten schlichten Interieurs, Erfolgen, die wiedergekehrt waren und sich gefestigt hatten, ja beinahe berechenbar geworden waren, konnte er heute zehren. Er war aufgehoben in der Freude, ja Begeisterung seiner Klienten, eingehüllt wie in einen Mantel.

So war die Sehnsucht nach Selbstvernichtung in den letzten neun Jahren seit dem Tod seiner Mutter in immer weitere Ferne gerückt. Nur nachts war sie da und blieb, nachts, wenn die Welt stillstand und man nicht arbeiten und sich sinnvoll in ein Werk einbringen konnte. Wahrscheinlich würde diese abgrundtiefe Sehnsucht für immer bleiben, er müsste ein Leben lang leben mit ihr.

Tagsüber aber gab es Hoffnung. Ein kleines, sachtes Aufatmen, es war wie der haarfeine Riss in dem Porträt, das der Fotograf von Harper´s Bazaar kürzlich in Jeans Boutique mit seiner gertenschlanken Leica geschossen hatte. Auf diesem Porträt sah er, es war nicht zu leugnen, zwar aus wie ein Toter. Doch durch den Riss auf dem elfenbeinfarbenen Fotopapier, den nur er sah und in dem genau dieses lautlose Aufatmen schwang, drang ein Lichtstrahl, der seinen rabenschwarzen Augen einen seidigen Widerschein gab.

Während er wieder nach seiner Füllfeder griff, blickte er auf. Im selben Moment auch Eugenia. Ihr Blick trug den seinen, fraglos wie immer. Jean musste die Augen abwenden, in denen vielleicht Tränen standen, er sah sich im Raum um. In der schmalen Bordbibliothek bestand die Einrichtung aus wenigen Möbelstücken. Als Belohnung für diese Beschränkung auf das Wesentliche gab es an der leicht gekrümmten Bugwand aber drei große, in Messingrahmen gefasste Bullaugen mit einem einmaligen Blick auf das Meer. Wahrscheinlich war dieser Blick allein für Jean unerträglich.

Eugenia hatte sich am Kopfende des langen Tisches ihren Arbeitsplatz eingerichtet, so hatte sie die ganze Tischlänge zum Ausbreiten der Kostenvoranschläge, Bankauszüge und der Korrespondenz mit ihren argentinischen Geschäftspartnern zur Verfügung. Jean hatte keine Unterlagen zu sichten. Es gab keinen zu studierenden Plan, keine Ansicht des Bauwerks, auch keine Fotografien der Landschaft, in der das Grandhotel errichtet wurde. Er konnte hier auf der Madrid nichts, aber auch gar nichts für Eugenias Projekt tun, denn weder die Baupläne noch das Raumbuch mit den Möbel- und Zubehörlisten waren rechtzeitig in Paris angelangt.

»Verlässlich, deine Argentinier!«, hatte Jean gespottet, und seit ihrer Abreise war klar, dass er die lange Reihe von wertvollen Tagen hier auf See mit Nichtstun verbringen würde. Mit der Arbeit, mit der Riesenarbeit an der Gesamteinrichtung des Grandhotels, würde er erst in jenem fremden Land beginnen können, in das Eugenia ihn hier verschleppte. Er konnte es beim Einschlafen und beim Aufwachen, und das geschah in den endlosen Nächten auf See einige Male jede Nacht, immer noch nicht glauben, dass er diesem Wahnsinn zugestimmt hatte.

Eugenia fing ihn mit ihrem Blick, und da war sie, die so vertraute, samtige Tiefe, in der seine Seele sich festmachen konnte. Doch da war auch dieses neue, schelmenhafte Blitzen.

Was hatte sie bloß mit ihm vor?

Sie kicherte in sich hinein und wandte sich wieder ihren Bankauszügen zu. Mit...
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Autor

Jana Revedin, geboren 1965 in Konstanz, ist Architektin und Schriftstellerin. Nach dem Studium von Architektur und Städtebau in Buenos Aires, Princeton und Mailand promovierte und habilitierte sie an der Universität Venedig und ist heute ordentliche Professorin für Architektur und Städtebau an der Ecole Spéciale d¿Architecture Paris.
2018 erschien ihr Bestseller über Ise Frank, "Jeder hier nennt mich Frau Bauhaus", 2020 ihr Roman "Margherita" über die Renaissance Venedigs in den 1920er Jahren, der ebenfalls zum Bestseller wurde.
Sie lebt sie in Venedig und Wernberg in Kärnten.