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Ein Leben für die Avantgarde

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
256 Seiten
Deutsch
Aufbau Verlage GmbHerschienen am20.09.20211. Auflage
»Ein faszinierendes Buch und das Porträt einer der ungewöhnlichsten Frauen des 20. Jahrhunderts.« VOGUE

»Sensibel, feinsinnig, intelligent erzählt.« Les Inrockuptibles

September 1908: Die 27-jährige Gabriele Buffet - Musikerin, Freigeist und als Feministin ihrer Zeit weit voraus - trifft auf Francis Picabia, einen erfolgreichen jungen Maler mit skandalträchtigem Ruf. Francis möchte neue Wege einschlagen in der Kunst, Gabriele will mit gesellschaftlichen Konventionen brechen. Sie wird zur »Frau mit dem erotischen Gehirn«, der die Männer zu Füßen liegen, unter ihnen Marcel Duchamp und Guillaume Apollinaire. Von Paris über New York, Berlin, Zürich und Barcelona bis Saint-Tropez inspiriert Gabriele die Wegbereiter der modernen Kunst. Claire und Anne Berest, ihre beiden Urenkelinnen, haben die Geschichte von Gabriele recherchiert und in diesem hinreißenden Porträt aufgeschrieben.


Anne Berest hat als Theaterregisseurin gearbeitet und schrieb neben mehreren Romanen als Co-Autorin den internationalen Bestseller »How to be Parisian wherever you are«. Claire Berest ist die Schwester von Anne und hat ebenfalls mehrere Romane veröffentlicht, zuletzt »Das Leben ist ein Fest«. Fasziniert von der Geschichte ihrer Urgroßmutter Gabriële Buffet-Picabia begannen die beiden zu recherchieren und schrieben gemeinsam dieses Buch.
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Produkt

Klappentext»Ein faszinierendes Buch und das Porträt einer der ungewöhnlichsten Frauen des 20. Jahrhunderts.« VOGUE

»Sensibel, feinsinnig, intelligent erzählt.« Les Inrockuptibles

September 1908: Die 27-jährige Gabriele Buffet - Musikerin, Freigeist und als Feministin ihrer Zeit weit voraus - trifft auf Francis Picabia, einen erfolgreichen jungen Maler mit skandalträchtigem Ruf. Francis möchte neue Wege einschlagen in der Kunst, Gabriele will mit gesellschaftlichen Konventionen brechen. Sie wird zur »Frau mit dem erotischen Gehirn«, der die Männer zu Füßen liegen, unter ihnen Marcel Duchamp und Guillaume Apollinaire. Von Paris über New York, Berlin, Zürich und Barcelona bis Saint-Tropez inspiriert Gabriele die Wegbereiter der modernen Kunst. Claire und Anne Berest, ihre beiden Urenkelinnen, haben die Geschichte von Gabriele recherchiert und in diesem hinreißenden Porträt aufgeschrieben.


Anne Berest hat als Theaterregisseurin gearbeitet und schrieb neben mehreren Romanen als Co-Autorin den internationalen Bestseller »How to be Parisian wherever you are«. Claire Berest ist die Schwester von Anne und hat ebenfalls mehrere Romane veröffentlicht, zuletzt »Das Leben ist ein Fest«. Fasziniert von der Geschichte ihrer Urgroßmutter Gabriële Buffet-Picabia begannen die beiden zu recherchieren und schrieben gemeinsam dieses Buch.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783841228246
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Erscheinungsjahr2021
Erscheinungsdatum20.09.2021
Auflage1. Auflage
Seiten256 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1912 Kbytes
Artikel-Nr.5710825
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe



1

Das Umgarnen (Das Umkreisen)


Man bemerkt sie nicht sofort. Es liegt nichts Auffälliges in dieser durchschnittlichen Größe, diesem schamhaften Körper, diesen langen, zu einem Dutt zusammengebundenen kastanienbraunen Haaren, dieser düsteren, provokanten Erscheinung. Das Gesicht von Gabriële Buffet ist nicht charmant. Es biedert sich nicht an. Das Kinn ist zu groß. Die Stirn ebenso. Ihre Augen verschwinden in stets nachdenklichen Schlitzen, zwei schwarze Striche nasser Kohle unter dichten Augenbrauen, die die Farbe der Iris verbergen. Diese Frau ist weder schön noch hässlich, sie ist etwas anderes. Wenn man ihr Gesicht näher betrachtet, stellt man fest, dass sich der blasse Mund zu zwei weiten Flügeln eines freien Vogels ausstreckt. Die Wangenknochen treten markant hervor. Insgesamt wirkt es wahnsinnig bestimmt. Etwas lädt dazu ein, sich diesem Blick hinzugeben. Ihm zu folgen.

Im Jahr 1908 ist Gabriële siebenundzwanzig Jahre alt. Sie ist nach Berlin gezogen, um das Musikstudium, das sie in Paris begonnen hat, abzuschließen. Sie ist eine unabhängige junge Frau. Kein Mann, kein Kind, keine Bindung. Sie führt ein angenehmes Leben, das Leben eines jungen Mannes. Sie verdient ihr Geld damit, dass sie in Orchestern spielt, sie ist niemandem Rechenschaft schuldig.

Gabriële hat die Ferien mit ihren neuen Berliner Freunden in einem Chalet in der Schweiz verbracht. Sie hat dort eine interessante Bekanntschaft gemacht: »Zu dieser Zeit lagen rund um Genf viele Mietshäuser, die russische Flüchtlinge aufnahmen. Ich habe Lenin kennengelernt, weil er im Nebenhaus wohnte. Ich sah ihn sein Haus verlassen, mehr ist nicht passiert - bis auf dass ich ihn sehr gut aussehend fand.«1

Die Familienlegende will, dass Gabriële eine Affäre mit Lenin gehabt haben soll. Es wird nirgendwo bestätigt, und wir bezweifeln es. Allerdings ist bemerkenswert, dass diese Legende überhaupt existiert. Diese Vorstellung, die sich über Jahrzehnte hinweg gehalten hat, dass Gabriële sich nur zu revolutionären Männern hingezogen gefühlt haben könnte - ganz gleich welcher Art von Revolution, künstlerischer oder politischer.

Nach den Ferien in den Schweizer Bergen fährt Gabriële nach Frankreich, um ihre Mutter und ihren Bruder Jean zu besuchen. Wie so viele Militärmänner seiner Zeit, hatte ihr Vater, ein General, seinen Ruhestand in Versailles verbracht, dieser wohlhabenden und ruhigen kleinen Stadt.

Gabriële genießt die Ferien in Versailles nicht besonders. Schon nach kürzester Zeit reizt sie, was sie in den ersten Tagen amüsierte: die Familienrituale, die unveränderlichen Gesten, die immer gleichen Geschichten. Gabriële ist kein Familienmensch und wird es auch nie sein - auch nicht mit ihren Kindern. Vor allem nicht mit ihnen.

Es ist ein schöner Tag im September 1908, der das Ende des Sommers einläutet. Gabriëles Mutter deckt den Tisch in der Gartenlaube. Sie ist glücklich, ihre beiden erwachsenen Kinder bei sich zu haben, sie trägt ein rosafarbenes Kleid, durch das Laubwerk wirft die Sonne Lichttupfer auf die weiße Tischdecke, wir befinden uns in einem Gemälde von Renoir.

Madame Buffet ist bedrückt: Es ist das letzte gemeinsame Mittagessen, Gabriële wird nach Berlin zurückkehren, Jean, der Maler ist, hat sich in Moret-sur-Loing niedergelassen, sie wird allein in diesem zu großen Haus zurückbleiben. Jean hat sich für dieses kleine Dorf der Seine-et-Marne entschieden, weil es die Vorlage für viele Bilder des von ihm sehr bewunderten Impressionisten Alfred Sisley war. Sisley hat die Kirche von Moret-sur-Loing gemalt, die Brücke von Moret-sur-Loing, die Pappel von Moret-sur-Loing und die Straße der Gerbereien ... Und so macht Jean fünfzehn Jahre später mehr oder weniger das Gleiche. Fünfzehn Jahre zu spät? Er ist kein Vorreiter, dieser Jean, has been sogar, findet Gabriële, die sich im Milieu der musikalischen Avantgarde bewegt. Er gehört zu dieser Generation junger Neoimpressionisten, ein »junger Anhänger einer schon alten Bewegung«2. Gewiss, Jean hat Talent, großes sogar, doch Gabriële ist weder von der Schönheit seiner Themen noch von der Feinheit seiner Kompositionen gerührt, auch seine Fähigkeit, einer verschneiten Landschaft eine chromatische Tiefe abzugewinnen beeindruckt sie wenig. In ihren Augen sorgten die Impressionisten zu Papas und Mamas Zeiten für Skandale. Heute machen sie Schule.

Aber kehren wir zurück zu diesem Septembertag, an dem Gabriële und ihre Mutter im Garten sitzen. Der weiße Blauregen hat in diesem Jahr spät geblüht, Mutter und Tochter unterhalten sich nur, um das Schweigen zu legitimieren. Sie haben sich nichts vorzuwerfen, aber sich auch nicht besonders viel zu sagen. Jean ist noch immer nicht da. Sie warten mit dem Essen auf ihn, er hatte versprochen, pünktlich zu sein.

Nach einiger Zeit fangen Gabriële und ihre Mutter an, denken, »das wird ihn schon herbringen«. Beim Nachtisch freundet man sich langsam mit dem Gedanken an, dass er nicht mehr kommen wird, jede verbirgt ihre Sorge, indem sie sich beschäftigt. Der Nachmittag vergeht, Gabriële packt für ihre Rückreise nach Deutschland, sie kann es kaum erwarten, wieder in Berlin zu sein, diese Sommerferien waren nichts als eine lange schlaflose Nacht, Gabriële erstickt. Sie irrt in ihrem Zimmer herum. Die Kommode riecht nach Bohnerwachs, in ihr liegen brave blaue und graue Kleider. Es ist schön, und es ist fad, wie Reseden.

Die Kathedrale Saint-Louis von Versailles läutet zur Nachmittagsmesse. Ihr Bruder ist immer noch nicht da, Gabriële lauscht den Glocken, ihren schweren Bronzekörpern, deren Läuten tief und feierlich klingt. Plötzlich, ein ungewöhnliches Geräusch, Gabriële hört den Kies knirschen. Sie läuft zum Fenster: Ein Auto fährt in den Hof. Ein solcher Anblick ist zu Beginn dieses Jahrhunderts ungewöhnlich und extravagant, ein bisschen so, als würde heute ein Helikopter auf dem Rasen in ihrem Garten landen. Sie braucht nicht lange, um zu verstehen, was dahinter steckt.

Seit einigen Wochen hat ihr Bruder Jean nur noch Augen und Ohren für diesen »beeindruckenden Typ«, den er »im Motiv« in Moret-sur-Loing getroffen hat, also in situ, in der Natur, in direktem Kontakt mit dem Sujet, wie einst die Meister. Sie malen zur gleichen Uhrzeit und stellen ihre Staffeleien am gleichen Ort auf. Und so haben sie sich natürlich angefreundet. Dieser Typ, Gabriële hatte schon in Deutschland von ihm gehört, ist dieser angesagte Maler, ein junger Impressionist mit spanischem Namen, den alle außergewöhnlich finden: Francis Picabia.

Sie weiß nicht, warum, aber sie ist gereizt, sobald ihr Bruder diesen neuen Freund erwähnt. Und je mehr er die Verdienste des jungen Malers preist, desto entsetzlicher findet Gabriële ihn. »Ich hatte viel von Picabia gehört, bevor ich ihn kennenlernte«, wird sie später gestehen, »und ich hasste diese Art von bourgeoiser Gesellschaft, der Großvater steinreich ...«3

Es ärgert sie, diesen »kleinen, dünnen Mann mit seiner schmalen, wohlgeformten Taille«4 aus seinem Auto aussteigen zu sehen. Als ihre Mutter sie bittet, herunterzukommen, um die Jungs zu empfangen, fängt sie sich wieder. Sie ist bereit, sich der Folter des Abendessens zu stellen. Sie glättet den Kragen ihres Kleides gekonnt, wie ein Schauspieler, der sein Kostüm hinter der Bühne richtet, sie schaut sich um, eine Sekunde lang desorientiert, fragt sich, was sie sucht - nein, nichts.

Gabriële erscheint am Abendessen-Tisch, alle warten auf sie. Sie sitzt diesem Maler gegenüber, der schwarze und feurige Augen hat, einen matten Teint, dichte Augenbrauen, einen kleinen Schnauzer und die Gelassenheit derer, denen ihr Esprit und ihre Bildung (das Sahnehäubchen auf dem Kuchen des Wohlstands) ermöglicht, sich in jeder Situation und jeder Gesellschaft wohlzufühlen.

Dieser junge Mann verkörpert alles, was sie hasst. Er ist eitel, auch wenn er einen das Gegenteil glauben machen will. Sie beobachtet ihn aus den Augenwinkeln. Findet die Kombination aus feinen schwarzen Seidenstrümpfen zu lockerer, brauner, am Saum abgewetzter und von den vielen Malstunden in der Sonne patinierter Cordhose zu neuen, glänzenden Schuhen aus weichem Leder lächerlich. Eine vermeintlich luxuriöse Nonchalance, die bis ins kleinste Detail durchdacht ist. Er trägt ein Malerhemd, weiß und weit, mit...

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Autor

Anne Berest hat als Theaterregissseurin gearbeitet und schrieb neben mehreren Romanen als Co-Autorin den internationen Bestseller "How to be Parisian wherever you are", der in 35 Sprachen erschien. Sie ist die Schwester von Claire Berest und lebt in Paris.