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Ende offen - Das Buch der gescheiterten Kunstwerke

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
608 Seiten
Deutsch
FISCHER E-Bookserschienen am27.10.20211. Auflage
Die faszinierende Kulturgeschichte der gescheiterten Kunstwerke Weshalb gibt es von Stanley Kubricks monumentalem Filmvorhaben zu Napoleon nur ein Drehbuch? Warum hört Stockhausens Werkzyklus mit dem seltsamen Titel KLANG bei der 21. Stunde auf? Und wieso schaffte es David Foster Wallace nicht, seinen Roman »Der bleiche König« zu vollenden? Die Liste der gescheiterten Kunstwerke der Kulturgeschichte ist lang und spektakulär. Und die Gründe für das Scheitern so unterschiedlich wie die einzelnen Projekte: Mal war es der Größenwahn des Künstlers, ein anderes Mal fehlte plötzlich das Geld, nicht selten kam ein früher Tod dazwischen. Der Schriftsteller Thomas von Steinaecker erzählt in seinem Buch die außergewöhnlichsten Geschichten hinter dem Scheitern und zeigt, wie einflussreich Ideen sein können, die nur in unserer Fantasie existieren.

Thomas von Steinaecker, geboren 1977 in Traunstein, wohnt in Augsburg. Er schreibt vielfach ausgezeichnete Romane, Graphic Novels sowie Hörspiele. Außerdem dreht er Dokumentarfilme u.a. zur Musik des 20. Jahrhunderts und zur Kulturgeschichte Deutschlands, für die er internationale Preise gewonnen hat. Zuletzt erschienen 2016 der Roman »Die Verteidigung des Paradieses«, der für den Deutschen Buchpreis nominiert war, 2021 das Sachbuch »Ende offen« und 2022 die Graphic Novel »Stockhausen: Der Mann, der vom Sirius kam«.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR35,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR30,99

Produkt

KlappentextDie faszinierende Kulturgeschichte der gescheiterten Kunstwerke Weshalb gibt es von Stanley Kubricks monumentalem Filmvorhaben zu Napoleon nur ein Drehbuch? Warum hört Stockhausens Werkzyklus mit dem seltsamen Titel KLANG bei der 21. Stunde auf? Und wieso schaffte es David Foster Wallace nicht, seinen Roman »Der bleiche König« zu vollenden? Die Liste der gescheiterten Kunstwerke der Kulturgeschichte ist lang und spektakulär. Und die Gründe für das Scheitern so unterschiedlich wie die einzelnen Projekte: Mal war es der Größenwahn des Künstlers, ein anderes Mal fehlte plötzlich das Geld, nicht selten kam ein früher Tod dazwischen. Der Schriftsteller Thomas von Steinaecker erzählt in seinem Buch die außergewöhnlichsten Geschichten hinter dem Scheitern und zeigt, wie einflussreich Ideen sein können, die nur in unserer Fantasie existieren.

Thomas von Steinaecker, geboren 1977 in Traunstein, wohnt in Augsburg. Er schreibt vielfach ausgezeichnete Romane, Graphic Novels sowie Hörspiele. Außerdem dreht er Dokumentarfilme u.a. zur Musik des 20. Jahrhunderts und zur Kulturgeschichte Deutschlands, für die er internationale Preise gewonnen hat. Zuletzt erschienen 2016 der Roman »Die Verteidigung des Paradieses«, der für den Deutschen Buchpreis nominiert war, 2021 das Sachbuch »Ende offen« und 2022 die Graphic Novel »Stockhausen: Der Mann, der vom Sirius kam«.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783104008592
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2021
Erscheinungsdatum27.10.2021
Auflage1. Auflage
Seiten608 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse14546 Kbytes
Artikel-Nr.5712806
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe


Manifest des gescheiterten Kunstwerks



Dass Robert Musil seinen Mann ohne Eigenschaften nie vollendete, ist nicht akzeptabel. Es ist nicht akzeptabel, dass David Bowie nur fünf Demos seines allerletzten Albums aufnehmen und Stanley Kubrick nie vor der Kamera Napoleon Befehle erteilen durfte. Wir wollen Beethovens zehnte Sinfonie hören. Wir wollen im obersten Stockwerk des eine Meile hohen Illinois-Hochhauses von Frank Lloyd Wright Kaffee trinken und auf Chicago blicken.

Wir sind nicht interessiert am absichtlichen Fragment. Ja, wir wissen schon: Die romantische Dichtart ist ewig im Werden und kann nie vollendet sein. Novalis, Schlegel, Tieck: Ihr wartet auf die Transzendenz. Ihr könnt Gott nicht abbilden, deshalb sollen wir ihn in eurem Ungeschriebenen erahnen. Ihr Romantiker! Wir bleiben realistisch. Wir präsentieren das unabsichtliche Fragment und feiern das. Wir feiern die Gescheiterten. Wir feiern die Größenwahnsinnigen. Wir feiern die, die sich verspekuliert haben. Wir feiern die, denen ein Strich durch die Rechnung gemacht wurde. Wir feiern die Kranken. Wir feiern die zu früh und nochmals viel zu früh Gestorbenen und ihre Werke. Kleist, Shelley, Schubert, Runge, Marc, Monroe, Fassbinder, Herrndorf, Hadid und der ganze verdammte Klub 27.

Wir wollen wissen, warum. Warum wurde dieser Text, dieses Album, dieses Gebäude, diese Sinfonie, dieser Film, dieses Gemälde, die Skulptur nichts? Warum endete eine Geschichte, die häufig so vielversprechend begann, manchmal jäh und manchmal erst nach jahrelangem, bitterem Kampf? Uns interessiert das Ringen. Das Hoffen und Bangen. Uns interessieren die erstaunlichen Zufälle, die es braucht, damit am Ende doch etwas entsteht, das eigentlich äußerst unwahrscheinlich ist und eben öfter als selten auf nicht einmal halber Strecke liegen bleibt: ein Kunstwerk. Uns interessieren die hochtrabenden Pläne. Die Träume, die platzten. Die Menschen, die sie träumten - und unsanft erwachten. Uns interessiert der Einspruch gegen die Wirklichkeit.

Wir sind nicht ganz richtig, könnte man meinen. Wir spinnen. Wir sind fasziniert von dem, was weggeworfen wurde; von dem, dem etwas fehlt; von dem Ungeschliffenen, Unpolierten, dem Rest. Das ist nicht ganz richtig. Wir müssen präzisieren. Zum ersten Mal fasziniert Abfall in der Kunstgeschichte, als er von einem Gott stammt. Der Überirdische wird 1475 geboren. Er heißt Michelangelo. Schon zu Lebzeiten erhält er von seinen Verehrern den Beinamen »der Göttliche«. Kein anderer Einzelkünstler vor ihm hat mehr Torsi hinterlassen, auch weil sie nicht wie sonst üblich als unvollkommen angesehen und darum entsorgt, sondern wie Reliquien aufbewahrt und verehrt wurden. Die Voraussetzung für seine Göttlichkeit ist Michelangelos unzeitgemäßer, nachgerade modern anmutender Charakter wie wir ihn heute bei Künstlern lieben: rastlos, manisch, perfektionistisch, aufopfernd. Erst die Kunst, dann das Leben. Plötzlichen Eingebungen gehorcht Michelangelo auf der Stelle. Er schläft in seinen Stiefeln. Bei seinem Tod 1564 defilieren Dutzende Jünger an seinem Leichnam vorbei. Sie sind in derselben Soutane gekleidet wie ihr Meister. Hier arbeitete kein anonymes Kollektiv mehr wie noch im Mittelalter. Hier schuf ein einzigartiges Individuum. Und nicht zu Gottes Ehren, sondern den Menschen zur Feier. Signed and sealed: Michelangelo, Superstar. Im Glanz einer solchen Aura beginnen Fragmente zu leuchten.

Von nun an konnte es passieren, dass auch das Unvollkommene vollkommen war. Von nun an gab es eine Figur, die erst in der Aufklärung ihren Namen erhalten und sich seit der Romantik größter Popularität erfreuen sollte: das Genie. Poeta alter deus (Shaftesbury)! Ein Original, dessen in die Kunst übersetzte Regeln natürlich und deshalb natürlich absolut sind (Kant)! Prometheus (Goethe)! Flackernd, intuitiv, grenzwahnsinnig, und vor allem leidend. Kurz und exzessiv hatte sein Leben zu sein (da damals ausschließlich männlich konnotiert). Genies, das sind Unvollendete.

Moment. Einschub zum Einschub in der Klammer. Auch in diesem Buch werden die geneigte Leserin und der geneigte Leser wieder einmal mehr von Männern und ihren Problemen erfahren als von Frauen. Kann es wirklich sein, dass Männer seltener fertig werden als Frauen? Sind Männer flattriger? Und zugleich: vor Schöpferkraft strotzend, vor Kraft kaum zum Gehen fähig, you name it. Genius, das stand bei den Römern nicht zufällig für die Zeugungskraft des Mannes. Weibliche Genies - lange Zeit ein Oxymoron. Sind Frauen in Wirklichkeit also einfach fleißiger, fokussierter und strukturierter? Wirklich jetzt? Was zweifellos der Fall ist: dass Männer auch in der Kunst Privilegien genossen, die Frauen sich erst sehr spät erkämpften, was die Anzahl ihrer bekannten Vertreterinnen in Musik, Literatur, Film, Architektur und Malerei über die Jahrhunderte sehr überschaubar macht. Was zweifelhaft ist: jegliches Psycho-Gendering, wie etwa dass Männer von Natur aus eher zu Großprojekten neigen als Frauen. Was wahrscheinlich ist: dass Macht geschlechtsunabhängig zur Selbstüberschätzung verführt und damit das Scheitern befördert.

Aber Moment noch mal, ihr Genies. Genie? Da war doch was. Galt sein Konzept nicht genau wie jenes des Autors eigentlich als tot oder zumindest spätestens in der Postmoderne als fast schon lachhaft obsolet? Fakt ist: Heute sind wir süchtiger denn je nach Künstlergöttern (und -göttinnen). Sie rechtfertigen die allergrößten Jahrhundert-Werkschauen mit sämtlichen Studien, Entwürfen und Skizzen. Die gesamtesten Gesamtausgaben mit allen gestrichenen und unfertigen Passagen. Die kiloschweren Prachtbände mit bisher unbekanntem Material. Das CD-Jewel-Case mit noch mehr nie gehörten Bootlegs und Demos. Die DVD-Edition mit allen deleted scenes ever. Wenn aber die auffällige Häufung unvollendeter Großprojekte am Anfang des 20. Jahrhunderts, sprich: Musil, Proust, Sander, Schönberg und Gaudí, etwas über den damaligen Geist offenbart, sprich: die Sehnsucht, noch einmal, ein letztes Mal vor dem großen, geahnten Sturm Bilanz zu ziehen und die Welt im Angesicht ihres nahen Untergangs in einer Flaschenpost zu bewahren, was sagt uns dann unsere heutige Sehnsucht nach dem Unfertigen?

Wir sind perfekt. Wir haben alles. Und wenn das nicht stimmt, stimmt das: Wir wollen perfekt sein und alles haben. Vollkommen ist zugleich unsere Fragmentierung: Wenn die plötzliche, zerstückelte Wahrnehmung beim Überqueren der Straße und Bahnfahren für Walter Benjamin einen epochemachenden Schock bedeutete, so ist das eine unserer leichtesten Übungen. Wir schauen am liebsten Serien, Folge für Folge. Wir chatten, Nachricht um Nachricht. Wir fangen hier an und machen dort weiter. Wir montieren: markieren, kopieren, einsetzen, fertig. Und weiter. Wir sind schnell, wir sind multitaskingfähig. Heute hier und das, morgen da und dies. Wenn schon nicht leibhaftig, dann digital und sekündlich. Nichts ist uns fremd. Alles haben wir gesehen. Mit jedem sind wir befreundet. Niemals in der gesamten Menschheitsgeschichte hat es mehr und größere und bessere Sammler und Archivare gegeben als uns. Wir sind keine Nerds, sondern Profis. Das ist nicht schlecht, sondern der Status.

Weil aber immer ein Satz und auch sein Gegenteil wahr ist, wollen wir die größtmögliche Nähe zu sämtlichen Dingen und Personen. Unbeabsichtigte Fragmente bergen ein Versprechen in sich. Ihre Qualität ist dabei nebensächlich. Allein ihr unfertiger, vorläufiger Charakter sagt: Hier hat der Künstler noch nicht den Schleier der Perfektion über seine Arbeit geworfen. Hier war er einmal ganz bei sich und fühlte sich unbeobachtet. Hier bekommen wir ihn endlich in seinem innersten Wesen zu fassen. Direkt und authentisch und direkt authentisch. Roh. Hier lassen die sonst so Unnahbaren, die Ikonen, die Hosen runter und uns teilhaben an ihren geheimsten Geheimnissen. An genau dieser Stelle starb die Autorin/der Autor. Dies war das letzte Wort.

Aber so wie der »wahre Künstler« angeblich zwischen Genie und Wahnsinn balanciert, so ist auch die Kehrseite des gescheiterten Kunstwerks alles andere als intim und inniglich. Unfreiwillige Fragmente können nicht nur von einem tragischen Schicksal zeugen, sondern auch von schlichter Überheblichkeit. Mit Erschrecken, aber auch nicht selten wohligem Schauer stehen wir dann vor den gewaltigen Ruinen des Größenwahns, den Denkmälern und Kathedralen, die weltliche und geistige Größe in Stein und Stahl übersetzen sollten - und sich in ihren Trümmern als Nachbau des Turms von Babel zu erkennen geben.

Anders als beim absichtlichen Fragment der Romantiker liegt das Heil des unabsichtlichen Fragments nicht in einem transzendenten Darüber, sondern einem Dahinter. Ein Dahinter, das von dem Willen zur totalen Komplettierung und zugleich von der Angst davor zeugt, weil sie doch ein Ende bedeuten würde. So muss es immer noch ein weiteres Dahinter geben, eine weitere Skizze, ein weiteres Fragment, das eine neue Facette von vermeintlich Altbekanntem bedeutet. Denn ist nicht die Anzahl der Skizzen, Entwürfe, Pläne, Fragmente anders als jene der vollendeten Kunstwerke potenziell endlos? Es besteht immer die Hoffnung auf Zufallsfunde auf verstaubten Dachböden und unaufgeräumten Kellern.

Dahinter steckt aber noch ein anderer Wunsch als jener nach der Sensation und dem direkten Zugang zu Unnahbarem. Vielleicht ist es unser größter. Er lautet: Nichts darf aufhören. Alles soll weitergehen. Kein Werk darf abgeschlossen sein. Vollendung ist der Tod, und der Tod ist eine Zumutung. Hiermit protestieren wir in aller Form...

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Autor

Thomas von Steinaecker, geboren 1977 in Traunstein, wohnt in Augsburg. Er schreibt vielfach ausgezeichnete Romane, Graphic Novels sowie Hörspiele. Außerdem dreht er Dokumentarfilme u.a. zur Musik des 20. Jahrhunderts und zur Kulturgeschichte Deutschlands, für die er internationale Preise gewonnen hat. Zuletzt erschienen 2016 der Roman »Die Verteidigung des Paradieses«, der für den Deutschen Buchpreis nominiert war, 2021 das Sachbuch »Ende offen« und 2022 die Graphic Novel »Stockhausen: Der Mann, der vom Sirius kam«.