Hugendubel.info - Die B2B Online-Buchhandlung 

Merkliste
Die Merkliste ist leer.
Bitte warten - die Druckansicht der Seite wird vorbereitet.
Der Druckdialog öffnet sich, sobald die Seite vollständig geladen wurde.
Sollte die Druckvorschau unvollständig sein, bitte schliessen und "Erneut drucken" wählen.

Fünf Wörter für Sehnsucht

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
368 Seiten
Deutsch
Rowohlt Verlag GmbHerschienen am17.05.20221. Auflage
Eine Reise nach Tel Aviv verändert Sarah Levys Blick auf Israel - aus dem Urlaubsort ihrer Kindheit, Heimat ihrer jüdischen Familie und Konfliktschauplatz wird ein Sehnsuchtsort voller Wärme und inspirierender Begegnungen. Mit 33 entscheidet sie, ihr Leben in Hamburg hinter sich zu lassen, und zieht nach Tel Aviv. Inmitten der Corona-Pandemie durchlebt sie Mentalitätsklüfte, frustrierende Sprachlosigkeit und das liebevolle Chaos israelischer Familientreffen. Im Stadtteil Yafo begegnet sie nicht nur herzlich-warmen Israelis, die ihr ständig Tupperdosen mit Rote-Bete-Salat und dramatische Lebensgeschichten aufdrängen, sondern auch einer tief gespaltenen Gesellschaft. Eine Geschichte darüber, was Mut bedeuten kann.

Sarah Levy, geboren 1985, besuchte die Henri-Nannen-Journalistenschule und schreibt als freie Journalistin u.a. für DIE ZEIT. Seit 2018 koordiniert sie das Projekt stopantisemitismus.de, das über Antisemitismus im Alltag aufklärt und Hilfestellung bietet, und arbeitet für diverse Stiftungen.
mehr
Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR17,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR14,99

Produkt

KlappentextEine Reise nach Tel Aviv verändert Sarah Levys Blick auf Israel - aus dem Urlaubsort ihrer Kindheit, Heimat ihrer jüdischen Familie und Konfliktschauplatz wird ein Sehnsuchtsort voller Wärme und inspirierender Begegnungen. Mit 33 entscheidet sie, ihr Leben in Hamburg hinter sich zu lassen, und zieht nach Tel Aviv. Inmitten der Corona-Pandemie durchlebt sie Mentalitätsklüfte, frustrierende Sprachlosigkeit und das liebevolle Chaos israelischer Familientreffen. Im Stadtteil Yafo begegnet sie nicht nur herzlich-warmen Israelis, die ihr ständig Tupperdosen mit Rote-Bete-Salat und dramatische Lebensgeschichten aufdrängen, sondern auch einer tief gespaltenen Gesellschaft. Eine Geschichte darüber, was Mut bedeuten kann.

Sarah Levy, geboren 1985, besuchte die Henri-Nannen-Journalistenschule und schreibt als freie Journalistin u.a. für DIE ZEIT. Seit 2018 koordiniert sie das Projekt stopantisemitismus.de, das über Antisemitismus im Alltag aufklärt und Hilfestellung bietet, und arbeitet für diverse Stiftungen.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783644009936
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2022
Erscheinungsdatum17.05.2022
Auflage1. Auflage
Seiten368 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1998 Kbytes
Artikel-Nr.5724053
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

Teil 1:
Tel Aviv
Stadt am Meer

Wenn es Momente gibt, die alles verändern, dann war das meine Reise nach Israel im Herbst 2017. Sie veränderte nicht nur meinen Blick auf das Land und seine Menschen auf eine Weise, die ich nicht erwartet hätte. Sie entwickelte sich zum Startpunkt einer größeren Reise, einer längeren, tiefergreifenden, deren Folgen mich veränderten und mein Bild von mir selbst. Dabei fing alles wie ein ganz normaler Urlaub an.

«Darf ich mal mit dir nach Tel Aviv?», fragt Flora per WhatsApp. Ich habe ehrlicherweise keine Lust. Das wäre das zweite Mal in einem Jahr, dass ich nach Israel fliege, und das ... fünfzehnte, zwanzigste Mal in meinem Leben? Zu oft habe ich schon die Reiseführerin gespielt. Es graut mir vor dem ewig gleichen Programm: eine weitere Freundin die Strandpromenade von Tel Aviv entlangschleifen, Hummus bis zur Überblähung essen, Fotos vom immer gleichen Aussichtspunkt über der Klagemauer knipsen und im lauwarmen Glibsch des Toten Meeres dümpeln.

Flora lässt nicht locker. Sie war noch nie in Israel und will, dass ich ihr das Land zeige. Ich: die Deutsche, die seit ihrer Kindheit nach Israel fährt; die Jüdin, die Hebräisch lesen kann, wenn auch nicht wirklich verstehen. Ich, ihre gute Freundin. Und so willige ich letztlich ein. Ich stelle drei Bedingungen: kein Totes Meer, keine Klagemauer, keine 08-15-Sehenswürdigkeiten.

Ende Oktober 2017 fliegen wir, von Hamburg nach Tel Aviv. Der Himmel ist tiefblau, im Landeanflug sehen wir die ersten Palmen. Unser AirBnB liegt im Kerem HaTeimanim, dem jemenitischen Viertel rund um den Schuk haCarmel im Süden der Stadt, wo die feiernden Jungen leben und die ärmeren Alten, wo das Meer nah ist und die Luft nach Salz riecht. Meine Schwester, die regelmäßiger dort ist, hat mir die Gegend empfohlen: wenige hundert Meter vom Meer entfernt, in direkter Nachbarschaft zu Cafés, Restaurants und Bars.

Mit dem Taxi tuckern wir durch ein Mosaik aus hutzeligen Häusern mit Wellblechdächern, vorbei an Mauern mit Street-Art und Muschelschalen. An der Hauswand einer bröckelnden Hütte lese ich die Aufschrift Beit Knesset - Synagoge. Ich muss an die Synagoge in Frankfurt denken, ein prächtiger Bau mit beleuchteter Kuppel und Lüster. Im Kerem HaTeimanim ranken sich Stromkabel wie schwarze Lianen um Holzpfähle, Straßenkatzen liegen faul auf Mauervorsprüngen, in den verwinkelten Gassen blüht die Bougainvillea violett und pink. Unsere Unterkunft liegt hinter einem grau-weißen Holztor, über das lilafarbene Blüten klettern. Wir klopfen an einer weißen Tür, auf der Plastikblüten in Form eines Herzens kleben. Auch auf dem Boden hat jemand drei Herzen in den Beton gedrückt. Wir öffnen die Tür.

«Hoppaaaaa!», ruft uns eine tiefe Stimme entgegen. Auf einem Plastikstuhl in der Mitte eines blühenden Gartens sitzt unser Gastgeber Boaz, wie ein König, dem wir die Ehre erweisen. Boaz ist nicht besonders groß, über die dunkelbraune Haut seines Oberkörpers erstrecken sich Tattoos, die aussehen, als wären sie einem Tim-Burton-Film entsprungen. Durch seinen Bart ziehen sich erste graue Haare.

«Welcome, welcome, bruchot haba´ot», sagt er und mustert uns neugierig. Neben ihm sitzt ein Mann in Lederjacke, in der einen Hand ein Glas mit schwarzem Kaffee, in der anderen eine Zigarette. Er stellt sich als Or vor und wechselt schüchtern ein paar Worte in einfachem Englisch mit uns, bis Boaz uns eine Tour durch sein Reich gibt. Hinter dem Holztor vermietet er vier Apartments mit Blick auf einen grünen Innenhof, mit Sonnensegel, Gemeinschaftsküche, Hängematten, Surfbrett. Neben üppigen Blumensträuchern sprießen hier Minze, Zitronenverbene und Tomaten, und auf dem Sonnendach Cannabis. Er selbst wohnt auf der Dachterrasse, sein Freund Or wenige Straßen weiter.

Boaz gießt kochendes Wasser auf Kaffeepulver, reicht Flora und mir ein dampfendes Glas, das er mit zwei Fingern am oberen Glasrand festhält. Wir nippen zu früh an dem säuerlichen Gebräu und haben sofort Kaffeekrümel zwischen Lippen und Zähnen. Auf die Frage, was er beruflich macht, berichtet Boaz ausführlichst von einer Maschine, die er bald bauen will, die den Nährstoffgehalt in Blumenerde misst, oder so was Ähnliches. Bis es so weit ist, verdient er Geld mit seinen Apartments, die er selber gebaut und eingerichtet hat.

Unser Gastgeber reicht einen Joint herum, ein dünner langer Stängel in braunem Paper, darin Gras, so stark, dass Flora und ich uns Blicke zuwerfen und bald anfangen, unkontrolliert zu kichern. «Sarah Levy!», ruft Boaz, als er meinen Namen hört. Er setzt sich in seinem Plastikstuhl auf. «At medaberet Ivrit?» Sprichst du Hebräisch?, fragt er. Dies ist so ziemlich der einzige Satz, auf den ich immer eine Antwort habe: «Kzat», ein bisschen, sage ich und zeige mit Daumen und Zeigefinger, wie wenig. Selbst das ist heillos übertrieben. Außer unbrauchbaren Worten (koss heißt Glas, chatull Katze) ist aus dem Unterricht an meiner jüdischen Grundschule nichts hängen geblieben. Boaz legt direkt los, ein Schwall Hebräisch blubbert aus ihm heraus. Ich verziehe das Gesicht zu einer Grimasse. Verstanden habe ich nichts.

Dass ich jüdische Deutsche bin, finden die beiden unheimlich interessant. Mehrmals sprechen sie mich auf Hebräisch an, als wollten sie testen, ob ich mehr verstehe, als ich zugebe. Es überrascht mich, dass mein Name und meine Herkunft sie begeistert. Ich bin mir nicht sicher, was ich davon halten soll. «Witziger Typ!», sagt Flora, als wir abends zu zweit in Liegestühlen in der wenige hundert Meter entfernten Strandbar sitzen und zuschauen, wie die Sonne im Meer versinkt. «Bisschen strange, aber lustig», sage ich, «hoffentlich nervt er nicht.»

Gleich am nächsten Morgen schnippelt uns Boaz israelischen Salat aus Gurken, Tomaten und Zitronensaft und brät Rühreier. Dann führt er uns in sein Lieblingscafé. Es liegt an einer Straßenecke zwischen Carmel-Markt und Meer und ist der beste Ort, um gar nichts zu tun. Stundenlang sitzen wir dort neben schönen Menschen, die alle Zeit der Welt zu haben scheinen. Ich habe immer schon gern Menschen angeguckt. Hier sehe ich dunkle Bärte und helle Augen, Korkenzieherlocken und viel nackte Haut, sonnengebräunt. Die Leute sind schön, sie weichen meinem Blick nicht aus, sondern schauen unverwandt zurück, bis ich beschämt weggucke. Mitten im Gewimmel sitzt ein älterer Mann vor Säcken mit Nüssen auf einem Plastikstuhl und döst mit geschlossenen Augen in der Sonne.

Wie oft bin ich schon über den Carmel-Markt gelaufen, vorbei an Ständen mit bunten Kaubonbons, senffarbenem Kumin und Za´atar grün wie Moos, Richtung Meer. Ich kenne den Duft von gegrilltem Fleisch und frischgepressten Orangen. Doch bisher bin ich hier durchgelaufen wie eine überforderte Touristin, den Ellbogen über die Handtasche geklemmt, die Marktverkäufer mit Blicken und Winken abwimmelnd, stets in der Befürchtung, abgezockt zu werden. Es kommt mir vor, als beobachte ich dieses Mal bewusster und auch ein bisschen weniger ängstlich. Das liegt in erster Linie an Boaz. Wir folgen unserem Gastgeber in die Gassen, durch ein Gewirr aus Stimmen von Cafébesuchern und Marktverkäufern, wir bleiben stehen, probieren Früchte, Gebäck, Shakes, wir gucken, laden uns auf mit der Energie des Ortes.

Was heißt das? Was steht da?, fragt Flora. Oft kann ich ihre Fragen nicht beantworten, doch manchmal ergeben die hebräischen Buchstaben auf den gekrakelten Preisschildern tatsächlich ein Wort, das ich kenne: tapuz - Orange. Für meine Freundin bin ich Expertin, doch ich bin mir nicht sicher, diesen Status zu verdienen. Boaz übersetzt bereitwillig. Er führt uns zu dem Stand im Schuk, wo der Karotten-Ingwer-Saft nur fünf Schekel kostet, umgerechnet etwas mehr als ein Euro. Am nächsten Morgen steht er beim Bäcker in der Schlange, um uns das jemenitische Fladenbrot mit den Kratern im Teig zum Frühstück zu servieren: Lachuch. Er lädt die alte Nachbarin zum Tee ein, die in seinem Garten Minze und Zitronenverbene pflückt, und eine andere zum Kaffee, die für eine Zigarette vorbeikommt, um sich über die steigenden Mieten im Viertel zu beschweren. Er singt israelische Radio-Schlager mit, und erklärt uns, welcher Sänger Wurzeln im Jemen hat. Er zeigt uns seine Stammkneipe in der Nachbarschaft, wir stoßen mit ihm und Or an, während vor uns Männer und Frauen auf dem Tresen zu Misrachit tanzen, der orientalischen Musik der Juden aus arabischsprachigen Ländern, zu israelischen Klassikern mitsingen und sich gegenseitig den israelischen Anisschnaps Arak aus Flaschen direkt in die Kehle schütten.

Boaz nennt Flora und mich bald Motek, Liebling, und Chajim sheli, mein Leben. Manchmal ruft er einfach laut «Sarah Levy!» durch den Garten, und ich muss lachen. Eigentlich, so erzählt er uns offen, sei er auf der Suche nach der großen Liebe, die ihm Kinder schenkt, möglichst viele, möglichst bald. Bis es so weit ist, erleben wir, wie er versucht, jede Touristin zu verführen, die in seinen Gemeinschaftsgarten gespült wird.

Wir treffen Israelis mit Wurzeln im Jemen, in den USA, in Australien. Sie sind offen, interessiert an uns und unserem Leben, warm und herzlich. Sie erzählen von ihrem Alltag, ihren...
mehr