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Friedensgespräche

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
224 Seiten
Deutsch
Rowohlt Verlag GmbHerschienen am25.01.20221. Auflage
Friedensverhandlungen auf dem Zauberberg: Edvard Behrends ist ein erfahrener Diplomat, hochgeschätzt für sein Geschick, Friedensabkommen zu vermitteln, egal wie verhärtet die Positionen sind. Nun soll er Frieden stiften zwischen zwei Bürgerkriegsparteien aus dem Nahen Osten, mit denen er in einem abgelegenen Berghotel in den Tiroler Alpen festsitzt. Doch die frische Bergluft zeigt keine heilende Wirkung, die Verhandlungen gehen nur schleppend voran, und die verfeindeten Fraktionen drohen immer wieder mit ihrem Abbruch. Echter Fortschritt ist eine Hoffnung, aber noch nicht in Sicht. Zuflucht sucht Edvard in der Musik, der Natur, der Literatur - und bei Anna, die für ihn alles bedeutet, mit der er sich verbunden fühlt wie mit niemandem, die omnipräsent ist und so quälend abwesend. «Tim Finch hat einen wundervollen Roman geschrieben, so knapp wie gewaltig, so humorvoll wie traurig. Auf eindringliche Weise verzeichnet er, was es bedeutet, Frieden zu schließen, mit anderen ebenso wie mit sich selbst.» Colum McCannn

Tim Finch war Pressechef beim führenden Think Tank IPPR, vorher beim Refugee Council. Er arbeitete als Journalist bei der BBC, als Korrespondent in Westminster, und schreibt u.a. über Migrationsfragen. Heute lebt er als freier Schriftsteller in London.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR22,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR9,99

Produkt

KlappentextFriedensverhandlungen auf dem Zauberberg: Edvard Behrends ist ein erfahrener Diplomat, hochgeschätzt für sein Geschick, Friedensabkommen zu vermitteln, egal wie verhärtet die Positionen sind. Nun soll er Frieden stiften zwischen zwei Bürgerkriegsparteien aus dem Nahen Osten, mit denen er in einem abgelegenen Berghotel in den Tiroler Alpen festsitzt. Doch die frische Bergluft zeigt keine heilende Wirkung, die Verhandlungen gehen nur schleppend voran, und die verfeindeten Fraktionen drohen immer wieder mit ihrem Abbruch. Echter Fortschritt ist eine Hoffnung, aber noch nicht in Sicht. Zuflucht sucht Edvard in der Musik, der Natur, der Literatur - und bei Anna, die für ihn alles bedeutet, mit der er sich verbunden fühlt wie mit niemandem, die omnipräsent ist und so quälend abwesend. «Tim Finch hat einen wundervollen Roman geschrieben, so knapp wie gewaltig, so humorvoll wie traurig. Auf eindringliche Weise verzeichnet er, was es bedeutet, Frieden zu schließen, mit anderen ebenso wie mit sich selbst.» Colum McCannn

Tim Finch war Pressechef beim führenden Think Tank IPPR, vorher beim Refugee Council. Er arbeitete als Journalist bei der BBC, als Korrespondent in Westminster, und schreibt u.a. über Migrationsfragen. Heute lebt er als freier Schriftsteller in London.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783644002777
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2022
Erscheinungsdatum25.01.2022
Auflage1. Auflage
Seiten224 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse3497 Kbytes
Artikel-Nr.5724078
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

Aus der Welt gekugelt

Jeden zweiten Tag absolviert eine Gruppe von uns frühmorgens, gleich als Erstes, dieselbe Fünf-Kilometer-Runde. Sie ist gewissenhaft ausgeschildert und, gerade noch eben so, als «moderat» klassifiziert: Die anspruchsvolleren Abschnitte werden von längeren, gemütlicheren abgelöst.

Am Treffpunkt wird stets erhebliches Aufhebens gemacht, um Schnürsenkel, Fleecepullis, Gehstöcke und Energieriegel. Aber von dem Augenblick an, in dem wir uns anschicken, das Schneefeld hinter dem Hotel zu queren, löst sich Gereiztheit in nichts auf. Im Knirschen der Stiefel auf der Schneedecke drückt sich das Hochgefühl aus, das uns alle erfüllt, ausgelöst davon, draußen zu sein in der makellosen Kälte des frühen Morgens, hoch oben in den Bergen Tirols.

Wir machen die Runde nur dann nicht, wenn weißer Nebel die Welt vor unseren Augen auslöscht, was gnädigerweise nicht häufig vorkommt, denn an diesen Tagen laufen die Verhandlungen nie so gut wie sonst. Dann frühstücken wir eher spät, versteckt hinter den Seiten der International Herald Tribune, der Times, der Frankfurter Allgemeinen und anderen Zeitungen. Es war Baudelaire (ich habe es im Netz nachgesehen), der sich über diesen «widerlichen Aperitif» mokierte, den «der zivilisierte Mensch jeden Tag zu seiner Morgenmahlzeit» genieße. «Sittlichkeitsdelikte, Folterungen (...), ein Rausch von allgemeiner Grässlichkeit.» Recht hat er, aber das Wort Aperitif hat mich stets irritiert. Zum Frühstück? Als symbolistischer Dichter womöglich.

Vielleicht um Baudelaire Respekt zu zollen, ziehen einige von uns von Zeit zu Zeit ein Buch der Zeitung vor, trotz der Schwierigkeit, es beim Essen aufgeschlagen zu halten. Auch ausgeklügelte Arrangements mit Salz- und Pfefferstreuern, French-Press-Kannen, Milchkännchen und unbenutztem Besteck funktionieren eigentlich nie so richtig. Das gebundene Buch kommt hier zu seinem Recht, wie ich finde, mit seiner besseren Aufschlagbarkeit gewissermaßen, während das Taschenbuch, im Bett so praktisch, für den Frühstückstisch einfach zu leicht ist. Was die aktuellen Lektüren betrifft: Ich habe gesehen, was dich freuen wird, dass mehr als ein Exemplar des Zauberberg in Angriff genommen wurde (wir sind ein berechenbarer Haufen), einschließlich eines, und hier copy und paste ich erneut, .

(Es war einer der jüngeren Kollegen, der mich darauf hinwies. Ich bin so weit entfernt davon wie eh und je, des Arabischen mächtig zu sein, leider, eindeutig ein Nachteil in diesem Metier, ungeachtet meines nominellen Standings. Fortwährend frage ich mich: Wie lange noch, bis mir die Puste ausgeht? Und was folgt dann? Der Ruhestand in irgendeiner Form, denke ich mal; einst eine semibehagliche Aussicht, mittlerweile allerdings eigentlich ausschließlich gefürchtet.)

Kein Vertreter der beiden Delegationen isst, läuft oder spricht mit uns außerhalb der formalen Sitzungen. Sie sind im Hotel in separaten Stockwerken untergebracht. Sie beten, ebenfalls getrennt, in eigens dafür vorgesehenen Räumen. Die Mahlzeiten nehmen sie im Hauptspeisesaal ein, aber in ausgewiesenen Bereichen an entgegengesetzten Enden. Ich achte genau darauf, beiden Parteien jeden Tag einen guten Morgen zu wünschen, und sie erwidern den Gruß respektvoll.

Um für einen Moment auf den Zauberberg zurückzukommen. Es irgendwann einmal zu erwähnen («Ich habe gesehen, dass Sie ...») könnte sich bei dem betreffenden Verhandlungspartner als hilfreich erweisen: Kleine Dinge wie diese tun das manchmal. Doch die Tatsache, dass er ein so wunderbares Englisch spricht, und das so ostentativ, gibt mir zu denken. Sendet er mittels seiner Lektüreauswahl irgendein Signal? Und falls ja, welches?

Vermintes Gelände, wohin man schaut, Liebling, höre ich dich sagen.

Nachdem wir auf unserem Weg über das Schneefeld in Schwung gekommen sind, müssen wir auf einer kleinen Holzbrücke Vorsicht walten lassen, da die Holzbohlen vereist und daher tückisch sein können. Die Brücke kreuzt einen Bergbach, auch wenn seine Stromschnellen und Tümpel den Großteil der Wochen über, die wir hier sind, überraschenderweise eingefroren waren, als ob eine Winterhexe sie mit ihrem Zauberstab berührt hätte.

Aber lass mich das «als ob» mal gleich wieder streichen. Dass dahinrauschendes Wasser in eine solche lautlose Schockstarre versetzt werden kann, ist nicht einfach schnöder Vereisung geschuldet, sondern ein untrügliches Zeichen dafür, dass hier Magie am Werk ist. Dann, so ist der Lauf der Dinge, führt uns der Pfad in eine abgezirkelte Fichtenschonung, der so gar nichts Magisches innewohnt. Die Bäume sind nummeriert, und es riecht nach Sägeschuppen und Holzhandlung. Dann überqueren wir eine asphaltierte Straße, und vor einer Reihe moderner Chalets stehen BMWs und VWs mit Skiern und Snowboards auf den Dachgepäckträgern.

Aber das ist es dann auch gewesen. Danach führt unser Weg fort vom Glitter des Resorts, hinein in wildere Kiefern- und Tannenwälder, hin zu einem der steileren, felsigeren Anstiege, bis wir nach einer gewissen Zeit die Baumgrenze des Berges erreichen und mit einem atemberaubenden Panorama von Wipfeln belohnt werden. Die dünne Luft prickelt in den Lungen und brennt im Gesicht. Der Himmel ist sattblau, einzig die sich verflüchtigende Spur eines Flugzeugs sorgt für einen hauchzarten Streifen himmelblauer Tönung.

«Chef», sagt jemand, klopft mir mit einer schweren Bärentatze auf die Schulter.

«Ja?», sage ich.

Der Bann muss stets gebrochen werden.

«Nicht übel, der Blick, oder?»

Wie gesagt.

Meine Dauerpräsenz in der Wandergruppe - ich habe nicht einen Tag gefehlt - tut dem Gemeinschaftsgefühl keinen Abbruch, davon bin ich überzeugt. An Morgen, an denen ausgelassenere Stimmung herrschte, habe ich mich an den Schneeballschlachten beteiligt und mich wie die anderen mit dem hinter der Theke geklauten Metalltablett an dem Hang mit der siebenprozentigen Neigung versucht. Mein Purzelbaum in eine Tiefschneesenke hat für erhebliche Belustigung gesorgt. Dennoch trifft es zu, dass ich versuche, kein Teil jener losen Grüppchen zu sein, die sich formieren und auflösen, die plaudern und lachen, während wir den Berg hinaufsteigen. Ich bleibe lieber etwas zurück oder gehe voraus, in Gedanken versunken. Und natürlich muss man sich in gewissem Maß seiner Funktion, seiner Position bewusst sein, selbst eingemummt auf dem Berg. Eine gewisse Distanz muss immer gewahrt bleiben.

Ich bringe dich zum Lachen, ich merke schon. Na denn, sehr gut, denn du solltest nicht auch nur einen Augenblick lang denken, dass ich deprimiert sei oder einsam. Natürlich vermisse ich dich. Permanent.

Der höchste Punkt unserer Wanderung ist erreicht, wenn wir bei der kleinen Kapelle ankommen - und dort ein paar Minuten lang Pause machen -, die dort steht, wo sich der ausgewiesene Pfad gabelt, wobei die andere Route zum Pass über den Berg und hinein ins nächste Tal führt.

An einem Samstag schlugen einige von uns diesen Pfad ein, wir hielten uns dabei für sehr wagemutig. Was würden wir auf der anderen Seite des zerklüfteten Kamms entdecken? Die Gipfelstation eines Skilifts, wie sich herausstellte. Mit einer lärmenden Cafeteria, die an eine Autobahnraststätte erinnerte, umsäumt von einer Palisade aus grellbunten Skiern. Wir fuhren mit der Gondel hinab in das andere Resort und mussten dann eine Stunde lang mit dem Bus zurück in unser Dorf fahren. Die meiste Zeit über auf einer doppelspurigen Schnellstraße, in dichtem Verkehr und bei Schneeregen. Es war ein Rüstzeit-Tag.

Die Kapelle ist ein reizendes, rustikales Bauwerk. Sie steht unter einen Felsüberhang geduckt und hat ein gewelltes, mit Schindeln gedecktes Dach, geschmückt von einem einfachen Kreuz. Ansonsten ist es eine Holzhütte, durch die Jahreszeiten geschmackvoll verwittert. Im Innern stehen grobe Holzbänke und ein Tisch mit einem Holzkreuz, es gibt ein einzelnes Buntglasfenster, in abstraktem Design, in Gedenken an einen Mann aus der Gegend, der im Alter von nur 22 Jahren bei einem Autounfall starb. Außerdem brennt ein ewiges Licht, eine Öllampe, und das, wie es die Sitte will, permanent, bis ans Ende der Tage. Da jedes der tadellos gepflegten Gräber auf dem Friedhof der Dorfkirche allabendlich von einer Kerze beleuchtet wird, ist es wohl sehr wahrscheinlich, dass jemand - vielleicht dieselbe Person - täglich den Berg hinaufwandert und sich auch um dieses einzelne Lichtlein kümmert. Doch wir haben nie auch nur eine Menschenseele bei der Kapelle gesehen, noch nicht einmal Stiefelabdrücke auf dem Pfad dorthin, bis auf unsere eigenen. Mit Skiern vielleicht?, schlägt jemand vor. Langlauf? Ich hingegen bevorzuge den Gedanken, dass es jemanden gibt, der will, dass wir dieses ewig brennende Licht für ein kleines Wunder halten und daran glauben.

Was immer wir auch glauben, wir alle halten einen Augenblick inne, um nachzudenken. In erster Linie über persönliche Dinge, aber auch, da bin ich sicher, über die Bedeutung unserer Mission. Von diesem Adlerhorst hoch oben über dem Resort können wir gerade so die Dächer des Hotels und des Tagungszentrums ausmachen. Von diesem Moment an beginne ich, mich immer aufs Frühstück zu freuen. Und auf die Aufgaben des Tages.

Der Abstieg hat dann eher ernüchternden Charakter, wohl kaum zu vermeiden. Aber das, wovon ich dir erzählen wollte, ereignete sich auf unserer heutigen Wanderung während des Abstiegs. Alle waren ziemlich gelangweilt. Nicht nur von der Wanderung, sondern auch davon, hier zu sein. Das Tauwetter begleitende Tropfgeräusche waren zu...
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Autor

Tim Finch war Pressechef beim führenden Think Tank IPPR, vorher beim Refugee Council. Er arbeitete als Journalist bei der BBC, als Korrespondent in Westminster, und schreibt u.a. über Migrationsfragen. Heute lebt er als freier Schriftsteller in London.Johann Christoph Maass, geboren 1973, war Schlagzeuger, bevor er Literaturwissenschaften studierte. Er arbeitet als freier Übersetzer in Berlin. Zuletzt hat er Bücher von Jonathan Lethem, Howard Jacobson, Antonio Ruiz Camacho und Tom Perrotta übertragen.