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Wellenflug

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
336 Seiten
Deutsch
Ullstein Taschenbuchvlg.erschienen am30.08.2021Auflage
»Das faszinierende Doppelporträt zweier höchst unterschiedlicher Frauen. Genau recherchiert und opulent erzählt Constanze Neumann das Schicksal einer zerstreuten Familie, deren Geschichte mit der deutschen untrennbar verbunden bleibt.« Julia Franck Als ihr Sohn Heinrich 1881 zur Welt kommt, setzt Anna Reichenheim große Hoffnungen auf diesen Erstgeborenen. Doch Heinrich schert sich nicht um die Konventionen seiner großbürgerlichen jüdischen Familie. Er erliegt den Verlockungen des Berliner Nachtlebens und verliebt sich in die ganz gewöhnliche Marie, die seine Mutter nicht akzeptieren kann. Gemeinsam suchen Heinrich und Marie in den USA ihr Glück, bis der Erste Weltkrieg sie zurück nach Deutschland holt. Sie bleiben ausgeschlossen aus der Familie, auch als die Schatten der Weltwirtschaftskrise und des aufkommenden Nationalsozialismus sich über das Land legen. Anna stirbt 1932 unversöhnt mit Heinrich, nicht ahnend, was ihrer Familie bevorsteht. Während seine Geschwister fliehen oder vertrieben werden, bleibt Heinrich in Deutschland zurück. Wieder ist es Marie, die ihm Halt gibt, als sie ums Überleben kämpfen. ***Ein feinfühliger Roman über zwei ganz unterschiedliche Frauen, über zwei Leben reich an Liebe und Verlust in einem Jahrhundert voller Extreme.*** »Zwei Jahrhunderte, zwei Frauen, eine Familie: Constanze Neumann erzählt mitreißend von den Fäden der Vergangenheit, aus denen die Träume der Zukunft gewebt werden.« Florian Illies

Constanze Neumann, geboren in Leipzig, studierte Anglistik, Romanistik und Germanistik. Sie arbeitete als Übersetzerin aus dem Italienischen und zwanzig Jahre in verschiedenen Verlagen. Zuletzt erschien von ihr der Roman »Wellenflug« (Ullstein 2021).
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR22,00
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR13,99
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR13,99

Produkt

Klappentext»Das faszinierende Doppelporträt zweier höchst unterschiedlicher Frauen. Genau recherchiert und opulent erzählt Constanze Neumann das Schicksal einer zerstreuten Familie, deren Geschichte mit der deutschen untrennbar verbunden bleibt.« Julia Franck Als ihr Sohn Heinrich 1881 zur Welt kommt, setzt Anna Reichenheim große Hoffnungen auf diesen Erstgeborenen. Doch Heinrich schert sich nicht um die Konventionen seiner großbürgerlichen jüdischen Familie. Er erliegt den Verlockungen des Berliner Nachtlebens und verliebt sich in die ganz gewöhnliche Marie, die seine Mutter nicht akzeptieren kann. Gemeinsam suchen Heinrich und Marie in den USA ihr Glück, bis der Erste Weltkrieg sie zurück nach Deutschland holt. Sie bleiben ausgeschlossen aus der Familie, auch als die Schatten der Weltwirtschaftskrise und des aufkommenden Nationalsozialismus sich über das Land legen. Anna stirbt 1932 unversöhnt mit Heinrich, nicht ahnend, was ihrer Familie bevorsteht. Während seine Geschwister fliehen oder vertrieben werden, bleibt Heinrich in Deutschland zurück. Wieder ist es Marie, die ihm Halt gibt, als sie ums Überleben kämpfen. ***Ein feinfühliger Roman über zwei ganz unterschiedliche Frauen, über zwei Leben reich an Liebe und Verlust in einem Jahrhundert voller Extreme.*** »Zwei Jahrhunderte, zwei Frauen, eine Familie: Constanze Neumann erzählt mitreißend von den Fäden der Vergangenheit, aus denen die Träume der Zukunft gewebt werden.« Florian Illies

Constanze Neumann, geboren in Leipzig, studierte Anglistik, Romanistik und Germanistik. Sie arbeitete als Übersetzerin aus dem Italienischen und zwanzig Jahre in verschiedenen Verlagen. Zuletzt erschien von ihr der Roman »Wellenflug« (Ullstein 2021).
Details
Weitere ISBN/GTIN9783843726221
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2021
Erscheinungsdatum30.08.2021
AuflageAuflage
Seiten336 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse3125 Kbytes
Artikel-Nr.5725552
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

1

»Es war einmal ein armes Waisenmädchen, das lebte am Rande eines großen Waldes bei einem Köhler und seiner Frau. Sie waren hartherzig zu ihm, und es musste den ganzen Tag für sie arbeiten. Einmal schalt es die Köhlersfrau, als sie in der Küche Spinnweben entdeckte. Sie wollte die Spinne, die darin saß, mit dem Schuh totschlagen, aber das Mädchen trug sie schnell nach draußen.

Eines Tages zerbrach ihm ein Krug, und die Köhlerfrau jagte es aus dem Haus. Das Mädchen lief weinend in den Wald, durch Dickicht, über Stock und Stein, dorthin, wo er dunkel und undurchdringlich wurde.

Am Abend gelangte das Mädchen auf eine kleine moosbedeckte Lichtung und sank erschöpft zu Boden. Es dämmerte schon, und das Moos war dunkelgrün und so weich, dass es sofort einschlief. Als es erwachte, schien der Mond hell auf die Lichtung, und das Mädchen sah einen silbernen Faden, an dem eine Spinne hing.

Greif zu und klettere in den Himmel, kleines Mädchen , sagte die Spinne.

Und das Waisenmädchen nahm den Faden, der weich und fest war wie feinstes Garn. Es kletterte schnell hinauf, bis es zu den Himmelswiesen kam. Als es sich umsah, entdeckte es die Spinne, die sprach: So wie du mir geholfen hast, helfe ich dir. Du hast ein gütiges Herz und sollst dir einen Bräutigam aussuchen. Aber wähle mit Bedacht zwischen zwei Brüdern: dem Sonnen- und dem Mondjüngling.

Da traten zwei junge Männer vor das Mädchen. Es musste die Augen abwenden von dem Sonnenjüngling, so blendete sein strahlender Blick. Der Mondjüngling war blass und freundlich, und ohne Furcht konnte das Mädchen in sein liebes Antlitz sehen.

Da sprach das Mädchen zu der Spinne: Mit dem Sonnenjüngling kann ich nicht gehen - zu viel Glut liegt in seinem Blick. Ich gehe mit dem Mondjüngling.

Kaum hatte es diese Worte ausgesprochen, trat der Mondjüngling zu ihm und trug es hoch empor in den Himmel. Bis heute wandert das Waisenmädchen mit seinem Bräutigam, dem Mond, über den Himmel.«

»Und was ist aus dem Sonnenjüngling geworden, Vater?«

»Glänzte er nicht wie Gold? War er nicht wunderschön?«

»Sind die Sterne die Kinder des Waisenmädchens?«

»Hast du es gesehen, sag schon, hast du es je gesehen?«

Anna schmiegte sich an ihren Vater und schaute zu ihm hoch, während Margarethe und Marie, ihre beiden jüngeren Schwestern, nicht aufhörten zu fragen.

Anna hätte keinen der Brüder genommen, weder den Mond- noch den Sonnenjüngling, sie wollte den Vater heiraten. Im Januar war sie acht Jahre alt geworden, und ihr Entschluss stand fest: Es konnte keinen schöneren und klügeren Mann geben als ihren Vater.

»Isidor, bitte, seid ein wenig leiser! Das Kindermädchen hat Henriette gerade zu Bett gebracht, sie braucht Ruhe. Und setz den Kleinen keine Flausen in den Kopf, diese seltsame Geschichte von der Spinne, von Sonne und Mond! Gott der Herr stiftet Ehen, keine silbernen Spinnen! So war es bei uns, und so sagt es auch der Rabbi.«

Ihre Mutter regte sich immer auf, wenn der Vater das Märchen erzählte, das sie und ihre Schwestern so liebten. Er hatte ihnen nie verraten, wo er es gehört oder wer es ihm erzählt hatte. Auch die Mutter wusste es nicht. Sie widersprach dem Vater selten, aber wenn er diese Geschichte erzählte, bekam sie rote Flecken im Gesicht und am Hals, ein untrügliches Zeichen, dass sie sich ärgerte. Zwar blieb ihre Stimme leise, und wie so oft hielt sie den Blick gesenkt, aber immer beendete sie unter diesem oder jenem Vorwand die Erzählstunde. Und der Vater brauste dann nicht auf, obwohl er Widerworte nicht mochte und schnell zornig wurde. Er lächelte nur, und sein Blick war irgendwo in die Ferne gerichtet. Ob er von all den Orten träumte, an denen er gewesen war? Die Namen klangen exotisch und großartig in Annas Ohren: Berlin, London, Bradford, sogar in Paris war er gewesen.

Ob es ihm jemand in Paris oder London erzählt hatte? Oder ein Seemann in London, der um die Welt gesegelt war und das Märchen in irgendeinem Hafen gehört hatte, auf einer Insel voller exotischer Pflanzen und Bäume? Nein, der Wald war der Wald seiner schlesischen Heimat, manchmal schmückte er das Märchen aus und erzählte von Nadelbäumen und Eichen, von Farnen, Pilzen und Beeren. Und während die Mutter sich nach dem Dorf, wie der Vater es nannte, sehnte, sprach er nur verächtlich von engen Gassen, Gestank, neugierigen Nachbarn und dem schmutzigen Klassenzimmer, in dem er als Junge zur Schule gegangen war.

Aber der Wald und die sanften Hügel seiner Heimat, das helle Grün im Frühling, davon sprach er voller Sehnsucht, auch mit dem Großvater, wenn der aus Schlesien zu Besuch kam.

»Wenn du noch ins Kontor fahren willst, dann beeil dich, der Sabbat beginnt bald!«

Da war er, der Vorwand. Anna schaute zu ihrem Vater hoch, der den Arm um ihre Schulter gelegt hatte und sie an sich drückte.

»Ja, schon gut, ich fahre los, die Kutsche wartet. Und du kommst mit, Anna.«

Anna sah der Mutter an, dass sie etwas erwidern wollte, sich aber zurückhielt. Sie hatte bereits die Märchenstunde unterbrochen, jetzt nicht auch noch diesen Ausflug untersagen und sich damit nicht nur den Zorn des Vaters, sondern auch den der Tochter zuziehen. Was hat ein Mädchen im Kontor zu suchen, murmelte sie oft, wagte aber nicht, es offen auszusprechen. Anna liebte diese Fahrten, sie liebte die Lagerhalle mit den Stoffballen, all die Farben und wie unterschiedlich sich die Stoffe anfühlten. Sie liebte auch die großen Bücher der Handelsdiener, in denen alle Warenein- und -ausgänge verzeichnet waren. Sie wusste, wo die Stoffe herkamen und wo sie hingingen, in Gedanken sagte sie Städte und Länder auf, die dort erwähnt wurden. Der Vater nahm sich Zeit und erklärte ihr alles, er freute sich, wenn sie erriet, um welchen Stoff es sich handelte und wohin er ihn verkaufte. Hugo und Georg, ihre älteren Brüder, mussten sich zusammen mit dem Vater über die Geschäftsbücher beugen, und sie stöhnten oft, vor allem Georg. Sie interessierten sich nicht für die Stoffe und die Bücher, in die die Geschäftsdiener Tag für Tag Zahlenkolonnen eintrugen. Der Vater nahm sie trotzdem mit und wollte Hugo bereits nach Berlin schicken, in die Firma, in der auch er gelernt hatte. Nur mit viel Mühe hatte die Mutter Aufschub erwirkt, und der Vater war zornig geworden.

»Was für Söhne habe ich nur! Wozu die Mühe und all die Arbeit! Dann muss dein Mann das Geschäft weiterführen, Anna, du bist die Einzige, die mich versteht!«

Nach diesem Streit hatten Vater und Mutter nicht miteinander gesprochen, und der Vater war abends nicht mehr zu Hause gewesen. Anna hatte gehört, wie eins der Dienstmädchen etwas vom Italien-Keller geflüstert hatte, und die Mutter hatte ihm eine Ohrfeige gegeben. In den Italien-Keller gingen keine anständigen Männer, und man durfte nicht einmal den Namen dieses Ortes aussprechen.

Sara, die alte Köchin, die mitgekommen war aus Gleiwitz, der Heimat der Mutter, hatte sie in der Küche getröstet. Chanele, wie die Mutter sie nannte, wenn der Vater es nicht hörte, war ihre Vertraute, mit ihr sprach die Mutter Jiddisch, was Anna kaum verstand und der Vater ablehnte.

»Das sind wir nicht«, hatte er einmal gebrüllt, als die Mutter schüchtern eingewandt hatte, es sei die Sprache ihrer Heimat.

»Vergiss Gleiwitz, vergiss Schlesien! Dafür habe ich nicht gekämpft, dafür reise ich nicht durch ganz Europa, dafür habe ich nicht das Niederlassungsgesuch gestellt und gekämpft, um hier in Leipzig sein zu können mit meiner Familie und meinem Geschäft. Wir können alles erreichen, wenn wir mit der neuen Zeit gehen. Und da hat diese Sprache aus dem Osten nichts zu suchen.« In seiner Stimme hatte eine Verachtung mitgeschwungen, die die Mutter verletzt hatte, das hatte Anna deutlich sehen können.

»Gadles ligt ojfn mist«, hatte die Mutter leise gesagt, sodass es der Vater nicht hören konnte. Anna hatte es aber gehört und abends Henriette gefragt, als sie bei ihr am Bett saß, um ihr vorzulesen.

»Gadles ligt ojfn mist - was heißt das, Hennilein?«

Die dunklen Augen der Schwester in dem zu schmalen, blassen Gesicht hatten geblitzt, sie hatte gelacht.

»Gadles heißt Hochmut. Hochmut liegt auf dem Mist.« Sie hatte gekichert. »Wo hast du das aufgeschnappt, Annele?«

»In der Küche, ach, ich weiß nicht.« Sie hatte versucht, sich wieder auf den Roman zu konzentrieren, aus dem sie der Schwester langsam und mit Mühe vorlas.

Jetzt holte Anna schnell ihren Umhang und zog die neuen Stiefel aus glattem, weichem Leder an, bevor die Mutter es sich doch noch überlegte und die Fahrt verbot.

»Aber kommt nicht zu spät ...«, sagte diese nur leise. Wenig später saßen sie in der Kutsche, die über die Pflastersteine holperte.

»Und der Faden, Vater, der Wollfaden, an dem das Mädchen in den Himmel geklettert ist?«

»Feinstes Kammgarn ...«, sagte der Vater, in Gedanken versunken. »Wir müssen schauen, ob die Lieferung aus England...
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