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Biografie einer Eiche

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
208 Seiten
Deutsch
DuMont Buchverlag GmbHerschienen am16.07.20211. Auflage
James Canton besucht die achthundert Jahre alte Honywood-Eiche in Essex. Sie war ein Schössling, als die Magna Carta unterzeichnet wurde und König Johann England regierte. Heute bildet sie ein eigenes Ökosystem, in dem unzählige Insekten, Vögel und Fledermäuse, Moose, Farne und Pilze leben. Eichen sind zu Mythen und Legenden geworden. In vielen Religionen spielen sie eine besondere Rolle, und für die Entwicklung der menschlichen Zivilisation waren und sind sie von großer Bedeutung. Wir bauten unsere Häuser und Schiffe aus ihrem Holz, schürten unsere Feuer damit und mahlten ihre Eicheln in Zeiten der Hungersnot zu Mehl. >Biografie einer EicheBiografie einer Eiche< ist das erste seiner Bücher, das auf Deutsch erscheint.mehr
Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR22,00
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR13,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR11,99

Produkt

KlappentextJames Canton besucht die achthundert Jahre alte Honywood-Eiche in Essex. Sie war ein Schössling, als die Magna Carta unterzeichnet wurde und König Johann England regierte. Heute bildet sie ein eigenes Ökosystem, in dem unzählige Insekten, Vögel und Fledermäuse, Moose, Farne und Pilze leben. Eichen sind zu Mythen und Legenden geworden. In vielen Religionen spielen sie eine besondere Rolle, und für die Entwicklung der menschlichen Zivilisation waren und sind sie von großer Bedeutung. Wir bauten unsere Häuser und Schiffe aus ihrem Holz, schürten unsere Feuer damit und mahlten ihre Eicheln in Zeiten der Hungersnot zu Mehl. >Biografie einer EicheBiografie einer Eiche< ist das erste seiner Bücher, das auf Deutsch erscheint.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783832171209
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Erscheinungsjahr2021
Erscheinungsdatum16.07.2021
Auflage1. Auflage
Seiten208 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.5726488
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe


 

Die Honywood-Eiche lebt auf dem Landgut Marks Hall Estate im Norden von Essex. Der Baum steht in einer eigenen runden Umzäunung: Eine niedrige Einfriedung aus Holz trennt die alte Eiche von den Kiefern ringsum. Die Eiche wächst hier seit achthundert Jahren oder länger. Ihr Stamm ist knorrig und gerippt, er hat einen Umfang von mehr als acht Metern. Ihr weit ausgebreitetes grünes Blätterdach streckt sich dreißig Meter hoch in den Frühlingshimmel. Der Baum war noch ein Schössling, als die Magna Charta unterzeichnet wurde und König Johann England regierte. Als Vierhundertjähriger schützte er mit seiner Krone die Soldaten im Englischen Bürgerkrieg. Damals war Sir Thomas Honywood der Besitzer von Marks Hall, ein Anführer der Parlamentsanhänger, der 1648 an der Belagerung der nahe gelegenen Stadt Colchester teilnahm; später wurde diese prachtvolle alte Eiche nach ihm benannt.

-

Einst gab es auf diesen Ländereien viele Eichen, Hunderte dicht aneinandergedrängter alter Bäume. Heute gibt es hier nur noch eine. Eine einzige, einsame Gestalt, die auf genau diesem Quadratmeter Erde vor achthundert Jahren geboren wurde und in einem Wimpernschlag der Zeit von einer Eichel zu einem mächtigen Baum heranwuchs. Eines Tages kam ich, um diese Eiche zu sehen, die vor so langer Zeit, so weit jenseits der Erinnerung jedes lebenden Menschen geboren wurde. Ich saß in ihrer Gegenwart und wusste: Hier herrscht Frieden.

Neben dem Kutschenhaus, wo ich bei jedem Besuch mein Auto parkte, gelangt man durch ein einfaches Holztor ins Herz des Landguts. In jenem Augenblick, in dem ich durch dieses Tor trat, geschah etwas wahrhaft Magisches, eine Form der Verwandlung, die es mir erlaubte, alle Sorgen abzuwerfen, die sich auf meinen Schultern angehäuft hatten. Jenseits des Tores erwartete mich eine andere Welt.

Gleich hinter dem Tor befindet sich ein Obstgarten, durch den ich immer zu dem Bach hinunterging, der sich durch das Landgut schlängelt. Ein gewundener Pfad führt zu einer Steinbrücke neben einem See. Jenseits davon steht die Honywood-Eiche. Das Ritual dieses kurzen Spaziergangs fühlte sich an wie der Weg zurück ins Paradies. Durch das Tor in den Obstgarten, hinunter zum See, über die Brücke, hinauf zur alten Eiche. Die Reise dauerte nur ein paar Augenblicke. Aber in dieser kurzen Zeit fiel jegliche Bürde von mir ab.

21. Juni

Ich werde von Jonathan Jukes begrüßt, einem ruhigen, bescheidenen Menschen. Seine Berufsbezeichnung lautet »Baumkonservator«. Wir gehen vom Kutschenhaus hinunter ins Tal und über die Steinbrücke. Ich schaue zur Eiche hinüber, während Jonathan mir die Geschichte der dreihundert anderen alten Eichen erzählt, die ebenfalls auf diesen Ländereien wuchsen und einst zu einem riesigen Wildpark gehörten. In den 1950er-Jahren wurde dieser Eichenbestand wegen seines wertvollen Holzes fast vollständig gefällt. Vier jüngere, etwa dreihundert Jahre alte Bäume neben dem Garten des Wildhüterhäuschens wurden verschont. Sie leben noch heute. Der verbrannte Rest eines weiteren alten Baumes, der »Schreiende Eiche« genannt wird, ist verkrüppelt und entstellt, konnte aber dennoch Leben in seinen Ästen bewahren. Nur eine der wahrhaft alten Eichen blieb verschont: die Honywood-Eiche. Sie ist die einzige intakte Überlebende.

Die Honywood-Eiche wächst an der Grenze eines Gebiets, das einst aus tausend Hektar uralten Waldes bestand. Warum ausgerechnet diesem Baum Axt und Säge erspart blieben, ist ein Rätsel. Der Mann, der am längsten darüber nachgedacht hat - Jonathan Jukes, der heutige Hüter dieses anmutig alternden Baumes -, glaubt, der Baum müsse für Thomas Phillips Price, den damaligen Eigentümer des Landguts, eine besondere Bedeutung gehabt haben.

»Es könnte gut sein, dass Phillips Price die Aussicht auf die prächtige Krone vom Fenster im Obergeschoss des Haupthauses aus gefiel«, vermutet Jonathan. »Ein Foto aus jener Zeit zeigt eine Bank, die an den Eichenstamm gelehnt ist.«

Er könnte es genossen haben, unter dem Schirm aus Eichenlaub zu sitzen, der sich in jedem Frühjahr entfaltete - einen kurzen Moment im kühlen Schatten des Baumes zu verbringen, geschützt vor der sommerlichen Sonnenhitze. Thomas Phillips Price starb 1932. Das Haupthaus verfiel und wurde 1950 abgerissen. Die Wahrheit ist: Kein lebender Mensch weiß, warum ausgerechnet dieser alte Baum als Einziger den Kahlschlag der dreihundert anderen alten Eichen überlebt hat, die viele Jahrhunderte lang glücklich und zufrieden in dieser abgelegenen Ecke Englands vor sich hin gelebt hatten.

Es ist ein klarer Sommertag mit blauem Himmel. Die Kiefern, zwischen denen wir stehen, wurden als Ersatz für die Eichen gepflanzt. In dieser kurzen Zeitspanne sind sie bis auf die Höhe der Honywood-Eiche emporgeschossen und dominieren jetzt die Landschaft. Wir wandern durchs Unterholz dieser jungen Kiefernplantage. Eine Horde Schweine war hier losgelassen worden, um das störrische Brombeergeflecht abzufressen, das sich im Laufe der Jahre entwickelt hatte. Die Schweine haben den Boden sauber gefegt wie ein Staubsauger. Inzwischen, anderthalb Jahre nach dieser Grundreinigung, ist neues Leben entstanden. Prächtiger rosaroter Fingerhut ragt aus dem Boden; jahrelang schlummernde Samen sind jetzt ausgekeimt.

Jonathan erzählt von den 1950ern, als Trupps von Holzfällern im Wald auftauchten. Eine ortsansässige Firma namens Mann s führte die Arbeiten durch, die Wochen oder gar Monate gedauert haben müssen. Ich versuche, mir die Szenerie vorzustellen. Das Hacken und Sägen mit langstieligen Äxten und gespannten Zweimannsägen, die sich hin und her in das tiefe Fleisch der Bäume weben - und damit ins Herz der Wälder.

In seiner Anatomie der Melancholie von 1621 verwendete Robert Burton die fast sprichwörtliche Zeile »eine alte Eiche wird nicht auf einen Streich gefällt«.1 Ein paar Jahrhunderte später beschreibt Thomas Hardys Gedicht »Throwing a Tree« das Fällen eines Baumes durch »zwei Henker«, die »zwei Äxte tragen, mit schweren Köpfen, glänzend und breit, / Und eine lange, schlaffe Zweihandsäge, gezähnt zum Schneiden«. Die letzte Zeile von Hardys Gedicht lautet:

»Und zweihundert Jahre währendes Wachstum endet in weniger als zwei Stunden.«2

Und wie lange dauerte es, eine achthundertjährige Eiche zu fällen?

»Neulich habe ich bei einer Beerdigung jemanden getroffen, der damals dabei war«, erzählt Jonathan, »der mitgeholfen hat, die uralten Bäume abzuholzen. Es könnte gut sein, dass es in den Dörfern hier noch andere gibt, die sich vor sechzig Jahren als junge Männer ein paar Schillinge verdienten, indem sie Bäume in Holz verwandelten.«

Wenn ja, werden sie jetzt alte Männer sein.

Ronald Blythe erzählte mir vor nicht allzu langer Zeit, dass die Landbevölkerung alte Eichen genau deshalb liebe, weil sie eine physische Möglichkeit bieten, mit den eigenen Vorfahren Zwiesprache zu halten und ihrer zu gedenken. Oft stehen sie im Zentrum des Dorflebens, entweder auf dem Dorfanger oder neben den ausgetretenen Pfaden, die sich an Hecken und Feldern entlangwinden. Diese Bäume dienen als Leitungen; sie verbinden uns mit denjenigen, die vor uns gegangen sind. Geliebte Eltern, Tanten, Onkel, Großeltern früherer Generationen haben die zerfurchte Baumrinde an ebender Stelle berührt, an der jetzt lebendige Hände über die gleiche raue Haut streichen. In dem einfachen Akt des Berührens einer alten Eiche liegt ein Gefühl der körperlichen Verbundenheit und damit der kraftvollen Erinnerung.

»Man hat ihnen unrecht getan«, sagt Jonathan, während wir durch die flimmernden Schatten gehen.

Er spricht über die Eichen, die hier gefällt wurden, davon, dass man ihnen das Leben genommen habe. Wir sind wieder an der Honywood-Eiche angekommen. Der Baum hat ein hohes Alter erreicht. »Er wächst wieder nach unten«, sagt Jonathan. Wie die letzten überlebenden Holzfäller, die vor sechzig Jahren in diesen Wäldern ihre Äxte schwangen, richtet sich die Eiche auf einen friedlichen Lebensabend ein.

»Sie waren nicht alle so alt wie die Honywood-Eiche, oder?«, frage ich.

»Nein«, antwortet Jonathan. »Ich glaube nicht. Aber es gab einige von beachtlichem Alter, und mit Sicherheit waren ein paar Bäume größer.«

»Also noch älter als die Honywood-Eiche?«, frage ich.

»Ich denke schon«, sagt Jonathan.

Er erzählt, es gebe ein Verzeichnis aller bedeutenden Eichen, die einst auf diesen Ländereien gewachsen seien; es werde im Archiv von Marks Hall aufbewahrt. Nachdem Thomas Phillips Price das Gut 1897 kaufte, ließ er seinen Grundstücksverwalter alle größeren Eichen vermessen; ihre Höhe und ihr Umfang sind in Kladden verzeichnet, die heute noch besichtigt werden können.

»Dort bekommst du eine Vorstellung von der Größe und Gestalt der Eichen, die damals im Wildpark standen.«

Ich schaue mich um, sehe die hohen Gestelle der Kiefern ringsum. Ich versuche, uralte Eichen zu sehen. Es ist schwierig - schwierig, sich das Ausmaß des Verlusts vorzustellen.

»Sie hätten nie gefällt werden dürfen«, stellt Jonathan fest. »In Thomas Phillips Price Testament steht: Die Eichen dürfen niemals geschlagen werden. «

Aber es geschah dennoch.

Vor hundert Jahren trugen die alten Eichen von Marks Hall keine individuellen Namen; sie wurden kollektiv »die Honywood-Eichen« genannt. Irgendwann, nachdem diese Honywood-Eichen im Wildpark in den 1950ern ausgemerzt worden waren, wechselte der Name in den Singular.

Angesichts dieses Verlusts überkommt mich ein Gefühl echter Trauer.

Alte Eichen haben immer unsere Zuneigung geweckt, oft aber auch unsere...
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Autor

JAMES CANTON leitet seit 2009 den Studiengang Wild Writing an der University of Essex. Er unterrichtet kreatives Schreiben mit besonderem Schwerpunkt auf narrativer Non-Fiction. Zudem schreibt er für Zeitungen und ist regelmäßig Gast im britischen Fernsehen und Radio. Bislang hat er drei Bücher veröffentlicht. >Biografie einer Eiche