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Der Palast

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
352 Seiten
Deutsch
Lagoerschienen am12.12.2021
Berlin, Hauptstadt der DDR, im Frühling 1989. Noch liegt das Land im politischen Dornröschenschlaf - die alten Genossen regieren und glauben an einen unbesiegbaren Sozialismus. Im Friedrichstadt-Palast schert man sich nicht um die morbide Staatspolitik. Hier wird die große Show Jubiläum als Höhepunkt des 40. Jahrestages der DDR vorbereitet. Es geht es um Höchstleistungen für die Tänzer, die Musiker, für Regie und Technik. Christine Steffen, Tänzerin in der berühmten Girlreihe, wird endlich ihr lang ersehntes erstes Solo bekommen. In diesen aufregenden Stunden, die Christines Karriere eine entscheidende Wendung geben sollen, steht sie plötzlich ihrer Doppelgängerin gegenüber. Schnell stellt sich heraus: Marlene ist Chris' unbekannte Zwillingsschwester aus Bayern. Was ist geschehen, dass die Schwestern getrennt wurden? Warum wussten sie nichts voneinander? Chris und Marlene beschließen, ihrer ost-westdeutschen Familiengeschichte auf den Grund zu gehen. Zwei Frauen auf der Suche nach ihren Wurzeln, vor dem Hintergrund der Deutschen Teilung und Wiedervereinigung. Berührend, aufwühlend und versöhnend.mehr
Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR24,00
E-BookPDF1 - PDF WatermarkE-Book
EUR20,99
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR20,99

Produkt

KlappentextBerlin, Hauptstadt der DDR, im Frühling 1989. Noch liegt das Land im politischen Dornröschenschlaf - die alten Genossen regieren und glauben an einen unbesiegbaren Sozialismus. Im Friedrichstadt-Palast schert man sich nicht um die morbide Staatspolitik. Hier wird die große Show Jubiläum als Höhepunkt des 40. Jahrestages der DDR vorbereitet. Es geht es um Höchstleistungen für die Tänzer, die Musiker, für Regie und Technik. Christine Steffen, Tänzerin in der berühmten Girlreihe, wird endlich ihr lang ersehntes erstes Solo bekommen. In diesen aufregenden Stunden, die Christines Karriere eine entscheidende Wendung geben sollen, steht sie plötzlich ihrer Doppelgängerin gegenüber. Schnell stellt sich heraus: Marlene ist Chris' unbekannte Zwillingsschwester aus Bayern. Was ist geschehen, dass die Schwestern getrennt wurden? Warum wussten sie nichts voneinander? Chris und Marlene beschließen, ihrer ost-westdeutschen Familiengeschichte auf den Grund zu gehen. Zwei Frauen auf der Suche nach ihren Wurzeln, vor dem Hintergrund der Deutschen Teilung und Wiedervereinigung. Berührend, aufwühlend und versöhnend.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783957623010
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Verlag
Erscheinungsjahr2021
Erscheinungsdatum12.12.2021
Seiten352 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse2107 Kbytes
Artikel-Nr.5737463
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe

ERSTES KAPITEL



Auf einem Flug zwischen Bangkok und Berlin ist Zeit für eine lange Geschichte. Wie ich das Mädchen mit den Mauersteinen kennenlernte.


Vor fast zwanzig Jahren hielt ich mich zu Recherchen in Thailand auf. Eine Zeitungsmeldung, dass ein achtjähriger siamesischer Junge nach einem Flugzeugabsturz über dem Dschungel einen großen Teil der Passagiere gerettet hatte, inspirierte mich zu einer Geschichte. Unter den Geretteten war auch eine deutsche Familie. Später war der Junge an Krebs erkrankt, zufällig erfuhr jene Familie davon und holte ihn zu einer Behandlung nach Deutschland.

Ich hatte mich einige Tage in Chiang Mai im Norden Thailands aufgehalten und in einem Dorf im Regenwald mit den Einheimischen gelebt. Es waren bewegende Tage. Als ich meine neuen Freunde verließ, um nach Bangkok weiterzureisen, waren sie Teil meiner Geschichte geworden und ich trug sie in meinem Herzen.

In Thailands Hauptstadt überraschten mich die unzähligen jungen Europäer, Männer und Frauen, die sich trotz Hitze, Staub und Armut der einheimischen Bevölkerung in den Hostels eingerichtet hatten und das Nachtleben genossen. Ich besichtigte die goldenen Tempel und fuhr den breiten Fluss auf und ab. In den Abendstunden saß ich auf kühlen Terrassen und schrieb. Wo ich auch war, boten mir Straßenhändler ihre Souvenirs an, bunte Sonnenschirme, kleine Gottheiten aus Stein, Gusseisen oder Kunststoff, Lampions und Blumenketten aus Papier. Zu meiner großen Verwunderung waren im Sortiment der Verkäufer auch Brocken der Berliner Mauer, die achtundzwanzig Jahre lang Ost- von Westberlin, Ostdeutschland von Westdeutschland, den Ostblock vom Westblock getrennt hatte. Diese schwer bewachte Grenze war das Symbol des Kalten Krieges gewesen zwischen einem Teil der Welt und dem anderen.

Ich hatte im Osten des geteilten Landes, in der DDR, gelebt. Als ich zu denken anfing, gab es diese Mauer schon, und als ich erwachsen geworden war, fiel sie in einer Nacht. Der Kalte Krieg war plötzlich zu Ende gegangen. Die Menschen stiegen auf die Mauer, ließen die Sektkorken knallen und sangen in allen Sprachen. In den nächsten Monaten zerschlugen sie die Mauer als Symbol für den Frieden, der von nun an ihr Leben bestimmen sollte. Deutschland wurde wieder ein vereintes Land.

Und nun, Jahre nach diesem spektakulären Ereignis, entdeckte ich in Bangkok Mauersteine aus meiner Heimat und fragte mich, wie die wohl Tausende Kilometer weit hierhergekommen sein mochten. Es mussten Millionen sein, denn jeder fliegende Händler verkaufte sie. Wahrscheinlich waren diese Souvenirs inzwischen in vielen Ländern der Welt im Angebot. Einige Tage später auf dem Rückflug nach Berlin sollte ich mehr über die Steine erfahren.

Ich verstaute mein Handgepäck im Fach über der Sitzreihe und schob mich auf meinen Platz. Am Fenster saß bereits eine junge Frau. Wir begrüßten uns auf Englisch, stellten aber schnell fest, dass wir beide Deutsche waren. Das machte die Nähe, die wir für über vierzehn Flugstunden haben würden, angenehm. Pünktlich hob die Maschine ab, wir richteten uns häuslich ein, um die Flugzeit so komfortabel wie möglich zu verbringen. Während ich meine Tasche unter die Füße schob, die Flugsocken anzog, Bücher und Laptop zurechtlegte, löste meine Nachbarin die Spange, mit der sie ihr langes blondes Haar am Hinterkopf festgesteckt hatte, und zog ihre Beine auf dem Sitz dicht an den Körper.

Ich hielt sie für eine der jungen europäischen Touristinnen, die ich im Nachtleben der thailändischen Hauptstadt beobachtet hatte. »Wie lange waren Sie in Bangkok?«, wollte ich wissen.

»Fast zwei Jahre«, antwortete sie und streckte mir ihre schmale Hand entgegen. »Ich heiße Lilia. Von mir aus können wir du sagen.«

»Gern.« Ich ergriff ihre Hand, stellte mich vor und fragte neugierig: »Zwei Jahre? Studierst du in Bangkok oder arbeitest dort?«

»Ich habe mein eigenes Business gegründet«, sagte Lilia selbstbewusst.

»Wirklich?« Ich war verblüfft. »Was ist das für ein Geschäft?«

»Bist du aus dem Osten oder aus dem Westen?«, fragte sie statt einer Antwort.

»Ostberlin. Ich habe in der DDR gelebt«, erwiderte ich erfreut über ihr Interesse.

Sie kramte im Rucksack und holte zu meiner Überraschung einen dieser Mauersteine hervor, wie ich sie bei den Straßenhändlern gesehen hatte.

»Dann kennst du die Mauer so?« Sie zeigte mir die graue Seite des Brockens.

Ich nickte. Wie bei einem Zaubertrick drehte sie den Stein zwischen ihren Fingern herum. Der Stein war bunt geworden. Ich nahm ihn in die Hand. »Ja, für uns Ostdeutsche war die Mauer grau. Wir hatten keine Ahnung, dass sie im Westen bunt bemalt worden war.«

»Ich bin auch aus dem Osten«, erzählte Lilia. »Ich war zehn, als die Mauer fiel. Für mich hatte sie damals kaum eine Bedeutung. Erst wenige Monate vor ihrem Fall habe ich eine Ahnung davon bekommen, wie mächtig sie war.«

Ich gab Lilia den Stein zurück. »Hast du dieses Mauerstück von einem der fliegenden Händler gekauft?«

»Ich habe es selbst produziert.«

Verblüfft sah ich sie an.

»In meiner Fabrik besprühen wir Beton mit Graffiti, zerhacken ihn, und dann ab in die ganze Welt damit. Voilà!« Lilia präsentierte den Brocken wie einen Diamanten.

Das hieß, die Mauersteine der fliegenden Händler waren gar nicht echt? Dass ich darauf reingefallen war?

»Ist doch ein schönes Symbol.« Sie schenkte mir den Stein.

»Wieso hast du deine Fabrik in Bangkok gegründet und bist nicht in Berlin geblieben?«, wollte ich wissen.

»Mein Businesspartner ist Thailänder. Er wusste von der leer stehenden Fabrik.«

Lilias Gründergeist beeindruckte mich.

»Meine Tante hat mich unterstützt«, erzählte sie weiter. »Sie ist Unternehmerin in Bamberg. Als sie von meiner Idee hörte, hat sie mir Startkapital vorgeschossen. Ich habe es ihr schon nach einem Jahr zurückzahlen können. Zinsen wollte sie nicht.«

Ich nickte anerkennend.

»Dabei habe ich die ersten neun Jahre meines Lebens nicht einmal gewusst, dass ich eine Tante habe.« Lilia schloss die Augen und ein Leuchten ging über ihr Gesicht.

»Wir sind eine verrückte Familie, musst du wissen. Bei uns läuft alles anders.«

Die Stewardessen unterbrachen uns mit dem Essen. Wir klappten die Tische herunter und wählten, während wir über den Golf von Bengalen flogen, zwischen Fisch und Fleisch.

»Warst du schon mal im Friedrichstadt-Palast?« Lilias Gedankensprünge überraschten mich.

»Natürlich! Als Kind war ich manches Mal im alten Palast und habe dort Clown Ferdinand erlebt.« Vor meinem inneren Auge sah ich den Zuschauerraum, der einer halbrunden Arena glich. Prächtige Säulen hielten die Deckenkonstruktion. Wir Kinder klatschten und jubelten, wenn der tschechische Schauspieler Jiri Vrstala in Clownsmaske, weiten gestreiften Hosen, mit einer überdimensionalen Sonnenblume auf der bunten Jacke, Schirm und seinem Papagei auf der Bühne stand.

»Kennst du auch den neuen Palast, der wie ein orientalisches Gebäude aussieht?«, wollte Lilia wissen und meinte den 1984 eröffneten Friedrichstadt-Palast.

Ich nickte amüsiert. »Die Berliner haben ihn aserbaidschanischen Bahnhof genannt, und es ging das Gerücht, dass das Bauwerk eigentlich für einen arabischen Scheich konzipiert worden war. Angeblich machte er im letzten Augenblick einen Rückzieher. Die DDR saß auf den Bauteilen und entschloss sich, damit das neue Revuetheater aufzubauen.«

Wir lachten über die moderne Legendenbildung. Die wirkliche Geschichte war, dass der alte Friedrichstadt-Palast, der Ende des 19. Jahrhunderts neben den Stadttoren Berlins als Markhalle errichtet worden war, die Bauarbeiten des Hochhauses des Berliner Klinikums Charité nicht überstanden hatte. Das Grundwasser fiel und damit wurden die Stützpfeiler des alten Palastes morsch. Er musste wegen drohender Baufälligkeit geschlossen werden. Aber weil die DDR-Staatsführung die leichte Unterhaltung liebte und die Tänzerinnen mit dem Gardemaß von einem Meter dreiundsiebzig, die allabendlich ihre Beine im Gleichtakt schwangen, wurde ein neuer, moderner Palast ein paar Hundert Meter weiter geplant, genau auf dem Platz, auf dem die preußische Armee bis zum Ende der Kaiserzeit ihre Exerzierübungen hatte stattfinden lassen. Dieser gigantische Revuepalast, dessen Bühne bereits damals, Anfang der Achtzigerjahre, alle europäischen Pendants übertraf, wurde in nur knapp vier Jahren hochgezogen, und das unter den Bedingungen der ewigen Materialknappheit in der DDR. Auch heute noch weiß niemand so richtig, was das Bauwerk gekostet hat. Über einhundertsechzig volkseigene Betriebe sollen in Sonderschichten gearbeitet...

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