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Sutters Glück

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
335 Seiten
Deutsch
C.H. Beckerschienen am01.02.20231. Auflage
Um in Berlin ein neues Buch zu schreiben, verlässt A., ein Schriftsteller von siebzig Jahren, die Schweiz - und seine Ehe. Er hat beschlossen, seine Krebsbehandlung abzusetzen, dafür aber einer Figur, die er in seinem letzten Roman sterben ließ, ein zweites Leben zu bescheren. Man kann in A.s Vorsatz die Wette zwischen Kunst und Leben wiederfinden, die in der westlichen Literatur Tradition hat. Dabei stößt sie mit einer frohen Botschaft zusammen, welche die Frage durch einen Erlöser für entschieden hält, dem man nur noch glauben muss. Indem A. der Einladung folgt, in Ostdeutschland eine Weihnachtspredigt zu halten, setzt er sich dieser Versuchung aus - aber erlebt auch andere, mit denen er nicht gewettet hat. Er erfährt, dass er über Figuren seiner Erfindung so wenig allein verfügen kann wie über andere Menschen, denen er begegnet. Dafür, dass es am Ende der ursprünglichen Wette fast nur Gewinner gibt, ist allerdings eine List der Kunst nötig: die Aufführung der Tragikomödie «Amphitryon» an einem Ort zwischen Ozean und Wüste, der selbst etwas Märchenhaftes hat. Dabei macht sich hinter der Szene schon ein Spielverderber bemerkbar: ein viraler Parasit, der die Errungenschaften des Homo sapiens als Selbstbetrug zu entlarven droht.

Adolf Muschg war u.a. von 1970 - 1999 Professor für deutsche Sprache und Literatur an der ETH in Zürich und von 2003 - 2006 Präsident der Akademie der Künste Berlin. Sein umfangreiches Werk, darunter die Romane «Sutters Glück» (2004), «Eikan, du bist spät» (2005) und «Kinderhochzeit» (2008) wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, darunter der Hermann-Hesse-Preis, der Georg-Büchner-Preis, der Grimmelshausen-Preis und zuletzt der «Grand Prix de Littérature» der Schweiz.
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Verfügbare Formate
BuchKartoniert, Paperback
EUR22,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR16,99

Produkt

KlappentextUm in Berlin ein neues Buch zu schreiben, verlässt A., ein Schriftsteller von siebzig Jahren, die Schweiz - und seine Ehe. Er hat beschlossen, seine Krebsbehandlung abzusetzen, dafür aber einer Figur, die er in seinem letzten Roman sterben ließ, ein zweites Leben zu bescheren. Man kann in A.s Vorsatz die Wette zwischen Kunst und Leben wiederfinden, die in der westlichen Literatur Tradition hat. Dabei stößt sie mit einer frohen Botschaft zusammen, welche die Frage durch einen Erlöser für entschieden hält, dem man nur noch glauben muss. Indem A. der Einladung folgt, in Ostdeutschland eine Weihnachtspredigt zu halten, setzt er sich dieser Versuchung aus - aber erlebt auch andere, mit denen er nicht gewettet hat. Er erfährt, dass er über Figuren seiner Erfindung so wenig allein verfügen kann wie über andere Menschen, denen er begegnet. Dafür, dass es am Ende der ursprünglichen Wette fast nur Gewinner gibt, ist allerdings eine List der Kunst nötig: die Aufführung der Tragikomödie «Amphitryon» an einem Ort zwischen Ozean und Wüste, der selbst etwas Märchenhaftes hat. Dabei macht sich hinter der Szene schon ein Spielverderber bemerkbar: ein viraler Parasit, der die Errungenschaften des Homo sapiens als Selbstbetrug zu entlarven droht.

Adolf Muschg war u.a. von 1970 - 1999 Professor für deutsche Sprache und Literatur an der ETH in Zürich und von 2003 - 2006 Präsident der Akademie der Künste Berlin. Sein umfangreiches Werk, darunter die Romane «Sutters Glück» (2004), «Eikan, du bist spät» (2005) und «Kinderhochzeit» (2008) wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, darunter der Hermann-Hesse-Preis, der Georg-Büchner-Preis, der Grimmelshausen-Preis und zuletzt der «Grand Prix de Littérature» der Schweiz.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783406776373
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Verlag
Erscheinungsjahr2023
Erscheinungsdatum01.02.2023
Auflage1. Auflage
Seiten335 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse841 Kbytes
Artikel-Nr.7061071
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

19

Entschuldige, sagte der Mann vor der Haustür, dem Sutter nach mehrfachem Klingeln geöffnet hatte, aber dein Telefon antwortet nie.

Das lernt es nicht, sagte Sutter.

Es gäbe Telefonbeantworter, sagte der Besucher.

Der Telefonbeantworter wäre ich, sagte Sutter.

Fritz pflegte sein Gesicht in schöner Selbstverspottung »tausendfältig« zu nennen, und seine auffällig blauen Augen strahlten nicht nur: sie schienen das Strahlen erfunden zu haben. Jetzt aber schleuderten sie Blitze, und die tausend Falten vibrierten, als stünde Fritz unter Strom. Er schluckte, und man konnte seinem ruckweise hüpfenden Kehlkopf ansehen, was er verschluckte: Emil, es reicht. Statt dessen sagte er wohlerzogen: Müssen wir vor der Tür reden?

Sie bleibt zu, sagte Sutter, sonst entwischt die Katze. Es scheint, sie kennt ihre eigene Wohnung nicht mehr. Sie bleibt ein paar Tage drin. Komm ums Haus, wir setzen uns in den Garten.

Sutters Haus war das letzte in einer Doppelkette von zwei mal elf sechseckigen Fünfzimmerhäusern, die, 1973 erbaut von Peter A. Schlaginhauf, nach seinem Willen POLYMER heißen sollten. Doch hatte die Behörde die Baubewilligung nur mit der Auflage erteilt, daß ein alter Flurname zu Ehren komme. So hieß die damals zukunftweisende Siedlung »Im Hummel«.

Inzwischen paßte die Bezeichnung auch besser zu ihr. Denn das genossenschaftliche Band, das die POLYMER-Zellen zusammengehalten hatte, war längst zerrissen. Der Suttersche Haushalt, schon zu Beginn nicht das verläßlichste Glied der Kette, hatte ihr südwestliches Ende gebildet. Und diese Randlage war die gleiche geblieben, als sich die Belegschaft der Siedlung in zwanzig Jahren verändert hatte, wenn auch nicht im Geist ihrer Gründer. Der geglättete Sichtbeton, damals ein Bekenntnismaterial, mußte sich jetzt jede mögliche Kaschierung gefallen lassen, denn er galt wieder als kalt und unmenschlich. Aus den Häusern mit Atelier-Charakter, die anzeigten, daß hier, wo nicht Künstler, so doch freiberufliche Gestalter ihres Lebens wohnten, waren durch Tüllgardinen, ondulierte Sonnenstoren und reichlich Geranienrot putzige Heimchen geworden, die - da ihnen der große Entwurf abhanden gekommen war - nur noch zu klein wirkten und mit ihrem allgegenwärtigen, jede Lücke stopfenden Zierat Platzangst verrieten.

Die Gründer ließen sich nur noch blicken, um als Vermieter nach dem Rechten zu sehen. So auch Fritz und Monika, die ihr Haus einem indischen Informatiker und seiner Familie überlassen hatten, nachdem sie als Leiterpaar an eine besonders schön gelegene Evangelische Tagungsstätte - anderswo hätte sie Akademie heißen dürfen - berufen worden waren. Den Künstler von Ballmoos hatte es mit seiner Frau Leonore im »Hummel« noch weniger lange gehalten. Die späten siebziger Jahre bescherten ihm den Aufstieg zu internationaler Geltung, und um sich in ihr zu befestigen, hatte er nicht nur ein größeres Atelier, sondern auch ein stärkeres Milieu nötig; er war nicht mehr der Typ für ein gutgemeintes Reihenhaus. Selbst der Architekt Schlaginhauf verließ sein Werk, nachdem es ihm als Stufe und Sprungbrett in ganz andere Dimensionen gedient hatte. Er ließ inzwischen gleichzeitig in St. Petersburg, Basel und Los Angeles bauen, und zum Wohnen kam er gar nicht mehr.

Sutters, nur sie, kinderlos, waren bis zu diesem Tag auf ihrer Wabe sitzen geblieben; jetzt also saß Sutter allein. Die Randlage an der grünen Wiese, die vom Vieh des nahen Mustergutes beweidet wurde, besaß ihre Vorteile; im Augenblick den, daß Sutter mit Fritz, um bei verschlossenen Türen in seinen Garten zu gelangen, keinen halben Kilometer zu gehen brauchte. Der Umweg führte, am Rand des Buschwerks, das ein Rinnsal begleitete, außen an der eigenen Mauer entlang. Diese verlängerte sich noch um ein fensterloses Stück und umfing den sechseckigen Garten mit einem Knick im schon etwas verwahrlosten Beton.

Die beiden Männer gingen schweigend, Sutter voran, noch erkennbar behindert. Nur ein paar Schritte weg vom »Hummel«, und man fand sich in ländlichem Dickicht, jedenfalls wenn Berberitze, Hartriegel, Schneeball und Schwarzdorn im sommerlichen Laub standen. Zur Zeit blickte man durch die knospende Vergitterung, die schon in verschiedenen Weißtönen zu blühen anfing, auf die Weide dahinter und eine Düne braunen sonnigen Ackerlands.

Nach diesem Rundgang betraten die Freunde das Grundstück wieder von hinten oder außen und hatten es nur noch ein paar Schritte durch einen nach oben offenen Innenraum - Schlaginhaufs Idee - bis zu der mit schwarzem Schiefer belegten Terrasse. Sie lag geschützt unter dem verglasten Oberstock, dessen Atelier-Prätention nicht ganz ernst zu nehmen war, da er zur Sonnenseite blickte. Um so eher eignete er sich als Wintergarten und wurde von Sutters auch so genützt. Das Mobiliar war wetterfest, auf dem Sutter seinen Gast nun bitten konnte, Platz zu nehmen, bis er die wünschbare Erfrischung gebracht habe. Denn bereits fiel kräftiges Sonnenlicht durch die Lücke, die der Architekt dem windstillen Garten gegönnt hatte.

Sutter betrat sein Haus mit gebotener Vorsicht. Denn die Katze stand hinter der Glastür, in der Erwartung, daß diese sich auch nur einen Spalt öffne. Sutter deckte den Fluchtweg mit einem Bein ab, packte die zappelnde Katze und trug sie ins Bad, den einzigen verschließbaren Raum im Haus. Von da war ihr Protest durch alle Wände zu vernehmen.

Sutter schenkte ein und hob das Glas mit dem fast wasserhellen Räuschling, Ruths bevorzugtem Tropfen aus der nahen Seegegend.

Dein Wohl, sagte Fritz. O Emil, wenn ich gewußt hätte ...

Ich weiß, sagte Sutter und betrachtete die blutige Kratzspur auf seinem Handrücken.

In OFritzens tausendfältiges Gesicht kehrte der eben noch beherrschte Unmut zurück. Was, bitte, weißt du? fragte er.

Ihr hättet mich besucht, nach meinen Wünschen gefragt, mit den Ärzten gesprochen, wenn nötig mit der Polizei. Ihr hättet mir Blumen gebracht, Lektüre, Kleider und Wäsche, und natürlich hättet ihr so lange die Katze versorgt.

Ich, stellte OFritz mit leidender Miene richtig, ich hätte das alles getan, aber sicher. Wir nicht. »Wir« gibt es nicht mehr. Monika ist ausgezogen.

Ohne ihn anzusehen, sagte Sutter: O Fritz. Nicht schon wieder.

Definitiv, sagte Fritz mit Grabesstimme. Wir haben uns getrennt. Sie will sich trennen. Sie hat sich verliebt.

Das hattet ihr schon, sagte Sutter ungerührt und sah an OFritzens waidwundem Blick vorbei.

Aber nicht so, sagte OFritz. So noch nie. Jetzt will sie leben.

Mit wem? fragte Sutter.

Sie hat ihn in St. Velten kennengelernt, sagte OFritz bitter.

Aha, sagte Sutter, in St. Velten. Da, wo ihr Ruth hingeschickt habt. Zur Selbsterfahrung. Kein guter Ort.

Ein Arzt aus Pirmasens, sagte OFritz. Nicht mal geschieden. Aber zwei Töchter. Teenager.

Die werden Monika bald vertrieben haben.

Im Gegenteil, zürnte OFritz. Gerade die lassen sie nicht los. Endlich haben sie eine Bezugsperson. Ihre Mutter ist suchtkrank, Morphium und Alkohol. Monika ist schon seit einer Woche da. Sie lebt schon da. In Pirmasens!

Und was sagen eure Kinder dazu? fragte Sutter.

Alex gar nichts, wie immer, erwiderte OFritz mit schwankender Stimme, und Bettina findet ihre Mutter ganz toll. OFritz schluckte unaufhörlich, und seine tausend Falten ertranken in Bitternis. Oh, Fritz, hätte Sutter am liebsten zu ihm gesagt, aber Fritz hätte die Anrede als Hohn mißverstanden. Der Übername beruhte auf Rückübertragung, denn Fritz, Ratgeber aus Pflicht und Neigung, pflegte tröstend gemeinte Betrachtungen mit diesem Wehlaut einzuleiten: Oh, Emil. Oh, Ruth. Und jetzt also: oh, Monika. Nun war er es selbst, der des Trostes bedurfte, in der durchbohrenden Gewißheit, daß es ihn nicht gab. Fritz war untröstlich, und keine Erinnerung an das größere Leid der Welt und die Tränen aller Dinge konnte ihm dienen. Einer der Erst-Genossenschafter - der schnöde Künstler - hatte OFritz hinter seinem Rücken eine echt irische Herkunft nachgesagt. Er sei Samuel Beckett in Volksausgabe.

Ich kann einpacken, Emil, sagte er. Die Landeskirche hat uns als Leiterehepaar angestellt. Wenn Monika aussteigt, werden die Verträge hinfällig.

Dann kommt sie wieder, sagte Sutter. Von dir kann sie einmal Urlaub nehmen, das habt ihr schon durchexerziert. Aber einem Vertrag läuft sie nicht davon.

Ist die Ehe kein Vertrag? fragte OFritz, und seine Augen strahlten wieder, aber von tiefem Vorwurf. Und was heißt: von mir kann sie mal Urlaub nehmen? Was soll das heißen?

Gefühl, sagte Sutter, ist nicht einklagbar. So etwas habe ich schon gehört. Von euch, Monika und dir.

Von mir nicht, sagte Fritz grollend. Und von Monika nur, wenn es ihr eingeflüstert wird. Leos Werk.

Leo ist die einzige erwachsene Frau, die wir kennen, habe ich gehört. Von euch. Am Kaminfeuer, bei der Krise nach eurer Heidenweihnacht. Damals war es ein Treuhänder aus Langenthal. Den habt ihr dann mit Leonore besprochen. Das war dein Wort, Fritz. Es habe seinen magischen Sinn wiedergewonnen. Dank Leonore.

Ja, sagte Fritz trübe, sie ist eine Hexe. Leo ist eine ausgewachsene Hexe. Ein Satansbraten.

Na, sagte Sutter. Damals war sie ein Engel der Reife und Vernunft.

Du kennst sie nicht, sagte Fritz. Ja, sie redet mit Engelszungen. Wie Korinther 13. Was sie anrührt, wird windelweich. Und dann fällt es in sich zusammen. So hat sie s gern. Ist dir eigentlich klar, daß sie in ihrem Umkreis noch jede Ehe zerstört hat? Ihre eigene zuerst?

Das überrascht mich, sagte Sutter. Sie war es doch, die verlassen wurde, von Jörg, dem Händler mit Schrott.

Ja, sagte...
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Autor

Adolf Muschg war u.a. von 1970 - 1999 Professor für deutsche Sprache und Literatur an der ETH in Zürich und von 2003 - 2006 Präsident der Akademie der Künste Berlin. Sein umfangreiches Werk, darunter die Romane «Sutters Glück» (2004), «Eikan, du bist spät» (2005) und «Kinderhochzeit» (2008) wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, darunter der Hermann-Hesse-Preis, der Georg-Büchner-Preis, der Grimmelshausen-Preis und zuletzt der «Grand Prix de Littérature» der Schweiz.