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Die Stille vor Lilou

tolino mediaerschienen am01.07.2021
'Wenn man den Pfad der Vergeltung beschreitet, soll man zwei Gräber ausheben.' (Konfuzius) Jules Lefèvre ist Lehrer an der Public École im normannischen Lion-sur-Mer. Jules und seine Frau Malin genießen das Familienglück mit der kleinen Tochter Lilou. Doch dann zwingt ein Burn-out Jules, sich zu Hause einzuigeln. Die Genesung verläuft schwierig, denn seine Wahrnehmung ist getrübt. Er ist psychisch instabil und paranoid. Auch als ihm Paul Moreau, der Rektor seiner Schule, einen Besuch abstattet, misstraut Jules dessen Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft. Dennoch beschließt er schließlich, den Ratgeber über 'Achtsamkeit' zu lesen, den Moreau ihm zur Genesung mitgebracht hat. Als sich Jules endlich halbwegs erholt hat, schlägt das Schicksal erbarmungslos zu ... 'Korten macht aus dem pathologischen Verhalten der Protagonisten ein meisterhaftes Spiel um Wahrheit und Dichtung.' Westdeutsche Allgemeine Zeitung DEMNÄCHST AUCH ALS HÖRBUCH

Das Spezialgebiet der Bestseller-Autorin sind Thriller, Psychothriller und Romane. Sie schreibt außerdem Kurzgeschichten, Drehbücher und Romane. Ihre Thriller erreichten alle die Top-Ten-Bestsellerlisten vieler Ebook-Plattformen. Die Autorin schreibt für den Verlage und veröffentlicht auch selbst.
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Verfügbare Formate
BuchKartoniert, Paperback
EUR9,90
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EUR9,90

Produkt

Klappentext'Wenn man den Pfad der Vergeltung beschreitet, soll man zwei Gräber ausheben.' (Konfuzius) Jules Lefèvre ist Lehrer an der Public École im normannischen Lion-sur-Mer. Jules und seine Frau Malin genießen das Familienglück mit der kleinen Tochter Lilou. Doch dann zwingt ein Burn-out Jules, sich zu Hause einzuigeln. Die Genesung verläuft schwierig, denn seine Wahrnehmung ist getrübt. Er ist psychisch instabil und paranoid. Auch als ihm Paul Moreau, der Rektor seiner Schule, einen Besuch abstattet, misstraut Jules dessen Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft. Dennoch beschließt er schließlich, den Ratgeber über 'Achtsamkeit' zu lesen, den Moreau ihm zur Genesung mitgebracht hat. Als sich Jules endlich halbwegs erholt hat, schlägt das Schicksal erbarmungslos zu ... 'Korten macht aus dem pathologischen Verhalten der Protagonisten ein meisterhaftes Spiel um Wahrheit und Dichtung.' Westdeutsche Allgemeine Zeitung DEMNÄCHST AUCH ALS HÖRBUCH

Das Spezialgebiet der Bestseller-Autorin sind Thriller, Psychothriller und Romane. Sie schreibt außerdem Kurzgeschichten, Drehbücher und Romane. Ihre Thriller erreichten alle die Top-Ten-Bestsellerlisten vieler Ebook-Plattformen. Die Autorin schreibt für den Verlage und veröffentlicht auch selbst.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783752144000
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Erscheinungsjahr2021
Erscheinungsdatum01.07.2021
Seiten183 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1329
Artikel-Nr.7447671
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe


Ein Mann auf einer Mission

Ich fuhr gefährlich schnell auf Straßen, die dafür nicht ausgelegt waren. Ich musste unbedingt meine Gedanken ordnen. Und dazu musste ich mich ganz von der Welt zurückziehen. Nur dann konnte ich klarer sehen und in aller Ruhe nachdenken. Ich durfte nichts überstürzen und nichts Unüberlegtes tun. Ich wollte alle Umstände berücksichtigen, alle Möglichkeiten bis ins Kleinste vorher durchspielen, damit ich keine unliebsamen Überraschungen erlebte, die mich zum Improvisieren zwangen. Alles sollte perfekt sein, methodisch, durchdacht. Wenn mir in meinem Leben eine einzige Sache ohne den kleinsten Fehler gelingen sollte, dann diese.

Ich handelte nicht aus einem plötzlichen Impuls heraus. Ich hatte alles geplant, alles vorher bedacht, mir alles überlegt. Der Wahnsinn wies mir den Weg, und diesmal hatte ich beschlossen, auf ihn zu hören. Ich lieferte mich ihm mit Leib und Seele aus, damit er mich endlich leben ließ.

Als ich ein kleiner Junge war, war mein Verständnis von Vergeltung so simpel wie die Sprichwörter in Sonntagspredigten, die einem Rachegedanken ausreden sollten. Adrette kleine Moralsprüche wie Was du nicht willst, dass man dir tut, das füg auch keinem andren zu oder Ein Unrecht hebt das andere nicht auf . Denn doppeltes Unrecht konnte niemals Recht ergeben, weil ein zugefügtes Leid ja kein anderes ungeschehen zu machen vermag.

Ich habe das lange geglaubt, bin aber heute anderer Meinung. Bei der Vergeltung wie überhaupt im Leben führte jede Handlung zu einer ähnlichen, ihr entgegengesetzten Reaktion. Wie bei dem Duell zweier Revolverhelden kam es darauf an, schneller zu sein. Und wenn man aus dem Verborgenen zuschlug, hatte man einen Vorteil. Ich zweifelte nicht an der Genugtuung, welche die Vergeltung bot. Letztendlich würden die Schuldigen fallen.

Mein Smartphone leuchtete das erste Mal auf, als ich Plumetot längst hinter mir gelassen und gerade die Gemeindegrenze von Lion-sur-Mer überquert hatte. Ich war nicht überrascht, dass der Anrufer meine Mutter war. Eine angenehme Unruhe schlich sich in meinen Körper: Die Umsetzung meines Plans hatte begonnen.

Aber fast sofort wich diese Unruhe Zweifeln, und während ich mit hoher Geschwindigkeit über die holprige Straße raste, kamen mir alle erdenklichen Fragen in den Sinn: Warum hat es fast zehn Minuten gedauert, bis jemand bemerkt hat, dass ich dem Trauerzug nicht gefolgt bin? Was sagte mir das über mich und meine Familie? Würde mein Plan überhaupt funktionieren? War ich der Richtige für dessen Umsetzung? Oder wäre es besser gewesen, für diesen Job eine Schlägertruppe anzuheuern? Vielleicht sollte ich lieber umkehren? Wenn ich das jetzt tun würde, auf halber Strecke der D221, die Lion-sur-Mer mit Plumetot verband, könnte ich in der Kirche sein, bevor der Gottesdienst begonnen hatte, und den Platz zwischen meiner Mutter und meiner Schwiegermutter einnehmen. Sie würden meine verspätete Ankunft akzeptieren. Wenn ich meiner Mutter ins Ohr flüsterte, dass sie recht damit gehabt hatte, dass ich nicht selbst hätte fahren sollen, würde sie allenfalls die Hand beruhigend auf meinen Oberschenkel legen, mich versprechen lassen, mit ihr zurückzufahren und mich jetzt zu beruhigen; ich kannte meine Mutter gut genug. Danach würde alles so weitergehen, wie es von allen erdacht und beabsichtigt war; und das durfte ich nicht zulassen.

Meine Mutter gab nicht so schnell auf. Mein Smartphone klingelte etwa zwanzigmal, bis es wieder still wurde. Doch erst da traf mich der Zweifel mit voller Wucht. Ich trat mitten auf der Straße auf die Bremse und hielt an. Sofort griff der Herbstwind nach der hohen Karosserie meines Volkswagens, klopfte gegen die Scheiben, als wollte er mich anspornen.

Vor mir lag die schmale Straße, die sich durch die Wiesen schlängelte. Die Pappeln standen aufdringlich zu beiden Seiten des Asphalts, die dunkelgrauen Wolken schwebten wie Baldachine über ihnen.

Einen Moment lang schloss ich die Augen ...

Ich hatte bereits vor zwei Tagen die Entscheidung getroffen, nicht zur Beerdigung meiner Frau zu gehen. Mittwochabend blätterte ich am Esstisch durch die vier Fotoalben, die das kurze Leben unserer Tochter Lilou chronologisch ordneten. Ein Buch für jedes Jahr, das hatte sich Malin unmittelbar nach der Geburt unseres kleinen Mädchens ausgedacht. Damals hielt ich das für eine lächerliche Idee, denn was sollte unser Kind an seinem achtzehnten Geburtstag mit zwei Metern aneinandergereihter Fotobände?

Meine Eltern hatten mir drei Alben mit Fotos von mir geschenkt, als ich zu Hause auszog - ein guter Überblick über die Highlights meiner ersten zwanzig Jahre. Und jetzt, da ich meine beiden Frauen verloren hatte, erlaubten mir diese vier Alben, zu der anderen Lilou zurückzukehren, vor dem Bild, von dem ich mich nicht mehr befreien konnte, weil es meine Netzhaut nie wieder verlassen würde: Malins lebloser Körper in der Scheune neben unserem Haus. Er baumelte an einem der Fahrradhaken an der Decke und schwankte leicht hin und her, wie ein Boxsack nach einem Hieb.

Es war still in unserem Haus, stiller, als es jemals sein sollte. Ich hörte nur das Knarren der alten Balken unter der Last des Herbstwindes und das Knistern der Schutzblätter im Album.

Fasziniert schaute ich auf die Fotos, die ich vor vier Jahren während der Schwangerschaft geschossen hatte. Ich erinnerte mich an die Geburt von Lilou, als wäre es gestern gewesen, und vor allem an das unumkehrbare Glück, das meine Frau ausstrahlte, trotz der vierundzwanzig Stunden anhaltenden Wehen und der zwei Stunden, in denen Malin ihre Urkräfte mobilisieren musste, um Lilou zu gebären. Von dem Moment an, als der gekrümmte, klebrige kleine Körper an die Brust seiner Mutter gelegt wurde, strahlte Malins erschöpftes Gesicht vor Freude.

Aber jetzt, da meine Frau seit zwei Tagen tot war, konnte ich diese Freude auf keinem der Fotos wiederentdecken. Es kam mir vor, als hätte ich sie mir im Laufe der Zeit selbst ausgedacht.

Plötzlich spürte ich eine brachiale Wut in mir: Mein Kind und meine Frau wurden mir genommen, ihr Leben wurde ausgelöscht. Einfach so.

Ich öffnete die Augen und trat wieder auf das Gaspedal, aber ich ließ die Kupplung noch nicht los. Der Motor heulte kurz auf, dann war es wieder still ...

Nachdem ich die Fotoalben durchgeblättert hatte, schaltete ich den Fernseher ein und zappte kopflos durch die Sender, auf der Suche nach einer Ablenkung, nach etwas, um meine Wut zu kanalisieren. Ich blieb schließlich bei TV5Monde hängen und starrte auf den Actionfilm Sam, einen Streifen über einen Polizisten, dessen perfektes Leben in die Brüche geht, als seine Familie getötet wird. Sam nimmt Rache und avanciert zum kaltblütigen Killer. Der Ausgang stand fest: Die Verbrecher würden sterben, der Polizist überleben. Entschlossenheit lag im Blick des Mannes, seine eiskalte Ausführung sicherte ihm den Erfolg.

Auch meine Familie war tot, Frau und Tochter. Ich konnte nichts daran ändern, aber ihr Tod hatte alles für mich verändert. Ich sank tief in die Couch, und zum ersten Mal seit Tagen gelang es mir, mich zu entspannen. Die Vorhersehbarkeit und der unrealistische Charakter des Films hatten mich eingelullt und mir Ruhe geschenkt. Mir wurde bewusst, dass ich in meinem jetzigen Leben noch etwas zu Ende bringen wollte.

Meine Augenlider wurden schwerer, und mein Kopf sank zur Seite.

Warum siehst du dir das an, Jules?

Eine kleine Stimme wisperte in meinem Kopf. Ich setzte mich aufrecht hin.

Verdammt noch mal, glaubst du, es sei ein Zufall, dass dieser Film gerade heute Abend läuft?

Und ich sah weiter fern. Schaute auf den Polizisten, suchte nach dem, was sich hinter den Bildern verbarg, nach der Logik des Streifens. Am Ende, als alle Bösewichte getötet waren und der Held triumphierte, sah ich ihn mir genau an: Sam hatte nichts wiedergutmachen können, sein Schmerz würde für immer bleiben, aber dennoch wirkte er auf seltsame Weise befriedigt und befreit.

Nun war ich meiner Sache sicher: Diese Erfolgsgeschichte verdiente es, nachgezeichnet zu werden.

Jetzt, da ich auf der Straße zwischen den Wiesen stand, fragte ich mich jedoch, ob es wirklich das war, was ich wollte.

Ich war ein Lehrer, bei Gott, ein Mann mit einer Vorbildfunktion. Ich trichterte den Schülern immer wieder ein, dass sie ihre Energie besser darauf verwenden sollten, das Denken zu erlernen, denn nur die Kraft des Denkens bringe ihnen neue Schlussfolgerungen und könne verzehrende Emotionen in friedliche Erkenntnisse verwandeln.

Und nun stand ich selbst an der Schwelle zum Irrationalen. Bereit, sie zu überschreiten.

Aus Lion-sur-Mer näherte sich mir der Lieferwagen von Jacques Trémont, dem Blumenhändler aus unserem Dorf. Er hatte Blumen und Kränze für die Beerdigung geliefert. Ein unangenehmer Zufall. Der Fahrer verlangsamte den Wagen und fuhr im Schneckentempo an mir vorbei. Die Überraschung konnte ich in seinen Augen lesen. Ich nickte Jacques zu, nicht als Gruß, sondern als Bestätigung: Ja, ich bin es, Jules, der eigentlich gerade in einer Kirchenbank Rotz und Wasser weinen sollte.

Ich war aber auch der Mann, der eine Schuld zu begleichen hatte, der Mann mit einem Plan. Der Mann, der sich selbst wegzaubern würde.

In ein oder zwei Tagen, wenn ich offiziell als vermisst galt und mein Foto in den Zeitungen abgebildet war, würde Jacques besorgt zum Telefon greifen, um zu melden, dass er mein Auto mitten auf der Straße gesehen hatte, würde diesen Austausch von Blicken beschreiben, mein mechanisches Nicken, das man durchaus auch als...

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