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Pappel. Die Geschichte eines Herumtreibers

E-BookEPUB0 - No protectionE-Book
320 Seiten
Deutsch
Voland & Quisterschienen am09.09.20211. Auflage
3. Juli 1883. Während in Österreich-Ungarn Julie Kafka der Hebamme fest entschlossen in die Augen sieht und ihren ersten Sohn gebärt, ereignet sich im Gelbachtal ein nicht weniger großes Wunder: Der Spross einer Schwarzpappel erblickt das Licht der Welt. Schon bald löst diese sich von ihren Wurzeln und schreitet fortan als Konrad Pappel durch die Gefilde. Konrad, dessen Leben auf mysteriöse Weise mit jenem Franz Kafkas verbunden ist, nimmt den Leser mit auf einen wahnwitzigen Husarenritt durch die vergangenen 150 Jahre: an den Weltkriegen vorbei, durch den Eisernen Vorhang hindurch, bis in unsere Gegenwart hinein. Dalibor Markovi? zieht in seinem Debütroman alle Register und erweist sich dabei als großer Erzähler, der es mit dem mikroskopisch Kleinen ebenso wie mit den Weiten des Universums aufnehmen kann.

Dalibor Markovi?, 1975 geboren in Frankfurt am Main, wo er auch heute lebt, ist Autor, Lautpoet und Lyriker. Seit knapp zwanzig Jahren ist Markovi? mit seiner Spoken-Word-Lyrik auf deutschen und internationalen Bühnen unterwegs, außerdem gibt er regelmäßig Workshops zum Verfassen und Vortragen von Poesie. Einen zweiten Lebensmittelpunkt hat Markovi? in Mexico-City, wo auch ein großer Teil seines Debütromans 'Pappel' entstanden ist. Zuletzt erschienen: 'Und Sie schreiben auf Deutsch?'.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR24,00
E-BookEPUB0 - No protectionE-Book
EUR11,99

Produkt

Klappentext3. Juli 1883. Während in Österreich-Ungarn Julie Kafka der Hebamme fest entschlossen in die Augen sieht und ihren ersten Sohn gebärt, ereignet sich im Gelbachtal ein nicht weniger großes Wunder: Der Spross einer Schwarzpappel erblickt das Licht der Welt. Schon bald löst diese sich von ihren Wurzeln und schreitet fortan als Konrad Pappel durch die Gefilde. Konrad, dessen Leben auf mysteriöse Weise mit jenem Franz Kafkas verbunden ist, nimmt den Leser mit auf einen wahnwitzigen Husarenritt durch die vergangenen 150 Jahre: an den Weltkriegen vorbei, durch den Eisernen Vorhang hindurch, bis in unsere Gegenwart hinein. Dalibor Markovi? zieht in seinem Debütroman alle Register und erweist sich dabei als großer Erzähler, der es mit dem mikroskopisch Kleinen ebenso wie mit den Weiten des Universums aufnehmen kann.

Dalibor Markovi?, 1975 geboren in Frankfurt am Main, wo er auch heute lebt, ist Autor, Lautpoet und Lyriker. Seit knapp zwanzig Jahren ist Markovi? mit seiner Spoken-Word-Lyrik auf deutschen und internationalen Bühnen unterwegs, außerdem gibt er regelmäßig Workshops zum Verfassen und Vortragen von Poesie. Einen zweiten Lebensmittelpunkt hat Markovi? in Mexico-City, wo auch ein großer Teil seines Debütromans 'Pappel' entstanden ist. Zuletzt erschienen: 'Und Sie schreiben auf Deutsch?'.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783863913106
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format Hinweis0 - No protection
FormatE101
Erscheinungsjahr2021
Erscheinungsdatum09.09.2021
Auflage1. Auflage
Seiten320 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1201 Kbytes
Artikel-Nr.7866840
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

Wunsch, Indianer zu werden

Etwa die Hälfte des Holzstapels aus dem Gelbachtal war Feuerholz für die Dorfbewohner. Der Rest kam auf Zweispänner und wurde über die Landstraße nach Holzappel und weiter nach Balduinstein gekarrt, wobei ein Teil davon in die Lahn abgeladen und mit der Strömung nach Westen geflößt wurde, an Nassau vorbei, bis Lahnstein, wo das Holz in den Rhein gelangte. Den anderen Teil verfrachtete man auf Güterwagen, die ostwärts entlang der Lahntalbahn bis Wetzlar rollten und dann nach Frankenberg umgeleitet wurden. In der Schiffermühle von Frankenberg zerkleinerte eine Gattersäge die Stämme mit der Kraft eines Wasserrades in lange Bohlen, die daraufhin zur nächstgelegenen Papierfabrik gebracht wurden. Dort hatte man sich auf die Herstellung von hüfthohen Rollen aus schier endlos aufgewickeltem Zeitungspapier eingerichtet sowie auf scheunentorgroße Kartonagen und Pappen. Der Verschnitt wurde zu Bierdeckeln verarbeitet. Nur ein geringer Teil ging als Bogenpapier an Druckereien, um dann abschließend in Buchbindemaschinen zu landen. Das änderte sich jedoch im Laufe der Zeit, das Wasserrad der Schiffermühle war längst durch eine dampfbetriebene Turbine ersetzt worden, als sich die Bestellungen für derartiges Druckpapier förmlich überschlugen.

In der Nähe des Bahnhofs von Balduinstein, genauer gesagt vor der Auslage einer Konditorei, glotzte Konrad gebannt auf ein Teilchen, das mit Schokoglasur überzogen war. Aber auch das Stück Donauwelle daneben hatte seinen Reiz. Er konnte sich nicht entscheiden. Wenn er das linke Auge zukniff, sah er die Donauwelle, beim Zukneifen des rechten Auges war das Teilchen sichtbar. Welle oder Teilchen, überlegte Konrad und zwinkerte hin und her, sodass er Tom erst bemerkte, als er von ihm angerempelt wurde, nachdem dieser schon dreimal he, Kollege quer über die Straße gerufen hatte. Konrad sah ihn an und bekam ohne Umschweife erklärt, wie man bequem an Klimpergeld herankäme. Dabei rasselte Tom mit der rechten Hand in seiner Hosentasche und lächelte schief, als hätte er einen Grashalm im Mund. Tom war etwas älter als Konrad und konnte sehr gut spucken. Außerdem besorgte er ihm das Teilchen, das Konrad an Ort und Stelle verputzte. Und schon ging es los, die staubigen Straßen entlang, mit dem vollen Stoffbeutel auf dem Rücken, den er von Tom bekommen hatte. Anfangs noch unsicher, bemerkte Konrad mit der Zeit, dass er mit lautem Klopfen oder nervigem Rufen besser durchkam. Warte vor den Häusern, bis die Bewohner von der Arbeit zurückkehren, hatte Tom gesagt, während sie hinter den Bahnhof liefen, sieh in den Hinterhöfen nach, ob dort Wäsche hängt, erkundige dich bei den Nachbarn, wann die Leute wiederkommen, ohne eine Antwort abzuwarten. Ich hätte nämlich auch ein Angebot für Sie, mein Herr, sagte Konrad mit einem zuvorkommenden Grinsen und entschied, je nach Bauchumfang oder Pfeifenlänge, Bartgeflecht oder Haaresdichte, welches der Titelbilder er als Erstes vorzeigen würde. Die Dicken sind ganz scharf auf Indianergeschichten, klärte Tom ihn auf, als sie bei einer Holzhütte angekommen waren, die er Zentrale nannte. Vielleicht, weil sie die durchtrainierten Pferde sehen und die muskulösen Oberarme der Reiter, die aufrecht im Sattel sitzen, den Pfeil tief in den Bogen gespannt, sagte Tom und drückte die Tür auf. Konrad glaubte, es könnte auch an den Federn liegen, die als Kopfschmuck dienten und so leicht waren, wie die im Türspalt stehenden Männer mit ihren Wampen gerne wären. Pfeifenrauchern hatte ich anfangs nur Detektivkram angeboten, verriet Tom und reichte Konrad ein paar Hefte, die sich in der dunklen Hütte stapelten. Egal, ob in der Hocke über eine vom Nebel verhüllte Leiche gebeugt oder sich einem wilden Tier unbekannter Herkunft mit glühenden Augen entgegenstellend, Detektive pafften in jeder Lebenslage an ihrer Pfeife, während im herrschaftlichen Landgut, das weit im Hintergrund abgebildet war, stets ein einzelnes Licht brannte. Aber Pustekuchen, die Reihe mit dem schwarz maskierten Meisterdieb dort hinten, Tom zeigte auf einen Stapel, während er sprach, die kommt bei den Pfeifenheinis hundertmal besser an, glaub mir. Vielleicht stellen die sich vor, wie sie den Dieb anhand einer atemberaubend hergeleiteten Beweiskette selbst zur Strecke bringen, sagte Tom und lachte. Wenn sie nur genug Mumm in den Knochen hätten, fügte er leise hinzu und spuckte. Der Rotz flog zwei Kutschenlängen weit und landete im Staub. Konrad waren die Beweggründe der Kunden egal. Hauptsache, ein Abonnement für die wöchentlich erscheinenden Zehn-Pfennig-Hefte wurde abgeschlossen, und er bekam seinen Anteil jeden Montag in Toms Zentrale ausgehändigt, zusammen mit dem Stapel Neuerscheinungen. Genügend Pfennige beisammen zu haben bedeutete, mit breiter Brust in die Konditorei zu marschieren und etwas aus der Auslage zu bestellen. Dafür war er bereit, hartnäckig an den Türschwellen stehen zu bleiben. Ein älterer Herr mit zu Kreisen hochgezwirbelten Schnurrbartenden, dem er eine Abenteuerserie angedreht hatte, die irgendwo in Arabien spielte, unterschrieb nur, damit der junge Mann hier keine Wurzeln schlage, und wusste ja gar nicht, wie doppeldeutig die Redewendung in Konrads Ohren klang. Manchmal wandten sich Kunden, in der Regel solche mit schütterem Haar und dunklen Ringen unter den glasigen Augen, nach innen ins Haus, um zu prüfen, ob sie ungestört reden konnten, und flüsterten Konrad zu, ob es noch etwas anderes gebe, du weißt schon, mein Junge, wurde dann herumgedruckst. Tom nannte es die Spezialhefte, und Konrad zog sie bei Bedarf aus der Tiefe des Beutels hervor. Wenn die Dame des Hauses dir die Tür öffnet, sagte Tom, beginnst du am besten mit den Liebesschmonzetten und arbeitest dich ungefragt zu den Spezialheften durch, was auch tatsächlich, ganz gleich, wie groß das Kreuz war, das im Halbdunkel der Stube an der Wand hing, sehr gut ankam. Als er so ein Ding zum ersten Mal, von einem Hügel aus, in einer Turmspitze stecken sah, hielt er es für ein Schwert, das mit der Klinge nach unten zeigte, als hätte ein Herrscher es nach einer gewonnenen Schlacht in den Turm gerammt, um ein für alle Mal klarzustellen, wem das Land von nun an gehörte. In den Stuben hing manchmal ein bärtiger Mann mit ausgestreckten Armen an dem Kreuz, manchmal auch nicht. Das musste man nicht auf Anhieb verstehen, und er gab sich auch nicht allzu viel Mühe damit. Menschen waren im Allgemeinen recht seltsam. In letzter Zeit wird das Soldatenzeug immer gefragter, sagte Tom mit verheißungsvoller Stimme und pustete sich eine Strähne aus dem rechten Auge. Er las ihm manchmal aus den Heften vor, was Konrad ziemlich großartig fand. Diesmal ging es um einen jungen Gefreiten, der sich heldenhaft ins Kriegsgetümmel warf. Mit einer Uniform führt man ein edleres Leben, sagte Tom und legte eine Hand auf Konrads Schulter, nicht mehr lange, und dann macht es Kawumms, fügte er hinzu und grinste, als rollte eine Jahrmarkttruppe über die Straße in die Stadt. Ein paar Monate später war es dann so weit. Von allen Seiten hörte Konrad vom Großen Krieg, der endlich gekommen war. Die Menschen waren außer sich vor Freude, wenigstens einige Wochen lang. Die Mobilmachung griff flächendeckend um sich, und junge Männer liefen haufenweise zum Bahnhof, wo sie jubelnd in Güterzüge stiegen. Kurz danach gab niemand mehr Geld für Groschenromane aus. Die Abonnements versiegten, Türen knallten im Sekundentakt zu, von Tag zu Tag wurde Konrad aufgrund seines wehrfähigen Alters misstrauischer beäugt. Auch Tom war eines Tages verschwunden, wie vom Erdboden verschluckt. Kein Klimpergeld mehr für schokoglasierte Teilchen, überhaupt war es besser, nicht mehr unter Leute zu kommen. In den Wäldern war man ungestörter. Die Hefte, auf denen er sitzen geblieben war, benutzte er als Zunder für seine Lagerfeuer. Nur die Spezialhefte behielt er noch bei sich und starrte gebannt, bis spät in die Nacht hinein, auf die schwarz-weißen Illustrationen.

Selbst im Schlaf, wenn Konrad im Schutz eines Erdhügels ein Nickerchen machte, schob der Hunger alles beiseite und prügelte auf seinen Bauch ein wie ein Boxer, gegen den man auf dem Jahrmarkt antrat und nicht den Hauch einer Chance hatte. Nach dem Aufwachen, Konrad hätte schwören können, dass die Tannenzapfen, die im feuchten Gras herumlagen, eben noch mit Karamell überzogene Birnen gewesen waren, ging die Suche nach etwas Essbarem weiter. Je nach Jahreszeit gab es Beeren und Bucheckern, aber er war schließlich kein Mensch geworden, um sich wie Federvieh zu ernähren. Manchmal kam er an Bauernhäusern vorbei, die am Ende eines Waldstückes auftauchten, mit schrägen Holzbalken in den Mauern, aus den flachen Schornsteinen stieg Rauch auf. Die Hunde waren kein Problem, sie bellten nie, wenn er sich den Höfen näherte. Sie schnüffelten an ihm herum, hoben ein Bein und kümmerten sich nach dem kurzen Strahl nicht mehr um ihn. Anscheinend roch er immer noch nach Baum. Auf den Zehenspitzen oder sich eine Kiste unterschiebend, warf er einen Blick durch die Fenster, wo er die Familien am Tisch sitzen sah. Eine Bauersfrau, dunkles Kopftuch und alte Gesichtszüge, war meistens allein mit...
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Autor

Dalibor Markovic, 1975 geboren in Frankfurt am Main, wo er auch heute lebt, ist Autor, Lautpoet und Lyriker. Seit knapp zwanzig Jahren ist Markovic mit seiner Spoken-Word-Lyrik auf deutschen und internationalen Bühnen unterwegs, außerdem gibt er regelmäßig Workshops zum Verfassen und Vortragen von Poesie. Einen zweiten Lebensmittelpunkt hat Markovic in Mexico-City, wo auch ein großer Teil seines Debütromans "Pappel" entstanden ist. Zuletzt erschienen: "Und Sie schreiben auf Deutsch?".
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Markovic, Dalibor