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Port Sudan

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
128 Seiten
Deutsch
Verlagsbuchhandlung Liebeskinderschienen am20.09.2021Deutsche Erstausgabe
Viele Jahre lang führt der Erzähler dieses Buchs Frachtschiffe die afrikanische Küste entlang, bevor er in Port Sudan strandet, der größten Hafenstadt am Roten Meer. Dort verdingt er sich als Hafenmeister, obwohl diese Aufgabe eher symbolisch ist, denn nur noch selten löschen Schiffe in diesem verlorenen Teil der Erde ihre Fracht. Seine mageren Einkünfte stammen aus den wenigen Schwarzmarktgeschäften, die ihm die hiesigen Schutzgelderpresser gestatten: ein bisschen Alkohol, ein paar Kathblätter ... Eines Tages erreicht ihn ein Brief aus Paris. Sein Freund A. hat sich das Leben genommen, aus Verzweiflung über eine gescheiterte Liebesbeziehung. Am Abend vor seinem Tod wollte A. einen Brief schreiben, 'Lieber Freund' waren jedoch die einzigen Worte, die er zu Papier brachte. Zufällig verlässt gerade ein Schiff Port Sudan in Richtung Marseille. Der Erzähler beschließt, nach Frankreich aufzubrechen, um die Botschaft seines Freundes, die vielleicht für immer verloren ist, zu rekonstruieren.

Olivier Rolin wird 1947 in Boulogne-Billancourt geboren. Die Kindheit verbringt er im Senegal, nach seinem Schulabschluss studiert er in Paris Literatur und Philosophie. 1967 tritt er der 'Kommunistischen Jugend' Frankreichs bei, ein Jahr später wird er Mitglied des maoistisch orientierten 'Neuen Volkswiderstands' und beteiligt sich an militanten Aktionen. Als sich die Bewegung 1973 auflöst, geht er für längere Zeit in den Untergrund. 1978 wird er Lektor und später Herausgeber in einem Pariser Verlagshaus, 1983 kommt sein erster von bislang zwölf Romanen heraus. Er wurde mit dem Prix Femina ausgezeichnet, mit dem Prix France Culture und für sein Gesamtwerk mit dem Grand prix de littérature der Académie française. Bei Liebeskind erschienen u.a. 'Baikal-Amur' und 'Der Meteorologe'.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR18,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR14,99

Produkt

KlappentextViele Jahre lang führt der Erzähler dieses Buchs Frachtschiffe die afrikanische Küste entlang, bevor er in Port Sudan strandet, der größten Hafenstadt am Roten Meer. Dort verdingt er sich als Hafenmeister, obwohl diese Aufgabe eher symbolisch ist, denn nur noch selten löschen Schiffe in diesem verlorenen Teil der Erde ihre Fracht. Seine mageren Einkünfte stammen aus den wenigen Schwarzmarktgeschäften, die ihm die hiesigen Schutzgelderpresser gestatten: ein bisschen Alkohol, ein paar Kathblätter ... Eines Tages erreicht ihn ein Brief aus Paris. Sein Freund A. hat sich das Leben genommen, aus Verzweiflung über eine gescheiterte Liebesbeziehung. Am Abend vor seinem Tod wollte A. einen Brief schreiben, 'Lieber Freund' waren jedoch die einzigen Worte, die er zu Papier brachte. Zufällig verlässt gerade ein Schiff Port Sudan in Richtung Marseille. Der Erzähler beschließt, nach Frankreich aufzubrechen, um die Botschaft seines Freundes, die vielleicht für immer verloren ist, zu rekonstruieren.

Olivier Rolin wird 1947 in Boulogne-Billancourt geboren. Die Kindheit verbringt er im Senegal, nach seinem Schulabschluss studiert er in Paris Literatur und Philosophie. 1967 tritt er der 'Kommunistischen Jugend' Frankreichs bei, ein Jahr später wird er Mitglied des maoistisch orientierten 'Neuen Volkswiderstands' und beteiligt sich an militanten Aktionen. Als sich die Bewegung 1973 auflöst, geht er für längere Zeit in den Untergrund. 1978 wird er Lektor und später Herausgeber in einem Pariser Verlagshaus, 1983 kommt sein erster von bislang zwölf Romanen heraus. Er wurde mit dem Prix Femina ausgezeichnet, mit dem Prix France Culture und für sein Gesamtwerk mit dem Grand prix de littérature der Académie française. Bei Liebeskind erschienen u.a. 'Baikal-Amur' und 'Der Meteorologe'.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783954381395
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2021
Erscheinungsdatum20.09.2021
AuflageDeutsche Erstausgabe
Seiten128 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1524 Kbytes
Artikel-Nr.8034218
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

2

Ich hatte schon einige Jahre verlernt, wie der Winter ist. Der strahlend weiße Himmel war überwältigend, unter dem Deckel der geschlossenen Wolkendecke dampfte das Meer, manchmal wehte der Wind knirschenden Sand aus der Nubischen Wüste heran, und seine Wirbel über der Stadt ließen die Haut so ledrig werden wie die von Mumien: All das waren meine Lufterscheinungen. Ich sah aus dem Fenster des Zuges, der das Rhônetal hinauffuhr, und beobachtete die traurige Kulisse der Kälte, wie man einem Theaterstück beiwohnt. Zwischen den Furchen der dunklen Erde leuchteten Pfützen wie Münzen im letzten Tageslicht. Durchweichte, von Tieren zertrampelte Wege verloren sich in einer lila und braun schraffierten Ferne. Am Himmel darüber zerrissen graue Wogen, in denen Kolkraben flogen. Anderswo sah man Häuser mit Wasserflecken an den Wänden, Neonlichter flackerten hinter beschlagenen Fensterscheiben, die Parkplätze schäumten unter orangefarbenen Lichtern. Der Schneeregen ließ die anthrazitgrauen Bürgersteige wie geschliffen glänzen, rund um die Straßenlaternen zerplatzten die Tropfen in Perlenspritzer.

Die Haushaltshilfe war eine Person mit einem verbrauchten Gesicht, das weich wie eine alte Seife war. Sie sprach langsam, langatmig, suchte nach Worten, nicht weil sie Schwierigkeiten hatte, sich auszudrücken, sondern um der Genauigkeit willen, wie mir schien. Zu ihrer Zerstreuung hatte sie ein Fernsehgerät und eine Katze. Als ich eintraf, schaltete sie das eine aus und scheuchte die andere ins Treppenhaus: eine Höflichkeit, für die ich ihr dankbar war. Sie schien über die Ankunft eines Fremden aus Port Sudan nicht mehr überrascht zu sein als über den Besuch eines Nachbarn aus dem Treppenhaus. Sie erkundigte sich eher aus Höflichkeit als aus echtem Interesse nach den Annehmlichkeiten und Kuriositäten des Weltteils, in dem ich lebte. Als ich antwortete, dass es eigentlich keine gebe, beharrte sie nicht weiter darauf. Das wundere sie nicht, bemerkte sie sonderbarerweise. Sie schenkte mir ein Glas Wein ein und begann, ohne dass ich sie gefragt hätte, zu erzählen. Anscheinend hatte sie schon lange darauf gewartet, mir dieses verbale Vermächtnis zukommen zu lassen.

Die Haushaltshilfe hatte nur wegen ihrer Kleidung und ihrer Sachen von ihr gewusst. Ihren Namen, ihr Gesicht, ihr Alter kannte sie nicht. Sie konnte allenfalls aus gewissen Anhaltspunkten schließen, dass sie eine sehr junge Frau sein musste. Unter dem Bücherregal waren zum Beispiel viele weiße Tennisschuhe aufgereiht: Eine nicht mehr ganz junge Frau hätte diese ihrer Meinung nach nicht getragen. Sie stellte sich vor, wie die junge Frau den Bürgersteig entlangging und darauf achtete, nicht in die Fugen zwischen den Steinplatten zu treten. Leichtfüßig, ein wenig verträumt und ganz in Anspruch genommen von diesem kindlichen Spiel. Oder wie sie im Sommer am Strand über den weichen und festen Sand lief, dort, wo die Ebbe kleine erstarrte Wellenabdrücke hinterlassen hatte, wie sie mit wehenden Haaren über die glitzernden Bäche sprang, die das Wasser beim Zurückweichen gelassen hatte, und dabei aufpasste, dass sie nicht nass wurde. Dann hielt sie plötzlich inne, die Hände auf dem Rücken, die Augen auf den Boden gerichtet, und vertiefte sich in die Suche nach jenen hellen Perlmuttschuppen, die in der Abendsonne schillerten, jenen kleinen zitronengelben oder apricotfarbenen Schnecken, an deren Bruchstelle sich eine perfekte Spirale zeigt wie die Wendeltreppe eines Turms, in dem Feen wohnen. Oder sie sah, wie die Unbekannte mit einem Fuß auf Zehenspitzen stand, das andere Bein schräg ausstreckte, sich schnell um sich selbst drehte und mit dem anderen Fuß vergnügt Kreise in den Sand zeichnete. Ihr Rock, damals weit und schwarz-weiß kariert, wehte ihr um die Hüften. All das müsse sich zugetragen haben, versicherte mir die Haushaltshilfe, als die tief stehende Sonne die Schatten unendlich dehnte und unter einem Baldachin aus purpurroten Wolken fast den Horizont berührte. Vielleicht galoppierten Pferde den schmalen Streifen unter den Klippen entlang: Dann hätte man das Trommeln ihrer Hufe gehört, unter denen Gischtfontänen aufspritzten, das Schnauben ihrer Nüstern und das langsame Züngeln der Flut, die Rufe der Reiter, die auf die dunkle Linie der Klippen zugehalten hätten. In diesen Momenten (sollte es sie wirklich gegeben haben) müsse A. vollkommen glücklich gewesen sein, meinte die Haushaltshilfe. Danach wären die beiden Hand in Hand zum Abendessen in ein Hotel gegangen, in dessen Speisesaal das letzte Feuer des Sonnenuntergangs hinter den Inseln die Tischdecken rosa färbte.

In Port Sudan folgte die Dämmerung einem unabänderlichen Ritual. Für einen kurzen Moment flammten die Dächer, die lichten Baumkronen, die Palmwedel auf wie von der aufgestauten Hitze des Tages zum Glühen gebracht, und in den Flammen tanzten die grellsten Oxid- und Sulfidfarben. Dieser Paroxysmus schien die Aasgeier rasend zu machen, die sich, nachdem sie geduldig gekreist waren, plötzlich herabstürzten, durcheinanderflogen und zusammenstießen. Scharen von Vögeln zogen über den Himmel, Wirbel aus blutigen Federn legten sich langsam wie ein Rußschleier über die Stadt. Mit ähnlichem Furor gingen die von Krätze überzogenen Hyänenhunde aufeinander los, die das Ufer entlangirrten auf der Suche nach Fischabfällen - und manchmal nach den auseinandergezogen auf den Steinen liegenden, stinkenden Gedärmen eines Ertrunkenen. Man konnte beobachten, wie sie ihre Reißzähne in die Kehle, die Lenden eines Gegners schlugen und erst von ihm abließen, wenn er tot oder reglos dalag: die Augen weiß, verdreht. Und sie verschlangen ihn sogleich. Mit einem Mal brach die Nacht herein wie eine riesige Welle, die von der arabischen Küste herüberbrandete, und plötzlich glitt alles in das Reich der Dunkelheit, in dem die Glutherde die Flügelschläge rot färbten und sich um die Petroleumlampen weiße, aus unzähligen Moskitos bestehende Halos bildeten.

Schwarz und Weiß waren ihre Farben. Weiße Turnschuhe, schwarze Stiefel, schwarze Jeans und Jacken, weiße Blusen und T-Shirts: keine andere Kleidung. Doch, der karierte Rock. Sie war eine Frau in Halbtrauer. Nach Meinung der Haushaltshilfe muss sie einen blassen Teint gehabt und sich kaum geschminkt haben. Dies deute auf einen zurückhaltenden und ernsten Charakter hin, der eher zu Träumereien neigte als zu Gesprächen. Sie stellte sich vor, dass die junge Frau tief in sich versunken war, vertäut an einem geheimen Knoten, der so kompliziert war, dass sie ihn nicht hätte beschreiben, geschweige denn lösen können. Wie eine Art Anker steckte sie in irgendeinem inneren Schlick fest und wurde schmerzvoll in sich zurückgehalten (sie sagte es natürlich nicht mit genau diesen Worten: Ihre spanische Herkunft ließ sie das schöne Wort ensimismada verwenden, eine Adjektivierung von »in sich selbst sein«). Für sie war die junge Frau eine wächserne, schweigsame, scheue Abgöttin, gefangen in Ängsten, die sie nicht hätte benennen können, mit denen umzugehen und als einen völlig unzweifelhaften Teil ihrer selbst zu kultivieren sie vielleicht sogar gelernt hatte. Aber möglicherweise irre sie sich auch und die junge Frau war eine oberflächliche und grausame kleine Pute. Auch das könne sein.

Jedenfalls hatte A. an dem Tag, an dem er ihrem Blick begegnet war, den Tod in ihren Augen gesehen. Und vielleicht hatte er es gewusst und eine paradoxe Freude darüber empfunden: die Freude, die zu anderen Zeiten ein Husar empfand, der auf die klare Front feindlicher Säbel zustürmte, oder ein Mann, der frühmorgens, wenn die Landschaft sich aufhellte, mit zwei Pistolen in einer Umhängetasche sein Haus verließ und durch Nebelschwaden einem Duell entgegenging, bei dem er riskierte, auf einer Bahre liegend zurückgetragen zu werden, das Gesicht unter einem Schoß seines Mantels verborgen. Es war zweifellos ein schöner Tod, Monsieur, sagte sie. Zumindest hoffe ich das für ihn. Und nach einem kleinen Seufzer: Ich glaube, dass er es verdient hat - nur dass mir nicht klar wurde, ob das, was er verdient hatte, das gute Ende oder diese Frau war, oder ob beide im Kopf der Haushaltshilfe zusammenfielen, wie sie vielleicht in seinem Leben zusammengefallen waren.

Erstaunlich war zudem, man hat es auf den ersten Blick nicht bemerkt und einem Fremden im Haus wäre es wahrscheinlich nicht aufgefallen, dass ihre Sachen jederzeit zur Abreise bereitzustehen schienen oder so zusammengelegt waren, als wäre sie gerade von einer Reise zurückgekehrt. Es gab fast keine Schublade, die eingeräumt war, und obwohl einige leer waren und ihr zur Verfügung gestanden hätten, lagen ihre Kleider gefaltet auf einem Tisch oder hingen hier und da auf Bügeln, meist an den Fächern des Bücherregals, unter dem auch ihre Tennisschuhe und Stiefel standen. Abgesehen von den Flaschen, Tiegeln und Tuben für ihre Kosmetika, die, wenn auch in geringer Anzahl, im Schränkchen des Badezimmers standen, gab es kaum etwas, das ihr selbst zu gehören schien. Es war, als wäre sie bei ihrem Umzug in A.s Haus einem Impuls gefolgt, den sie sich sofort zum...
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Autor

Olivier Rolin wird 1947 in Boulogne-Billancourt geboren. Die Kindheit verbringt er im Senegal, nach seinem Schulabschluss studiert er in Paris Literatur und Philosophie. 1967 tritt er der "Kommunistischen Jugend" Frankreichs bei, ein Jahr später wird er Mitglied des maoistisch orientierten "Neuen Volkswiderstands" und beteiligt sich an militanten Aktionen. Als sich die Bewegung 1973 auflöst, geht er für längere Zeit in den Untergrund. 1978 wird er Lektor und später Herausgeber in einem Pariser Verlagshaus, 1983 kommt sein erster von bislang zwölf Romanen heraus. Er wurde mit dem Prix Femina ausgezeichnet, mit dem Prix France Culture und für sein Gesamtwerk mit dem Grand prix de littérature der Académie française. Bei Liebeskind erschienen u.a. "Baikal-Amur" und "Der Meteorologe".