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E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
208 Seiten
Deutsch
Christian Brandstätter Verlagerschienen am20.09.20211. Auflage
Ob in Lebensmitteln, Kleidung oder Smartphones: Menschliches Leid und Umweltzerstörung stecken in all unseren Gebrauchsgütern. Meist bleibt das im Dunklen, denn Konzerne arbeiten bewusst intransparent und umgehen systematisch gesetzliche Schranken. So verletzen sie ungehindert und ungestraft Menschenrechte und Umweltstandards - in fernen Ländern genauso wie mitten in Europa. Dieses Buch zeigt, was wir dagegen tun können. Veronika und Sebastian Bohrn Mena nehmen die Textil-, Lebensmittel- und Rohstoffindustrie unter die Lupe, lassen Betroffene der Ausbeutung zu Wort kommen und zeichnen den damit verbundenen Umfang der Umweltzerstörung nach. Zugleich zeigen sie, wie und wo sich bereits Widerstand regt, warum die bisherigen Vorschläge für ein Lieferkettengesetz viel zu schwach sind - und welche ganz konkreten Möglichkeiten wir haben, durch unsere Konsumentscheidungen und unsere Macht als Bürger*innen für eine menschenwürdige, nachhaltige und klimaschützende globale Wirtschaft zu sorgen.

Sebastian Bohrn Mena ist österreichisch-chilenischer Ökonom und Publizist, Organisator des Tierschutzvolksbegehrens und Bundessprecher der Nachhaltigkeitsinitiative oekoreich.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR9,99
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR7,99

Produkt

KlappentextOb in Lebensmitteln, Kleidung oder Smartphones: Menschliches Leid und Umweltzerstörung stecken in all unseren Gebrauchsgütern. Meist bleibt das im Dunklen, denn Konzerne arbeiten bewusst intransparent und umgehen systematisch gesetzliche Schranken. So verletzen sie ungehindert und ungestraft Menschenrechte und Umweltstandards - in fernen Ländern genauso wie mitten in Europa. Dieses Buch zeigt, was wir dagegen tun können. Veronika und Sebastian Bohrn Mena nehmen die Textil-, Lebensmittel- und Rohstoffindustrie unter die Lupe, lassen Betroffene der Ausbeutung zu Wort kommen und zeichnen den damit verbundenen Umfang der Umweltzerstörung nach. Zugleich zeigen sie, wie und wo sich bereits Widerstand regt, warum die bisherigen Vorschläge für ein Lieferkettengesetz viel zu schwach sind - und welche ganz konkreten Möglichkeiten wir haben, durch unsere Konsumentscheidungen und unsere Macht als Bürger*innen für eine menschenwürdige, nachhaltige und klimaschützende globale Wirtschaft zu sorgen.

Sebastian Bohrn Mena ist österreichisch-chilenischer Ökonom und Publizist, Organisator des Tierschutzvolksbegehrens und Bundessprecher der Nachhaltigkeitsinitiative oekoreich.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783710605611
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2021
Erscheinungsdatum20.09.2021
Auflage1. Auflage
Seiten208 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse3191 Kbytes
Artikel-Nr.8034228
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe


Es ist kalt in der Halle und es riecht unangenehm. Der metallische Blutgeruch prägt sich für immer ins Gedächtnis ein, sobald man ihn einmal in der Nase hatte. Dicht beisammen stehen die Arbeiter*innen und zersägen im Minutentakt die Schweine, die an einem Förderband von der Decke hängend stetig an ihnen vorbeifahren. Das Band scheint niemals stillzustehen, das Tempo bleibt immer gleich. Es bewegt sich unaufhörlich weiter, befördert einen Tierkörper nach dem anderen durch das Gebäude. Auch wenn den Beschäftigten zwischendurch die Arme schwer werden von den Sägen, die sie unentwegt von oben nach unten drücken müssen, um die Schweine der Länge nach vom Kopf bis zum Schwanz zu zerteilen. Zwischendurch schreit mal jemand in den dröhnenden Lärm der Maschinen: AtenÅ£ie! Abgesehen von dem rumänischen Wort für Vorsicht! gibt es kaum Raum und auch keine Zeit für Unterhaltungen. Schließlich dürfen zwischen dem Stich in die Kehle, der die Schweine verbluten lässt, und dem siedend heißen Wasserbad, durch das sie vor der Zerteilung gezogen werden, nur wenige Minuten vergehen.

Die anstrengende Arbeit bei den niedrigen Temperaturen zehrt an den Menschen. Jeder Energieverlust durch unnötigen Krafteinsatz wird vermieden. Da kann es schon einmal passieren, dass ein Kehlenstich nicht exakt sitzt und ein Tier noch lebend in das siedende Wasser getaucht wird. Es ist keine Absicht, aber auch nicht wirklich vermeidbar: Das viele Blut, mit dem die Beschäftigten bei ihrer Arbeit unweigerlich in Kontakt kommen, durchdringt die Schutzkleidung und lässt die Hände steif werden. Völlig durchnässt stehen sie in der Kälte. Den ganzen Tag lang.

Die meisten der Männer und Frauen, die gedrängt in diesen gigantischen Hallen arbeiten, in denen die Tiere getötet und in ihre Bestandteile zerlegt werden, stammen aus dem Osten und Südosten Europas. Es sind Menschen aus Rumänien, Polen und Bulgarien, die in deutschen Schlachtfabriken wie jenen des deutschen Fleisch-Konzerns Tönnies - einem der weltweit größten Schlachtbetrieb der Welt - rund 20.000 bis 30.000 Tiere pro Tag töten und verarbeiten.1 Regelrecht abgespeist werden sie dafür, mit einem Mindestlohn von nur 9,35 Euro pro Stunde, verschiedene Abzüge verringern den Betrag noch weiter.2

UMSÄTZE DER GRÖSSTEN FLEISCHKONZERNE in Milliarden US-Dollar, 2019/20

Nirgendwo in Europa sind die Löhne für die Schlachtarbeit so niedrig wie in Deutschland. In Spanien und Italien werden den Beschäftigten zumindest 14 Euro pro Stunde bezahlt3, in Österreich sind laut Kollektivvertrag 15 Euro pro Stunde vorgesehen, in den Niederlanden und Dänemark sogar 22 bzw. 25 Euro pro Stunde.4 Rund 7.000 Menschen schuften allein in der Tönnies-Fabrik in Rheda-Wiedenbrück im Bundesland Nordrhein-Westfalen, darunter kaum Deutsche. 80 Prozent der deutschen Fleischproduktion, so schätzt der europäische Gewerkschaftsverband EFFAT5, werden mittlerweile von Arbeitskräften aus Rumänien oder Bulgarien erledigt. Von Menschen ohne echten Schutz und ohne Rechte, die per Leih- oder Werkvertrag von unbekannten Subunternehmen der großen namhaften Fleischkonzerne angeheuert werden.

Kalt ist es auch in der kleinen Wohnung, in die sich die Männer und Frauen nach ihren zehn-, zwölf- oder gar sechzehnstündigen Schichten in der Schlachthalle zurückziehen. Die kurzen Phasen, die der körperlichen und psychischen Erholung gewidmet sein sollten, sind für viele ähnlich belastend wie die Arbeit in der Schlachtfabrik. Zusammen mit bis zu 14 anderen Personen hausen sie hier auf engstem Raum, unter katastrophalen hygienischen Bedingungen. Die Unterkünfte, die ihnen von ihrem Arbeitgeber zum Preis von bis zu 250 Euro pro Bett bereitgestellt werden, sind in den meisten Fällen in einem jämmerlichen Zustand.

Tausende, teils gravierende Beanstandungen wurden bei behördlichen Kontrollen festgestellt. Es sind wahre Bruchbuden, manche von ihnen sogar einsturzgefährdet. Andere sind von Ungeziefer oder Schimmel befallen. Es sind unwürdige Stätten: Zu diesem Schluss kam das Arbeitsministerium Nordrhein-Westfalen im Frühjahr 2020, als ein Bericht zu den Bedingungen in der Fleischbranche das ganze Ausmaß des Elends dokumentierte.6 Schon 2019 wurde eine Unzahl von Verstößen gegen das Arbeitsrecht in 26 von 30 kontrollierten Betrieben festgestellt.7 Was die Kontrollierenden in ihren Formformularen bei den wenigen, oftmals sogar vorangekündigten Inspektionen festhalten, ist das eine. Was die 110.000 Arbeitenden in der deutschen Billigfleisch-Maschinerie tagtäglich erleben, geht jedoch noch weit darüber hinaus.8

Die wenigen Aussteiger*innen, die sich trauen, unter Zusicherung der Anonymität darüber zu berichten, erzählen von Menschen, die sich in den Schlaf weinen. Nacht für Nacht. Weil sie Schmerzen haben und weil sie unter Druck stehen. Weil sie das Geld brauchen, um ihren Familien in der Heimat ein besseres Leben zu ermöglichen, einen Hauch von dem, was für viele in Deutschland ganz alltäglich ist. Weil sie die sprichwörtlichen Rädchen im Getriebe eines Milliardengeschäfts sind und auch genau so behandelt werden. Von ihrem ohnehin nicht üppigen Lohn wird ihnen auch noch etwas abgezogen, ohne dass sie nachvollziehen könnten, wieso.9 Es wird ihnen nicht erklärt, es wird ihnen auch keine Wahl gelassen und Beschwerdestelle gibt es keine. Diese Menschen werden unzureichend geschützt, obwohl sie eine Arbeit verrichten, die sprichwörtlich an die Knochen geht.

Das alles spielt sich mitten in Deutschland ab, hinter den fensterlosen Mauern der Fleischindustrie. Aber auch in vielen anderen europäischen Ländern sieht es für die Beschäftigten in Schlachtbetrieben nicht wesentlich besser aus, dort sind die Industrien nur kleiner, dementsprechend fallen die Missstände bislang weniger extrem aus. Aber sie wachsen, die Fabriken, an vielen Orten Europas.

Möglich ist diese teils völlig legale Missachtung der basalen Bedürfnisse von Menschen, weil sie sich in bewusst schwer nachvollziehbar gestalteten Firmenstrukturen abspielen, die mit aufwendigen Schachtelkonstruktionen arbeiten. Wie soll sich in so einem System der rumänische Leiharbeiter gegen seine systematische Ausbeutung wehren?

Es ist nicht so, als wäre das alles bislang unbekannt gewesen. Seit Jahren machen Gewerkschaften darauf aufmerksam, appellieren auch NGOs an die Öffentlichkeit, sich dieser Problematik bewusst zu werden. Doch das deutsche Exportwunder, mit seinen sagenhaften Profiten, hat bislang die Politik und auch die Medien davon abgehalten, genauer hinzusehen.

Ganze 5,2 Millionen Tonnen Schweinefleisch produzierte Deutschland im Jahr 2019, so viel wie kein anderes Land in Europa.10 Niemand wollte die mächtige Maschine bei der Arbeit stören, die so viel Geld in die Taschen einflussreicher Menschen spült. Ob in den VIP-Logen der Fußballvereine oder bei feinen Konzertabenden in erlauchter Runde - man sprach nicht über das große und die vielen kleinen Verbrechen, die hinter dem großen Geld steckten. Man begnügte sich mit schönen Worten in Konzernberichten, mit Beschwichtigungen, mit Relativierungen. Es wurde den Konzernen sehr einfach gemacht, sich an der Arbeitskraft anderer zu bereichern.

Und dann kam Corona. Die desaströsen Arbeitsbedingungen, gepaart mit der miserablen Unterbringung in beengten Quartieren, erwiesen sich als Paradies für die Ausbreitung des Virus. In Windeseile entstanden gigantische Infektionsherde, ganze Ortschaften mussten im Juni 2020 unter Quarantäne gestellt werden, weil in und um die Fleischfabriken die Beschäftigten reihenweise in die Krankheit kippten. Plötzlich sprach die ganze Welt über den Horror der deutschen Fleischindustrie, der in den Vereinigten Staaten übrigens kaum anders aussieht. Dort tragen die rechtlosen Migrant*innen sogar Windeln, wenn sie am Fließband die Hühnchen zerteilen, die kurz darauf in den Snackboxen der Fastfood-Läden landen.11

Über die Zustände in den USA kann man sich leicht empören, aber wenn es um die Ecke in der Nachbarschaft kaum besser aussieht, wenn die leckere Stadionwurst direkt aus der Arbeitshölle im eigenen Viertel kommt, dann wird es ungemütlich für das Gewissen. Corona und die vielen Infektionen ließen die Öffentlichkeit endlich reagieren. Der Milliardär Clemens Tönnies, der große Nutznießer der Ausbeutung, wurde plötzlich ganz offen von allen Seiten angefeindet. Niemand wollte jemanden in Schutz nehmen, der sich so offenkundig an einem System der Schutzlosen bereichert. In der folgenden heftigen politischen Debatte wurden sogar Konsequenzen erwogen. Doch wie so oft fiel das, was jene daraus ableiteten, die Entscheidungen treffen müssten, am...
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Autor

Sebastian Bohrn Mena ist österreichisch-chilenischer Ökonom und Publizist, Organisator des Tierschutzvolksbegehrens und Bundessprecher der Nachhaltigkeitsinitiative oekoreich.Veronika Bohrn Mena ist Expertin für prekäre Arbeit und weibliche Arbeitswelten. Sie ist Sprecherin der Bürger*innen-Initiative für ein Lieferkettengesetz in Österreich.