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Kampf der Identitäten

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
256 Seiten
Deutsch
Christoph Links Verlagerschienen am11.10.20211. Auflage
Wenige Themen polarisieren die Öffentlichkeit derzeit so sehr wie die sogenannte Identitätspolitik und die damit verbundene »Cancel Culture«. Ist sie eine legitime Strategie, um bislang diskriminierten, übergangenen Gruppen und ihren Anliegen Geltung zu verschaffen? Oder verschärft sie am Ende die Spaltung der Gesellschaft?


Jan Feddersen und Philipp Gessler bestreiten in ihrem Buch nicht die Existenz von Rassismus und Traditionen der Benachteiligung, von einer Sprache, die Menschen diskriminiert und übergeht. Doch sie meinen: Wer Gruppenidentitäten überhöht, fördert Entsolidarisierung. Wenn sich nur noch diejenigen zu einem Thema äußern dürfen, die davon unmittelbar betroffen sind, lassen sich wichtige Debatten in der Demokratie kaum noch führen. Vor allem dann nicht, wenn mit Hinweis auf Ungerechtigkeiten ein offener Diskurs beschränkt wird. Deshalb plädieren die beiden für eine Rückbesinnung auf den Universalismus, der einmal ein linkes Projekt war. Dafür, dass wir uns als Individuen in unserem jeweiligen Verschiedensein respektieren. Und sie machen Vorschläge für eine fruchtbarere Debattenkultur.


Für das Buch sprachen die Autoren u.a. mit Cindy Adjei, René Aguigah, Till Randolf Amelung, Seyran Ate?, PaulaIrene Villa Braslavsky, Gianni Jovanovic, John Kantara, Daniel Kehlmann, Ijoma Mangold, Ahmad Mansour, Susan Neiman, Ronya Othmann, Susanne Schröter, Alice Schwarzer, Harald Welzer, Ulrike Winkelmann.



Jan Feddersen, Jahrgang 1957, Redakteur der Taz und Autor u.a. für den NDR sowie ARD-Grand-Prix-Experte. Veröffentlichte u. a. die 'ESC-Bibel' Ein Lied kann eine Brücke sein (2002).
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Verfügbare Formate
BuchKartoniert, Paperback
EUR18,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR9,99

Produkt

KlappentextWenige Themen polarisieren die Öffentlichkeit derzeit so sehr wie die sogenannte Identitätspolitik und die damit verbundene »Cancel Culture«. Ist sie eine legitime Strategie, um bislang diskriminierten, übergangenen Gruppen und ihren Anliegen Geltung zu verschaffen? Oder verschärft sie am Ende die Spaltung der Gesellschaft?


Jan Feddersen und Philipp Gessler bestreiten in ihrem Buch nicht die Existenz von Rassismus und Traditionen der Benachteiligung, von einer Sprache, die Menschen diskriminiert und übergeht. Doch sie meinen: Wer Gruppenidentitäten überhöht, fördert Entsolidarisierung. Wenn sich nur noch diejenigen zu einem Thema äußern dürfen, die davon unmittelbar betroffen sind, lassen sich wichtige Debatten in der Demokratie kaum noch führen. Vor allem dann nicht, wenn mit Hinweis auf Ungerechtigkeiten ein offener Diskurs beschränkt wird. Deshalb plädieren die beiden für eine Rückbesinnung auf den Universalismus, der einmal ein linkes Projekt war. Dafür, dass wir uns als Individuen in unserem jeweiligen Verschiedensein respektieren. Und sie machen Vorschläge für eine fruchtbarere Debattenkultur.


Für das Buch sprachen die Autoren u.a. mit Cindy Adjei, René Aguigah, Till Randolf Amelung, Seyran Ate?, PaulaIrene Villa Braslavsky, Gianni Jovanovic, John Kantara, Daniel Kehlmann, Ijoma Mangold, Ahmad Mansour, Susan Neiman, Ronya Othmann, Susanne Schröter, Alice Schwarzer, Harald Welzer, Ulrike Winkelmann.



Jan Feddersen, Jahrgang 1957, Redakteur der Taz und Autor u.a. für den NDR sowie ARD-Grand-Prix-Experte. Veröffentlichte u. a. die 'ESC-Bibel' Ein Lied kann eine Brücke sein (2002).
Details
Weitere ISBN/GTIN9783862845033
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Erscheinungsjahr2021
Erscheinungsdatum11.10.2021
Auflage1. Auflage
Seiten256 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse685 Kbytes
Artikel-Nr.8079611
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe

Vorwort

Niemand weiß exakt, was das ist: »Identitätspolitik«. Aber alle wissen doch recht genau, um was es geht, spricht man über sie. Oder glaubt es zumindest. Dabei fängt die Unsicherheit schon mit dem Wortbestandteil »Identität« an - was ist das überhaupt? Bedeutet es schlicht, so ist es beim populären Online-Lexikon Wikipedia zu lesen, »die Gesamtheit der Eigentümlichkeiten« einer Person? Aber wie verhält es sich dann mit der Identität von Gruppen, um die es bei der Identitätspolitik doch in erster Linie zu gehen scheint, und warum werden diese anhand einer einzigen »Eigentümlichkeit« sortiert: Hautfarbe, sexuelle Vorlieben, Geschlechtssorte und körperliche Besonderheiten?

Abgesehen von dem Afghanistan-Desaster, der Corona-Pandemie und den Überschwemmungen in vielen Teilen von Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen scheint die deutsche Öffentlichkeit im Somer 2021 jedenfalls kaum etwas so zu beschäftigen wie identitätspolitische Fragen, beispielsweise das, was nicht nur in den Reihen der AfD »Gendergaga« genannt wird, wozu schon die Schreibung und Betonung von Worten wie Sprecher*innen zählen soll.

Drei aktuelle Fälle aus dem politisch grünen bis linken Spektrum illustrieren dies. Der erste: Der SPD-Politiker Wolfgang Thierse schlug sich auf die Seite seiner Parteifreundin Gesine Schwan, die dafür kritisiert wurde, wie sie einen Konflikt zu einem queeren Thema im SPD-Kulturforum moderiert hatte. Er selbst hatte zur gleichen Zeit in mehreren Medienbeiträgen der Identitätspolitik, wie auch er sie nannte, knapp gesagt, vorgeworfen, dass sie die Gesellschaft spalte. Er forderte stattdessen eine Hinwendung des Politischen zu Themen, die, so versteht er es, alle angehen, ökonomische Fragen etwa, solche der sozialen Gerechtigkeit und des Klimawandels. Obendrein betonte er, dass diese allgemeinen Fragen doch die »normalen Leute« hauptsächlich interessierten - woraufhin Thierse wiederum für seinen offenbar naiven Gebrauch des Terminus »Normalität« heftig angegangen wurde. Der ostdeutsche Politiker musste schließlich eine Duldung der (Social Media-) öffentlichen Erregung durch seine Parteiführung ertragen. Co-Chefin Saskia Esken fand jedenfalls keine sich mit ihm solidarisierenden Worte, woraufhin Thierse öffentlich fragte, ob er in der SPD überhaupt noch erwünscht sei.

Der zweite Fall: Beim Berliner Landesverband der Grünen bekannte auf dem Parteitag in Vorbereitung auf die Abgeordnetenhauswahlen deren Spitzenkandidatin Bettina Jarasch in einer durchaus launig gemeinten Rede, als Kind habe sie davon geträumt, ein »Indianerhäuptling« zu sein. Sie wurde zwar nicht als Spitzenkandidatin abberufen, doch wurde ihre Wortwahl scharf gerügt - das seien ganz unstatthafte Phantasien, die sie als junge Person gehabt habe (allein das unpassende Wort »Indianer«!), und sie müsse sich nun entschuldigen. Was die Politikerin auch tat. Die grüne Gesinnungswelt war wieder in Ordnung.

Der dritte Fall: Mitte 2021 wurde öffentlich, dass die Kanzlerinnenkandidatin der Grünen Annalena Baerbock bei einem Auftritt in einer Schule das sogenannte N-Wort verwendet hatte - selbstverständlich nicht als Bestandteil der eigenen Rede, sondern als Zitat aus einem historischen Lesestück. Auch dies ließ sich nicht ohne Entschuldigung aus der Welt schaffen, was Baerbock auch tat, um zugleich anzufügen, sie habe nicht achtsam genug erkannt, wie sehr das ausgesprochene N-Wort Verletzungen und Traumata bei nicht-weißen Menschen auslöse.

Identitätspolitik von links ist mehr als nur ein flüchtiges Aufregerthema in der Mediengesellschaft: Sie ist die mächtigste Quelle einer kulturellen Neusortierung zumindest der westlichen Welt. Längst dominiert sie den Sprech an Hochschulen und Universitäten, und zwar vor allem dort, wo geistes- und sozialwissenschaftliche Fächer gelehrt werden. Außerhalb der akademischen Welt hat die Identitätspolitik einen enormen Schub durch die »Black Lives Matter«-Bewegung bekommen, deren Auslöser die Ermordung des schwarzen US-Bürgers George Floyd durch einen Polizisten im Frühjahr 2020 war. Es entstand eine weltweite Solidaritätsbewegung zugunsten schwarzer Menschen, der sich beispielsweise in der Bundesrepublik Zehntausende vor allem junger Menschen anschlossen: »Black Lives Matters« hierzulande hieß freilich, sich für alle, die von nicht-weißer Hautfarbe sind, einzusetzen.

Dieses und ähnliche Zeichen von Identitätspolitik wollen wir mitnichten in Gänze verwerfen. Wer würde schon bestreiten, dass in den USA Rassismus gegen sogenannte »People of Color« (PoC) wirksam ist? Und wer, dass nicht-weiße Migrant*innen in der Bundesrepublik in Parteien wie Institutionen, im Bundestag wie Landesparlamenten heftig unterrepräsentiert sind - und anderswo nicht minder? Ist es nicht mehr als legitim, wenn bislang abfällig Benannte verlangen, mit Respekt behandelt zu werden und nicht als Untertanen einer »weißen« Lebensweise?

Andererseits: Ist es, alltagspraktisch gefragt, damit getan, wie in Berlin und Hamburg, das Wort für das Erwischtwerden bei unentgeltlicher Nutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln, nämlich »Schwarzfahren«, zu geißeln, weil in dem Akt der Erschleichung staatlicher Leistungen das Wort »schwarz« genannt wird und somit schwarze Menschen unbewusst diskreditiert würden? Ist die Neuverhandlung von Sprachgewohnheiten nicht ein gigantisches Fegefeuer mit hohem Züchtigungspotential? Und sind die westlichen Gesellschaften der Gegenwart wirklich die Hölle auf Erden, als die sie viele Aktivist*innen der hiesigen Identitätspolitik sie zeichnen?

Vieles mögen possierliche Spielchen um Ambivalenzen sein, in denen ein ernstes Interesse mitschwingt, Debatten um das, was Sahra Wagenknecht böse und fälschlich als Angelegenheiten »skurriler Minderheiten« charakterisiert. Aber die Frage, die die Linke seit der Wahl von US-Präsident Donald Trump 2016 weltweit umtreibt, ist die, die der New Yorker Ideenhistoriker Mark Lilla in einem wütenden Aufsatz in der New York Times formuliert hat: Haben sich Linke und Liberale in den USA zu sehr um identitätspolitische Fragen gekümmert - und dabei die doch ebenso wichtigen Fragen sozialer Ungleichheit und Ausbeutung der unteren Schichten der US-Gesellschaft (egal welcher Hautfarbe) vernachlässigt, ja diese sogar abschätzig behandelt, weshalb Trump dann ein leichtes Spiel hatte, genau diese abgehängten Gruppen für sich zu gewinnen?

Unser Buch geht unter anderem der Frage nach, wie berechtigt die Kritik von Lilla und anderen ist. Es widmet sich den Ritualen aus Sprechpannen und Sprachbelehrungen ebenso wie anderen Sprachkämpfen, sind sie doch die besondere Domäne der Identitätspolitik. Es wird um das Canceln gehen, also um den Akt, jemanden in eine Ecke zu stellen, häufig in den Sozialen Medien, eine Art öffentlicher Pranger in der heutigen Gesellschaft. Manche sprechen sogar von einer »Cancel Culture«.

Sehr wichtig im Gedankengebäude der Identitätspolitik ist das Konzept der Privilegien. Es ist die Idee, dass Mitglieder der Mehrheitsgesellschaft und vor allem weiße (heterosexuelle) Männer (und Frauen) Vorzüge (Privilegien) genießen - im Alltag, aber auch in entscheidenden Lebenssituationen (wie zum Beispiel Job-und Wohnungssuche), ohne dass ihnen das überhaupt bewusst sein muss. Es ist vor allem das Privileg gemeint, keine Diskriminierung zu erleben und nicht sofort als Mitglied einer Minderheit erkennbar zu sein - anders als etwa nicht-weiße Menschen.

Dazu gehören Diskurse um Mikroaggressionen, ein zentraler Begriff in der Identitätspolitik, Worte, Blicke und auch Gesten, die fies sind oder als fies verstanden werden, wobei die Definitionsmacht, ob etwas als fies beabsichtigt war, immer in der Vorstellung des Opfers liegt, also nie in der einer weißen Person.

Wir behandeln in diesem Buch ebenso den fragwürdigen Vorwurf der Kulturellen Aneignung (»Cultural Appropriation«), den manche identitätspolitischen Aktivist*innen nutzen, also die Kritik an der unhinterfragten Aneignung, Übernahme oder Interpretation kultureller Eigenheiten von Minderheitengruppen durch Mitglieder der Mehrheitsgesellschaft. Dazu kommt eine Fülle anderer Begriffe, die wir in einem Glossar am Ende des Buches erläutern. Viele Begriffe der Identitätspolitik sind ohne Erläuterungen kaum zu verstehen.

Die Welt der Identitätspolitik ist weit, und viele ihrer Themen werden wir hier ansprechen. Wir tun dies aus einer liberal-linken Perspektive. Unsere negative wie positive Kritik an Identitätspolitik kommt aus dieser Ecke. Denn rechte Kritik an der Identitätspolitik gibt es schon mehr als genug.

Unter anderem machen wir uns stark für das in unseren Augen höchste Gut von Linken und Linksliberalen, die Meinungsfreiheit. Formal bleibt...
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