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Der Berliner Antisemitismusstreit

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
380 Seiten
Deutsch
Juedischer Verlagerschienen am17.04.20231. Auflage
Im Sommer 1965 erschien Der Berliner Antisemitismusstreit, eine Sammlung von Dokumenten, Reden, offenen Briefen aus den Jahren 1879/80 über die Frage nach der Zugehörigkeit der Juden zur deutschen Nation. Herausgeber war Walter Boehlich (1921-2006), der legendäre Lektor des Suhrkamp Verlags, der einen kritischen Blick auf Heinrich von Treitschke, den Wortführer der Agitation, warf und auf die eigene Gegenwart Mitte der sechziger Jahre. Zur Zeit der Auschwitz-Prozesse in Frankfurt und gegen die landläufigen Vorurteile dokumentierte Boehlich den Antisemitismus nicht als Einstellung der »dummen Kerle« (August Bebel). Dieses Buch zeigt vielmehr, dass die Anfeindungen gegen die Juden im späten 19. Jahrhundert längst zu einer Sache der gebildeten Leute geworden war - der Universitätsgelehrten, Theologen und Intellektuellen. Ihre Sprache der Agitation mobilisierte die Vorurteile, Feindbilder, Verschwörungserklärungen und den Hass der Vielen. Der Berliner Antisemitismusstreit führt auch die Ressentiments vor Augen, das »Vokabular dieser Kultur« (Shulamit Volkov), das Demagogen bis heute für ihre judenfeindlichen Zerrbilder verwenden, wie der Herausgeber der Neuausgabe eindrucksvoll zeigt.


Nicolas Berg, geboren 1967, arbeitet seit 2001 am Leibniz-Institut für jüdische Geschichte und Kultur- Simon Dubnow in Leipzig. 2003 erschien sein vielbeachtetes Buch Der Holocaust und die westdeutschen Historiker. Erforschung und Erinnerung.
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Verfügbare Formate
BuchKartoniert, Paperback
EUR28,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR23,99

Produkt

KlappentextIm Sommer 1965 erschien Der Berliner Antisemitismusstreit, eine Sammlung von Dokumenten, Reden, offenen Briefen aus den Jahren 1879/80 über die Frage nach der Zugehörigkeit der Juden zur deutschen Nation. Herausgeber war Walter Boehlich (1921-2006), der legendäre Lektor des Suhrkamp Verlags, der einen kritischen Blick auf Heinrich von Treitschke, den Wortführer der Agitation, warf und auf die eigene Gegenwart Mitte der sechziger Jahre. Zur Zeit der Auschwitz-Prozesse in Frankfurt und gegen die landläufigen Vorurteile dokumentierte Boehlich den Antisemitismus nicht als Einstellung der »dummen Kerle« (August Bebel). Dieses Buch zeigt vielmehr, dass die Anfeindungen gegen die Juden im späten 19. Jahrhundert längst zu einer Sache der gebildeten Leute geworden war - der Universitätsgelehrten, Theologen und Intellektuellen. Ihre Sprache der Agitation mobilisierte die Vorurteile, Feindbilder, Verschwörungserklärungen und den Hass der Vielen. Der Berliner Antisemitismusstreit führt auch die Ressentiments vor Augen, das »Vokabular dieser Kultur« (Shulamit Volkov), das Demagogen bis heute für ihre judenfeindlichen Zerrbilder verwenden, wie der Herausgeber der Neuausgabe eindrucksvoll zeigt.


Nicolas Berg, geboren 1967, arbeitet seit 2001 am Leibniz-Institut für jüdische Geschichte und Kultur- Simon Dubnow in Leipzig. 2003 erschien sein vielbeachtetes Buch Der Holocaust und die westdeutschen Historiker. Erforschung und Erinnerung.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783633773152
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Erscheinungsjahr2023
Erscheinungsdatum17.04.2023
Auflage1. Auflage
Seiten380 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.8184103
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe



Heinrich von Treitschke
Unsere Aussichten (November 1879)


Kommentar: Es ist eine seltsame und verstörende Kompilation unterschiedlicher Haltungen, Motive und Interessen, die in diesem klassischen Dokument des modernen Antisemitismus zusammenkommt: Der Text stellt sich als eine »Abrechnung mit dem Liberalismus« (Kampe 1995, 97) dar, er attackiert aber die deutschen Juden; der Ton eines nationalen Propheten (Dorpalen 1957, 226-269) und die »Pose eines Auguren des Volksgeistes« (Langer 1996, 303f.) signalisieren Dringlichkeit, als ob der Verfasser übergeordnete Reichsinteressen verkündete. Die trotzig-stolze Haltung des Volkstribuns, der das »Erwachen des Volksgewissens« (67) preist, erlaubt sich aber auch sprachliche Brutalitäten, als handele es sich bei der Verbreitung von antijüdischen Ressentiments um die Notwehr bedrängter christlicher Deutscher. (Holz 2001, 160) Das Schlussdrittel von »Unsere Aussichten« wird generell von einer durchgängigen »Ästhetik des Gehässigen« geprägt (Jensen 2005, 218 u. 222), eine Kaskade von Schmähungen, die sich gegen die korrupte, vermeintlich vollständig von Juden dominierte Presse richtet und gegen jüdische Zuwanderung hetzt. Mit einer Mixtur aus »obrigkeitsstaatlichen« und »demagogischen« Elementen (Hamburger 1968, 99) vertritt Heinrich von Treitschke hier seine Botschaft gleich doppelt; der Autor spricht zu den Lesern sozusagen von oben , von »Krone« und von der »Regierung« her (66), zugleich aber auch von unten , aus dem Volk heraus, als einer von ihnen. So verbündet er sich mit Masse und Macht zugleich und muss seine propagierte »ethno-nationale Perspektive« (Hoffmann 1997, 237), mit der er sich im Vollgefühl eines deutschen Konsenses zum weitsichtigen Warner vor »Semitenthum« (71) und »deutsch-jüdische[r] Mischcultur« (70) stilisiert, nicht erläutern. An die Stelle von Begründungen tritt die Anfeindung. Antisemitismus wird in diesem Text unter der Hand zur Erklärung seiner selbst; eine vehemente Meinungsäußerung reicht aus, um die Teilhabe von Juden (als Juden) an Politik, Öffentlichkeit und Kultur unter Verdacht zu stellen oder gar abzulehnen. Walter Boehlich hat diese Funktionalisierung des Ressentiments, mit dem Treitschke Argument und Diskurs ersetzt, in das folgende Bild gefasst, das nur auf den ersten Blick überrascht: »Der Antisemitismus konnte blühen. Er blühte. Auch Treitschke machte ihn blühen, zum Entsetzen aller aufgeklärten und fortschrittlichen Deutschen.« (Boehlich 1965, 238, hier 478) Dieses »Blühen-Machen« - in der Bedeutung von man tut gar nichts, es geschieht einfach  - funktionierte: Der als Kryptozitat von Treitschke affirmierte Ausruf »Die Juden sind unser Unglück!« (73), der mit diesem Essay in die Öffentlichkeit getragen wurde, avancierte zum neuen Slogan der antisemitischen Bewegung.

Die Forschung hat die politische Zäsur, die mit diesem exzentrischen Text einherging, immer wieder betont, den »entlarvenden Einblick in die Vorurteilsstruktur im Kopfe eines als bedeutend angesehenen Gelehrten« (Longerich 2021, 95) konstatiert und dabei auch auf die widersprüchlich-gemischte Schreibhaltung Treitschkes hingewiesen, jene »Mischung aus Ärger und Angst« (Greive 1988, 62), aus »Stolz und Minderwertigkeitsgefühl« (Ebach 1996, 172): auf der einen Seite die aggressiv-überhebliche Agitation gegen »deutsch redende Orientalen« (74), auf der anderen die Klage über die vermeintlich »mächtigen Kreise« des deutschen Judentums (70). In diesem populistischen Angriff auf eine kleine gesellschaftliche Minderheit wechselt beides auf eine bösartige und sich gegenseitig befeuernde Weise hin und her. Die ausführlichste Analyse der ideologischen Strategien, die Treitschke anwendete, hat der Soziologe Klaus Holz vorgelegt und dabei vier rhetorische Verfahren der Grenzziehung ausgemacht: Ontologisierung, Ethnisierung, Personifikation und Abstraktion. In mehrfacher Hinsicht hat Treitschke hier also »die Juden« als Entität und als das genaue Gegenbild zu den christlichen Deutschen dargestellt, teils mit imaginierten zeitlosen Wesensbeschreibungen, teils als Karikatur von Symptomen der Gegenwart, die nichts mit den jüdischen Gemeinden in Deutschland zu tun hatten; und obwohl diese Strategien auf unterschiedlichen Ebenen operierten und sich auch widersprachen, haben sie sich in ihrer Wirkung doch gegenseitig verstärkt. (Holz 2001, 165-247)

»Unsere Aussichten« zählt zusammen mit Richard Wagners »Das Judenthum in der Musik« (1850, zweite Fassung 1869), Otto Glagaus populärer Artikelserie »Der Börsen- und Gründungsschwindel in Berlin« (1874/75 in der Zeitschrift Gartenlaube, 1876 erweitert als Buch), Adolf Stoeckers Berliner Rede »Unsere Forderungen an das Judentum« (1879) und Wilhelm Marrs »Der Sieg des Judenthums über das Germanenthum« (1879) zu den fast gleichzeitig auf den Plan tretenden Schlüsselschriften des neuen Antisemitismus. Die meisten von ihnen gaben dem »Kult des Völkischen« (Pulzer 2004, 121) von Berlin aus eine neue Gestalt, Treitschke hatte sie allesamt gelesen und aus ihnen Exzerpte angefertigt, wie Notizen im Nachlass des Historikers zeigen (Jensen 2005, 214). Nun bündelte er viele ihrer Positionen, ohne jedoch Autorennamen zu nennen: Der Essay weist durchgängig Parallelen zu den Pamphleten seiner Zeit auf, zu Marr die Polemik gegen die liberalen Zeitungen und die Warnung vor der jüdischen Gefahr »für unser Volkstum«; zu Stoecker die Beschwörung von »christlichem Ernst«, die haltlose Polemik, die öffentliche Meinung sei von den Juden »beherrscht«, und auch die für Treitschke zentrale Agitation gegen ein »Mischungsverhältnis« von jüdischen und nichtjüdischen Deutschen, das sich auch Stoecker zufolge immer stärker zuungunsten Letzterer entwickele. Auch die antikapitalistische Stoßrichtung Glagaus, der seine Angriffe gegen die Juden mit der sozialen Frage verknüpfte (und der ebenfalls gegen Bildung und Aufklärung polemisiert hatte), nahm Treitschke auf; das suggestive Bild jüdischer Einwanderer, die aus dem Osten Europas nach Berlin strömten und die Hauptstadt überschwemmten, war von Glagau vorgeformt worden (HdA, Bd. 3, 70). So repräsentiert Treitschkes Syntheseschrift die Kultur des Irrationalismus (Beller 2009, 60-80) im Kaiserreich auf exemplarische Weise: In diesem Text wird die »staatsbürgerlich unsinnige...
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