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Omertà

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
Deutsch
Suhrkamp Verlag AGerschienen am07.03.20221. Auflage
Eine ländliche Gegend unweit der Stadt Klausenburg. Seit 1920 gehört die frühere ungarische Provinz zu Rumänien. Ende der 40er Jahre soll Schluss sein mit Elend und Rückständigkeit. Die bäuerliche Wirtschaft wird nach sowjetischem Vorbild kollektiviert, Dörfer und Siedlungen plattgemacht.

Vilmos, ein nachdenklicher, belesener Gärtner, der Rosen liebt und den die Frauen mögen, macht im Stalinismus Karriere, halb gegen seinen Willen. Aus seinem wilden Garten wird ein Versuchsgelände für Obstsorten und international wettbewerbsfähige Rosenzüchtungen, die dem isolierten Ostblockland Anerkennung verschaffen sollen.

Die Geschichte wird von vier Figuren erzählt - jede in ihrer unverwechselbaren Stimme geradezu physisch präsent. Da ist Kali, die junge Bäuerin, die ihrem prügelnden Mann davonläuft und als Dienstmädchen bei Vilmos lebt; da sind Annuska, eine 16-jährige Halbwaise, die sich in Vilmos verliebt, und ihre Schwester Eleonora, die ins Kloster geht und den politischen Säuberungen zum Opfer fällt.
Schweigen und erpresstes Geständnis, Lebensbeichte und Selbsterkenntnis, diese obsessiven, stockenden, eruptiven Redeformen machen den Reiz des Romans aus. Dank der sensationellen Übersetzung von Terézia Mora wird das neue Meisterwerk der ungarischen Gegenwartsliteratur auch auf Deutsch zum Ereignis.

Andrea Tompa, 1971 in Kolozsvár/Cluj-Napoca/Klausenburg geboren, lebt seit 1990 in Budapest. Sie studierte Slawistik und ist als Theaterkritikerin tätig. Omertà ist ihr dritter Roman und ihr erstes ins Deutsche übersetzte Buch.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR34,00
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR20,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR29,99

Produkt

KlappentextEine ländliche Gegend unweit der Stadt Klausenburg. Seit 1920 gehört die frühere ungarische Provinz zu Rumänien. Ende der 40er Jahre soll Schluss sein mit Elend und Rückständigkeit. Die bäuerliche Wirtschaft wird nach sowjetischem Vorbild kollektiviert, Dörfer und Siedlungen plattgemacht.

Vilmos, ein nachdenklicher, belesener Gärtner, der Rosen liebt und den die Frauen mögen, macht im Stalinismus Karriere, halb gegen seinen Willen. Aus seinem wilden Garten wird ein Versuchsgelände für Obstsorten und international wettbewerbsfähige Rosenzüchtungen, die dem isolierten Ostblockland Anerkennung verschaffen sollen.

Die Geschichte wird von vier Figuren erzählt - jede in ihrer unverwechselbaren Stimme geradezu physisch präsent. Da ist Kali, die junge Bäuerin, die ihrem prügelnden Mann davonläuft und als Dienstmädchen bei Vilmos lebt; da sind Annuska, eine 16-jährige Halbwaise, die sich in Vilmos verliebt, und ihre Schwester Eleonora, die ins Kloster geht und den politischen Säuberungen zum Opfer fällt.
Schweigen und erpresstes Geständnis, Lebensbeichte und Selbsterkenntnis, diese obsessiven, stockenden, eruptiven Redeformen machen den Reiz des Romans aus. Dank der sensationellen Übersetzung von Terézia Mora wird das neue Meisterwerk der ungarischen Gegenwartsliteratur auch auf Deutsch zum Ereignis.

Andrea Tompa, 1971 in Kolozsvár/Cluj-Napoca/Klausenburg geboren, lebt seit 1990 in Budapest. Sie studierte Slawistik und ist als Theaterkritikerin tätig. Omertà ist ihr dritter Roman und ihr erstes ins Deutsche übersetzte Buch.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783518772409
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Erscheinungsjahr2022
Erscheinungsdatum07.03.2022
Auflage1. Auflage
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.8184125
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe



Da lang muss man gehen. Das weiß ich. Weil ich weiß schon lange, wo lang man muss. Wieviel hab ich immer daran gedacht! Ich hab mich nur nicht getraut. Man muss sich gut zureden, denn wenn nicht, dreht man am Ende noch um auf seinem großen Weg, just wenn man ihn gerade betreten will. Na, dann rede ich mir zu, hüa, Kali, auf geht´s, geh, wo du einen Weg siehst. Es ist dunkel, trotzdem. In die große Dunkelheit hinein, da musst du jetzt hin, und alles, was hier ist, schön zurücklassen für immer. In die ganzen Hügel hinein, da muss man gehen, das Auge sieht sie nicht, weil die Erde noch den Himmel berührt. Wie schön sie sich von weitem berühren.

Na, dann werd ich, die grüne Kali Szabó, wohl erzählen, es sollen alle hören. Meine Geschichte werde ich erzählen, weil die jetzt wohl beginnt. Aber heutzutag hört man den Geschichten nicht mehr so zu wie noch in der alten Zeit. Die Leut sind´s nicht mehr gewohnt, schönen Märchen und Istorien zu lauschen. Die Frauen und die Mädchen manchmal, wenn sie zusammensitzen, was zu tun, höchstens die hören noch hin. Und nur noch den Kindern erzählt man Märchen, und dann nicht mal mehr denen, wenn sie aus der Kindheit herausgewachsen sind. Dabei kannten bei uns manche Leut so schöne Märchen. Ich habe sie auch von meiner teuren Mutter gelernt, aber ich bin auch schon entwöhnt, weil keiner da war, um zuzuhören. Weil ein Märchen gibt es nur, wenn Zuhörer da sind. Der Priester predigt auch nicht nur der Maus in der Kirche. Na, besonders der Priester jetzt! Heutzutag mag man den Priester gar nicht mehr!

Aber ich kann nicht still sein. Ich muss immer reden. Weil wenn ich still bin, werde ich so traurig, dass es mich ankommt, in den Brunnen zu springen. Wie die arme Sári Juhos. Also entweder geh ich weg von hier oder ich spring in den Brunnen, ein anderes Märchen soll´s für mich nicht geben.

Und damit der Mensch nicht so allein ist, deshalb muss ich erzählen.

Weil mein Leben so geworden ist, dass keiner da war, um zuzuhören. Und ich hab mir dieses schlechte Leben selbst gemacht. Es kann aber sein, dass ich es jetzt wieder gut machen kann. Ich versuche es noch ein letztes Mal, und dann bleibt auch mir nur der Brunnen wie der kleinen Sári Juhos.

Man nennt mich Kali. Kali Szabó und mit ganzem Namen die grüne Kali Szabó. Weil wir im Dorf zwei sind mit dem Namen, und dann gibt man jedem einen Spitznamen. Und mich nennt man die grüne Kali, weil der Zaun bei unserem Haus in Forrószeg grün ist. Also, dass meinem Vater seine Sippe einen grünen Zaun hatte, aber das war dann zu Ende, weil ich nicht mehr dort wohne. Und ich gehe nahe bei uns aus dem Dorf hinaus, weil mir das näher ist, aber das erzähle ich, wenn die Zeit dafür ist. Die andere nennt man die lange Kali Szabó. Weil sie so lang ist wie ein Sommertag. Weil die Tage im Sommer so sind. So lang, dass sie nie ein Ende finden wollen, damit der Mensch endlich nach Hause kann vom Feld.

Aber jetzt liegt das ganze stinkende Dorf hinter mir. Ich verlasse es. Ich verlasse es wie nichts und dann kehre ich gleich ein, ins Dickicht der Lügen. Weil, wie ist der Mensch. Wenn er anfängt, von seinem eigenen Leben zu erzählen, und sich vom Pfad der Wahrheit entfernt, dann begibt er sich immer tiefer und tiefer in den dichten Wald mit seiner Lüge. Nur dass wir hier in der Heide nicht einen Funken von einem Wald haben, um das Auge zu erfreuen. Ich meine auch nicht einen echten Wald mit Bäumen. Weil ich schon am ersten Tag meines neuen Lebens mich verlaufe mit der Lüge. So ist meine Natur, seitdem ich ein kleines Mädchen war, lüge ich immer. Deswegen sagt man auch, die Märchen-Kali. Die grüne Märchen-Kali der Szabós. Weil ich nicht gleich sage, wenn mich einer fragt, warum ich fort bin, ich erfinde nur eine schöne Lüge und glaub sogar selber daran.

Ich muss noch nicht einmal bis Szamosfalva gekommen sein, schon denke ich mir aus, wohin ich schlafen gehen soll, wenn ich dort ankomme, wohin ich früh am Morgen losgegangen bin. In die Schätzestadt, dorthin gehe ich. Schätze, dass ich nicht lache! Schätze gibt´s für den, der als Herr und gnädiges Fräulein in ein Haus mit Etage geboren ist. Wer in der Hóstát und als Handwerkervolk geboren ist, für den ist sie ein Elend. Und ich weiß schon, als ich an der Scharfrichterbrücke bin, zu wem ich schlafen gehen soll. Bestimmt nicht ins Zentralhotel. Ich hab ein kleines Geld, ganz klein, und ich hab auch was zum Verkaufen mitgebracht. Weil wir Széker, wir können recht gut verkaufen, das ist ein Stolz von uns, dass wir verkaufen. Aber mit uns kann man nicht feilschen. Wir sagen den Preis und so ist der und gut. Aber man wird wohl nichts fürs Schlafen zahlen müssen, sowas hab ich noch nie gehört, dass wir Geld dafür gegeben haben, um irgendwo zu überschlafen.

Weil ich habe mir ausgedacht, dass ich zu meinem alten Herrn rausgehe, sie werden ja wohl erlauben, dass ich eine Nacht im Stroh liege. Was habe ich ihnen gedient, als ich noch ein Mädchen war. Was Mädchen! Ein Kind war ich da. Weil bei uns jedes Kind das Dienen anfängt, wenn es die zwölf Jahre erreicht hat. Weil die Széker haben den einen Stolz, wie gut wir dienen. Früher hat man das Kind auch schon hergegeben, als es noch kleiner war, acht oder neun. Uns erst mit zwölf. Ich geh zu meinem alten Bauern, ich denk mir, es ist schon spät, am Nachmittag, bis ich angekommen bin, da werden sie wohl wieder da sein vom Feld oder die kleine Sára, ihr Mädchen, ist wieder da vom Markt, wo sie verkaufen hingeht, weil hier ist jeden Tag Markt in der Stadt. Sonntags auch, am Tag des Herrn, der wird hier nicht so groß geehrt, dass keine Arbeit erlaubt wär. Melken muss man auch schon, es ist die Zeit, dass sie zu Hause sein müssen. So gehe ich über die Bahn hinaus, man nennt es Bulgarien-Siedlung, weil sie da draußen sind, noch ein ganzes Stück hinter der Bahn mit einem großen Garten, wo alle im Viertel Hóstáter sind. Mein Herr kommt auch da her. Ich kann´s schon sehen, die Bauern fahren mit den Fuhrwerken vom Feld nach Hause, fahren den vielen Kohl, die Rübchen, die Zwiebeln rein. Hier fahren sie eher mit Pferden, nicht wie wir mit Ochsen. Hier sind Ochsen nicht gewohnt. Pferde sind geschickter, tappen nicht so rum wie ein Ochse. Ich merk die Straße nicht so leicht, wie lang war ich schon nicht hier, ich erinner mich nicht gut, und jedes Haus ist so klein, nur der Garten ist so schrecklich groß. Ich geh rein, in die Straße, aber mir fallen schon die Beine ab, so weh tun sie, weil es noch dunkel war, als ich von zu Haus los bin. Dann endlich merk ich´s, ich erkenne es, weil an der Ecke das Wirtshaus ist, das Szathmári-Wirtshaus, das ist da immer noch. Das Tor steht auf bei ihnen, der Herr ist grad reingefahren, er ist nur woanders hergekommen, weil sie da auch einen Garten haben, in der unteren Gasse. Sein Weib geht grad nach hinten, bringt die Waschschüssel, den Lappen, sie ruft nur über die Schulter, als sie mich sieht:

»KommenS nicht herein, Tantchen, ist noch keine Melkzeit nicht, noch ne gute Stund, bis die Mülch fertig ist.«

Aber ich geh ihr nur hinterher, ein bisschen langsamer, um sie nicht zu erschrecken. Dann ruf ich hinein:

»Biri, Liebe, erkennst du mich nicht? Ich bin´s doch.«

Dreht sich um, schaut mich an, sagt:

»Ach, Liebe, sehenS, meine Augen sind so schlecht, aber ich weiß schon, Ihre Stimme ist´s, ich kenne Sie. Sagen Sie doch Ihren Namen.«

Und sie schaut wie ein Maulwurf, kneift die Augen zusammen, um mich besser zu sehen. Und dann kommt auch der Bauer und ich sag zu ihm:

»Guten Tag!«

Worauf meine Biri zu ihm sagt:

»SchauenS, mein Lieber, wer da ist!«

Der Hausherr schaut und sagt´s so:

»Du! Bist denn du nich´ die Tochter von der Kali Szabó? Weil deine Form ist gar so, und ich seh, du bist auch so stark wie deine Mutter, nur breiter. Komm mal näher her zum Furu bácsi[1] , ich kenn deine Mutter, die Kali, die dich hergeschickt hat.«

Und dann kommt er näher her und nimmt meine Schulter:

»Na, was sagst! Hast dich gut verwachsen, bist selber schon ne Frau. Schön bist auch wie deine Mutter.«

Und die Biri steht nur, macht große Augen, um mich zu sehen. Und sie kommt auch und fasst meine Hand an.

Da fang ich doch von Herzen an zu lachen. So sehr aus dem Herzen, dass es mir fast bricht. Das arme Herz weiß nicht, ob es sich freuen soll oder vor...

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Autor

Andrea Tompa, 1971 in Kolozsvár/Cluj-Napoca/Klausenburg geboren, lebt seit 1990 in Budapest. Sie studierte Slawistik und ist als Theaterkritikerin tätig. Omertà ist ihr dritter Roman und ihr erstes ins Deutsche übersetzte Buch.
Omertà