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Wie die Queen. Die deutsch-jüdische Geschichte einer sehr britischen Schriftstellerin

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
220 Seiten
Deutsch
Insel Verlag GmbHerschienen am19.06.20221. Auflage
Ilse Groß ist vierzehn, als sie aus Deutschland flieht. Ihre Familie bleibt zurück. In Großbritannien findet sie eine Anstellung als Dienstmädchen. Und sieben Jahre nach Kriegsende erlebt sie ihren Durchbruch als englischsprachige Schriftstellerin. Ihr Pseudonym: Kathrine Talbot.

Wie die Queen erzählt die wahre Geschichte einer fast perfekten Assimilation - von Ilses Rettung ins Vereinigte Königreich und ihrer Deportation in ein Lager für 'feindliche Ausländer', von ihrem Hunger und ihrer Freiheit und ihrem flüchtigen Erfolg auf dem Buchmarkt der Fünfzigerjahre. Es geht um Anerkennung, Fehlschläge, Freundschaft und Kreativität. Und es geht darum, wie eine Emigrantin beginnt, ihrem Staatsoberhaupt verblüffend ähnlich zu sehen.

Ein Buch für alle, die England lieben, und für alle, die es seltsam finden. Tief in den britischen Alltag taucht die Reportage ein. Sie führt von London auf die Isle of Man, von Cornwall nach New York und zurück auf einen Hügel in Sussex. Im Zentrum aber steht eine deutsch-jüdische Familiengeschichte. Ein Leben lang kämpft Kathrine Talbot damit, ihre Erinnerungen in Literatur zu verwandeln. Als es ihr endlich gelingt, ist es fast schon zu spät.



Christoph Ribbat lehrt am Institut für Anglistik/Amerikanistik der Universität Paderborn. Sein Buch Im Restaurant stand auf der Shortlist für den Preis der Leipziger Buchmesse und wurde in vierzehn Sprachen übersetzt. Zuletzt erschien bei Suhrkamp Die Atemlehrerin: Wie Carola Spitz aus Berlin floh und die Achtsamkeit nach New York mitnahm.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR24,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR20,99

Produkt

KlappentextIlse Groß ist vierzehn, als sie aus Deutschland flieht. Ihre Familie bleibt zurück. In Großbritannien findet sie eine Anstellung als Dienstmädchen. Und sieben Jahre nach Kriegsende erlebt sie ihren Durchbruch als englischsprachige Schriftstellerin. Ihr Pseudonym: Kathrine Talbot.

Wie die Queen erzählt die wahre Geschichte einer fast perfekten Assimilation - von Ilses Rettung ins Vereinigte Königreich und ihrer Deportation in ein Lager für 'feindliche Ausländer', von ihrem Hunger und ihrer Freiheit und ihrem flüchtigen Erfolg auf dem Buchmarkt der Fünfzigerjahre. Es geht um Anerkennung, Fehlschläge, Freundschaft und Kreativität. Und es geht darum, wie eine Emigrantin beginnt, ihrem Staatsoberhaupt verblüffend ähnlich zu sehen.

Ein Buch für alle, die England lieben, und für alle, die es seltsam finden. Tief in den britischen Alltag taucht die Reportage ein. Sie führt von London auf die Isle of Man, von Cornwall nach New York und zurück auf einen Hügel in Sussex. Im Zentrum aber steht eine deutsch-jüdische Familiengeschichte. Ein Leben lang kämpft Kathrine Talbot damit, ihre Erinnerungen in Literatur zu verwandeln. Als es ihr endlich gelingt, ist es fast schon zu spät.



Christoph Ribbat lehrt am Institut für Anglistik/Amerikanistik der Universität Paderborn. Sein Buch Im Restaurant stand auf der Shortlist für den Preis der Leipziger Buchmesse und wurde in vierzehn Sprachen übersetzt. Zuletzt erschien bei Suhrkamp Die Atemlehrerin: Wie Carola Spitz aus Berlin floh und die Achtsamkeit nach New York mitnahm.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783458773320
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Erscheinungsjahr2022
Erscheinungsdatum19.06.2022
Auflage1. Auflage
Seiten220 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.8184149
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe




3
Wind


Sie wollen die Fremden betrachten. Deshalb versammeln sich Bewohner der Isle of Man im Jahr 1940 immer wieder am Hafen. Schiffe aus Liverpool legen an, in Douglas, an der Ostküste Mans, und Deutsche, Österreicher und Italiener steigen aus. Erst waren es nur Männer. Nun kommen auch Frauen. Die allermeisten von ihnen sind vor dem Nationalsozialismus nach Großbritannien geflohen.

»Failt ort« heißt »willkommen« in der alten Sprache der Insel. Aber Manx sprechen die Manx kaum noch. Am Hafen von Douglas rufen sie je nach Laune »bloody Germans« oder »nasty Germans«. Manchmal pfeifen oder spucken sie auch in die Richtung der Ankommenden.

Die Deportierten tragen ihr Gepäck von der Anlegestelle zum Bahnhof. Viele von ihnen wurden in Deutschland aufgrund ihres jüdischen Hintergrunds zu Nicht-Deutschen erklärt. Die Beschimpfungen der Manx machen sie wieder zu Deutschen. Den Insulanern ist dieses Paradox wohl nicht besonders wichtig.

Es ist der 30.â¯Mai des Jahres 1940. Die Inselbahn setzt sich in Bewegung, zwanzig Kilometer Richtung Süden. Das Internierungslager besteht aus zwei Orten. Von Port St.â¯Mary aus schaut man Richtung England, von Port Erin Richtung Irland. Ilse Gross steigt in Port St.â¯Mary aus. Sie befindet sich einerseits in einem Lager, weil sie nun von Stacheldraht umgeben ist, andererseits nicht in einem Lager, weil die Insassen, Urlaubern gleich, in Hotels und Pensionen wohnen. Es ist ein bisschen wie auf dem Schiff von Liverpool nach Douglas. Zweifellos fuhr es sie in die Unfreiheit - und doch gab es an Bord reichlich Kaffee und auf den Tischen weiße Tischtücher und in den Tüten, die für sie bereitstanden, Lunchpakete. Pro Person: ein sehr appetitliches Sandwich, ein hartgekochtes Ei, einen Apfel, eine Orange. Eine Stoffserviette noch dazu. Gut hat man sie versorgt auf der Fähre.

Die Gastgeber auf der Isle of Man erhalten Geld von der britischen Regierung, für jede Person einen festen Tagessatz. Das ist für die Wirte kein schlechtes Geschäft. Touristen kommen nur im Sommer, diese Gäste aber, die Internierten, bleiben wohl für die gesamte Dauer eines sicher nicht kurzen Weltkriegs. Geschicktes Haushalten kann ihre Unterbringung noch profitabler machen. Es wird sich herausstellen: Manche Pensionsbesitzer sind weniger großzügig als andere.

Alle Lagerinsassen, das ist die Regel, schlafen zu zweit in einem Bett. Ilse hat auf der Fähre eine junge Frau kennengelernt. Sie haben herausgefunden, dass sie gemeinsame Bekannte in der Gaustraße in Bingen haben. In der Bahn haben sie nebeneinandergesessen, aus dem Fenster geschaut, die Blumenpracht Mans bewundert. Sie haben es hinbekommen, in Port St.â¯Mary in derselben Pension untergebracht zu werden. Sie teilen sich die Matratze.

Internierte dürfen keine Kerzen besitzen, weil sie damit feindliche Flugzeuge anlocken könnten. Landkarten sind ebenfalls verboten. Sie dürfen keine Möwen füttern, keine Bilder an die Wände ihrer Zimmer hängen, keine Bars oder Tanzveranstaltungen besuchen und keine alkoholischen Getränke kaufen. Um zehn Uhr ist Bettruhe »and silence thereafter«.19

Mit dem Beginn des Zweiten Weltkriegs hatte die britische Regierung Tribunale eingerichtet. Diese sollten die »enemy aliens« klassifizieren.20 Als »A-Fälle« benannte man eindeutige und daher umgehend zu deportierende Unterstützer des nationalsozialistischen Systems. In Cardiff, Wales, wurde eine jüdische Krankenschwester auffällig, sie war vor kurzem aus Deutschland geflohen, weil sie mit der Schreibmaschine Briefe an ihre Mutter schrieb. Ihre Kolleginnen hatten sie tippen gehört und das Tippen verdächtig gefunden. Eine Krankenschwester würde nicht tippen. Also gab es für sie ein »A«.

Die Differenz zwischen der Mittelkategorie »B« (noch nicht zu internieren) und dem scheinbar unproblematischen »C« (nicht zu internieren) war in vielen Fällen nicht zu begreifen. Manchem Tribunalsvorsitzenden genügte es, wenn jemand Familie in Deutschland hatte. Schon erhielt man ein »B« und kein »C«. Dass man sich die größten Sorgen um diese Verwandten machte, dass diese Verwandten kein menschenwürdiges Leben mehr lebten, dass man nichts sehnlicher wünschte, als sie aus Deutschland herauszuholen? Unerheblich. Als Ilse Gross aus »Bingen/Rhine« mit achtzehneinhalb Jahren in Bromley/Kent vor dem für sie zuständigen Gremium erschien, befand sie das Tribunal als zu jung für ein »C«. Sie bekam am 30.â¯Oktober 1939 ein »B«, weil sie so ein junges Mädchen war und daher leicht zu beeinflussen. Aber ein »B« schien auch nicht allzu dramatisch.

Im Frühjahr 1940 besetzten deutsche Truppen Norwegen und Dänemark. Ein Angriff auf Großbritannien wurde wahrscheinlicher. Jeder in Küstennähe lebende männliche deutsche Flüchtling wurde nun interniert. Kategorien spielten keine Rolle mehr.


Registrierungskarte eines »enemy alien« (aus den Manx National Heritage Archives).


Frauen und Mädchen schätzte man erst als harmlos ein. Dann zirkulierten Gerüchte, dass einige dieser deutschen Dienstmädchen verdächtig viel Zeit in der Nähe von Militäranlagen verbrächten. Und jene Frage kam auf, welche geheimen Codes sie beim Wäscheaufhängen wohl aussenden könnten. Ein hoher britischer Diplomat sagte: »The paltriest kitchen maid, with German connections«, die armseligste Küchenhilfe, sei »a menace to the safety of the country«. Achttausend Männer wurden interniert, viertausend Frauen. Erst landeten sie in Gefängnissen, dann auf der Isle of Man.21

Im Lager kommt der Hunger in Ilses Leben zurück. Mittags gibt es mal etwas gesalzenen Kabeljau, mal Hering, mal ein paar Sardinen. Es ekelt sie vor diesen Fischen und sie isst sie natürlich dennoch. Einmal die Woche gibt es Presskopf. Wenn man gegen Presskopf protestiert, gibt es zweimal die Woche Presskopf. Abends bekommen sie zwei Scheiben Weißbrot, eine Tomate und ein kleines Stück Käse. Das reicht ihr nicht.

Port St.â¯Mary hat einen Strand. Es ist Badewetter. Kaum eine Frau hat daran gedacht, zur Deportation einen Badeanzug mitzunehmen. Sie gehen in Unterwäsche ins Wasser. Dass sie ganz ohne Bekleidung durch die Brandung laufen, könnte ein von den Manx verbreitetes Gerücht sein.

Die Frauen blicken hinaus aufs Meer und sehen den Stacheldrahtzaun, der sie davon abhalten soll, zu fliehen. Sie müssten einhundert Kilometer durch die Irische See schwimmen, um es wieder in die Freiheit zu schaffen. Bei Ebbe wirkt der Zaun besonders markant.

Die englische Presse berichtet davon, dass die deutschen Internierten auf Kosten des britischen Steuerzahlers fröhlichen Inselurlaub machten. Port St.â¯Mary hat einen Golfplatz. In Zeitungen liest man von mal in den Wellen frohlockenden und mal Bälle einlochenden Lagerinsassinnen und von wohlhabenden Deportierten, die sich ihre Golfschläger auf die Insel nachschicken ließen. Der Platz bleibt nicht lange für sie geöffnet.

Die Männer sind im Norden der Insel interniert, die Frauen im Süden. Verheiratete dürfen sich einmal in der Woche treffen, unter Beobachtung. Einmal wirft ein Mann seiner Verlobten Blumen über den Zaun. Er wird für drei Tage im Inselgefängnis eingesperrt.22

Kurt Schwitters sitzt im Männerlager, die Bildhauerin Pamina Liebert-Mahrenholz auf der anderen Seite. Edith Bach ist auf die Insel deportiert worden. Man nannte sie einst »die Nachtigall von Königs Wusterhausen«, weil von dort das erste deutsche Rundfunkprogramm gesendet wurde und Edith Bach einmal pro Woche darin sang. Die Volkswirtschaftlerin Magda Kelber ist interniert und Jenny Fliess, Mitbegründerin eines exzellenten vegetarischen Restaurants in London.23 Friedelind Wagner ist hier, die Enkelin eines deutschen Komponisten, und die Schauspielerin Dora Lask, bekannt als Dora Diamant: die letzte Freundin Franz Kafkas. Die Künstlerin Margarete Klopfleisch ist schwanger, als sie auf der Insel ankommt. Sie erleidet eine Fehlgeburt, stirbt fast an den Blutungen. Sie wird auf der Insel eine Skulptur mit dem Titel Verzweiflung schaffen. Vierunddreißig Zentimeter hoch ist die hölzerne Figur: eine Frau, die die Arme über den Kopf reißt und schreit.24

Die Angst, dass die Deutschen eine Invasion Englands planen, ist begründet. Sie sind in Paris. Also könnten sie auch London erreichen. Die Regierung lässt...

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