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Am Ende der Polarnacht

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
350 Seiten
Deutsch
Insel Verlag GmbHerschienen am14.02.2022Deutsche Erstausgabe
Spitzbergen, 1957: Der junge Chirurg Finn und seine Frau Eivor ziehen mit ihren beiden kleinen Töchtern nach Spitzbergen, der nördlichsten Siedlung Europas. In der polardunklen Tundra fallen die Temperaturen unter minus 30 Grad, im Winter kann niemand die Insel verlassen. In der unberührten Natur sind es einzig die Kohleminen, in denen die Arbeit nie stillsteht. Als Werksarzt flickt Finn die bei der gefährlichen Arbeit verletzten Bergarbeiter zusammen, stellt aber bald fest, dass nicht nur ihre Körper kaputtgehen, sondern auch die Psyche.
Auch Eivor belastet die neue Situation schwer, sie hat Schwierigkeiten, ihren Platz in der Inselgemeinschaft zu finden. Nur über die Huskyhündin Jossa kann sie einen Zugang zu ihrer neuen Umwelt finden - doch die stille Verzweiflung am Ende der Welt wendet sich langsam, aber stetig auch gegen den eigenen Ehemann, während der Permafrost unter der Erde an den Fundamenten der Gemeinschaft rüttelt.
Am Ende der Polarnacht ist ein Roman über das Überleben am Rande der Welt, Isolation, die Kraft der Natur - und eine Ehe in der Krise.

Heidi Sævareid, geboren 1984, ist eine norwegische Autorin, Übersetzerin und Literaturkritikerin. Für ihre Jugendromane wurde sie bereits drei Mal für den Bragepreis nominiert. Am Ende der Polarnacht ist ihr erster Roman für Erwachsene und der erste auf Deutsch. Sie lebt in London.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR23,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR19,99

Produkt

KlappentextSpitzbergen, 1957: Der junge Chirurg Finn und seine Frau Eivor ziehen mit ihren beiden kleinen Töchtern nach Spitzbergen, der nördlichsten Siedlung Europas. In der polardunklen Tundra fallen die Temperaturen unter minus 30 Grad, im Winter kann niemand die Insel verlassen. In der unberührten Natur sind es einzig die Kohleminen, in denen die Arbeit nie stillsteht. Als Werksarzt flickt Finn die bei der gefährlichen Arbeit verletzten Bergarbeiter zusammen, stellt aber bald fest, dass nicht nur ihre Körper kaputtgehen, sondern auch die Psyche.
Auch Eivor belastet die neue Situation schwer, sie hat Schwierigkeiten, ihren Platz in der Inselgemeinschaft zu finden. Nur über die Huskyhündin Jossa kann sie einen Zugang zu ihrer neuen Umwelt finden - doch die stille Verzweiflung am Ende der Welt wendet sich langsam, aber stetig auch gegen den eigenen Ehemann, während der Permafrost unter der Erde an den Fundamenten der Gemeinschaft rüttelt.
Am Ende der Polarnacht ist ein Roman über das Überleben am Rande der Welt, Isolation, die Kraft der Natur - und eine Ehe in der Krise.

Heidi Sævareid, geboren 1984, ist eine norwegische Autorin, Übersetzerin und Literaturkritikerin. Für ihre Jugendromane wurde sie bereits drei Mal für den Bragepreis nominiert. Am Ende der Polarnacht ist ihr erster Roman für Erwachsene und der erste auf Deutsch. Sie lebt in London.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783458773351
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Erscheinungsjahr2022
Erscheinungsdatum14.02.2022
AuflageDeutsche Erstausgabe
Seiten350 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.8184154
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe



Kapitel 1


Die große sibirische Huskyhündin steht neben ihr, die Vorderpfoten auf einer Höhe mit den Spitzen ihrer Skier. Eivor hört ihren eigenen Atem, hört den Atem der Hündin. Die Skier knirschen auf dem grobkörnigen Schnee. Hier oben auf dem Gletscher ist die Sonne bereits zurückgekehrt, unten im Tal noch nicht. Longyearbyen liegt im Schatten. So wird es noch einige Wochen bleiben.

Eigentlich hatte sie gar nicht losfahren dürfen. Finn hatte das Fenster im ersten Stock geöffnet, als sie sich gerade die Skier an die Füße schnallte. Man habe ihn zu einer Notoperation gerufen, sie müsse also bei den Kindern bleiben.

Mit den Zähnen zieht sie sich den Fäustling aus Robbenleder von der Hand, öffnet die Schnalle des Lederetuis und holt das Fernglas hervor. Es ist schwer und kalt und gehört Finn. Sie streicht mit den Fingerspitzen über das schwarze geriffelte Metall, biegt die beiden Okulare auseinander. Als sie es an die Augen setzt und die Schärfe einstellt, sind ihre Finger bereits kalt. Sie fokussiert auf das große Hiorthfjell und den Gipfel Adventtoppen jenseits des Adventfjords, dann schwenkt sie den Blick über die schwarzen Zacken des Sverdruphamar. Sie lässt das Fernglas sinken und blickt hinab ins Tal, das dort im Halbdunkeln döst. Der Ort erstreckt sich zu ihren Füßen wie eine blaue Wand, gesprenkelt mit Punkten aus goldenem Licht. Zwischen ihr und der Siedlung fällt der Hang in das flache, längliche Tal ab, die langen Fjellketten ragen wie Stadtmauern links und rechts empor.

Eigentlich ist Longyearbyen kein richtiger Ort, sondern eine Ansammlung vereinzelter Häuser, die jeden Augenblick von einer Lawine mitgerissen werden könnten. Genau das ist vor gerade einmal vier Jahren mit dem ehemaligen Krankenhaus passiert - eine Lawine raste hinab ins Vannledningsdalen und riss drei Menschen aus dem Leben.

Der Fjord am Ende des Tals ist von einer weißen Eisdecke überzogen. Kein Schiff kann den Hafen anlaufen. Winter auf Spitzbergen bedeutet, gefangen zu sein, mit einer begrenzten Anzahl Konservendosen, einer begrenzten Anzahl Streichholzschächtelchen, einer begrenzten Anzahl Branntwein. Wird man im Laufe des Winters ernsthaft krank, gibt es keinen Weg zurück zum Festland. Beerdigt werden kann man auf Spitzbergen auch nicht, man verwest nicht, der Permafrost drückt die Toten wieder an die Oberfläche.

Eivor richtet das Fernglas auf den Ortsteil Skjæringa, der auf einer kleinen Anhöhe liegt, schwenkt hinüber zu dem Platz, auf dem im Laufe des Jahres die neue Kirche errichtet werden soll. Irgendwann im Herbst wird sie wohl fertiggestellt sein, und die Gottesdienste können vom Gemeindehaus Huset weiter nach vorn ins Tal verlegt werden. Dort gab es keine Kirche mehr, seit die Deutschen während des Krieges das ehemalige Gotteshaus zerbombt und niedergebrannt hatten. Sie hat Bilder vom Tag des Angriffs gesehen. Große schwarze Wolken hingen zwischen den Bergen, nachdem der Stollen Gruve 2 so zerschossen worden war, bis er in Flammen aufging. In den Kohlelagern brennt es immer noch, beinahe vierzehn Jahre später. Eivor versucht, sich die intensive Hitze im Inneren des Berges vorzustellen - schwarz und vulkanisch und unzähmbar.

Sie richtet das Fernglas auf das Krankenhaus, das längliche, bleichgelbe Gebäude im östlichen Teil des Tals. Es wurde in aller Eile aus dem Boden gestampft, an einem sichereren Ort, etwas abseits der Stelle, an der sich die Lawinenkatastrophe zugetragen hatte. Finn geht oft hinaus auf die Terrasse, um ihr nachzusehen, wenn sie ihre übliche Route über den Gletscher Longyearbreen läuft. Dann trägt er den schweren Schaffellmantel über dem Arztkittel und das Fernglas um den Hals, das sie gerade in der Hand hält. Als würde es irgendwie helfen, dass er dort steht und sie beobachtet. Das Gefühl von Sicherheit verschafft ihr nur das Gewehr über ihrer Schulter.

Aber heute ist er im OP. Eivor hat sich den blauen Anorak und eine helle Skihose über Wollunterwäsche und Steghosen gezogen, aus der Ferne muss es wohl so aussehen, als verschmelze ihr Oberkörper mit dem Himmel, ihre Beine mit dem Gletscher. Niemand kann sie hier oben sehen, sie fühlt sich leicht. Sie ist einfach gegangen. Finn hat ihr nachgerufen, irgendetwas wegen der Kinder, aber Jossa hat im Geschirr gezerrt, sie davongezogen.

Jossa rührt sich plötzlich neben ihr, trippelt mit den Vorderpfoten, sie wittert etwas in der Luft, dreht die Ohren, den Schwanz gerade von sich gestreckt. Eivor lässt das Fernglas sinken und greift automatisch nach dem Gewehr. Wenn die Hündin in Alarmbereitschaft ist, ist sie es auch.

Sie blickt um sich. Die Stille drückt von allen Seiten, sie kann nichts sehen außer Schnee und Fjell und Himmel, aber Jossa wirkt immer noch auf der Hut, sie hat begonnen zu patrouillieren, schlägt einen Bogen um Eivors Skispitzen und bleibt dann wieder stehen. Eivor spürt, wie sich ihre Bauchmuskeln und ihre Schenkel anspannen, sie setzt das Fernglas erneut an die Augen.

Langsam schwenkt sie es um einhundertachtzig Grad in die eine Richtung, dann in die andere - und hält abrupt inne, als sie auf der Hochebene jenseits des Gletschers Regungen wahrnimmt. Der Schreck sitzt ihr wie Bleigeschmack im Hals. Dort bewegt sich etwas Helles, etwas, das sich kaum von der Farbe des Schnees abhebt. Ihre Hände verkrampfen sich um das Fernglas, sie wagt kaum zu atmen. Wie schnell kann ein Bär laufen? Wie nah muss er sein, bevor sie schießen kann?

Das Tier bewegt sich jetzt nicht mehr und es ist schwer zu erkennen, wo sein Kopf ist. Eivors Mund ist trocken, sie hat Schwierigkeiten, das Fernglas mit ihren tauben Fingern scharfzustellen. Doch sie kann erkennen, dass neben dem Tier noch etwas anderes läuft - ebenfalls etwas Helles, aber viel kleiner. Ein Junges? Sie spürt ein Rauschen im Kopf, hinter den Augen. Eine Bärin mit ihrem Jungen? Davor hatte Finn sie gewarnt. Das ist die größte Gefahr, die ihr begegnen kann. Sie gibt sich Mühe, das Fernglas still zu halten, zwingt ihre Finger dazu, ihr zu gehorchen, schafft es endlich, den Fokus neu einzustellen, und da - eine ganze Herde von Tieren hinter den beiden vorderen.

Erleichtert atmet sie auf. Es sind Rentiere, keine Eisbären. Nur eine Herde Rentiere. Jetzt erkennt sie die Hornstümpfe und die kurzen Beine, die die runden Körper tragen.

Sie lässt das Fernglas sinken, spürt, wie ihre Muskeln nach und nach an Anspannung verlieren. Doch Jossa, die vor ihr steht, wirkt immer noch unruhig - wittert sie etwas in der Luft, etwas anderes als den Geruch der Rentiere? Rentiere ist die Hündin gewohnt, manchmal kommen sie bis hinunter ins Tal und spazieren zwischen den Häusern umher. Eivor greift erneut nach dem Gewehr, doch im selben Augenblick lässt Jossa den Kopf sinken. Sie stupst die Schnauze in den Schnee, dann dreht sie sich zu Eivor um, mit weißem Puder auf der schwarzen, ledrigen Nase. Ihr Maul ist leicht geöffnet, Eivor findet, dass es wie ein Lachen aussieht. Ungeduldig stampft sie mit der Vorderpfote in den Schnee und zwinkert mit einem Auge - sie will weiter. Von ihrer rosafarbenen Zunge steigt Dampf auf, ihr ist heiß, sie gehört in diese Landschaft. Sogar ihre schwarzen Trittballen sind warm.

Da bemerkt Eivor, wie die Finger an ihrer nackten Hand kurz davor sind, steif zu frieren, sie zieht den Fäustling aus der Brusttasche ihres Anoraks und streift ihn sich über. Nur wenige Minuten ohne Handschuhe können gefährlich sein. In der Polarkälte rast die Zeit davon. Jede Entscheidung zählt.

Die Luft ist so trocken, dass man sie zerbröseln könnte. Eivor merkt es an ihrer Haut. Jeden Tag muss sie sich Hände und Lippen mit Vaseline eincremen, ihre Haare knistern elektrisiert, wenn sie sich Mütze und Kapuze vom Kopf zieht. Auf den Oberschenkeln und an den Armen hat sie Kälteausschlag - harte Noppen, die sich rötlich färben, wenn die Haut sich aufwärmt, und gräulich lila, wenn sie friert.

Die Mädchen vertragen die Kälte besser als sie. Keine der beiden muckt, wenn Eivor ihnen die klebrige Kältecreme auf die Wangen schmiert, die kratzige Wollunterwäsche anzieht, sie in Strickpullover einpackt, sie polstert. Sie heben die Arme und lassen sich von Eivor die winddichten Anoraks über den Kopf ziehen. Sie stehen still nebeneinander, wenn Eivor die Bänder ihrer Schafwollmützen unterm Kinn zuschnürt, gehorsam heben sie die Füße und stecken sie...

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Autor

Heidi Sævareid, geboren 1984, ist eine norwegische Autorin, Übersetzerin und Literaturkritikerin. Für ihre Jugendromane wurde sie bereits drei Mal für den Bragepreis nominiert. Am Ende der Polarnacht ist ihr erster Roman für Erwachsene und der erste auf Deutsch. Sie lebt in London.