Hugendubel.info - Die B2B Online-Buchhandlung 

Merkliste
Die Merkliste ist leer.
Bitte warten - die Druckansicht der Seite wird vorbereitet.
Der Druckdialog öffnet sich, sobald die Seite vollständig geladen wurde.
Sollte die Druckvorschau unvollständig sein, bitte schliessen und "Erneut drucken" wählen.

Wirtschaftsgeschichte des Kaiserreichs 1871-1918

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
236 Seiten
Deutsch
UTB GmbHerschienen am19.01.20111. Auflage
Während der fast 50 Jahre zwischen Reichsproklamation und Novemberrevolution wandelte sich Deutschland vom rückständigen Agrarstaat zum wirtschaftlich modernen sowie gesellschaftlich und politisch revolutionären Staat. Carsten Burhop blickt aus wirtschaftswissenschaftlicher Perspektive auf das deutsche Kaiserreich. Nach einer kurzen Darstellung der staatsrechtlichen Organisation, der gesellschaftspolitischen Schichtungen und der wichtigsten politischen Ereignisse werden zunächst die gesamtwirtschaftlichen Faktoren angesprochen: Wachstum in nationaler und internationaler Perspektive sowie Konjunkturschwankungen. Danach gibt Burhop einen Überblick über wichtige Felder der Wirtschaftspolitik: Fiskal-, Außenhandels- und Zollpolitik, Geld- und Währungspolitik. Anschließend folgt ein Blick auf Unternehmen und Märkte: Unternehmenskonzentration und Kartellierung, Banken und Finanzmärkte. Burhop schließt mit einer Darstellung der Wirtschaft im Ersten Weltkrieg.

Prof. Dr. Carsten Burhop lehrt an der Universität Bonn.
mehr
Verfügbare Formate
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR10,99
E-BookPDF1 - PDF WatermarkE-Book
EUR10,99

Produkt

KlappentextWährend der fast 50 Jahre zwischen Reichsproklamation und Novemberrevolution wandelte sich Deutschland vom rückständigen Agrarstaat zum wirtschaftlich modernen sowie gesellschaftlich und politisch revolutionären Staat. Carsten Burhop blickt aus wirtschaftswissenschaftlicher Perspektive auf das deutsche Kaiserreich. Nach einer kurzen Darstellung der staatsrechtlichen Organisation, der gesellschaftspolitischen Schichtungen und der wichtigsten politischen Ereignisse werden zunächst die gesamtwirtschaftlichen Faktoren angesprochen: Wachstum in nationaler und internationaler Perspektive sowie Konjunkturschwankungen. Danach gibt Burhop einen Überblick über wichtige Felder der Wirtschaftspolitik: Fiskal-, Außenhandels- und Zollpolitik, Geld- und Währungspolitik. Anschließend folgt ein Blick auf Unternehmen und Märkte: Unternehmenskonzentration und Kartellierung, Banken und Finanzmärkte. Burhop schließt mit einer Darstellung der Wirtschaft im Ersten Weltkrieg.

Prof. Dr. Carsten Burhop lehrt an der Universität Bonn.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783846334546
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Verlag
Erscheinungsjahr2011
Erscheinungsdatum19.01.2011
Auflage1. Auflage
Seiten236 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.8184526
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Inhaltsverzeichnis
InhaltVorwort 7Verzeichnis der Tabellen 8Verzeichnis der Abbildungen 9I. Einleitung 11II. Politik, Gesellschaft und Verfassung 17III. Das Wachstum der deutschen Wirtschaft aus nationaler Perspektive 31IV. Das Wachstum der deutschen Wirtschaft aus internationalerPerspektive 49V. Die Konjunktur 67VI. Fiskalpolitik 81VII. Außenhandels- und Zollpolitik 101VIII. Geld- und Währungspolitik 119IX. Unternehmen 137X. Unternehmenskonzentration und Kartellierung 153XI. Banken und Finanzmärkte 167XII. Die Wirtschaft im Ersten Weltkrieg 191XIII. Schluss 215Literatur 221END:mehr
Leseprobe



|âº17|

II. Politik, Gesellschaft und Verfassung

Wirtschaftliche Handlungen werden in einem durch gesellschaftliche und politische Strukturen, Verfassungen und außerökonomische Ereignisse begrenzten Rahmen vollzogen. Entsprechend setzt die Beschreibung und Analyse ökonomischer Gegebenheiten und Entwicklungen Grundkenntnisse der zentralen gesellschaftlichen Strukturen, verfassungsrechtlicher Normen und politischer Ereignisse voraus.

Die gesellschaftliche Struktur lässt sich anhand des Bevölkerungsaufbaus beschreiben, wobei im Deutschen Kaiserreich zwei Entwicklungen herausstechen: Bevölkerungswachstum und Urbanisierung. Zwischen 1871 und 1913 wuchs die Reichsbevölkerung von rund 40 auf circa 67 Millionen Menschen, also um rund 1,2 Prozent jährlich. Auch die Lebenserwartung stieg deutlich an. Im ersten Jahrzehnt des Kaiserreichs hatte ein männlicher Neugeborener eine Lebenserwartung von 35 Jahren, kurz vor Kriegsausbruch hingegen bereits von mehr als 47 Jahren. Für diese deutliche Veränderung kann man vor allem den signifikanten Rückgang der Säuglings- und Kleinkindsterblichkeit verantwortlich machen. Die deutsche Bevölkerung wurde zwischen 1871 und 1913 somit größer und älter. Das natürliche Bevölkerungswachstum aufgrund der Differenz zwischen Geburten- und Sterbeziffern wurde aber durch Migration insgesamt gebremst. Einerseits wanderten zwar 1,1 Millionen Ausländer, vor allem aus Osteuropa, in das Reich ein, andererseits aber verließen drei Millionen Deutsche ihre Heimat dauerhaft, vornehmlich Richtung Nordamerika.9 Von größerer Bedeutung als die internationale Wanderung war jedoch die Binnenmigration, insbesondere von den ostelbischen Agrargebieten ins Rheinland, nach Westfalen und in den Großraum Berlin. Zudem konzentrierte sich die Bevölkerung zunehmend in größeren Städten. Der Anteil der Menschen, die in Gemeinden mit weniger als 2.000 Einwohnern lebten, ging zwischen 1871 und 1910 von 64 auf 40 Prozent zurück. Gleichzeitig erhöhte sich der Bevölkerungsanteil, der in Großstädten mit mehr als 100.000 Einwohnern zu Hause war von 4,8 Prozent auf 21,3 Prozent. Die einzige Millionenstadt blieb jedoch Berlin, deren Einwohnerzahl zwischen 1880 und 1910 von 1,1 auf 3,7 Millionen Menschen anstieg. Kurz vor Kriegsausbruch näherte sich auch Hamburg der Millionenmarke. München, Leipzig, Dresden, Köln und Breslau hatten jeweils 500.000 bis 600.000 Einwohner. 10

|17â âº18|

Die nackten demographischen Ziffern sagen nichts über die ausgeprägte Klassenstruktur des Kaiserreichs. Zunächst einmal bestanden zur Zeit der Reichsgründung erhebliche Einkommens- und Vermögensunterschiede, die trotz des deutlichen Wachstums des Pro-Kopf-Einkommens bis 1918 nicht ausgeglichen werden konnten. Selbst 1914 mussten noch 60 bis 70 Prozent der Lohnempfänger ein Auskommen mit einem Einkommen unterhalb der Einkommensteuergrenze haben.11 Die Gesellschaft des Kaiserreichs kann anhand zahlreicher Gegensätze stratifiziert werden: Arm und Reich, Stadt- und Landbevölkerung, Evangelisch und Katholisch, abhängig Beschäftigter und Selbstständiger, Arbeiter und Angestellter, Bürgerlicher und Adliger, Akademiker und Analphabet. Sozialer Aufstieg war kaum möglich und zog sich, wenn er denn stattfand, oft über mehrere Generationen hin. Beispielsweise fanden sich an Gymnasien und Universitäten kaum Kinder aus Arbeiterhaushalten - ihr Anteil an den Universitätsabsolventen lag unter einem Prozent. Ein sozialer Aufstieg vollzog sich somit eher innerhalb einer Klasse, beispielsweise vom ungelernten Arbeiter zum Facharbeiter, vom kleinen Beamten zum Bildungsbürger.12

An der Spitze der deutschen Klassengesellschaft stand der Adel, dessen ökonomische Bedeutung zwar langsam schwand, der aber gleichwohl erhebliche politische Macht besaß und zentrale Funktionen in Militär und Verwaltung innehatte. Kurz vor Kriegsausbruch stand an der Verwaltungsspitze fast aller preußischen Provinzen und der Mehrheit der Regierungsbezirke ein Adliger, zwei Drittel der Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes waren Adlige und die Hälfte der höheren Offiziere stammte ebenfalls aus dem Adel. Zudem gelang es dem Adel, Aufsteiger aus dem Bürgertum durch Nobilitierung zu integrieren.13

Das Bürgertum selbst ist eine höchst amorphe Kategorie und lässt sich am ehesten anhand von Normen, Mentalitäten und Lebensweisen charakterisieren. Grenzt man das Bürgertum anhand der von Bürgern ausgeübten Berufe ein, dann zählten Unternehmer, Rentiers, Direktoren, Ärzte, Anwälte, Professoren, Pfarrer, Richter und höhere Verwaltungsbeamte dazu. Dieses Wirtschafts- und Bildungsbürgertum umfasste vor dem Weltkrieg dreieinhalb bis vier Millionen Menschen, also rund sechs Prozent der Reichsbevölkerung. Rechnet man kleinbürgerliche Schichten und den neuen Mittelstand hinzu - also Handwerker, Händler, Gastwirte, einfache Angestellte und Beamte - dann gehörten ihm fast zehn Millionen Menschen an.14 Im Kaiserreich kam es zu einer zunehmenden Differenzierung innerhalb des Bürgertums, vor allem weil sich die Durchschnittseinkommen des Wirtschaftsbürgertums und des Bildungsbürgertums deutlich auseinanderentwickelten. Die Bildungsbürger versuchten ihren ökonomischen |18â âº19| Statusverlust durch gesellschaftlichen Statusgewinn auszugleichen, beispielsweise mit einer Karriere als Reserveoffizier und der damit einhergehenden Annäherung an den Adel.15

Den dritten Stand im Staate bildete die Arbeiterschaft, zu der am Anfang des 20. Jahrhunderts rund zehn Millionen Beschäftigte zu zählen sind. In sich war die Arbeiterschaft wiederum weit differenziert, etwa hinsichtlich des Alters und der Qualifikation. Der ungelernte, von Altersarmut betroffene Arbeiter im fünften Lebensjahrzehnt hatte wenig mit dem jungen Facharbeiter gemein. Zudem spielte die Religion in der Arbeiterschaft eine relativ große Rolle, bot sie doch Halt in einem Leben, das durch Binnenmigration und Abtrennung von der früheren Lebensgemeinschaft in der kleinen eigenen Welt auf dem Land gekennzeichnet war. Andererseits schweißten abhängige Lohnarbeit, lange Arbeitstage und monotone Tätigkeit die Arbeiterschaft zusammen, sodass zunehmend gemeinsame Interessen in festgefügten Organisationen vertreten und die karge Freizeit gemeinsam verlebt wurden. Gewerkschaften und Wirtshäuser blühten in den Arbeitersiedlungen auf.16

Der Stand der Bauern und Landarbeiter schrumpfte, ihre Anzahl ging absolut, vor allem aber relativ zurück. Die Bewohner der bäuerlich-ländlichen Lebenswelt unterschieden sich anhand ihres Landbesitzes: Großgrundbesitzer, Großbauern, Mittelbauern, Kleinbauern, Parzellisten und landlose Landarbeiter lebten unterschiedlich. Im Reich gab es rund neun Millionen Männer auf dem Land. Davon waren allein dreieinhalb Millionen Landarbeiter und weitere viereinhalb Millionen besaßen weniger als fünf Hektar - nicht genug, um davon zu leben. Somit gab es lediglich eine Million Bauern, die von ihrem Besitz leben konnten. Aber auch innerhalb dieser Gruppe der Besitzbauern gab es große Unterschiede zwischen den rund 20.000 Großgrundbesitzern mit mehr als 100 Hektar und den rund eine Million mittelgroßen Betrieben, die zwischen fünf und 20 Hektar bewirtschafteten. Bemerkenswert sind auch die erheblichen regionalen Unterschiede der Besitzstruktur. In Ostelbien gab es eine steile Hierarchie mit wenigen Großgrundbesitzern und vielen Landarbeitern. In Süddeutschland hingegen wurden landwirtschaftliche Betriebe im Erbfall real geteilt, d. h. auf die Erben verteilt. Dies führte dazu, dass es dort überwiegend Kleinbetriebe gab. Nordwestdeutschland rangierte dazwischen, da das dort übliche Anerbenrecht den Hof in einer Hand, in der Regel in der Hand des erstgeborenen Sohns, beließ.17

Ihre politischen Rechte übte die Bevölkerung durch Wahlen aus, dem einzigen in der Verfassung garantierten Grundrecht. Der grundsätzliche Rahmen politischer |19â âº20| Handlungen wurde in der Reichsverfassung vom 16. April 1871, die in wesentlichen Zügen auf die preußische Verfassung und die Verfassung des Norddeutschen Bundes zurückgeht, festgezurrt und bis zum Ende des Kaiserreichs am 9. November 1918 quasi nicht mehr verändert. Das Kaiserreich war zugleich absolutistisch und monarchisch, parlamentarisch und repräsentativ, demokratisch und plebiszitär sowie föderalistisch.18 Der deutsche Kaiser, der zugleich König von Preußen war, nahm in vielerlei Hinsicht die zentrale Rolle in der Verfassung ein:19 Er bestimmte die Außenpolitik, entschied über Krieg und Frieden, führte die Streitkräfte, ernannte und entließ den Reichskanzler, die Staatssekretäre und höheren Reichsbeamten - und er erließ Gesetze, denen jedoch sowohl der Reichstag als auch der Bundesrat zustimmen mussten. Da der Kaiser den Reichstag jederzeit mit Zustimmung des Bundesrates auflösen konnte und da er als preußischer König zugleich eine starke Position im Bundesrat besaß, verfügte er gegenüber den beiden anderen Verfassungsorganen über erhebliche Druckmittel. 20 Tatsächlich dürften die beiden wichtigen Kaiser die ihnen zugewiesene Rolle sehr unterschiedlich ausgefüllt haben. Während Wilhelm I. dem Rat seines Kanzlers Bismarck folgte, scheint Wilhelm II. eine aktivere politische Rolle gespielt zu haben.21

Für eine gestaltende Politik in denjenigen Bereichen, die durch die Verfassung dem Reich zugewiesen worden waren, war die Zustimmung von Bundesrat und Reichstag notwendig. Das Reich war unter anderem für...

mehr