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Liebe im neuen Jahrtausend

von
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
420 Seiten
Deutsch
Matthes & Seitz Berlin Verlagerschienen am21.10.20211. Auflage
Wei Bo irrlichtert durch eine Welt ständiger erotischer Verfügbarkeit, in der er zum Spielball in einer geheimnisvoll matriarchal kontrollierten Gesellschaft wird. Vier Frauen dominieren seine Welt, in der sich alle in permanenter Überwachung befinden, in der Informanten in Blumenbeeten lauern und es vor falschen Berichten wimmelt. Verschwörungen wuchern an allen Ecken und Enden dieser Gesellschaft, die Paranoia und Misstrauen schürt. Manche versuchen zu fliehen - sei es in ein mysteriöses Wellnesshotel oder in die Häuser der Ahnen, die nur unterirdisch durch schlammige Höhlen, Abwasserkanäle und Tunnel erreicht werden können. Andere suchen die Zuflucht in einer Stadt namens Chao, wo traditionelle chinesische Heilpflanzen es ermöglichen, zu einem neuen Selbst zu finden, und versprechen, die Welt etwas glücklicher werden zu lassen. Jedes Leben wird hier von tief vergrabenen Geheimnissen und surrealen Trugbildern heimgesucht. Can Xues meisterhaft erzählte Liebesgeschichte ist eine düster-groteske Farce aus dem heutigen China. Sie zeigt die vielen Gesichter der Liebe - satirisch, tragisch, vergänglich, absurd und erfüllend - vor einer Kulisse aus Kommerz und Industrie, Betrug und Ausbeutung.

Can Xue (??) ist Nom de Plume der 1953 in Changsha geborenen chinesischen Autorin Deng Xiaohua. Ihre Eltern, beide Verleger, fielen als Intellektuelle in den späten 1950er Jahren Maos Kampagne gegen Rechtsabweichler und zehn Jahre später der Kulturrevolution zum Opfer. Seit mehreren Jahrzehnten ist Can Xue die wichtigste Vertreterin der experimentellen literarischen Avantgarde in China. Ihr Werk wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Ihr Roman Liebe im neuen Jahrtausend wurde für den Internationalen Literaturpreis des Haus der Kulturen der Welt 2022 nominiert.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR26,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR22,99

Produkt

KlappentextWei Bo irrlichtert durch eine Welt ständiger erotischer Verfügbarkeit, in der er zum Spielball in einer geheimnisvoll matriarchal kontrollierten Gesellschaft wird. Vier Frauen dominieren seine Welt, in der sich alle in permanenter Überwachung befinden, in der Informanten in Blumenbeeten lauern und es vor falschen Berichten wimmelt. Verschwörungen wuchern an allen Ecken und Enden dieser Gesellschaft, die Paranoia und Misstrauen schürt. Manche versuchen zu fliehen - sei es in ein mysteriöses Wellnesshotel oder in die Häuser der Ahnen, die nur unterirdisch durch schlammige Höhlen, Abwasserkanäle und Tunnel erreicht werden können. Andere suchen die Zuflucht in einer Stadt namens Chao, wo traditionelle chinesische Heilpflanzen es ermöglichen, zu einem neuen Selbst zu finden, und versprechen, die Welt etwas glücklicher werden zu lassen. Jedes Leben wird hier von tief vergrabenen Geheimnissen und surrealen Trugbildern heimgesucht. Can Xues meisterhaft erzählte Liebesgeschichte ist eine düster-groteske Farce aus dem heutigen China. Sie zeigt die vielen Gesichter der Liebe - satirisch, tragisch, vergänglich, absurd und erfüllend - vor einer Kulisse aus Kommerz und Industrie, Betrug und Ausbeutung.

Can Xue (??) ist Nom de Plume der 1953 in Changsha geborenen chinesischen Autorin Deng Xiaohua. Ihre Eltern, beide Verleger, fielen als Intellektuelle in den späten 1950er Jahren Maos Kampagne gegen Rechtsabweichler und zehn Jahre später der Kulturrevolution zum Opfer. Seit mehreren Jahrzehnten ist Can Xue die wichtigste Vertreterin der experimentellen literarischen Avantgarde in China. Ihr Werk wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Ihr Roman Liebe im neuen Jahrtausend wurde für den Internationalen Literaturpreis des Haus der Kulturen der Welt 2022 nominiert.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783751800549
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2021
Erscheinungsdatum21.10.2021
Auflage1. Auflage
Seiten420 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1681 Kbytes
Artikel-Nr.8232338
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

Zwei
Wei Bos Affäre mit Ah Si

Die Geschichte zwischen Wei Bo und Ah Si war insofern halboffiziell, als jeder außer Wei Bos Frau davon wusste. Vielleicht wusste sie sogar davon, kümmerte sich aber nicht darum, weil sie andere Sorgen hatte.

Wei Bo war vorübergehend als Teilzeitkraft in der Baumwollfabrik angestellt gewesen, als er dort Ah Si begegnet war und sich auf den ersten Blick in sie verliebt hatte. Tagelang stellte er ihr auf dem Fabrikgelände nach. Ah Si blieb das natürlich nicht verborgen. Aus sicherer Distanz nahm sie Wei Bo in Augenschein, und ihre widerstreitenden Gefühle ließen sie nachts nicht schlafen. Schließlich ging sie einfach auf ihn zu und fragte: »Was würdest du es dich kosten lassen, mich auszuhalten?«

Wei Bo kniff die Augen zusammen. Seine Antwort war aufrichtig: »Ich bin nicht reich, aber ich würde alles daransetzen, dich zu unterstützen.«

Sofort hängte sich Ah Si bei ihm ein und die beiden paradierten für jedermann sichtbar zusammen aus der Fabrik.

Als Sexarbeiterin im Wellnesshotel anzufangen war Ah Sis eigene Idee. Wei Bo wollte sie erst davon abbringen, aber nachdem er sich mehrmals ihren Arbeitsplatz angesehen hatte, hielt er den Mund. Er stürzte sich in verschiedene Nebenjobs, um sie sobald wie möglich aus dem Wellnesshotel herauszuholen, nach zwei Jahren wurde ihm allerdings klar, dass sie von der Arbeit dort alles andere als angewidert war. Sie bewahrte eine gewisse Gleichmut und war viel unbeschwerter als zu ihrer Zeit in der Baumwollfabrik. Jung und hübsch wie sie war, verdiente sie genug, um den Kauf einer Wohnung zu erwägen.

Wei Bo hatte es besonders das lebendige Funkeln ihrer Augen angetan. Nie zuvor hatte er eine so bezaubernde Frau getroffen. Jeder ihrer Blicke war mehrdeutig und brachte einen erwachsenen Mann völlig um den Verstand. Er wusste einfach nie, was er von ihr zu halten hatte, obwohl Ah Si ganz offen mit ihm war und keinen Hehl daraus machte, dass sie noch mindestens zwei andere Liebhaber hatte.

Im Allgemeinen verlieben sich Sexarbeiterinnen nur selten in ihre Kunden, da es sich schließlich um eine Geschäftsbeziehung handelt. Ah Si aber war für dieses Geschäft nicht rational genug und entwickelte immer wieder romantische Gefühle für den einen oder anderen. Sooft ihre Umgebung sie auch auf ihren Irrtum aufmerksam machte - sie selbst sah kein Problem darin.

»Was soll an meinem Verhalten falsch sein?«, fragte sie Wei Bo. »Was soll dieses Gerede von Geschäft? Als ob wir nur auf der Welt wären, um Geschäfte zu machen! Jeder wird danach beurteilt, ob er gut darin ist. Ich bin es nun einmal nicht, aber ich lasse auch jeden so leben, wie es ihm passt.«

Sie sagte das mit diesem unwiderstehlichen Lächeln, das Wei Bo jedes Mal aus der Fassung brachte.

»Das Einzige, was ich bereue, ist, dass ich nicht früher bei der Baumwollfabrik gekündigt habe«, fuhr sie fort. »Mein jetziger Job ist viel besser. Wenn ich erst mithilfe von dir und den anderen eine Wohnung gekauft habe, werde ich viel mehr Kontrolle über meine Arbeit haben. Manche sagen ja, ich sollte dann aufhören, und vielleicht tue ich das auch. Aber was wäre ich ohne meine Arbeit? Ich würde mich nur einsam fühlen. Da bleibe ich lieber bei meinem jetzigen Leben. Ich bin eben jemand, der das Risiko liebt.«

Einmal wurde Ah Si von einem Mafiatypen misshandelt, der ihr Gesicht grün und blau schlug und ihr so viel Haar abschnitt, dass ihr nichts anderes übrigblieb, als sich den Kopf kahl zu scheren und ihre Glatze unter einer Mütze zu verstecken. Wei Bo saß in ihrer gemütlichen Zweizimmerwohnung, erinnerte sich an seine erste Begegnung mit ihr und wähnte sich im falschen Film. Sie war natürlich noch immer so schön wie zuvor, auch wenn sie inzwischen einiges durchgemacht hatte. Irgendwann drang ihre Stimme in seine Traumwelt vor: »Ich gehöre nun einmal zu denen, die für die Liebe sterben würden. Ich verstehe nur nicht, warum ich mich ständig in den Menschen täusche.«

»Du täuschst dich nicht, du folgst eben nur einfach deinem Herzen und der andere ändert sich plötzlich, das ist doch oft so«, sagte er ruhig.

»Du bist wirklich wunderbar, Wei Bo, ich liebe dich.« Ihre Augen, die wegen der erlittenen Gewalt wie die eines Pandabären aussahen, strahlten.

»Ich liebe dich auch, Ah Si.«

An jenem Tag redeten sie lange über dieses und jenes und entdeckten, dass sie so viel gemeinsam hatten wie siamesische Zwillinge.

Immer wenn er an sie dachte, versetzte es Wei Bos Herz einen Stich. Die Zeit vergeht wie die Blüten! Dieser bodenlose Abgrund! Die unwägbare Zukunft! Diese endlosen Turbulenzen und Irrwege des Lebens! Ach ...! Dieser Art waren die Seufzer, die Wei Bo innerlich ausstieß. Oft war er ganz deprimiert vor lauter Sorge um Ah Si. Seltsamerweise fragte er sich so gut wie nie, ob sie ihn eigentlich liebte, vielleicht hatte er von Anfang an beschlossen, dieser Frage keine Bedeutung beizumessen. Diese Frau war einfach zu hübsch, so attraktiv wie ein schillernder Tropenfisch. Wei Bo fühlte sich, als habe man ihm ein völlig unverdientes Geschenk gemacht, da gab es nichts infrage zu stellen.

»Ah Si, ich liebe dich ...«, murmelte er immer wieder vor sich hin.

»Ich liebe dich auch, Wei Bo!«, rief sie atemlos aus. »Was wäre die Welt ohne einen Wei Bo.«

Mehr als einmal sah Wei Bo die leise schwelende schwarze Glut in Ah Sis Augen. Er verstand, welche Energie diese Frau in sich trug und welche Gefahren eine solche Energie mit sich bringen konnte. Viele wussten, dass sie in ihrer Wohnung illegal als Prostituierte arbeitete, jeden Tag könnte sie plötzlich verschwinden.

Sie war nicht nur eine schöne Frau, sondern auch ziemlich pfiffig, hatte ihr Leben im Griff und war so lebendig wie fürsorglich. Die Vorstellung, dass ihr etwas zustoßen könnte, war für Wei Bo unerträglich.

Einmal traf er in ihrem Wohnblock auf Long Sixiang. Sofort hängte sie sich bei ihm ein, den Blick voller Neid. »Wie charmant du bist, Wei Bo! Ah Si ist ganz vernarrt in dich, die Gelegenheit solltest du dir nicht entgehen lassen! Soweit ich weiß, macht es keiner ihrer Liebhaber länger als ein Jahr, aber ihr zwei haltet nun schon seit mehreren Jahren durch.«

»Es vergeht kein Tag, an dem ich sie nicht liebe. An dem Tag, an dem ich damit aufhöre, verlasse ich sie.«

»Aber da ist doch auch noch Cuilan, hast du die ganz vergessen? Ich finde, ihr passt viel besser zusammen.«

»Kann sein. Aber Cuilan will nichts Festes mit mir.«

»Pah, du glaubst doch nicht etwa an ewige Liebe? Das ist doch Unfug, oder?«

»Tut mir leid, Sixiang, ich habe wohl das Falsche gesagt.« Ungehalten ließ Sixiang seinen Arm los und nahm etwas Abstand.

Wei Bo lief rot an und fühlte sich wie ein Schuft. Wie oft hatte er sich schon vorgenommen, Ah Sis Wohnung fernzubleiben. Er wusste nicht, warum er immer sofort zu ihr kam, sobald sie ihn anrief. Sie war einsam. Für eine Frau wie sie war es nicht leicht, einen Geliebten zu finden, der es mit ihr aufnehmen konnte. Das genügte Wei Bo als Vorwand, immer wieder zu ihr zurückzukehren.

Ihre Wohnanlage hieß »Kamelienresidenz«, was nach Wei Bos Meinung vortrefflich zu Ah Sis Zuhause passte. Erinnerte sie nicht an eine tiefrote Kamelienblüte? Er hatte ihr bei der Suche nach einer Wohnung geholfen und war auch am Tag des Umzugs zur Stelle gewesen. Während einige ihrer »Brüder« zusammen tranken, betrachtete Wei Bo, den Kopf voller Kamelien, ihr hübsches, errötetes Gesicht. Wie sich herausstellte, war die Wohnung nicht so passend wie der Name, denn schon bald fiel Wei Bo auf, dass Ah Sis Wohnung überwacht wurde.

»Das weiß ich doch längst.« Ah Si lächelte ungerührt. »Eine wie ich steht ständig im Zentrum der Aufmerksamkeit. Was soll´s.«

»Du bist wirklich mutig.«

»Was bleibt mir anderes übrig? Seit ich aus der Baumwollfabrik raus bin, habe ich das Gefühl, dass ich mit jeder Situation fertigwerde. Mich kannst du getrost mit den Wölfen einsperren.«

Sie ließ die Gardinen immer zugezogen und nur am Rand einen Spaltbreit offen. Dort stand sie gern und spähte nach draußen. Wenn Wei Bo sie dabei beobachtete, stieß er jedes Mal langgezogene Seufzer aus. Dann fing sie an zu lachen und sagte, er verstünde nichts »von den armen Leuten«. Wen sie mit »armen Leuten« meine, wollte Wei Bo wissen. Das seien diejenigen, die keine Privatsphäre hätten, antwortete sie. Außerdem wüssten die Armen, wie man zufrieden sei mit dem, was man habe. Auf diesem Gebiet sei sie ein Profi. Wei Bo sagte sich erneut, wie außergewöhnlich diese junge Frau war, wie viel Scharfblick sie für ihr Alter besaß.

Es kam, wie es kommen musste. Ah Si wurde wegen illegaler Prostitution...
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Autor

Eileen Myles, geboren 1949, gilt als "Rockstar der Gegenwartslyrik". Myles zog Mitte der 70er-Jahre nach New York, studierte am St. Mark's Poetry Project und übernahm zehn Jahre später dessen Leitung. Myles hat über zwanzig Bücher geschrieben, darunter Lyrik, Romane und Essays, und wurde dafür mit zahlreichen Auszeichnungen und renommierten Stipendien bedacht. Heute lebt Myles in Marfa, Texas, und New York City.