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Was uns bleibt, ist jetzt

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
432 Seiten
Deutsch
Penguin Random Houseerschienen am18.04.2022
Selbst wenn wir alles vergessen, bleibt uns noch die Liebe
Vier ungleiche Geschwister finden nach langer Zeit wieder in ihrem Elternhaus zusammen: Sie müssen sich um ihre demente Mutter kümmern, während der Vater nach einem Sturz im Krankenhaus liegt. Fünf Tage nähern sie sich einander an und graben in Erinnerungen, wobei Familiengeheimnisse ans Licht kommen, die jahrzehntelang verschwiegen wurden. Was zum Beispiel hat es auf sich, mit dem Satz 'man muss vergessen können', den das Geschwisterquartett schon während der Kindheit ständig von der Mutter hörte? Und was ist damals, 1976, als das Familienleben aus den Fugen geriet, wirklich passiert?
Inspiriert von ihrer eigenen Geschichte erzählt Ella Cornelsen davon, wie eine Familie auch in schwierigen Zeiten zusammenhalten kann.

Ella Cornelsen, geboren 1958, ist mit mehreren Geschwistern aufgewachsen und hat in Tübingen studiert. Sie hat einen erwachsenen Sohn und lebt heute mit ihrer Familie in Stuttgart, wo sie auch in Sachen Kultur als Botschafterin unterwegs ist. Sie schreibt von Kind auf aus Leidenschaft, malt, singt und macht Musik. Ella Cornelsen ist gern in der Natur unterwegs, liebt alte Bäume, weite Landschaften, tropische Regenwälder und bunte Vögel.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR22,00
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR13,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR9,99

Produkt

KlappentextSelbst wenn wir alles vergessen, bleibt uns noch die Liebe
Vier ungleiche Geschwister finden nach langer Zeit wieder in ihrem Elternhaus zusammen: Sie müssen sich um ihre demente Mutter kümmern, während der Vater nach einem Sturz im Krankenhaus liegt. Fünf Tage nähern sie sich einander an und graben in Erinnerungen, wobei Familiengeheimnisse ans Licht kommen, die jahrzehntelang verschwiegen wurden. Was zum Beispiel hat es auf sich, mit dem Satz 'man muss vergessen können', den das Geschwisterquartett schon während der Kindheit ständig von der Mutter hörte? Und was ist damals, 1976, als das Familienleben aus den Fugen geriet, wirklich passiert?
Inspiriert von ihrer eigenen Geschichte erzählt Ella Cornelsen davon, wie eine Familie auch in schwierigen Zeiten zusammenhalten kann.

Ella Cornelsen, geboren 1958, ist mit mehreren Geschwistern aufgewachsen und hat in Tübingen studiert. Sie hat einen erwachsenen Sohn und lebt heute mit ihrer Familie in Stuttgart, wo sie auch in Sachen Kultur als Botschafterin unterwegs ist. Sie schreibt von Kind auf aus Leidenschaft, malt, singt und macht Musik. Ella Cornelsen ist gern in der Natur unterwegs, liebt alte Bäume, weite Landschaften, tropische Regenwälder und bunte Vögel.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783641278670
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2022
Erscheinungsdatum18.04.2022
Seiten432 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1938 Kbytes
Artikel-Nr.8380750
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe


5

Ich hatte den Peugeot am Straßenrand vor der Villa abgestellt und mein Gepäck ausgeladen. Jetzt stand ich vor der Haustür. Zu faul, den Hausschlüssel an meinem Schlüsselbund zu suchen, drückte ich auf die Klingel. Vinzenz öffnete mir. Vinzenz, der größte von uns Geschwistern, der große Junge mit dunklem Lockenschopf und Augen wie Kohlenstückchen. Schon in der Schule und später an der Uni liefen ihm die Frauen in Scharen hinterher, aber Vinz schien es nicht zu merken. Alle wundern sich, dass er mit seinen sechsundvierzig Jahren immer noch nicht in festen Händen ist. Erschien Ate, wenn sie bei Familienfesten auftauchte, jedes Mal mit einem anderen Mann, so brachte Vinz selten jemanden mit, nur ein paarmal war er mit Diana gekommen, einer jungen Frau von zerbrechlicher Schönheit, ebenso dunkelhaarig wie er, mit einer Tätowierung im Ausschnitt und unendlich langen Gliedern, langen Fingern und langen Zehen. Ein Model, in deren Gegenwart ich schüchtern wurde, obwohl ich nie schüchtern war. Sie wirkte wie ein Stern, der neben Vinz aufgegangen war, und Vinz hatte nur Augen für diesen Stern. Diana hatte Vinz nur zwei, drei Mal begleitet, danach kam er wieder allein, und dabei war es geblieben. Er hatte nie ein Wort über den augenscheinlich wieder erloschenen Stern an seiner Seite verloren und auch sonst über keine andere Frau.

Vinz beugte sich zu mir herunter und küsste mich auf die Wange. »Willkommen, große Ida«, sagte er.

»Hallo, kleiner Vinz.« Ich stellte mich auf die Zehenspitzen und streichelte seinen Lockenschopf. Die Mähne unter meiner Hand fühlte sich weich und seidig an, wie früher, als Vinzenz kleiner als ich und sein Haar Kinderhaar gewesen war. Heute ist er so groß, dass er nicht in Konfektionskleidung passt, sondern Übergrößen trägt.

»Zimmerbelegungsplan wie früher«, meldete Vinz, nachdem ich meine Lederjacke auf einen Bügel an der Garderobe gehängt hatte.

Mein Koffer polterte auf der Treppe hinter mir her ins Untergeschoss, wo unsere ehemaligen Kinderzimmer liegen, alle in einer Reihe Richtung Süden, alle gleich groß. Wenigstens was die Kinderzimmergröße anging, ließen unsere Eltern Gerechtigkeit unter uns Geschwistern walten, wenn sie schon ihre Vorlieben so unterschiedlich an uns verteilten. Ich warf einen Blick in die beiden mittleren Zimmer. Im einen stand der blaue Schalenkoffer von Vinzenz, im anderen hatte Severin seine Sachen ausgebreitet. Ich nahm das Linke, mein früheres Mädchenzimmer. Ich würde hier übernachten, nicht nur eine oder eine halbe Nacht wie sonst, wenn es bei Familienfesten manchmal spät wurde, sondern mehrere Nächte am Stück, vielleicht eine ganze Woche lang.

Ich ließ den Blick im Zimmer schweifen. Der Raum wirkte unpersönlich, entkernt. In der Regalwand, in der früher meine Mädchenbücher dicht an dicht gesteckt hatten, standen Blumenvasen und ein bunt bemaltes Holzpferd. Nur zwei verblichene Elvis-Plakate über dem Bett erinnerten noch daran, dass dies einmal mein Zimmer gewesen war. An den unteren Rand des größeren Posters stand mit schwarzem Filzstift gekritzelt: Für Ida, die Fröhliche, von Harry. Als Mädchen war ich Elvis-Fan, Harry war mein Fan, später mein Freund. Darüber hinaus, dass ich Elvis-Verehrerin war, war ich »Ida, die Fröhliche«. Einige Zeit nachdem wir in unserer Familie wieder geworden waren, wie wir hießen, war mir in der Schule dieser Spitzname zugefallen. Ich mochte ihn lieber als meinen Vornamen, für den ich mich früher geniert hatte, weil er mir altmodisch und verschroben vorkam. Ich verdanke ihn meiner Großmutter Ida, die am gleichen Tag starb, an dem ich geboren worden war. Ich weiß nicht, warum meine Eltern Ate auf den Namen Beate tauften. Ich weiß nicht, warum sie uns Mädchen Namen mit so wenigen Buchstaben gaben, während sie ihre Söhne mit mehrsilbigen pittoresken Namen von Heiligen ausstatteten.

Maman saß oben im Esszimmer. Wir nennen Mutter Maman, weil sie Sprachen liebt, insbesondere Französisch. Mein Faible für Sprachen, mein gutes Sprachgefühl habe ich von Maman. Bis vor einigen Jahren, als ihr Gedächtnis sie zu verlassen begann, frischte Maman ihre Schulkenntnisse stetig an der Volkshochschule auf und lernte sogar ein bisschen Holländisch, um sich bei unseren Familienurlauben in Zandvoort verständigen zu können. Vor allem aber besuchte sie Französischkurse. Sie war frankophil, sie war Frankreich-Fan, so wie ich selbst Elvis-Fan und Harry mein Fan war, sie liebte Frankreich, Froonkroisch, die Normandie, Burgund mit seinem weiten, hohen Himmel, Gegenden, die Paps mit ihr und Vinz bereiste, nachdem wir drei Älteren aus dem Haus waren.

Am Abend meiner Ankunft begrüßte mich Maman in ihrer Lieblingssprache.

»Bonsoir, Madame«, sagte sie mit kehliger Stimme, »d´ou venez vous?«

Sie trug einen roten Nylonpullover und eine beige Nylonhose, die sie bis über den Busen hochgezogen hatte. Produkte aus Vaters früherer Firma. Sie hatte zwei Halstücher um, die sie vorne geknotet hatte, ein rot-blau kariertes und ein rosafarbenes. Manchmal trägt sie auch zwei Hosen übereinander. Oder zwei Armbanduhren am Handgelenk.

»Damit du dir die Zeit aussuchen kannst oder falls eine stehen bleibt«, sagt Vinz dann.

Ich umarmte Maman, stützte mein Kinn auf ihren Kopf mit dem schütteren grauen Haar. Haar, das schon eine Weile nicht mehr gekämmt worden war, das nach Haar roch und nach nichts sonst, nicht nach Shampoo oder Spülung.

»Hallo, Mami«, sagte ich liebevoll. »Woher ich komme? Direkt aus Stuttgart. Und du kannst ruhig Du zu mir sagen.«

»Wie überaus freundlichst«, sagte Maman, »Idamaus, liebes Kindeldingsbums. Ist niemand, der so viel pustet. Meinst Feinstein liebel?«

»Davon gehe ich zum jetzigen Zeitpunkt mal aus«, antwortete ich und streichelte ihre Wange.

Ich ging in die Küche, um Severin zu begrüßen. Severin kochte. Er kocht immer. Er ist von Beruf Koch und kocht auch in seiner Freizeit. Er sagt, sein Beruf sei sein Hobby und sein Hobby sei sein Beruf. Severin führt, anders als Ate, Vinz und ich, ein gutbürgerliches Leben, zu dem auch sein Bauchansatz unter der Kochschürze gehört. Er führt als Einziger von uns vieren eine Ehe, die nach dreißig Jahren offenbar immer noch eine ist, und zusammen mit seiner Ehefrau ein Restaurant an einem See im Schwäbischen Wald. Seine Frau hört auf den Namen Gretchen, eine noch verschrobenere, altmodischere Wortschöpfung als mein eigener Rufname. Severin und Gretchen haben drei Kinder, die alle denselben Vater und dieselbe Mutter haben, alle erwachsen und alle was geworden sind.

Severin pfiff, während er am Herd hantierte. Er pfeift oft beim Kochen. Vielleicht pfeift er, weil er beim Kochen nicht Gitarre spielen kann. Severin spielt E-Gitarre, seit er vierzehn ist, und hat bis heute seinen Platz in verschiedenen Rockbands, obgleich er sein Talent nie anders denn als Hobby ausgeübt hat. Als Jugendlicher bespielte er die Schulschwoofs am Albert-Lotzing-Gymnasium, die damals noch »Ball« hießen, und trat an Wochenenden im Irish Pub in Möckingen auf. Wenn er nicht Gitarre spielt, hat er etwas Behäbiges, Gesetztes, obwohl er groß ist. Nicht ganz so groß wie Vinzenz, aber doch so groß, dass ich mich auch bei ihm auf die Zehenspitzen stellen musste, um ihn auf die Wange zu küssen. Die Wange duftete. Mein älterer Bruder liebt Rasierwasser. Nie hat ein Mann frischer geduftet als Severin. Auch sein kurzes Haar duftete. Severin ist brünett wie Vinzenz; die beiden haben die Haarfarbe unserer Mutter geerbt, während Ate und ich blond sind, wie Paps es früher war.

»Was gibt es, Bruderherz?« Ich steckte die Nase in eine Kasserolle, in der etwas schmorte. Es duftete köstlich. Fleisch in einer roten Sauce. Ich wusste nicht, was für ein Fleisch. Ich kenne mich da nicht aus. Ich bin keine Köchin. Ich koche nicht gern. So wenig, wie Paps gern kocht. Ich esse nur gern.

»Tajine«, erklärte Severin, »ein marokkanisches Schmorgericht aus Rindfleisch.«

»Das ist aber nicht vegetarisch«, neckte ich ihn. »Schon gar nicht vegan.« Manchmal legt Severin beim Kochen vom einen auf den anderen Tag einen Schalter um und den Ehrgeiz an den Tag, nicht nur auf Fleisch, sondern auch auf alle anderen tierischen Produkte zu verzichten. Er kreiert dann Mahlzeiten mit fremdländischen Zutaten und Namen, die ich nie zuvor gehört habe, Quinoa mit Avocadocreme, Romanesco-Pfanne mit Fregola, Teriyaki-Tofu mit Chicorée, Harissa-Minz-Suppe und Tomaten-Bulgur.

»Kennt ihr den?«, fragte Vinzenz und schlug mit einem Geschirrtuch nach etwas, vielleicht einer Fliege. »Warum können Veganer kein Hühnchen essen?«

Severin und ich zuckten die Schultern.

»Wegen dem Ei innen drin«, grinste Vinzenz.

Beim Abendessen saßen wir so wie früher, jeder an dem Platz am runden Tisch, an dem er als Kind gesessen hatte. Wir dachten nicht darüber nach, warum wir so saßen. Gewohnheiten sind langlebig. Auch Maman saß an ihrem früheren Platz. Paps´ Stuhl gegenüber von ihr war leer.

Ich hatte Maman eine karierte Stoffserviette vorne in den Ausschnitt gesteckt und über ihren Pullover gebreitet. Ihr das Fleisch und den Salat klein geschnitten. Sie aß nur mit der Gabel, benutzte kein Messer, um die Happen auf das Besteck zu bekommen. Sie schob das Couscous mit der Gabel so lange in der roten Sauce auf dem Teller hin und her, bis es als Matsch über dessen Rand fiel. Ich musste mich zwingen, nicht dauernd hinzusehen.

»Hast du Ate erreicht?«, fragte ich Vinzenz.

Vinz nickte.

»Wo hast du sie erwischt?«

»Weiß nicht.« Vinz zuckte die Achseln. »Hamburg. Berlin.«

»Kommt sie?«

Er zuckte...

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Autor

Ella Cornelsen, geboren 1958, ist mit mehreren Geschwistern aufgewachsen und hat in Tübingen studiert. Sie hat einen erwachsenen Sohn und lebt heute mit ihrer Familie in Stuttgart, wo sie auch in Sachen Kultur als Botschafterin unterwegs ist. Sie schreibt von Kind auf aus Leidenschaft, malt, singt und macht Musik. Ella Cornelsen ist gern in der Natur unterwegs, liebt alte Bäume, weite Landschaften, tropische Regenwälder und bunte Vögel.