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Dunkelheit

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
176 Seiten
Deutsch
Penguin Random Houseerschienen am10.08.2022
Wann haben Sie zum letzten Mal die Sterne gesehen?
Im Winter ist Norwegen in Dunkelheit getaucht. Aber ist das auch wirklich der Fall? Zwei Drittel der Norwegerinnen und Norweger, wie auch 80 Prozent der Menschen in Nordamerika, können nachts die Milchstraße nicht mehr sehen. Straßenlaternen, Neonlichter und Bildschirme erhellen den Himmel und machen es unmöglich, etwas im Nachthimmel zu erkennen.
Solange sie denken kann, hat Sigri Sandberg Angst vor der Dunkelheit. Mitten im Winter begibt sie sich allein auf eine Reise in die Berge, um sie zu erleben und zu verstehen, was hinter der Angst steckt. Auf ihrer Reise macht sie uns mit einer besonderen Frau bekannt: Christiane Ritter, die 1934 einen ganzen Winter in einer Trapperhütte in Spitzbergen verbrachte.

Sigri Sandberg ist eine norwegische Journalistin und Sachbuchautorin, die vor allem über Polarregionen, das Leben in der Natur und das Klima schreibt. Sie hat Journalismus an der Universität Oslo studiert und lebt in Svalbard.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR12,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR11,99

Produkt

KlappentextWann haben Sie zum letzten Mal die Sterne gesehen?
Im Winter ist Norwegen in Dunkelheit getaucht. Aber ist das auch wirklich der Fall? Zwei Drittel der Norwegerinnen und Norweger, wie auch 80 Prozent der Menschen in Nordamerika, können nachts die Milchstraße nicht mehr sehen. Straßenlaternen, Neonlichter und Bildschirme erhellen den Himmel und machen es unmöglich, etwas im Nachthimmel zu erkennen.
Solange sie denken kann, hat Sigri Sandberg Angst vor der Dunkelheit. Mitten im Winter begibt sie sich allein auf eine Reise in die Berge, um sie zu erleben und zu verstehen, was hinter der Angst steckt. Auf ihrer Reise macht sie uns mit einer besonderen Frau bekannt: Christiane Ritter, die 1934 einen ganzen Winter in einer Trapperhütte in Spitzbergen verbrachte.

Sigri Sandberg ist eine norwegische Journalistin und Sachbuchautorin, die vor allem über Polarregionen, das Leben in der Natur und das Klima schreibt. Sie hat Journalismus an der Universität Oslo studiert und lebt in Svalbard.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783641256883
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2022
Erscheinungsdatum10.08.2022
Seiten176 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1461 Kbytes
Artikel-Nr.8381052
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe


Montag Morgen, ziemlich früh, rollt der Zug aus der Stadt hinaus, während diese flimmert und flackert und regelrecht in künstlichem Nachtlicht badet. Meinen großen blauen Rucksack quetsche ich zwischen riesige Koffer und Taschen im Gepäckfach des Waggons Nummer vier, suche meinen Sitzplatz und lasse mich auf Platz 36 nieder.

Wie viele andere in dieser Stadt, wohne ich in einem Wohnblock mit dem Luxus einer Rundumaussicht auf den Fjord und Tausende von Hausdächern, dazwischen ein bisschen Waldfläche. Nachts jedoch verwandelt sich all das in ein leuchtendes, fast knisterndes Rauschen aus starkem Summen, das von höheren Tönen unterbrochen wird. Alle Großstädte sind nachts in diesen Kunstlichtteppich eingehüllt, auch Oslos Licht strahlt 150 bis 200 Kilometer weit in alle Richtungen. Kein Wunder also, dass es bekanntermaßen schwierig ist, den Sternenhimmel von hier aus sehen zu können, geschweige denn die Milchstraße - unmöglich.

Das ordentliche Tageslicht des Vormittags lässt sich allmählich blicken, während der Zug vor sich hin rattert.

Waggon vier surrt vor lauter Gesprächen und Schritten, leiser Musik, Kaffeeschlürfen und einem huttragenden Kontrolleur, der hustend nach den Tickets fragt. Mit an Bord genommen habe ich meinen Laptop und einige Bücher, von denen eines von einer Frau handelt, die sich aus einem anderen Dorf auf den Weg machte. Christiane Ritter war unterwegs in den hohen Norden, nach Spitzbergen und sollte dort einen Winter und eine Dunkelheit erleben, die ihr bis dahin unbekannt gewesen war. Doch wie dunkel wird es so nahe am Nordpol eigentlich wirklich? Und würde sie damit zurechtkommen?
Christiane

Christiane war eine Dame des böhmischen Großbürgertums, das damals Teil der Tschechoslowakei war. Ihr Ehemann, Hermann Ritter, war Pelztierjäger auf Svalbard, dem Archipel zwischen Nordpol und norwegischem Festland. Er versuchte, sie in den Norden, genauer gesagt in den nördlichen Teil der größten Insel Spitzbergens, nach Gråhuken, zu locken. Ihre Kunstmalerei, ihre vierjährige Tochter und ihr Freundeskreis ließen sie zögern, ihr Mann jedoch schrieb einen Brief nach dem anderen, in denen er sie aufforderte: »Laß alles liegen und stehen und folge mir in die Arktis!«

Er schrieb, dass es ihm unmöglich sei, ihr das Leben dort genau schildern zu können - das ewige Licht des Sommers. Die endlose Dunkelheit des Winters. Sie müsse kommen, um sich selbst ein Bild zu machen. Schließlich ließ sie sich überreden, packte ihre Koffer und brach im Sommer 1934 auf. Mit sich nahm sie ihre Bibel, Kamelhaarunterwäsche, getrocknete Petersilie und Malutensilien. Sie bestieg ein Schiff, das sie immer weiter, Norwegens Küste entlang, Richtung Norden brachte und ihr eine Landschaft eröffnete, die zunehmend karger und einsamer wurde.

Sie passierte den nördlichsten Festlandspunkt und segelte an Bjørnøya vorbei. Als die anderen Passagiere herausfanden, wo ihr Ziel lag, erschraken sie: »So. Na, das schlagen Sie sich mal ausm Kopp. Da frieren Sie ja tot auf der Insel. Da passen Sie nicht hin, Sie kleene Puppe. Und Skorbut könn´ Sie da auch kriegen.«

An der Nordwestküste Spitzbergens, in Ny-Ålesund, traf sie ihren Mann, gemeinsam segelten die beiden mit einem kleineren Boot weiter. Hier rühmten sich viele Menschen lautstark, die Inselgruppe zu kennen und ein Norweger beschrieb den Frühling als die beste Zeit dort. Christiane glaubte nicht, dass es sich für sie so anfühlen würde und lehnte trotzig ab, jemals so wie diese Menschen zu werden. »Oh, Sie werden auch gefangen werden«, sagte der Norweger leise, aber bestimmt.

Nach einer langen Reise sah Christiane in der Ferne endlich Gråhuken, einen menschenleeren grauen lang gestreckten Küstenstreifen. Sie erblickte auch die Hütte, von der sie dachte, sie sähe aus wie eine winzig kleine Schachtel, die an Land geschwemmt worden war. Hier sollte sie also leben - gemeinsam mit ihrem Mann und noch einem Jäger und das ein ganzes Jahr lang. Einen unglaublichen, langen Winter lang. Auf dem Boot sprach niemand, nur ein älterer deutschsprachiger Herr rang sich ein paar Worte ab: »Nein, gnädige Frau, da können Sie doch unmöglich den Winter über bleiben. Das wäre ja ein bodenloser Leichtsinn!«

Überall Grau und Regen, sodass in Christiane der Eindruck entsteht, es handle sich um ein äußerst ungemütliches Land. »Nichts als Wasser, Nebel und Regen; es benebelt die Menschen, bis sie ihren Verstand verlieren. Was haben die Menschen bloß an dieser Insel? Wie viel Hoffnungen, wie viele stolze Pläne sind hier vernichtet worden, wie viele Unternehmungen sind gescheitert, und nicht zuletzt: wie viele Menschenleben hat das Land gefordert!«

Sie bringen ihr Gepäck an Land, und Christiane begutachtet die kleine Hütte: 7,42 x 1,28 Meter groß, insgesamt weniger als zehn Quadratmeter Fläche und 250 Kilometer von der nächstgelegenen Stadt Longyearbyen entfernt. Als das Boot ablegt, wird ihr klar, dass es völlig ungewiss ist, wann sie das nächste Mal andere Menschen treffen wird. Die Jäger und Fänger besitzen keine Satellitentelefone, es gibt keinen Rettungsdienst oder Hubschrauber, der ihnen zu Hilfe kommen könnte.

Der Ofen funktioniert nicht, und der Nebel liegt dicht über der Bucht. Christiane wendet sich an ihren Mann: »Wo ist eigentlich mein Boudoir, das du mir in deinen Briefen versprochen hast?«, erkundigt sie sich nach einer Schminkstube, um sich wohler zu fühlen.

»Noch nicht gebaut, wir müssen erst nach Brettern schauen, das Meer schwemmt manchmal welche an«, gibt ihr Mann zur Antwort.

August, Sommer, durchgehendes Licht. Durchgehendes Grau.
In Finse steige ich aus, 1222 m ü.M.

Ich wurde im August geboren und liebe diese Jahreszeit mit ihren langen, hellen Abenden am warmen Fjord. Nicht weiter verwunderlich, denn wir Menschen in den warmen Klimazonen sind nicht dafür gemacht, uns mit Daunenjacken und Wollunterwäsche herumzuschlagen. Unsere Gene ticken seit Urzeiten im Takt des hellen Tageslichts und der Nachtdunkelheit.

Trotzdem habe ich acht Jahre lang auf Svalbard gelebt und immer schon viel Zeit in Finse verbracht. Routiniert habe ich meine Kapuze festgezogen, die Sturmbrille aufgesetzt und mich über vierzig Jahre in Wind und Dunkelheit fortbewegt. Vermutlich fühlt es sich deswegen auch so an, als wären Schnee und Sturm, Graupel und harsche Loipen zu einem Teil von mir geworden. Um es anders auszudrücken: Manchmal brauche ich es, die Luft dort oben einzuatmen. Manchmal muss das einfach sein.

Außerdem kann man in Finse am allerbesten den Sternenhimmel betrachten.

Jedoch war ich dort nie wirklich auf mich allein gestellt. Ich bin nicht gern allein, auf jeden Fall nicht lang, höchstens ein paar Stunden. Ich habe bei vierzig Grad Minus draußen am Berg im Zelt oder in Schneehöhlen übernachtet, na klar, aber immer mit jemandem an meiner Seite. Mit einem Mann, meinen Kindern, Freunden. Auch wenn es mir nicht leichtfällt, muss ich es schaffen: allein in den Bergen zu bleiben, wenn es dunkel wird. Ich möchte es üben, weil ich wirklich gern dort sein will. Auch wenn ich in meinem Leben schon oft umgezogen bin, hat es mich doch immer wieder nach Finse gezogen. Die Hütte, generell dieser Ort, gehören zu den Fixsternen in meinem Leben, die mir wohl auch den Weg leuchten können sollten, wenn mich in der Dämmerung niemand umarmen kann.

Genau dann müsste ich eigentlich schreiben können, schließlich bin ich Journalistin, die Reportagen, ja, ganze Bücher über die Natur, den Norden und deren Beziehung zu den Menschen schreibt - und wie all dies unsere sonst so instabile Welt zusammenhält. So wirklich gut sieht unsere Perspektive ja nicht aus, also wird diese Reise vielleicht Teil eines größeren Projekts werden. Vielleicht auch nicht, denn es kann genauso gut sein, dass ich Sinnlosigkeit verspüre und an der Hüttentür umdrehe.

Aus dem Zugfenster betrachte ich die vorbeiziehende Landschaft und sehe immer weniger Bäume, die schließlich ganz von der Bildfläche verschwinden. Ich denke an meine Kinder und meinen Mann, die in der Stadt geblieben sind. Ich vermisse sie jetzt schon. Nach viereinhalb Stunden steige ich am Bahnhof Finse aus dem Zug und befinde mich 1222 Meter über dem Meeresspiegel auf dem höchstgelegenen Bahnhof Europas.

Finse wird auch die südliche Arktis genannt, weil beide ähnliche Temperaturen und Landschaften aufweisen, sich Wind und Winter der beiden Orte gleichen. Keine Bäume, die Jahresdurchschnittstemperatur unter null Grad, der Platz, an den die alten Helden sich wandten, wie der britische Polarheld Ernest Shackleton, der hier für lange, harte Expeditionen trainierte. Etwas später bereitete sich auch Fridtjof Nansen dort auf Großes vor, und auch bei Roald Amundsen zu Hause hingen Fotos des Sees Finsevatnet und des Gletschers Hardangerjøkulen. Die Geschichte des Ortes ist eine jüngere, ähnlich der Spitzbergens. Finse wurde erstmals während des Baus der 1909 fertiggestellten Zugstrecke Bergensbanen besiedelt.

Die Gleisarbeiter kamen auf der Suche nach Arbeit aus dem Tal heraufgewandert und wohnten in kleinen Baracken im Hochgebirge, um an der 492 Kilometer langen Bahnstrecke vom Osten in den Westen Norwegens zu arbeiten. Ins Innerste des dunkelsten Berges sprengten und bohrten sie Tunnel mit Dynamit und ihren bloßen Händen. Ein fast unmögliches Projekt, denkt man an das Wissen und die Technologie zu dieser Zeit, ganz zu schweigen davon, wie hart die Arbeit gewesen sein muss. In Dreck und Dunkelheit, Schneefall, Sturm und strömendem Regen.

Die Bergensbanen wurde als mutiges, anspruchsvolles und großartiges Projekt bezeichnet - und...
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