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Der Riss, durch den das Licht eindringt

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
384 Seiten
Deutsch
Penguin Random Houseerschienen am01.06.2022
»Ein bewegender, eindringlicher Roman von einer der großartigsten neuen Stimmen Irlands.« John Boyne
Ein anrührender, vier Jahrzehnte umspannender Familienroman vor der Kulisse einer irischen Insel.
Auf einer irischen Insel bereitet sich die Familie Moone auf gemeinsame Feiertage vor. Keiner ahnt, dass ihre Mutter Maeve im Sturm aufs Meer gerudert ist, um nicht zurückzukehren. Zehn Jahre sind seither vergangen, doch die Moones haben den Verlust nie verwunden. Ihr Vater Murtagh arbeitet noch immer als Töpfer auf Inis Óg, während die vier Geschwister damit ringen, Frieden mit der Vergangenheit und Maeves Tod zu schließen. Dazu müssen sie die Geschichte enthüllen, die sich hinter der großen Liebe ihrer Eltern verbarg. Gleichzeitig fließt mit den Jahren neue Liebe in die Risse der zerbrochenen Familie. Aus den Scherben erwächst schließlich für Murtagh ein unerwartetes Glück, das nur Maeve einst erahnt hatte.

Helen Cullen ist in Irland geboren, hat Theaterwissenschaften und Englische Literaturwissenschaft studiert und lebt mittlerweile in London. Allerdings kehrt sie zum Schreiben immer wieder in ihre Heimat zurück. Ihr Debütroman »Die verlorenen Briefe des William Woolf« wurde von Lesern wie Presse gefeiert, und die Irish Times zählt die Autorin zu den aufregendsten jungen Stimmen des Landes.
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Produkt

Klappentext»Ein bewegender, eindringlicher Roman von einer der großartigsten neuen Stimmen Irlands.« John Boyne
Ein anrührender, vier Jahrzehnte umspannender Familienroman vor der Kulisse einer irischen Insel.
Auf einer irischen Insel bereitet sich die Familie Moone auf gemeinsame Feiertage vor. Keiner ahnt, dass ihre Mutter Maeve im Sturm aufs Meer gerudert ist, um nicht zurückzukehren. Zehn Jahre sind seither vergangen, doch die Moones haben den Verlust nie verwunden. Ihr Vater Murtagh arbeitet noch immer als Töpfer auf Inis Óg, während die vier Geschwister damit ringen, Frieden mit der Vergangenheit und Maeves Tod zu schließen. Dazu müssen sie die Geschichte enthüllen, die sich hinter der großen Liebe ihrer Eltern verbarg. Gleichzeitig fließt mit den Jahren neue Liebe in die Risse der zerbrochenen Familie. Aus den Scherben erwächst schließlich für Murtagh ein unerwartetes Glück, das nur Maeve einst erahnt hatte.

Helen Cullen ist in Irland geboren, hat Theaterwissenschaften und Englische Literaturwissenschaft studiert und lebt mittlerweile in London. Allerdings kehrt sie zum Schreiben immer wieder in ihre Heimat zurück. Ihr Debütroman »Die verlorenen Briefe des William Woolf« wurde von Lesern wie Presse gefeiert, und die Irish Times zählt die Autorin zu den aufregendsten jungen Stimmen des Landes.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783641265748
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2022
Erscheinungsdatum01.06.2022
Seiten384 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1692 Kbytes
Artikel-Nr.8381165
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe


Inis Óg: 2005

Es war Heiligabend.

Murtagh trug seine braunen, alten Lammfellpuschen.

Hin und her schlurfte er über die abgewetzten Dielen im dunklen Hausflur der ­Moones.

Er strich die störrischen blonden Strähnen aus seiner Stirn. Dann rieb er seine pochenden Schläfen. Die regennasse Strickjacke zog er so fest um sich, dass der kleine Rotkehlchen-Anstecker am Revers kopfstand.

In der Stille klang das Ticken seiner Armbanduhr noch lauter. Ihr Mondgesicht fing den Lichtschein der Straßenlaterne draußen vor dem Fenster ein und warf ihn an die Wand.

Die Tür zum Wohnzimmer blieb fest verschlossen.

Weihnachten wartete direkt dahinter.

Die Zweige des krummen Tannenbaums, den er vor einer Woche übers Feld der Gallaghers nach Hause geschleift hatte, bogen sich unter jahrzehntealten Lamettagirlanden, welche die Kinder, so gut es ging, mit rotem Faden geflickt hatten. Nichts davon wurde jemals weggeworfen, so zerfleddert es auch sein mochte. Jedes Jahr, wenn die ­­Moones sich daranmachten, ihr Cottage weihnachtlich zu schmücken, waren alle Kinder eifersüchtig darauf bedacht, die eigenen Kreationen zu retten. Feierlich entrollte ihre Mutter die Werke aus dem zerfransten weißen Seidenpapier, in dem sie die restlichen achtundvierzig Wochen des Jahres verbrachten. Stück für Stück wurde der Baum geschmückt.

Uneingeschränkte Herrscherin über diese Festivität - wie auch über alle anderen - war Murtaghs Frau.

Seine Queen Maeve.

Keines der Kinder sträubte sich gegen diese Tradition. Ihre Mutter hatte sie ihnen von klein auf eingeprägt.

Eine Prägung, die ihnen ein Leben lang bleiben würde.

Wie liebte er sie für ihre Gabe, sich die kindliche Begeisterung zu erhalten, sich nie für etwas zu schämen, das ihr mal am Herzen gelegen hatte. »Ihr müsst nichts und niemanden je verlieren«, sagte sie ihren Kindern oft. »Wenn ihr nur euren Blick darauf ändert.«

Und doch hatte er sie verloren.

Obwohl er immer für sie da war.

Obwohl er immer auf sich achtgab.

Murtagh war an diesem Morgen einmal mehr in einem halb leeren Bett aufgewacht. Die Decke auf Maeves Seite war kühl und glatt. Er hatte geglaubt, er würde sie am Küchentisch vorfinden, in ihren Hahnentrittschal gewickelt, blass und schmal im Dunkel vor der Dämmerung, eine Strähne von blauschwarzem Haar vor ihrer hohen Stirn, wie ein nasser Krähenflügel, die langen Locken im Nacken mit einem ihrer roten Bleistifte festgesteckt. Er hatte sich schon vorgestellt, wie sie erschrecken würde, wenn er plötzlich in der Tür stand. Wie er - wie immer - über den Moment hinwegsehen würde, den es dauerte, bis sich ihre taubengrauen Augen wieder der Außenwelt zuwandten. Bis ihre Dämonen sie ihm überließen. Der Wasserkessel würde auf dem Herd zischen und speien, während er hinter ihrem Korbstuhl stünde und Wärme in ihre Arme riebe, wenn er sie freundlich dafür tadelte, dass sie nicht genug schlief, und tat, als wüsste er nicht, woran es lag.

Doch Maeve saß nicht am Küchentisch.

Und sie saß auch nicht grübelnd auf der steinernen Stufe an der Hintertür und trank die Milch direkt aus der Flasche.

Sie döste nicht auf dem Wohnzimmersofa, vor dem stumm flimmernden Fernseher, mit einem leeren Whiskeyglas in der Tasche ihres pfauenblauen Morgenmantels, auf den sie in mühevoller Kleinarbeit einen silbernen Starenschwarm gestickt hatte.

Da sah er, dass ihr Mantel nicht wie sonst am Treppengeländer hing.

Als er die Haustür aufmachte, prasselte sofort der Regen auf ihn ein. Der Wind riss an seinem dünnen Pyjama. Murtagh stemmte sich gegen den Sturm und trat hinaus in die Kälte, zog die schwere rote Tür hinter sich ins Schloss. Weil der Messingklopfer ans Holz schlug, hielt er kurz inne, hoffte, dass er die Kinder nicht geweckt hatte. Frierend wich er in seinen Hausschuhen den Pfützen auf dem gepflasterten Weg aus. Am schmiedeeisernen Tor blieb er stehen und suchte die dunkle Insel ab, ob er Maeve irgendwo im Lichtschein einer fernen Straßenlaterne ausmachen konnte.

Meer und Himmel waren kaum zu unterscheiden. Schafe suchten Schutz auf Peadar Ógs Feld, der feuchten Wiese, die zu seiner Rechten an das Land der ­­Moones grenzte. Die blökenden Tiere schienen sich zu beklagen. Murtagh nickte ihnen zu.

Von Maeve war nichts zu sehen.

Als er sich wieder dem Haus zuwandte, sah er, dass Nollaig ihn von ihrem Fenster aus beobachtete. Es kam ihm vor, als würde seine älteste Tochter immer genau die Situationen mitbekommen, von denen ihre Eltern geglaubt - gehofft - hatten, sie könnten sie verheimlichen. Natürlich belastete Nollaig das, was sie gesehen hatte. Schon als kleines Mädchen hatte sie begriffen, dass etwas vor sich ging, und er wusste, dass die Tränen nicht lange auf sich warten lassen würden, weil sie immer alles hinterfragte.

Er winkte ihr zu, als ihn der Wind wieder zum Haus wehte. Später würde ihm schmerzlich bewusst werden, welch dunkle Vorahnung seine Tochter aus dem Bett getrieben hatte.

»Wie lange ist sie schon weg ?«

Mittlerweile stand Nollaig vor dem Flurspiegel und gab sich alle Mühe, ihr krauses mausbraunes Haar in Form zu bringen. Sie raffte es so fest zusammen, dass es wie ein Fuchsschwanz von ihrem Hinterkopf abstand.

»Du solltest deine hübschen Locken leben lassen, Noll«, sagte ihr Vater, »statt sie zu bekämpfen.«

Sie lächelte ihn an, knallte die Bürste aber dennoch auf die Kommode.

»Das sind keine Locken. Ich habe Stahlwolle auf dem Kopf«, stöhnte sie. »Hat sie gesagt, wohin sie wollte ?«

Murtagh drückte sie kurz und ging weiter in die Küche. »Bestimmt macht deine Mutter nur einen kleinen Spaziergang. Alles Gute zum Geburtstag, Liebes. Lá breithla shona duit.«

Er stellte einen kleinen Kupfertopf mit Wasser auf den Herd und bot ihr ein Ei an. Widerwillig nickte sie und rollte sich auf dem grün-golden gestreiften Lehnstuhl vor dem Ofen zusammen.

»Mit deinem weißen Nachthemd könntest du glatt als irische Flagge durchgehen«, flachste er und freute sich über ihr Glucksen.

Schweigend behielt er die Zeiger der Uhr drei Minuten lang im Auge. Rechnete damit, dass jeden Moment seine Frau zur Tür hereinwehen würde. Er war bereit, sie mit einem Handtuch und leisem Vorwurf für ihr unbedachtes Umherwandern in Empfang zu nehmen, doch nichts und niemand unterbrach das Kochen und Kühlen, das Köpfen und Löffeln der Eier. Nollaig gähnte, streckte ihre Arme und Beine von sich.

»Geh ruhig noch mal für eine Stunde ins Bett«, meinte Murtagh. »Dann frühstücken wir nachher alle gemeinsam.«

Misstrauisch musterte sie ihn, fügte sich jedoch. »Wenn Mama nicht bald wieder da ist«, sagte sie, »komm mich wecken. Versprochen ? Dann gehen wir sie suchen. Und erinnern sie vielleicht mal daran, was heute für ein Tag ist.« Murtagh nickte, schob seine Tochter aus der Küche und sah ihr hinterher, wie sie nach oben verschwand.

Da Nollaig am Weihnachtsabend geboren wurde, hatte sie als Einzige das Licht der Welt im Galway Maternity ­Hospital erblickt und nicht in den Armen von Máire O´Dulaigh, der ungeduldigen Inselhebamme. Das gefiel ihr überhaupt nicht, weil es ihr das Gefühl gab, keine echte Insulanerin zu sein. Und hinzukam, dass die Besonderheit ihres Feiertags, an dem alle Aufmerksamkeit doch eigentlich ihr gelten sollte, in der gemeinsamen Begeisterung für das Weihnachtsfest verloren ging. Im Nachhinein war es vielleicht ein Fehler gewesen, sie Nollaig zu nennen, das irische Wort für »Weihnachten«, weil es ihr die Abgrenzung noch zusätzlich erschwerte. Und kein Spitzname blieb je hängen. Sie war nicht so ein Kind, das andere dazu inspirierte, ihr näher sein zu wollen, indem man ihr einen eigenen Namen verlieh.

»Schon alt zur Welt gekommen«, sagte ihre kleine Schwester Sive immer über sie, mit gelangweilter Verachtung.

Nollaig ertrug die Last, die Älteste zu sein, mit quälender Ausdauer, schweren, selbst auferlegten Pflichten. Nicht immer konnte die Mutter ihren Unmut darüber für sich behalten, sodass es nur natürlich, wenn auch unfair zu sein schien, dass Maeve und Sive sich eher zueinander hingezogen fühlten. Das Küken der Familie hatte den Witz und die Wildheit der Mutter geerbt und sprach oft genug laut aus, was der Mutter an Nollaigs Pflichtbewusstsein missfiel.

Sobald es in Nollaigs Zimmer still geworden war, zog Murtagh wasserdichte Anglerhosen über und stieg in seine Gummistiefel. Er kämpfte sich in einen dicken Pullover aus kratziger, grauer Wolle, riss ungeduldig an den Ärmeln seines Pyjamas, als sie an den Ellenbogen festsaßen, und warf sich den Dufflecoat über, der ihm der liebste war, auch wenn dieser seine besten Zeiten längst hinter sich hatte. Mittlerweile war es acht Uhr früh. Die Sonne würde erst um kurz vor neun aufgehen. Als Murtagh aus dem Schrank unter der Treppe eine Taschenlampe nehmen wollte, stellte er erleichtert fest, dass nur noch eine auf dem Regal stand.

Wenigstens hat sie eine Lampe mitgenommen.

Das Licht seiner Taschenlampe zeigte ihm kaum mehr als den nächstmöglichen Schritt, und doch war er froh, sie dabeizuhaben, als er durch die tintenschwarze Nacht stapfte.

Komm zu mir, Maeve.

Zeig dich.

Komm zu mir, Maeve.

Zeig dich.

Auf dem Weg die lange, schmale Straße zum Pier hinunter strich er mit der linken Hand an der moosbewachsenen Steinmauer entlang, während er sein Mantra wiederholte.

Keine Menschenseele regte...

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Helen Cullen ist in Irland geboren, hat Theaterwissenschaften und Englische Literaturwissenschaft studiert und lebt mittlerweile in London. Allerdings kehrt sie zum Schreiben immer wieder in ihre Heimat zurück. Ihr Debütroman »Die verlorenen Briefe des William Woolf« wurde von Lesern wie Presse gefeiert, und die Irish Times zählt die Autorin zu den aufregendsten jungen Stimmen des Landes.