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E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
220 Seiten
Deutsch
Droemer Knaurerschienen am01.03.20221. Auflage
Ungefragt etikettiert als Türkin und Jude - ein so ehrlicher wie entlarvender Austausch Özlem Topçu und Richard C. Schneider sind neben vielen Dingen auch zwei Deutsche - das ist für viele immer noch nicht selbstverständlich. In ihrem politischen, gesellschaftskritischen Sachbuch blicken sie auch als 'Jude' und 'Türkin' ein Jahr lang auf Deutschland, seine Debatten zu Integration, Rassismus, Antisemitismus und den Umgang mit dem 'Anderen', mal irritiert, mal überrascht, oft wütend. Es ist nicht nur die Sicht zweier Journalisten, die am Diskurs über das Verhältnis zwischen Mehrheitsgesellschaft und Minderheiten teilnehmen, sondern die zweier Freunde, die sich ihre deutschen Geschichten erzählen. Und miteinander können sie auch über ihre Ganz-, Halb- und Viertel-Identitäten diskutieren, denn sie wissen, was es heißt, in unterschiedlichen Kulturen und Gesellschaften beheimatet zu sein. Ein Briefwechsel voller Humor, Einsichten und Geschichten aus zwei deutschen Welten.

Geboren 1977 in Flensburg als Tochter türkischer »Gastarbeiter«, Studium der Islamwissenschaft, Politik und Medienwissenschaft. Von 2009 bis 2021 arbeitete sie als Politik-Redakteurin bei DIE ZEIT, heute ist sie stellvertretende Leiterin des Auslandsressorts beim SPIEGEL. Zahlreiche Preise (z.B. Theodor-Wolff-Preis) und Stipendien. Mitglied der antirassistischen Leseshow 'Hate Poetry', Mentoring-Programm 'Neue deutsche Medienmacher*innen'. Buch: 'Wir neuen Deutschen', Rowohlt 2012. Sie lebt in Hamburg.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR18,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR15,99

Produkt

KlappentextUngefragt etikettiert als Türkin und Jude - ein so ehrlicher wie entlarvender Austausch Özlem Topçu und Richard C. Schneider sind neben vielen Dingen auch zwei Deutsche - das ist für viele immer noch nicht selbstverständlich. In ihrem politischen, gesellschaftskritischen Sachbuch blicken sie auch als 'Jude' und 'Türkin' ein Jahr lang auf Deutschland, seine Debatten zu Integration, Rassismus, Antisemitismus und den Umgang mit dem 'Anderen', mal irritiert, mal überrascht, oft wütend. Es ist nicht nur die Sicht zweier Journalisten, die am Diskurs über das Verhältnis zwischen Mehrheitsgesellschaft und Minderheiten teilnehmen, sondern die zweier Freunde, die sich ihre deutschen Geschichten erzählen. Und miteinander können sie auch über ihre Ganz-, Halb- und Viertel-Identitäten diskutieren, denn sie wissen, was es heißt, in unterschiedlichen Kulturen und Gesellschaften beheimatet zu sein. Ein Briefwechsel voller Humor, Einsichten und Geschichten aus zwei deutschen Welten.

Geboren 1977 in Flensburg als Tochter türkischer »Gastarbeiter«, Studium der Islamwissenschaft, Politik und Medienwissenschaft. Von 2009 bis 2021 arbeitete sie als Politik-Redakteurin bei DIE ZEIT, heute ist sie stellvertretende Leiterin des Auslandsressorts beim SPIEGEL. Zahlreiche Preise (z.B. Theodor-Wolff-Preis) und Stipendien. Mitglied der antirassistischen Leseshow 'Hate Poetry', Mentoring-Programm 'Neue deutsche Medienmacher*innen'. Buch: 'Wir neuen Deutschen', Rowohlt 2012. Sie lebt in Hamburg.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783426462973
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2022
Erscheinungsdatum01.03.2022
Auflage1. Auflage
Seiten220 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse2970 Kbytes
Artikel-Nr.8384826
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

München, 8. Dezember 2020

Ja wirklich, Özlem?

 

Kannst Du nicht garantieren, dass das Ghetto in Dir bleibt, wenn ich Dich »das kleine türkische Mädchen von Gastarbeitern« nenne? Das finde ich total spannend, da muss ich wohl in ein Fettnäpfchen getreten sein, von dem ich nichts ahnte. Denn was ist an dieser Bezeichnung - in dem Kontext, in dem sie stand - so schlimm? Ich bin auch nur ein kleiner Judenjunge eines Schmatteshändlers. Du weißt wahrscheinlich nicht, was »Schmattes« bedeutet. Es ist das jiddische Wort für »Klamotten«. Allerdings etwas abwertend. In Wien würde man sagen: »Fetzenhändler«. What´s wrong with that? Gastarbeiter, Schmatteshändler - das ist doch genau unsere Geschichte: Einwanderer, sozial erst mal eher schwach, zweite Generation muss sich nach oben durchkämpfen. Die Erfolgsstory, nein? Also das musst Du mir erklären, das interessiert mich ernsthaft, was Dich daran gestört hat.

Aber noch mehr würde es mich interessieren, wie das denn wäre, wenn das Ghetto bei Dir an die Oberfläche käme. Kann mir schon vorstellen, was Du damit möglicherweise meinst: eine gewisse Aggressivität in Körperhaltung, Sprache, Ausdruck. Ja? Ist es das? Und warum lässt Du es nicht raus? Wegtrainiert? Unterdrückt? Angst, es herauszulassen? Angst, anzuecken? Schlecht für Karriere und soziale Beziehungen? Also sich immer ein wenig verstecken, nie sein, wie man wirklich ist, weil man das nicht so kann, denn es würde einem schaden? Oder man befürchtet, dass es einem schaden könnte? Also immer mit einem zweiten Gesicht herumlaufen, dem deutschen Gesicht, weil das wahre niemandem zumutbar ist?

Wenn´s das wäre, dann kenne ich das auch. Ich habe auch diese Mimikry, um in Deutschland durchzukommen. Und was ich auch kenne: Wut. Tiefe, unterdrückte Wut. So eine Grundwut. Wie zum Beispiel, wenn Thea Dorn tatsächlich die Chuzpe hat, diese Kabarettistin Lisa Eckhart ins Literarische Quartett einzuladen. Diese Frau, die in ihrem Job so elendig schlecht ist, dass ihre angebliche Enttarnung antisemitischer Sprüche als reine antisemitische Sprüche rüberkommen, weil sie schlicht nicht in der Lage scheint, sie zu brechen, wie sich das in der Satire eigentlich gehört. Oder sie nicht brechen will? In der Häufigkeit, in der sie über Juden herzieht, ist mir eh klar, dass das kein Spiel mit Antisemitismus ist. Punkt. Da können die deutschen Intellektuellen, die sich da super echauffieren, mir den Buckel runterrutschen. Ich brauche keinen nichtjüdischen Deutschen, der mir erklärt, was antisemitisch ist und was nicht. Vielen Dank. Maxim Biller hatte in seinem wütenden Artikel zu dieser Einladung in der SZ völlig recht. Da wird das Andenken eines Holocaustüberlebenden geschändet. Natürlich ist Marcel Reich-Ranicki gemeint. Und die Einladung kommt von Thea Dorn, einer Autorin, die ihren Kunstnamen von Theodor W. Adorno ableitet. Noch ein Jude, auch wenn er nicht als Jude erzogen wurde. Manno, das ist so irre gaga, und diese Selbstgerechtigkeit, mit der das inszeniert wird, diese »Wir-sind-so-superfrei-und-offen-und-lassen-uns-nichts-verbieten-wir-haben-doch-aus-der-Geschichte-gelernt-und-die-Juden-sind-bitte-die-Letzten-die-uns-zu-sagen-haben-wie-wir-uns-zu-verhalten-haben«-Haltung. Da kocht in mir unbändige Wut hoch. Die ich auch unterdrücke. Oder, wenn ich nicht mehr kann, dann schreibe ich sie mir aus der Seele. Und veröffentliche sie. Dann gibt´s kurze Aufregung und dann war´s das wieder. Es bringt eh nichts, aber man hat seinen Dampf abgelassen.

Darüber denke ich schon länger nach: über die Vergeblichkeit des Schreibens. Was das Schreiben noch bewirken kann. Gerade beim Thema Antisemitismus, das mich ja ein Leben lang in Deutschland begleitet, merke ich, wie alles, was man geschrieben, gefilmt, gesagt, getan hat, einfach so verpufft. Dass heute dieselben Schlachten geschlagen werden müssen wie vor 20 oder 40 Jahren. Nichts hat sich geändert. Gar nichts. Manchmal frage ich mich, wozu das eigentlich gut sein soll. Dieses Anschreiben gegen den Judenhass. Ich bin da zutiefst ambivalent. Einerseits ist es fast wie ein Zwang, darüber und dagegen zu schreiben. Andererseits, ganz ehrlich, langweilt es mich auch immer häufiger. Einer der Gründe, warum ich derzeit in Tel Aviv lebe, ist genau das: Ich muss mich dort nicht mit diesen Befindlichkeiten beschäftigen. Dort regen mich ganz andere Dinge auf, und das auch nicht wenig, klar. Aber dort habe ich keine Mimikry nötig, dort muss ich mich nicht ständig fragen, wie antisemitisch mein Gegenüber eigentlich ist. Und der Hass eines Palästinensers auf Israelis ist etwas vollkommen anderes als der Hass gegen Juden in Deutschland, in Europa.

Aber egal, es geht gerade nicht um Israel. Es geht um Deutschland. Irgendwie geht es immer um Deutschland, auch wenn ich weit weg bin. Und ich frage mich, was Schreiben eigentlich noch bewirken kann in dieser Welt, in dieser Zeit. Manchmal möchte ich so wahnsinnig gern verstummen. Stift aus der Hand legen, Computer aus, Texte weg. Nichts. Stille. Oder: Literatur schreiben (kein Talent, leider). Aber ich konterkariere mich ja gerade, indem ich schreibend darüber nachdenke, dass ich schreibe, dass ich nicht mehr schreiben will ... Sehr konsequent, nicht wahr?

Also, wo ist Deine Wut? Wo lässt Du sie raus? Muss ja irgendwo sein. Ab wann hast Du das Ghetto ins Innere verlegt? Ich habe mein Ghetto erst wirklich in Israel ablegen können. Auch wenn in Israel politisch ziemlich viel schiefläuft und das Land eine leider sehr beängstigende Entwicklung durchmacht - der Populismus lässt grüßen -, so habe ich dort etwas erhalten, was ich als Jude in Deutschland nicht hatte. Die Selbstverständlichkeit, die Normalität des Judeseins. Und damit verbunden noch etwas anderes: Zur Mehrheit zu gehören. Mich nicht rechtfertigen zu müssen dafür, wer ich bin. Keine Rechenschaft, keine Erklärung, kein Minderwertigkeitsgefühl. Das nehme ich inzwischen mit, egal, wo ich bin. Ich trete innerlich anders auf in Deutschland als früher. Unabhängiger auch. Innerlich unabhängiger. Ich muss mich nicht mehr spiegeln im nichtjüdischen Deutschen. Ich warte nicht mehr auf Anerkennung, nicht mehr darauf, endlich akzeptiert zu werden.

Aber dennoch bin ich zwiegespalten, wenn ich mich frage, ob ich noch schreiben soll gegen den Hass, die Ignoranz, die Überheblichkeit, gegen die Überheblichkeit vor allem. Und doch weiß ich, dass ich es nicht lassen kann, lassen werde. Denn wenn diese Sehnsucht, die Welt zu verbessern , nicht mehr gegeben ist, dann kann man doch aufhören, nein? So wie ich gestrickt bin, kann ich (noch?) nicht verstummen. Vielleicht schaffe ich es ja eines Tages, vielleicht akzeptiere ich eines Tages, dass die Welt halt antisemitisch und rassistisch ist. Und das meine ich nicht resignativ oder fatalistisch. Das ginge gar nicht. Sondern irgendwie so buddhamäßig . So ein bisschen: »Ja mei, so san die Menschen, da kemma nix machen«, dieses nette bayerische Laisser-faire. So san´s halt, die Leit. Mit einem leichten, verständnisvollen Achselzucken.

Doch davon bin ich Lichtjahre entfernt. Wie Du siehst, wie Du weißt, wie Du liest. Sonst müsste ich Dir ja auch nicht mehr schreiben. Dann könnten wir uns irgendwo zurückziehen und was essen und trinken und Spaß haben und Deutschland Deutschland sein lassen, weil´s eh wurscht ist. Nein? Wär doch was. Apropos essen: Deine Auberginenstory hat in mir sofort irre Bilder hochgeholt. Israelisch-libanesische Grenze 2006: Der Zweite Libanonkrieg tobt, wir, das ARD-Team, sind in Metula direkt an der Grenze. Überall Lärm. Granaten- und Raketeneinschläge ebenso wie das Abfeuern eben derselben. Hin und her. Mein Team und ich hatten Hunger. Riesigen Hunger. Alles war im Umkreis von 50 km zu. Die Menschen saßen in ihren Bunkern, draußen auf der Straße war noch weniger Leben als während eines harten Corona-Lockdowns. Aber wir wussten von dem kleinen kurdischen Restaurant in Metula (liegt direkt gegenüber von einem Hezbollah-Stronghold auf der anderen Seite des Tals). Liora, meine Producerin, machte die Handynummer der Besitzer ausfindig, denn natürlich war das Lokal geschlossen. Sie konnte sie überreden, für uns aufzumachen. Mit dabei war noch ein Team von Antenne 2 und von der BBC. Nur für uns Journalisten begann das kurdische Ehepaar zu kochen. Wir tranken Bier und quatschten mit den Kolleginnen und Kollegen. Um uns herum der Lärm des Krieges. Manchmal krachte in unmittelbarer Nähe eine Schiiten-Rakete ein, aber das war uns egal. Wir hatten nur Hunger. Und bekamen natürlich riesige Fleischportionen aufgetischt. Herrlich! Nur Liora litt, denn auch sie ist Vegetarierin. Auch sie erhielt gegrilltes Gemüse, eine Riesenportion, denn sonst wird man ja nicht satt, dachten sich die Besitzer wohl. Es war herrlich. Mitten im Kampfgebiet ein großartiges kurdisches Mahl plus Bier, was will man mehr? Und wir wussten alle, dass wir diese Situation unseren Zuschauern nicht vermitteln könnten. Das würde niemand verstehen, wie man das macht, mitten im Beschuss in aller Ruhe zu essen. Wie das geht? Irgendwie auch ein Stückchen Fatalismus. Krieg? Ist so, kann man nichts machen, Hunger hat man trotzdem, das ist wichtiger. Komisch, wie der Mensch manchmal reagiert, nein?

 

Und nun noch schnell die Auflösung um das Geheimnis meines C. im Namen. Eine typisch deutsche Geschichte. Mein jüdischer Vorname lautet Chaim Jossef. Oder Chaim Jossel - mein Vater gab mir den Namen meines in Auschwitz vergasten Großvaters. Aber wie so viele Juden vor und nach dem Krieg geben jüdische Eltern ihren...
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Geboren 1977 in Flensburg als Tochter türkischer »Gastarbeiter«, Studium der Islamwissenschaft, Politik und Medienwissenschaft. Von 2009 bis 2021 arbeitete sie als Politik-Redakteurin bei DIE ZEIT, heute ist sie stellvertretende Leiterin des Auslandsressorts beim SPIEGEL. Zahlreiche Preise (z.B. Theodor-Wolff-Preis) und Stipendien. Mitglied der antirassistischen Leseshow "Hate Poetry", Mentoring-Programm "Neue deutsche Medienmacher*innen". Buch: "Wir neuen Deutschen", Rowohlt 2012. Sie lebt in Hamburg.Geboren 1957 in München als Kind ungarischer Holocaust-Überlebender. Studium der Germanistik, Theaterwissenschaft, Kunstgeschichte. Seit 1987 bei der ARD, 2006 bis 2015 Studioleiter und Chefkorrespondent im ARD-Studio Tel Aviv, 2016/17 dieselbe Position ARD Studio Rom. Seit 2017 Editor-at-Large beim BR/ARD. Zahlreiche Fernsehpreise, darunter Bayerischer Fernsehpreis, Grimme, Lehraufträge an Universitäten in Deutschland, Schweiz und Italien. Zahlreiche Buchveröffentlichungen, zuletzt: "Alltag im Ausnahmezustand", DVA 2018. Er lebt in Tel Aviv.richard-c-schneider.de/