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Findelmädchen

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
Deutsch
Ullstein Taschenbuchvlg.erschienen am11.07.2022Auflage
Das Wirtschaftswunder und die Nachwehen des Krieges: Eine junge Frau erkämpft sich ihren Weg Köln 1955: Die 15-jährige Helga und ihr Bruder Jürgen leben endlich wieder bei ihrem aus russischer Kriegsgefangenschaft heimgekehrten Vater. Von der Mutter fehlt seit Kriegsende jede Spur. Der Vater baut sich mit einem Büdchen eine neue Existenz auf, Jürgen beginnt bei Ford. Helga aber, die sich nichts sehnlicher wünscht, als aufs Gymnasium zu gehen, soll sich in der Haushaltungsschule auf ein Leben als Ehefrau vorbereiten. Während eines Praktikums im Waisenhaus muss sie entsetzt mitansehen, wie schlecht die Kinder dort behandelt werden. Schützend stellt sie sich vor ein sogenanntes »Besatzerkind«. Und sie verliebt sich. Doch die Schatten des Krieges bedrohen alles, was sie sich vom Leben erhofft hat ... Die Presse über Trümmermädchen. Annas Traum vom Glück »Bedrückend, eindringlich und hoch emotional.« Cathrin Brackmann, WDR 4 »Gut recherchiert und voller Herzenswärme.« Susanne Schramm, Kölnische Rundschau

Lilly Bernstein ist das Pseudonym der Kölner Journalistin und Autorin Lioba Werrelmann, deren Debütroman Hinterhaus 2020 mit dem Friedrich-Glauser-Preis ausgezeichnet wurde. Ihre Romane Trümmermädchen und Findelmädchen waren große Presse- und Publikumserfolge.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR12,99
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR9,99

Produkt

KlappentextDas Wirtschaftswunder und die Nachwehen des Krieges: Eine junge Frau erkämpft sich ihren Weg Köln 1955: Die 15-jährige Helga und ihr Bruder Jürgen leben endlich wieder bei ihrem aus russischer Kriegsgefangenschaft heimgekehrten Vater. Von der Mutter fehlt seit Kriegsende jede Spur. Der Vater baut sich mit einem Büdchen eine neue Existenz auf, Jürgen beginnt bei Ford. Helga aber, die sich nichts sehnlicher wünscht, als aufs Gymnasium zu gehen, soll sich in der Haushaltungsschule auf ein Leben als Ehefrau vorbereiten. Während eines Praktikums im Waisenhaus muss sie entsetzt mitansehen, wie schlecht die Kinder dort behandelt werden. Schützend stellt sie sich vor ein sogenanntes »Besatzerkind«. Und sie verliebt sich. Doch die Schatten des Krieges bedrohen alles, was sie sich vom Leben erhofft hat ... Die Presse über Trümmermädchen. Annas Traum vom Glück »Bedrückend, eindringlich und hoch emotional.« Cathrin Brackmann, WDR 4 »Gut recherchiert und voller Herzenswärme.« Susanne Schramm, Kölnische Rundschau

Lilly Bernstein ist das Pseudonym der Kölner Journalistin und Autorin Lioba Werrelmann, deren Debütroman Hinterhaus 2020 mit dem Friedrich-Glauser-Preis ausgezeichnet wurde. Ihre Romane Trümmermädchen und Findelmädchen waren große Presse- und Publikumserfolge.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783843727303
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2022
Erscheinungsdatum11.07.2022
AuflageAuflage
SpracheDeutsch
Dateigrösse3590 Kbytes
Artikel-Nr.8451862
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

1. Kapitel

»Wunderbar«, murmelte Tante Claire und strich ein letztes Mal mit den Zinken einer Gabel durch die Schokoladencreme, die den Kuchen rundum bedeckte. »Schau, ma chérie, das ergibt ein hübsches Muster. Jetzt sieht unsere Biskuit­rolle aus, als sei sie der Ast eines Baumes. Meinst du nicht auch?«

»Ein Bûche de Noël«, flüsterte Helga, »ein Baumstammweihnachtskuchen.«

Der heutige Heilige Abend war der achte, den sie in Frankreich verbrachte, und immer noch verschlug es ihr beim Anblick der Köstlichkeiten, die Tante Claire zu diesem Anlass zauberte, den Atem.

Seit dem frühen Morgen standen sie in der großen Küche im Kellergewölbe des alten Herrenhauses und bereiteten das Festmahl für den Abend vor. Linette, das Küchenmädchen, hatte wie alle anderen Bediensteten an diesem Tag frei. Sie würden erst am Nachmittag wiederkommen, zum gemeinsamen Kirchgang. Helga genoss diese stillen Stunden mit Tante Claire über alle Maßen. Niemand, der sie hinter vorgehaltener Hand boche schimpfte, dickschädelige Deutsche. Und Tante Claire ganz für sich allein.

Mit vor Eifer geröteten Wangen flitzte Helga zwischen dem bullernden Herd und der Speisekammer hin und her und brachte alles herbei, was Tante Claire benötigte. Sie fachte das Feuer an und spülte die kupfernen Töpfe und Schüsseln, bis sie blitzblank glänzten. Sie probierte die Buttercreme und die Maronenfüllung für den Braten, durfte ein wenig von den Crevetten naschen und sogar eine kleine Auster. Und obwohl Helga dafür eigentlich schon zu groß war, strich Tante Claire ihr immer wieder zärtlich über die blonden Locken und lobte sie für ihre Hilfe. Was Tante Claire jedoch niemals tat, war, ihr einen Rührlöffel oder gar ein Messer in die Hand zu geben. Helga hatte nämlich das, was die Tante deux mains gauches nannte, zwei linke Hände. Jedes Stückchen Fleisch, das Helga in eine Pfanne legte, war im Nu verbrannt, jeder Kuchen, den sie aus dem Rohr zog, fiel in sich zusammen, jeder Brei entwickelte sich unter ihrem Rühren zu einem festen Klumpen.

Helga hasste sich für ihre Ungeschicklichkeit, gerade heute. Die Tante schien ihr noch blasser als in den letzten Tagen, und hatte sie nicht auch Gewicht verloren?

»Wenn ich doch nur kochen könnte«, jammerte sie leise. »Ich wäre dir eine viel bessere Hilfe.«

»Das ist doch nicht schlimm, meine süße kleine Elgette«, entgegnete Tante Claire. »Du hast einfach keine Geduld, ein feines Essen zuzubereiten. Bei dir muss es immer schnell gehen. Ich denke, es liegt daran, dass ihr als Kinder gehungert habt.« Behutsam begann sie, ein paar Pilze aus Marzipan zu formen und sie rund um den Bûche de Noël zu verteilen, damit der Kuchen noch ein wenig mehr wie ein Baumstamm aussah. »Im neuen Jahr gehst du aufs lycée, und wenn du damit fertig bist, wirst du eine berühmte Schriftstellerin. Dann brauchst du nicht zu kochen.«

Helga senkte den Kopf und merkte, wie ihre Ohren heiß wurden. Sie tat nichts lieber, als zu lesen und zu schreiben. Ganze Nächte verbrachte sie damit, sich Geschichten auszudenken. Sehnsüchtig wartete sie auf den Sommer, wenn sie endlich aufs Gymnasium durfte. Ganz bei sich hoffte sie sogar darauf, studieren zu dürfen, selbstverständlich Literatur. Aber nur Tante Claire wusste von Helgas großem Traum, Schriftstellerin zu werden. Sie hatte ihn ihr von den Augen abgelesen. Denn niemals wäre es Helga in den Sinn gekommen, diesen Wunsch laut zu äußern. Wer würde schon lesen wollen, was sie schrieb?

Polternde Schritte auf der Treppe rissen sie aus ihren Gedanken. Die Küchentür wurde mit einem so großen Schwung aufgerissen, dass sich ein paar lose Blätter aus dem aufgeschlagenen Kochbuch wie Papierflieger erhoben und langsam zu Boden segelten.

»Was zum Teufel -?«, entfuhr es Tante Claire, doch sie verstummte sofort.

Denn es war Onkel Albert, der in die Küche stürzte. Er war leichenblass und schien vollkommen außer sich. In der Hand hielt er ein aufgerissenes Briefkuvert.

»Helga!«, rief er. »Wo ist dein Bruder? Das Christkind hat euch geschrieben!« Dann ließ er sich auf den Schemel fallen, auf dem Linette immer butterte, und schluchzte laut auf.

Um Himmels willen, was war denn bloß geschehen? Onkel Alberts Anblick traf Helga mitten ins Herz. Und als Tante Claire sie nun anwies, Jürgen zu holen - »lauf, ma petite, meine Kleine, lauf und hol deinen Bruder!« -, da riss sie mit einem Ruck die Hintertür auf und stürmte los.

Auf den Stufen, die hinauf in den Hof führten, schlug ihr ein strenger Wind entgegen, der sich in ihren Zöpfen verfing und an ihrer Schürze zerrte. Helga sog scharf die Luft ein. Sie fürchtete die Kälte. Am liebsten wäre sie gleich wieder zurück in die warme Küche gelaufen. Doch von drinnen hörte sie nun Tante Claire einen erstickten Schrei ausstoßen. Sie musste Jürgen finden, auf der Stelle! Und so schlang sie die Arme um sich selbst und trat bibbernd in den Hof hinaus.

Das Gut schien wie jeden Winter in einen tiefen Schlaf gefallen. Die Lese war eingebracht, Wagenladungen voller Trauben gekeltert. Nun gärte der Wein in großen Fässern in unterirdischen Gängen. Eine feine Eisschicht hatte sich wie eine schimmernde Decke auf das Kopfsteinpflaster gelegt, auf das Efeu, das sich hoch hinauf bis unters Dach schlängelte, auf die steinerne Bank unter der Platane. Es war beinahe vollkommen still. Nur aus der Scheune vernahm Helga ein Hämmern. Sie raffte den weiten Rock und eilte quer über den Hof darauf zu.

Als sie das große Tor aufschob, bot sich ihr ein vertrautes Bild. Jürgen lag wie so häufig unter dem Traktor, nur seine langen Beine ragten darunter hervor. Sie steckten wie immer in dreckverkrusteten Stiefeln, auch seine Arbeitshose war voller Flecken.

»Helgalein!«, rief er sogleich, er musste ihr Kommen bemerkt haben. »Kannst du mir bitte den Zehnerschlüssel anreichen? Dieses alte Schätzchen leistet einen solchen Widerstand, aber ich sag´s dir, ich habe es gleich ...«

»Vergiss den Traktor, du musst sofort mitkommen!«

»Aber -«

»Es ist etwas passiert. Komm, schnell!«

»Es ist etwas passiert?« Im Nu war Jürgen unter dem Traktor hervorgekrochen und strich sich mit einem Lappen die Ölschmiere aus dem Gesicht. In der eiskalten Luft konnte Helga seinen Atem sehen, und ihr war, als spiegele sich ihr Erschrecken in seinem Antlitz. Sie hatten die gleichen grünen Augen, die gleichen blonden Locken, sie waren sogar fast gleich groß, über eins siebzig. Und es gab kein Gefühl, das sie nicht miteinander teilten. Wortlos wischte er sich die Hände an der Hose ab und folgte ihr ins Haupthaus.

Helga hatte die Küche nur für wenige Minuten verlassen, und doch hatte sich in diesem kurzen Moment alles verändert. Der Duft nach Kuchen, Braten und frisch gekochtem Maronenpüree war verflogen, das Feuer im Herd nahezu erloschen. Etwas vollkommen Neues lag in der Luft. Als sei ein kühler Windstoß durch den Raum gefahren.

Nun saß Tante Claire auf dem niedrigen Schemel, nun war sie es, die den aufgerissenen Brief in den Händen hielt. Immer wieder strich sie darüber, als wolle sie ihn glätten. Onkel Albert stand neben ihr, eine Hand auf ihrer Schulter, die andere in einer hilflosen Geste von sich gestreckt. Als Helga und Jürgen die Küche betraten, schreckten sie auf, als hätten sie nicht so bald mit ihnen gerechnet.

»Kinder«, brachte Onkel Albert heraus, dann versagte ihm die Stimme.

Helga nahm Jürgens Hand und spürte, wie sie von Kopf bis Fuß zu zittern begann. Was hatte die beiden so erschüttert? Was stand in dem Brief? Sie entdeckte ein ihr unbekanntes Emblem auf dem Umschlag und glaubte, ihr Herz müsse stillstehen. War etwas mit Horst, mit dem sie hier im Haus gemeinsam aufgewachsen waren? Er war doch hoffentlich wohlauf?

»Der ... der Brief«, stotterte sie, »ist er von der Fremdenlegion?«

»Aber nein!« Tante Claire schrak auf. »Mach dir keine Sorgen, ma petite. Horst hat vorgestern aus Algerien geschrieben, wir wollten euch seine Nachricht heute Abend vorlesen. Es geht ihm gut. Nein« - sie fuhr sich durch das dunkle Haar, ihre kunstvolle Hochsteckfrisur hatte sich mit einem Mal halb gelöst - »nein, das ist es nicht.«

Ein Seufzer der Erleichterung entwich Helga. Sie war immer noch wütend auf Horst, weil er sich die Fremdenlegion nicht hatte ausreden lassen. Was musste er in Algerien in einem Krieg kämpfen, mit dem sie nichts zu tun hatten? Wenn ihm etwas geschähe, würde sie nie mehr froh werden. Was aber stand dann in dem Brief, Himmel, was konnte es sein? Tante Claire war in der vergangenen Woche in der Stadt beim Arzt gewesen. Sie hatte kein Aufheben darum gemacht, aber was, wenn sie ernstlich krank wäre?

»Bitte«, flehte Helga, »nun sagt schon, was ist das für ein Brief?«

Onkel und Tante sahen sich lange an. Und dann, endlich, begann Onkel Albert zu sprechen. So leise, dass...
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Autor

Lilly Bernstein ist das Pseudonym der Kölner Journalistin und Autorin Lioba Werrelmann, deren Debütroman Hinterhaus 2020 mit dem Friedrich-Glauser-Preis ausgezeichnet wurde. Sie stammt aus einer Bäckersfamilie und wuchs zwischen Laden und Backstube auf. Ihre Mutter ist ebenfalls Bäckerskind und hat die Nachkriegszeit noch in lebendiger Erinnerung. Trümmermädchen - Annas Traum vom Glück ist Lilly Bernsteins persönlichster Roman. Mit seiner Veröffentlichung geht für die Autorin ein Herzenswunsch in Erfüllung.