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Unser Feuer erlischt nie

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
400 Seiten
Deutsch
Ullstein Taschenbuchvlg.erschienen am27.05.2022Auflage
»Die kraftvolle Erzählung einer verbotenen Liebe - eine atemlose und atmosphärische Lektüre.« Daily Mail  Lancashire, 1620: Die junge Sarah Haworth lebt mit ihrer Familie als Ausgestoßene auf dem Pesthügel vor dem Dorf. Die Gemeinschaft verachtet unverheiratete kluge Frauen wie sie, aber ihre Dienste - heilende Balsame, Kräutermittel - sind immer gefragt. Als Sarah den Bauernsohn Daniel kennenlernt, ändert sich alles. Er sieht in ihr nicht die wilde Außenseiterin, sondern eine starke junge Frau, die zu sich selbst findet. An seiner Seite, unter seinem Schutz, hofft Sarah auf ein besseres Leben. Doch als ein neuer Magistrat in die Gegend kommt und seltsame Todesfälle untersucht, nimmt die Hetze der Dorfbewohner zu. Und plötzlich hält auch Daniel eine brennende Fackel in der Hand ...

Elizabeth Lee hat das Curtis Brown Stipendium gewonnen. Cunning Women ist ihr erster Roman.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR19,99
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR15,99

Produkt

Klappentext»Die kraftvolle Erzählung einer verbotenen Liebe - eine atemlose und atmosphärische Lektüre.« Daily Mail  Lancashire, 1620: Die junge Sarah Haworth lebt mit ihrer Familie als Ausgestoßene auf dem Pesthügel vor dem Dorf. Die Gemeinschaft verachtet unverheiratete kluge Frauen wie sie, aber ihre Dienste - heilende Balsame, Kräutermittel - sind immer gefragt. Als Sarah den Bauernsohn Daniel kennenlernt, ändert sich alles. Er sieht in ihr nicht die wilde Außenseiterin, sondern eine starke junge Frau, die zu sich selbst findet. An seiner Seite, unter seinem Schutz, hofft Sarah auf ein besseres Leben. Doch als ein neuer Magistrat in die Gegend kommt und seltsame Todesfälle untersucht, nimmt die Hetze der Dorfbewohner zu. Und plötzlich hält auch Daniel eine brennende Fackel in der Hand ...

Elizabeth Lee hat das Curtis Brown Stipendium gewonnen. Cunning Women ist ihr erster Roman.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783843727143
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2022
Erscheinungsdatum27.05.2022
AuflageAuflage
Seiten400 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse3630 Kbytes
Artikel-Nr.8451871
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

Ein ungewohnter Schmerz

 

Lancashire, 1620

Annie schläft eingerollt auf dem Lager, das wir uns teilen. Der nasse Daumen ist ihr aus dem Mund gerutscht. Ich knie mich neben sie, rufe und schüttle sie. Sie runzelt die Stirn und murmelt etwas Unverständliches.

»Wach auf«, sage ich.

Sie stößt mich weg und dreht sich um.

»Los. Wir müssen dich absuchen.«

Sie öffnet die Augen und setzt sich auf, sie umklammert meinen Arm. »Ist er gekommen?«

»Wir haben die Glocke geläutet, oder? Und die Asche ist immer noch unversehrt.«

Sie fährt mit den Augen den dünnen Aschering ums Bett entlang. Kein Hufabdruck zu sehen.

»Dann bin ich ja sicher«, sagt sie und legt sich wieder hin.

»Nein.« Ich ziehe sie auf die Füße. Ich muss mich überzeugen, dass sie einen weiteren Tag verschont geblieben ist. Für mich ist es bereits zu spät. Ich bin zu einem Schicksal verurteilt, dem ich nicht entrinnen kann, aber sie kann noch gerettet werden. Sie ist so dürr, dass ich sie mit einer Hand tragen könnte. Ohne auf ihren Protest zu achten, ziehe ich sie hinüber zum schwachen Licht, das durch den Mauerspalt fällt, im schmalen Streifen zwischen unserer Matratze und der von Mam, und beginne unser tägliches Ritual. Ich ziehe ihr die Kleider über den Kopf, und sie steht vor mir, nackt und schlotternd, während ich genauestens ihre Haut absuche.

Ich fange mit ihrer Seite an, wo mein Mal liegt, beerenrot und rund. Ihre Flanke ist gähnend leer, nichts als weiße Gänsehaut, die sich straff über ihre spitzen Knochen spannt. Ich hebe und drehe ihre Arme, spreize ihre Finger, um die Haut in den Zwischenräumen zu inspizieren, ich schaue in ihre Kniekehlen und unter beide Fußsohlen. Die Flohbisse, an denen sie gepult hat, sind rau, aber das Mal, das ich niemals auf ihr finden möchte, wäre flach und dunkel. Ein Fleck, den man mit keiner Wäsche wegbekommt, obwohl ich es weiß Gott versucht habe. Als sie den Kopf senkt, hebe ich ihr Haar hoch und untersuche ihren Hals.

Sie ist noch nicht sein.

Ich ziehe sie an mich und wiege sie hin und her. »Nichts.«

Endlich kann ich ausatmen. Jeden Morgen beginne ich damit, sie abzusuchen. Jeden Morgen beginne ich mit einer düsteren Vorahnung.

Sie springt von unserer Matratze durch die Tür auf die leere Matratze von John und wieder zurück und klatscht dazu in ihre schmutzigen Hände. »Er will mich nicht.« Sie grinst, wischt sich die Nase ab und leckt sich die Schleimspur von der Hand.

Ich muss lachen und ziehe ihr die Sachen wieder über den Kopf, bevor sie nach nebenan hopst, ihre Füße in der ausgeschütteten Asche von gestern vergräbt, um nur ja jedes bisschen Wärme mitzunehmen.

Mam ist aufgestanden. Sie hat sich ihre Decke um die Schultern geschlungen und steht auf der Schwelle.

»Kein Besuch?«, fragt sie. Die Worte gleiten durch ihre Zahnlücken.

Ich schüttle den Kopf.

»Er wird kommen. Keiner deiner Tricks wird ihn abhalten.« Sie wirft einen Blick auf ihren Schutzgeist, einen Hasen, der für uns harmlos ist, aber ein bereitwilliger Träger für Verwünschungen, wie sie immer sagt. Er erscheint nur ihr, aber wir können aus ihren geflüsterten Liebesworten und boshaften Plänen auf seine Anwesenheit schließen. »Wir wissen es, nicht wahr, Tau-Springer?« Ich starre, versuche, seine Fußabdrücke in der Asche auszumachen oder einen Blick auf ihn zu erhaschen, wie er sich um ihre Füße bewegt. Nichts.

Sie quetscht sich an Johns Matratze und dem Tisch vorbei, um zum Feuer zu kommen. Mit einer Handbewegung verscheucht sie Annie und stochert in der leblosen Asche, bis Staub aufsteigt und sich auf dem Schimmel an den Wänden ablagert. Die Decke rutscht ihr von den Schultern, entblößt die Kette ihrer Rückenwirbel und ihr eigenes Mal.

»Feuerholz«, sagt sie knapp.

»Ich geh an die Küste runter und hol ein bisschen Treibholz. Vielleicht find ich ja auch ein paar Muscheln.«

»Hilfst du mir zuerst, sie abzuwaschen?«

Ich tunke einen Lumpen in den Eimer, und Mam fängt Annie, bevor sie davonrennen kann. Sie schreit und zappelt, als ich ihr das schmutzige Gesicht und die Hände schrubbe, aber sie hat nicht genug Kraft, um sich zu wehren. Sie hat vor zwei Tagen das letzte Stück Brot gegessen.

»Ihr Trottel«, ruft sie, mit geballten Fäusten und gefletschten Zähnen. Mam und ich müssen uns beherrschen, um nicht loszuprusten beim Anblick ihres wütenden Gesichts und ihrer abstehenden feuchten Haare. »Ihr seid doof.«

Da fliegt die Tür auf, und wir starren John an, der leicht breitbeinig, mit den Händen auf dem Rücken und etwas abgespreizten Ellenbogen dasteht, damit seine dünne Gestalt ein bisschen bulliger wirkt.

»Ihr ratet nie, was ich hier habe«, sagt er.

»Einen Vogel«, rät Annie. »Einen Spatz, einen kleinen braunen?«

John verdreht die Augen. »Warum sollte ich wohl einen Vogel mitbringen, kleine Motte?«

»Wäre nützlicher als du«, antworte ich.

Annie wischt sich die Nase mit dem Ärmel ab und zuckt mit den Schultern. »Egal. Im Wald sind auch Spatzen. Ich hol mir selbst einen.«

»Nein, rat noch mal richtig. Ratet, was ich hier habe.«

»Ich schlag dich gleich, wenn du es uns nicht sagst«, droht Mam.

Eine zahnlose Drohung. Sie hat niemals die Hand gegen uns erhoben. Nur ein Mal habe ich gesehen, wie sie wirklich zu Gewalttätigkeiten getrieben wurde. Eine rasende und tiefe Wut, die aufstieg, um die Ihren zu schützen.

Schwungvoll und mit stolzgeschwellter Brust bringt John seine Faust vom Rücken nach vorne, als würde er uns einen Goldschatz präsentieren. Mam schnappt nach Luft.

Von seiner Hand baumelt der Körper eines Lamms. Blut tropft auf den Boden, in einem stetigen Platsch, Platsch, Platsch.

Mam stolpert zu ihm und schließt ihn in die Arme, und das Lamm gleich mit. Der Rücken seines Oberteils ist rot gefleckt. »Oh, John. Du großartiger Junge! Wir sind gerettet.«

Sie hat recht. Ohne das hier haben wir nichts zu essen als die Kleinigkeiten, die wir an der Küste oder am Straßenrand gesammelt haben. Das stetige Tropfen hat hypnotische Wirkung, sein Rhythmus auf dem Boden, die sich ausbreitende Pfütze zu seinen Füßen. Eine Spur den Hügel hinauf und durch das verlassene Fischerdörfchen, die direkt zu unserem Haus führt.

John wird rot und schüttelt sie ab. »Ist ja nur ´n kleines.«

Sie nimmt es ihm ab, dreht seinen schlaffen Körper prüfend hin und her, wobei sie eine Schüssel unterhält, um ja nicht mehr von dem kostbaren Blut zu verlieren. »Macht das Fleisch nur noch zarter. Genug für uns alle.«

»Und ich weiß, wo es Kohlrüben gibt.«

»Dann geh, Junge. Wir werden ein Festmahl zubereiten. Annie, wisch den Tisch ab. Sarah, hol mir mein Messer.«

John rennt zur Tür hinaus, und ich bringe das Messer, doch Annie bleibt, wo sie ist.

»Es ist so klein«, sagt sie.

»Groß genug, um uns alle satt zu machen«, erwidere ich.

»Es ist ein Baby.«

Ich halte inne und schaue sie an. Sie beobachtet, wie Mam das Tier aufschneidet und ihm die Haut abzieht, die weiße Wolle jetzt rot gefleckt. Tränen stehen ihr in den Augen. Sie wischt sich mit dem Handrücken über den Mund, ihre Lippen sind nass.

Ich knie mich vor sie hin, nehme ihre knochigen Schultern in die Hände. »Er hat es ganz schnell getötet. Es hat überhaupt nichts gespürt.«

Sie starrt an mir vorbei auf das Lamm, das jetzt nicht mehr ist als ein Klumpen Fleisch auf unserem Tisch.

»Komm, Kleine«, sage ich. »Wir gehen Algen sammeln, die können wir dazu essen, und Holz, um Feuer zu machen.«

Ich nehme sie bei der Hand und führe sie hinaus.

Wir essen lange, bevor die Sonne ihren Höchststand erreicht hat. Ein Festmahl, wie es das bei uns schon so lange nicht mehr gab, dass wir uns gar nicht mehr daran erinnern können. Eines, das man sich eigentlich bis zum Abend hätte aufsparen sollen, aber wir können nicht mehr warten. John hat Kohlrüben geholt, Annie und ich ein paar Algen gesammelt, und sie werden alle mit dem Lamm zusammen gekocht. Ein reicheres Mahl, als wir es gewöhnt sind, Fleisch voller Geschmack, das einem auf der Zunge zergeht.

Sobald das Essen vor ihm steht, greift John mit den Fingern hinein und schaufelt sich Kohlrüben in den Mund, dass ihm Stücke herausfallen und am Kinn kleben bleiben, während er seine Zähne im Fleisch vergräbt.

Mam, Annie und ich können uns kaum besser beherrschen, wir essen, ohne abzusetzen. Wir sprechen weder, noch schauen wir von unseren Schüsseln auf, bis sie leer sind.

Ich lehne mich auf meinem Stuhl zurück und halte mir den straff gespannten Bauch. Ein ungewohnter Schmerz ist da drin. Der Schmerz, der von der Gier herrührt. John schaut uns der Reihe nach an, wie ein König, der sein Volk gespeist hat.

»Das hast du gut gemacht, mein Sohn. Und es ist ja noch was übrig. Brühe von den Knochen. Das Blut kann ich für...
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