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Tick Tack

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
256 Seiten
Deutsch
Hanser Berlinerschienen am14.03.20221. Auflage
Nach ihrem Debüt 'Die Hochhausspringerin' das neue Buch von Julia von Lucadou: ein kluger Roman über unsere Gegenwart - auf perfide Weise unterhaltsam und verunsichernd.
Bevor sie sich auf die U-Bahngleise legt, kündigt Mette, 15, in TikTok-Videos ihr Vorhaben an. Niemand reagiert - gerettet wird sie trotzdem. Der Selbstmordversuch verwirrt ihr privilegiertes Umfeld: Bislang hat sie professionell die Leistung des hochbegabten Kindes abgeliefert - Mettes Strategie, um unter dem Radar einer Welt zu bleiben, deren Verlogenheit sie frustriert. Dann lernt sie Jo kennen, zehn Jahre älter, brillant und voller Wut, ein Verbündeter. Als Anti-Influencer hat er sich ein Following aufgebaut und rekrutiert Mette für den Kampf gegen den Mainstream. Ein Spiel beginnt, dessen Regeln sie nicht durchschaut.
Mit gleißender Klarheit und schneidendem Witz zeigt Julia von Lucadou einen Ausschnitt unserer Gegenwart, in der die digitale und reale Wirklichkeit sich komplett durchdringen.

Julia von Lucadou wurde 1982 in Heidelberg geboren und ist promovierte Filmwissenschaftlerin. Sie arbeitete als Regieassistentin, Redakteurin beim Fernsehen und als Simulationspatientin; sie lebt in Biel, New York und Köln. Ihr erster Roman Die Hochhausspringerin (2018) stand auf der Shortlist für den Schweizer Buchpreis und wurde mit dem Schweizer Literaturpreis ausgezeichnet.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR23,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR16,99

Produkt

KlappentextNach ihrem Debüt 'Die Hochhausspringerin' das neue Buch von Julia von Lucadou: ein kluger Roman über unsere Gegenwart - auf perfide Weise unterhaltsam und verunsichernd.
Bevor sie sich auf die U-Bahngleise legt, kündigt Mette, 15, in TikTok-Videos ihr Vorhaben an. Niemand reagiert - gerettet wird sie trotzdem. Der Selbstmordversuch verwirrt ihr privilegiertes Umfeld: Bislang hat sie professionell die Leistung des hochbegabten Kindes abgeliefert - Mettes Strategie, um unter dem Radar einer Welt zu bleiben, deren Verlogenheit sie frustriert. Dann lernt sie Jo kennen, zehn Jahre älter, brillant und voller Wut, ein Verbündeter. Als Anti-Influencer hat er sich ein Following aufgebaut und rekrutiert Mette für den Kampf gegen den Mainstream. Ein Spiel beginnt, dessen Regeln sie nicht durchschaut.
Mit gleißender Klarheit und schneidendem Witz zeigt Julia von Lucadou einen Ausschnitt unserer Gegenwart, in der die digitale und reale Wirklichkeit sich komplett durchdringen.

Julia von Lucadou wurde 1982 in Heidelberg geboren und ist promovierte Filmwissenschaftlerin. Sie arbeitete als Regieassistentin, Redakteurin beim Fernsehen und als Simulationspatientin; sie lebt in Biel, New York und Köln. Ihr erster Roman Die Hochhausspringerin (2018) stand auf der Shortlist für den Schweizer Buchpreis und wurde mit dem Schweizer Literaturpreis ausgezeichnet.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783446273665
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Erscheinungsjahr2022
Erscheinungsdatum14.03.2022
Auflage1. Auflage
Seiten256 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.8542522
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

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saycheese

Almette



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1250 Folge ich  10.3K Follower  250.2K Likes



Don t worry bout me, I m doing good, I m doing great, alright

It s about to get ugly flow so mean I just can t be polite

Tierra Whack »Pretty Ugly«


Thera-fucking-pie, die Dritte. Und wen hat sich die Übermutter diesmal ausgesucht? Ein Klischee von einer Therapeutin. Wenn es einen Ikea-Katalog nur für Therapiepraxiswartezimmer gäbe, wäre das hier auf dem Cover. Breitwandbilder von türkisen Wasserfällen und Wiesenlandschaften in Pastelltönen. Entspannungsporno aus der Archivbild-Agentur. Alle Möbel offwhite. Unbelastet. Man will ja keine traumatischen Assoziationen triggern. Aber auch nicht zu unpersönlich rüberkommen. Das Off des Whites die passende Prise Menschlichkeit.

Neue Therapeutin = 100% Sellerie, schreibe ich YaÄmur und schicke ihr ein Wasserfallfoto. FML.

Du hast eindeutig ne Gemüsephobie. Solltest du direkt mit deiner neuen Therapeutin besprechen.

Mein Kichern hallt durch dreißig Quadratmeter. Warum so ein monströses Wartezimmer für Einzeltherapien? Das muss Strategie sein. Man soll spüren, wie unwichtig und einsam man ist, ein Fliegendreck in der Wasserfall-Aula. Und dann, bam, geht man rein zur Therapeutin und sie sagt: Du bist kein Fliegendreck. Und man ist total glücklich.

Kapitalismus-Künstlerin. Erst ein Problem basteln und dann die Lösung dafür verkaufen.

Ich hab keine Gemüsephobie. Sellerie ist eindeutig widerlich.

Gemüserassistin. Was hast du gegen Sellerie? Gesund, stramm und grün.

Schon mal Knollensellerie gesehen? Sieht aus wien Sack mit Mumps.

Ich schicke ihr das Foto einer Frau im Arztkittel mit Hoden statt Kopf. Neue Therapeutin = 100% Knollensellerie.

Psycho-Doktorin Nummer drei ist immerhin ein Upgrade. Privatpraxis. Ausgewählter Patientenkreis. Mindestens zwei FC-Stars und die Jungs von AnnenMayKantereit. Meine Mutter hat einen der heißbegehrten Termine über ihr Medizinerinnennetz an Land gezogen. Keine Kinder- und Jugendlichenpsychologin mehr, sondern eine ausgewachsene Koryphäe mit zwei Doktortiteln und acht Zusatzausbildungen, die kaum auf ihre Türplakette passen.

»Hauptsache nicht wieder so eine Dreiundzwanzigjährige im Harry-Potter-Shirt, die dich deine Familie mit Barbiepuppen nachstellen lässt«, hat meine Mutter gesagt. Vor drei Wochen habe ich sie durch die Pappmachéwände des Aufenthaltsraums der Kinder- und Jugendpsychiatrie Köln auf und ab laufen gehört. Das Klacken ihrer Absätze auf höchstem Aggressionslevel. Ihre Stimme hat vor Wut gezittert, als sie dem Arzt erklärte, dass er mich nicht so schnell entlassen dürfe. Durfte er natürlich. Wusste sie auch. Keine Freiheitsberaubung ohne meine Zustimmung. Wir sind hier nicht in China. Noch nicht.

Also machte sie mit Erpressung weiter: ohne Therapie kein neues iPhone. Obwohl das längst vereinbart war, als Belohnung für den Einserschnitt und den Ethikpreis und das Stipendium des Begabtenförderungsfonds des Landes Nordrhein-Westfalen. Vertragsbruch. Ich hätte es mir schriftlich geben lassen sollen.

Jetzt sitze ich hier in dieser perfekt gestylten, menschenfreien Seelenheil-Hölle.

Wünschte, du wärst hier.

YaÄmur antwortet mit dem Success-Kid-Meme. You got this, babe.

Die Therapeutin ist wie erwartet klischiert therapeutisch. Graumelierte, vorgestern zuletzt gekämmte Haare. Das Gesicht hinter eine zu große Brille geklemmt, die nur aus Versehen gerade im Trend liegt. Dazu Outfit »Maus«, mindestens eine Größe zu groß. Das obligatorische Clipboard auf ihren übereinandergeschlagenen Beinen. Sie lässt den Kugelschreiber in der linken Hand über dem Notizpapier schweben wie einen Miniatur-Speer.

Jetzt ein TikTok drehen, Tierra-Whack-Style, mit dem Therapeutinnenklischee im Hintergrund. Ich vorne in einer Zwangsjacke aus dem neunzehnten Jahrhundert kurz nach dem Elektroschock. Sabber läuft mir aus dem rechten Mundwinkel und mein linkes Augenlid geht nicht mehr auf. Ich starre in die Kamera und bewege die Lippen in perfekter Synchronität fünfzehn Sekunden lang, Don t worry bout me, I m doing good, I m doing great, alright, während ich mir selbst die Luft abdrücke, beide Hände fest um meinen Hals gelegt, und die Therapeutin versucht, mir eine Beruhigungsspritze zu setzen.

Sie hat mir das Handy vor der Therapiestunde abgenommen.

Ich brauche eine Challenge, um mir die fünfzig Minuten dieser Sitzung zu vertreiben.

Staring Contest. Ich starre ins Gesicht meiner Zwangstherapeutin, ohne zu blinzeln. Danke, Curious Zelda, savageste Instagram-Katze der Welt. Zelda hat den Staring Contest aus dem Friedhof der vergessenen Challenges ausgegraben und bis zur Viralität defibrilliert. Auch wenn Insta-Rivalin Staring Sallie behauptet, das Katzen-Staring-Meme erfunden und deshalb Anspruch auf Zeldas Werbeeinnahmen zu haben.

Die Therapeutin richtet ihre Brillenaugen auf mich. Sie sieht entschlossen aus, kein Blinzeln auf weiter Flur. Hmm. Vielleicht ist sie auch Zeldaistin.

Ich halte ihrem Blick stand. Ich muss mich nur in Curious Zeldas Zottelkopf hineinversetzen, um meinen Blinzeltrieb unter Kontrolle zu bekommen. Zelda starrt im Gegensatz zu Staring Sallie anbetungswürdig intensiv. Sie verleiht dem Nichtblinzeln eine echte Stalker-Romantik, während Staring Sallie einfach nur dumm-niedlich aussieht. Man möchte ihr die bescheuerte Persernase mit der Faust noch flacher drücken.

YaÄmur versteht meine Obsession für Zeldas Starrfähigkeiten nicht. Sie steht auf Insta-Tiere mit höherem Aww-Faktor. Ihr aktueller Favorit: der zweifüßige Hund Georgie TwoPaws. Der hat nur so gute Werbeverträge, weil hinter dem bemitleidenswerten Gehoppel und seiner »Wir-schaffen-das«-Einstellung eine düstere kapitalistische Seele steckt. Quatsch, würde YaÄmur sagen. Du glaubst immer, alle sind evil und kalkuliert. Aber dass ein behinderter Hund so viele Follower hat, zeigt doch gerade, dass es einen guten Kern im Menschen gibt. Empathie. Selbstlosigkeit.

Das muss gerade YaÄmur sagen.

Die Therapeutin starrt.

Ich maunze leise, ohne die Gesichtsmuskeln zu bewegen.

»Was haben Sie gesagt?«

Yes. Kräuseln der Augenbrauen, Blinzeln. Die Therapeutin hat Runde eins des Staring Contests verloren. Ich fauche vor Freude.

Die Therapeutin schüttelt sich, blickt aufs Clipboard, setzt neu an.

»Warum sind Sie heute hier?«

»Weil meine Eltern mich hergeschickt haben.«

»Das ist ja sehr folgsam von Ihnen.«

Folgsam? Da lag ich mit dem neunzehnten Jahrhundert gar nicht so falsch.

Die Therapeutin macht sich Notizen. Das Geräusch ihres Kugelschreibers auf dem Clipboardpapier kratzt an meiner Hirnrinde. Kreide auf alten Schultafeln. Wie zieht sie aus so einem kurzen Gespräch so viele Spiegelstriche?

»Erpressung«, sage ich.

Die Therapeutin schweigt und schreibt.

»Ich hatte keine Wahl«, sage ich.

Sie hört nicht auf zu schreiben.

»Meine Eltern haben mir gedroht zu helikoptern.«

Das Therapeutinneninteresse ist geweckt, sie hebt den Blick und senkt den Kugelschreiber.

»Das müssen Sie mir erklären.«

»Na ja, Helikopter-Eltern. Oder, noch härter: das Upgrade Rasenmäher. Zusätzlich zur Totalüberwachung wird jedes noch so kleine Hindernis vorsorglich aus dem Weg gemäht. Nicht dass sich beim Kind ein Frust entwickelt, weil es schlechte Noten hat. Also engagiert sich Mami in allen Schulkomitees, und Papi schreibt jeden Tag E-Mails an die Schulleitung und kauft eine Kumon-Tutorin, die am Nachmittag die Hausaufgaben betreut.«

»Und Sie finden es bedrohlich, wenn sich Ihre Eltern für Sie engagieren?«

Ich frage mich, ob sich die Therapeutin ihre acht Zusatzausbildungszeugnisse im Darknet bestellt hat. Ihre Fragen sind...


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