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Taras Augen

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
348 Seiten
Deutsch
mixtvisionerschienen am09.02.20221. Auflage
Alún und die gleichaltrige Tara werden nicht nur durch den Chemieunfall auseinandergerissen; sie erleben Täuschung und Enttäuschung, Eifersucht, Leidenschaft, Hartnäckigkeit, Selbstzweifel, finden sich aber am Ende wieder. Katharina Bendixen nimmt sich die Freiheit, die dystopische Welt, in der das alles spielt, nicht groß zu erklären, sondern sie einfach als gegeben hinzustellen. Jeder muss mit einem lizensierten Tablet ausgestattet sein, das Kommunikation, Zahlungsvorgänge, aber eben auch ständige Überwachung ermöglicht. Kein Wunder, dass viele findige Jugendliche sich »Fakelets« zulegen, mit denen sie die Behörden über ihre wahre Identität täuschen können. Leider gelingt es aber auch einem anderen Mädchen, sich gegenüber Alún als Tara auszugeben.mehr
Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR12,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR9,99

Produkt

KlappentextAlún und die gleichaltrige Tara werden nicht nur durch den Chemieunfall auseinandergerissen; sie erleben Täuschung und Enttäuschung, Eifersucht, Leidenschaft, Hartnäckigkeit, Selbstzweifel, finden sich aber am Ende wieder. Katharina Bendixen nimmt sich die Freiheit, die dystopische Welt, in der das alles spielt, nicht groß zu erklären, sondern sie einfach als gegeben hinzustellen. Jeder muss mit einem lizensierten Tablet ausgestattet sein, das Kommunikation, Zahlungsvorgänge, aber eben auch ständige Überwachung ermöglicht. Kein Wunder, dass viele findige Jugendliche sich »Fakelets« zulegen, mit denen sie die Behörden über ihre wahre Identität täuschen können. Leider gelingt es aber auch einem anderen Mädchen, sich gegenüber Alún als Tara auszugeben.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783958548428
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2022
Erscheinungsdatum09.02.2022
Auflage1. Auflage
Seiten348 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse2759 Kbytes
Illustrationen40 Schwarz-Weiß- Abbildungen
Artikel-Nr.8707874
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe


Die Sache ging so schnell, dass ich nicht mehr sagen kann, wo genau wir waren. Unser Bus war auf der Strecke zwischen Rekan und Nipad, das weiß ich noch. Und ich erinnere mich an den Knall. Eigentlich war es kein Knall. Es war eher das laute Stottern, das Mamas Motorsäge von sich gibt, wenn der Akku ausgeht. Mama steht dann immer ganz still vor der Figur, an der sie gerade arbeitet. Sie klammert sich an der Säge fest und kann es nicht fassen, dass sie ihre Arbeit schon wieder unterbrechen muss.

Bei diesem Stottern stand aber nichts still. Bei diesem Stottern ging alles weiter.

»Siehst du das auch?«, fragte Tulip auf dem Sitz neben mir.

Ich löste den Blick von meinem SigPhone und drehte mich um. Hinter uns am Himmel stand eine kleine schwarze Wolke.

»Wird das ein Gewitter?«, fragte ich.

Ein Mann schräg vor uns zog sich sein T-Shirt über die Nase und eine Frau holte ihr SigPhone raus und fing an zu fotografieren. Sie hatte dieses Klicken eingestellt, das nur die absolut antiken Kameras von sich geben. Es klickte und klickte, und obwohl sich der Bus von der schwarzen Wolke entfernte, wurde sie größer.

»Das ist doch keine Gewitterwolke«, sagte Tulip.

»Schau dir lieber das an.« Ich hielt ihm mein SigPhone unter die Nase.

Letzte Woche hatte eine Schwimmerin aus der A-Jugend über fünfzig Meter Kraul einen neuen Rekord aufgestellt und ich hatte aus dem Clip eine Wende rausgeschnitten und in Endlosschleife montiert. Es war nicht zu fassen, wie schnell diese Schwimmerin von der Rolle in die Drehung kam. Auch nach der fünfzigsten Wiederholung hatte ich den Trick noch nicht durchschaut und dann hielten wir am ersten Busstopp von Nipad. Es war der Industrial Park, an dem immer sehr viele sehr müde Erwachsene zustiegen. Meistens dauerte es eine halbe Ewigkeit, bis der Bus sich wieder in den Verkehr einfädeln konnte.

Heute dauerte es noch länger. Eine Frau stand in der Tür und redete auf ihren Mann ein, weil der nicht einsteigen wollte. Die Frau wurde immer lauter und ich drehte mich noch mal um. Die Wolke war mittlerweile ziemlich groß und sie war ziemlich schwarz. Aber weder ihre Form noch ihre Farbe konnten etwas daran ändern, dass am Wochenende dieser wichtige Wettkampf stattfand. Sowohl Tulip als auch ich hatten gute Chancen auf eine Medaille, und wenn das da vorn noch lange dauerte, hatten wir ein Problem. Um Punkt drei Uhr mussten wir im Wasser sein. Wir hatten noch sechzehn Minuten und dreißig Sekunden, dann machte Henk uns die Hölle heiß.

Endlich ging es weiter, aber nach ein paar Hundert Metern kam der Bus schon wieder zum Stehen. Neben uns öffneten und schlossen sich die Glastüren des Campo Hospital und vor uns stand ein Geländewagen mit getönten Scheiben und bewegte sich nicht, genau wie alle anderen Autos in Sichtweite. Ich ließ mich gegen die Sitzlehne fallen. Schon klar: Die Wolke war nicht besonders ansehnlich und sie schwebte offenbar über Galapa, wo die Factory 11 stand. Aber selbst wenn es dort einen kleinen Zwischenfall gegeben hatte, musste deshalb doch nicht der gesamte Verkehr zum Erliegen kommen. Wenn die Leute unbedingt was Aufregendes sehen wollten, konnten sie dann nicht einfach auf ihre Monitore glotzen?

Ich ging nach vorn und drückte den Contact-Button.

»District Bus Operator«, meldete sich eine freundliche Stimme aus mehreren Kilometern Entfernung. »Mein Name ist Jul und ich helfe Ihnen gern.«

»Würden Sie mal kurz die Türen entsperren?«, fragte ich.

»Das ist zwischen zwei Stopps nicht möglich«, sagte Jul mit ihrer freundlichen Stimme.

»Wir stecken hier fest und ich muss dringend raus.«

»Ich darf die Türen leider nur an den Stopps öffnen.«

»Das habe ich kapiert«, sagte ich. »Aber meinem Freund ist schlecht. Er kotzt gleich den ganzen Bus voll.«

»Wenn ich die Türen öffne, verliere ich meine Lizenz.« Juls Stimme war jetzt nicht mehr so freundlich.

»Und wenn Sie die Türen nicht entsperren, schreie ich.«

»Wenn jemand schreit, verliere ich nicht meine Lizenz.«

Als ich losschrie, gab Jul ein kleines, erstauntes Geräusch von sich. Sie tat mir leid. Noch mehr taten mir die Leute im Bus leid, aber glücklicherweise wurden sie schnell erlöst: Ein paar Sekunden später standen Tulip und ich auf der Straße.

»Das kannst du nicht bringen, Tara«, sagte er. »In einer Stunde ist Jul ihren Job los und du hast eine Verwarnung.«

»Wolltest du lieber im Bus verschmoren?«

»Vielleicht stecken wir aus gutem Grund fest. Vielleicht ist wirklich was passiert.«

»Ganz genau.« Ich rannte schon die South Street hoch. »Wir werden gerade Augenzeugen der größten Havarie in der Geschichte unseres District. Merk dir alles, damit du davon später deinen Enkeln erzählen kannst.«

Wir sprinteten, auch wenn das unsere Zeiten im Becken nach unten ziehen würde. Nach wenigen Metern kamen wir am unbedeutendsten Auffahrunfall vorbei, den ich je gesehen hatte. Offenbar hatte ein Motorradfahrer etwas mehr auf die schwarze Wolke geachtet und etwas weniger auf die silberne Protzkarre vor sich. Wegen so einem Idioten würde ich ganz sicher nicht meinen Platz im Team aufs Spiel setzen. Wir waren nicht die Einzigen, die rannten. Ein Mann zerrte ein kleines Mädchen hinter sich her. Eine Frau rannte, ohne dabei wirklich schnell zu sein. Es gab aber auch Leute, die seelenruhig ihre Einkäufe nach Hause trugen oder ihre Hunde ausführten und auf den bunten Liegestühlen vor dem Weezie schlürften ein paar Mädchen ihre Frozen Juicys.

Wir erreichten den Swimmingpool um zwei Uhr neunundfünfzig. Im Vorraum war es schon dunkel, aber wir fanden uns darin auch blind zurecht. Am Automaten zogen wir die Chips für die Spinde, dann hielten wir unsere SigPhones ans Drehkreuz. In der Mädchenumkleide brannte wieder Licht. Ich konnte mich nicht erinnern, wann ich hier zuletzt allein gewesen war. Es war wahnsinnig still und ich hielt einen Moment inne, ehe ich mir die Klamotten vom Körper riss und erst in den neuen blauen Badeanzug stieg und danach in die zwei grauen.

Tulip stand schon am Beckenrand und dehnte sich und ein paar Meter neben ihm stand ein Aushilfstrainer. Die roten Fliesen ließen ihn fast freundlich wirken. Er deutete auf die Uhr und ich zeigte nach oben zum Glasdach. Die Wolke war mittlerweile so groß, dass man sie als Entschuldigung einfach durchgehen lassen musste.

»Lass dir was Besseres einfallen«, rief der Aushilfstrainer mir zu.

»Wo ist Henk?«, rief ich zurück.

»Sponsorentermin.« Er tippte irgendwas in sein SigPhone. »Und jetzt ab.«

Es war klar, dass der Aushilfstrainer mich melden würde. Vielleicht textete er Henk genau in diesem Moment. Nein - wie ich den Aushilfstrainer kannte, würde er zehn Minuten warten und mich in seiner Message noch später kommen lassen.

Wir waren heute auf der zweiten Bahn und ich spuckte in meine Schwimmbrille und reihte mich hinter Kira ein. Kira schwamm gewohnt schlampig. Sie dachte immer noch, dass das beim Einschwimmen keine Rolle spielte. Ich überholte sie am Ende der Bahn mit einer Wende, die ich wie in dem Clip zu machen versuchte. Ganz so elegant war ich nicht, das lag aber auch an dem Widerstand, den die drei Badeanzüge erzeugten. Meine linke Schulter tat schon wieder weh, dennoch spürte ich, dass ich heute gute Zeiten machen konnte. Aus dem Augenwinkel bekam ich mit, dass Tulip sich schonte. Ich dagegen drehte noch mehr auf und wahrscheinlich merkte ich deshalb als eine der Letzten, dass das Training unterbrochen worden war.

Die anderen bildeten eine kleine Traube um den mittleren Startblock. Die Wolke war jetzt viel heller, was aber hauptsächlich daran lag, dass sie sich über den ganzen Himmel verteilt hatte. Ich war mir nicht sicher, ob sie inzwischen wirklich eine rötliche Farbe angenommen hatte oder ob das von den neuen Fliesen kam.

»Begeben Sie sich sofort in ein geschlossenes Gebäude.« Der Aushilfstrainer hockte am Beckenrand, er las die Worte von seinem SigPhone ab.

»Sind wir doch.« Ich schwamm zu Tulip. »Was ist überhaupt los?«

»In der Factory 11 hat es einen Unfall gegeben«, sagte Tulip. »Der District hat eine Sammelmessage verschickt.«

»Schließen Sie Türen und Fenster.« Der Aushilfstrainer las weiter. »Schalten Sie Ventilatoren und Klimaanlagen aus. Suchen Sie einen Raum ohne Außenfenster auf.«

»Ich sehe Außenfenster.« Ein Schwimmer aus der B-Jugend schaute nach oben zum Glasdach.

»Gibt´s hier auch eine Klimaanlage?«, fragte eine Schwimmerin, die erst seit ein paar Wochen in unserem Team
war.

»Die kann ich ausschalten.« Der Aushilfstrainer schob sein SigPhone in die Tasche. »Danach machen wir weiter.«

Er verschwand im Funktionsraum und ich umklammerte die Trennleine. Meine Schulter tat immer noch weh und ich wollte weiterschwimmen. Ich wollte in den Schmerz hineinschwimmen, bis ich ihn nicht mehr spürte.

»Ich muss gucken, ob meine Eltern getextet haben«, sagte Kira. »Meint ihr, das geht?« Sie sprach sehr leise und mir fiel ein, dass sie in Galapa wohnte. Sie war in unserem Team längst nicht die Einzige von dort.

»Bei Henk würde das gehen«, sagte ich.

»Du und dein Henk.«

»Mein Bruder soll heute am Galapa Bus Terminal ankommen«, sagte eine Schwimmerin aus der C-Jugend und ihre beste Freundin nickte: »Ich will auch mein SigPhone checken.«

Neben mir, ungefähr auf der Höhe meines Bauchnabels, schwebte ein Pflaster. Wenn ich meine Beine bewegte, zitterte es, und als die anderen aus dem Wasser zu klettern begannen, schwamm es davon.

Ich verließ das Becken als Letzte. Die drei Badeanzüge waren jetzt sehr eng und auf dem Weg zur Umkleide rollte ich mir die beiden oberen auf die Hüfte.

Die...
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