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Ernst Haffner: Blutsbrüder

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
158 Seiten
Deutsch
Pallas Publishingerschienen am10.01.2022
Ernst Haffner: Blutsbrüder | Für die eBook-Ausgabe neu lektoriert, voll verlinkt, mit eBook-Inhaltsverzeichnis und Fußnoten | Berlin, Anfang der 30er Jahre, kurz vor der Machtübernahme durch die Nazis: Auf den Straßen und Hinterhöfen der Stadt sammeln sich Cliquen obdachloser Teenager und junger Männer, die auf dem nackten Pflaster der Großstadt gestrandet sind. Sie kommen aus kaputten Familien, mit alkoholkranken Müttern, prügelnden Vätern, oder sind aus den berüchtigten Fürsorgeanstalten geflohen. Eine schwere Wirtschaftskrise hat das Land im Griff, die Arbeitslosigkeit ist gewaltig. Die meist noch Minderjährigen halten sich mit Gelegenheitsjobs, Kleinkriminalität, manchmal auch mit Prostitution über Wasser. Was die Jungs zusammenschweißt und am Leben hält, ist ihre Gruppe, ihre Gang, die Blutsbrüder. Es ist die andere, unbekannte Seite der Medaille der in Literatur und Film oft als mondän und dekadent gezeichneten Goldenen Zwanziger.

Ernst Haffner, ein bis vor kurzem vergessener Autor, der soweit man weiß nur dieses eine Werk hinterließ, kannte die Szene aus eigener Anschauung, denn neben seiner literarischen Tätigkeit scheint er auch als eine Art Streetworker die Jugendbanden begleitet zu haben. Er schreibt in einem schnörkellosen, reportagehaften Stil, zu verorten zwischen Jack London und Egon Erwin Kisch. Und dieser Roman ist kein bloßer Versuch, sondern ein Meisterwerk. Ein Buch wie ein Sturm, mitreißend, schockierend, nackt und realistisch. Ein Klassiker der dramatischsten Zeit deutscher Geschichte, den man gelesen haben muss.
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Verfügbare Formate
BuchKartoniert, Paperback
EUR6,85
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR3,99
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR2,99

Produkt

KlappentextErnst Haffner: Blutsbrüder | Für die eBook-Ausgabe neu lektoriert, voll verlinkt, mit eBook-Inhaltsverzeichnis und Fußnoten | Berlin, Anfang der 30er Jahre, kurz vor der Machtübernahme durch die Nazis: Auf den Straßen und Hinterhöfen der Stadt sammeln sich Cliquen obdachloser Teenager und junger Männer, die auf dem nackten Pflaster der Großstadt gestrandet sind. Sie kommen aus kaputten Familien, mit alkoholkranken Müttern, prügelnden Vätern, oder sind aus den berüchtigten Fürsorgeanstalten geflohen. Eine schwere Wirtschaftskrise hat das Land im Griff, die Arbeitslosigkeit ist gewaltig. Die meist noch Minderjährigen halten sich mit Gelegenheitsjobs, Kleinkriminalität, manchmal auch mit Prostitution über Wasser. Was die Jungs zusammenschweißt und am Leben hält, ist ihre Gruppe, ihre Gang, die Blutsbrüder. Es ist die andere, unbekannte Seite der Medaille der in Literatur und Film oft als mondän und dekadent gezeichneten Goldenen Zwanziger.

Ernst Haffner, ein bis vor kurzem vergessener Autor, der soweit man weiß nur dieses eine Werk hinterließ, kannte die Szene aus eigener Anschauung, denn neben seiner literarischen Tätigkeit scheint er auch als eine Art Streetworker die Jugendbanden begleitet zu haben. Er schreibt in einem schnörkellosen, reportagehaften Stil, zu verorten zwischen Jack London und Egon Erwin Kisch. Und dieser Roman ist kein bloßer Versuch, sondern ein Meisterwerk. Ein Buch wie ein Sturm, mitreißend, schockierend, nackt und realistisch. Ein Klassiker der dramatischsten Zeit deutscher Geschichte, den man gelesen haben muss.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783986776763
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2022
Erscheinungsdatum10.01.2022
Seiten158 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse255 Kbytes
Artikel-Nr.8721305
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe


Kapitel 10
Zwei Tage weiter seit Ludwigs Verurteilung. Der diensthabende Wachtmeister im Polizeigefängnis reißt an der Glocke. Ein gellender, brutaler Lärm zerreißt die lastende Stille des schlafenden Gefängnisses. Dann durcheilt der Beamte die Korridore: »Aufstehen! Aufstehen!« Er lässt die Kalfaktoren aus ihren Zellen und schließt jetzt Zelle nach Zelle auf, damit die Kalfaktoren den Häftlingen frisches Wasser bringen können. Der neue Tag hat begonnen.

Ludwig will seine Wasserkanne hereinnehmen, da kommt ein Beamter aus der Kanzlei zu ihm: »Halten Sie sich bereit. Um neun Uhr werden Sie von einem Transporteur abgeholt.« »Wohin?« »Nach H., in die Erziehungsanstalt.« Dann ist Ludwig wieder allein. Also wieder nach H.? Selbst diese wenig frohe Nachricht pulvert Ludwig auf. Endlich raus aus dem Gefängnis. Eine zehnstündige Bahnfahrt, weit weg von Berlin zwar, aber Abwechslung, Abwechslung in dem ewigen Trott der letzten Monate. Alles andere wird sich finden. Alt wird er nicht in H., das steht fest. Er beeilt sich mit dem Anzug, wienert an seinen Schuhen herum, bürstet und richtet her, bis die Kalfaktoren mit der verdächtigen Kaffeebrühe und dem Kanten Karo einfach kommen. Der ewige Hunger des wachsenden Körpers macht kurzen Prozess mit dem trockenen Brot, die großen festen Zähne haben nicht lange zu tun. Ludwig sitzt marschbereit auf dem wackligen Schemel und horcht nach draußen, wie ein eingesperrter Hund. Er ist aufgeregt, hat rote Backen und glänzende Augen, wie lange nicht. In einer halben Stunde ist er schon draußen ..., geht auf dem Alexanderplatz. Mit dem Transporteur allerdings. Von fern kann er dann die Münze6 sehen, vielleicht sieht er sogar einen Bekannten. Da kommt ihm plötzlich etwas in den Hals: ob der Transporteur ihn fesseln wird, bis sie im Zug sind? Das lässt er sich nicht gefallen! Nee, auf keinen Fall! Es wird geschlossen an Ludwigs Zellentür. »Sind Sie fertig?« In der Aufnahmezelle erhält Ludwig den ihm abgenommenen Inhalt seiner Taschen zurück. Den Bleistift, das kleine Messer, die Zigarettenspitze, die Streichhölzer und das kleine Notizbuch. Dann muss er unterschreiben, dass ihm alles richtig ausgehändigt worden ist. Im Hammelstall soll er auf den Transporteur warten.

Durch eine Luftklappe hört Ludwig den brausenden Lärm des Alexanderplatzes, Schritte klappen vorüber, Stimmen fluchender Chauffeure, Lachen eilender Büromädels und das monotone Anbieten der Morgenzeitungen. Das Herz klopft ihm bis zum Hals, seine Hände zittern und sind schweißnass vor Aufregung. Gleich ist er draußen, gleich. Er sieht zu den Kanzleibeamten hinüber. Gleichmütige brave Männer sitzen vor ihren Pulten und bearbeiten Akten, Akten, Akten. Gefängnis, Einsperren ist ihr Beruf, ihre Atmosphäre. Sie sperren ebenso gern ein, wie sie wieder freilassen. Rein oder raus, es lässt sie kalt, die Akten haben zu entscheiden.

Ein kleiner Mann kommt eilig in die Kanzlei. Kurze stämmige Beine in verrutschten Wickelgamaschen, der runde Oberkörper in einer warmen Joppe. Das freundliche rote Gesicht mit dem ewig aufgeregt wackelnden Zwicker sieht so unpolizeilich wie nur möglich aus. Er übergibt seine Papiere, die ihn als Transporteur des Zöglings Ludwig N. ausweisen. Alles in Ordnung, man übergibt ihm den umfangreichen Akt und dann muss er quittieren, dass er Akt und Zögling dankend erhalten hat. Für Berlin ist Ludwig erledigt, er wird aus dem Hammelstall gelassen und dem Transporteur übergeben. Der Dicke sieht sich den Jungen kurz an. »Denn komm man mit. Morgen, meine Herren.« Unten, auf dem Hof des Präsidiums macht er halt. »Nun pass mal auf, Ludwig. Ich heiße Hackelberg, du weißt, ich soll dich nach H. in die Anstalt bringen. Wir fahren jetzt mit der Untergrund bis zum Potsdamer Platz und gehen dann zum Anhalter Bahnhof. Eigentlich muss ich dich hier in Berlin an die Leine nehmen, hier - er zeigt Ludwig eine Knebelkette -, aber was macht das für einen Eindruck, nich? Also sei hübsch vernünftig, mein Junge, und mach keine Faxen. Wenn du versuchst auszukratzen, muss ich dir sofort das Armband umlegen. Sind wir uns einig?« Ludwig antwortet brav mit »Ja« und sieht begehrlich auf die Zigarre, die sich Herr Hackelberg eben anzünden will. »Möchtest woll gern rauchen? Wolln mal sehen, wo wir ein paar Glimmstängel kaufen können«, reagiert der Transporteur auf Ludwigs Augenbetteln.

Und jetzt gehen sie inmitten des Straßentrubels. Herr Hackelberg, sonst uninteressiert, lutscht an seiner Zigarre und gibt Ludwig Verhaltungsmaßregeln für die Bahnfahrt. Ludwig fühlt wieder Pflaster unter seinen Füßen, ihm wird schwindlig wie einem Kranken, der monatelang nicht aus dem Bett gekommen ist. Die vielen Menschen, die Läden, da drüben Tietz, die Mädels ... ach ja, die Mädels. Die wenigen Schritte sind gemacht, hinunter zum U-Bahnsteig. Am Tabakkiosk kauft Herr Hackelberg zehn Zigaretten. »Hier Ludwig, qualm ...« Ludwig bringt kaum ein »Danke« heraus. Jemand ist nett zu ihm und schenkt ihm Zigaretten? Fast unglaubwürdig ist es. Hackelberg muss ihm erst Feuer hinhalten, ehe er es wagt, die Schachtel zu öffnen. Da quillt es heiß aus ihm heraus: »Ich danke ... ich danke auch schön, Herr Hackelberg. So nett war lange keiner zu mir ...« Wie lange hat er nicht geraucht? Die letzten Zigaretten waren von Jonny. Er schluckt, er inhaliert den Rauch förmlich und gibt ihn in dichten Wolken wieder von sich.

Da kommt ihr Zug. Trotz des Gedränges versteht Herr Hackelberg es ausgezeichnet, Ludwig stets neben sich zu haben. Er hat ihm auch noch seine Aktenmappe und den kleinen Koffer gegeben. Die Sachen muss er erst mal hinwerfen, wenn er flitzen will, und dann hab ich ihn schon wieder, denkt er. Auf dem Bahnhof Friedrichstadt müssen sie umsteigen. Das Gewimmel auf der zentralen unterirdischen Umsteigestation ist beängstigend. Alles geht, läuft, hastet gegeneinander und durcheinander. Der Berliner versäumt nicht gern einen Zug. Das bedeutet zwei Minuten warten müssen! Selbst der Arbeitslose springt noch auf den anruckenden Zug auf. Das liegt noch so im Blut von früher, als man im glücklichen Besitz einer Stellung war ...

Ludwig wurstelt sich mit Koffer und Mappe durch das Gewühl. Neben ihm, stets auf dem Sprung: Hackelberg. Sie müssen durch den langen Tunnel, den Schwindsuchtsgang . Zwei junge Männer drängen sich durch den Menschenstrom, rücksichtslos zwängen sie sich vor, um noch den Zug jenseits des Tunnels zu erreichen. »Mensch, nu loof aba! Nu renn aba«, ruft der eine, dann hat die Welle sie beide verschluckt. »Mensch, nu loof aba«, das Wort heimelt Ludwig an, weckt ihn auf: Nu loof aba! Das flüstert, das fordert ihn auf, das stößt ihn in die Rippen: Jetzt, Mensch, laufe, renne, türme, flitze, verschwinde!! Vergessen ist das Gefühl der Dankbarkeit wegen der zehn Zigaretten. Ein anderes Gefühl, der Drang nach Freiheit spült alles hinweg.

Patsch! Mappe und Koffer liegen vor den Beinen des Herrn Hackelberg und sperren ihm den Weg. Ludwig bahnt sich mit den Fäusten einen Weg, saust die Treppe hinunter in den Tunnel. Teilt mit beiden Armen den Menschenschwarm, quetscht, windet, drängt sich durch jedes Loch, rennt immer an der Wand entlang, da ist noch am ehesten Platz. Niemand ist erstaunt über die Eile des Jungen, nur geschimpft wird über den Puff in die Seiten, über den Tritt auf die Hacken. In Ludwig brüllt es: Mensch, nu aba renn ... renn ... sonst hat er dich! Gleichzeitig überlegt er blitzschnell: Wohin? Wenn ein Zug dasteht: hinein. Sonst auf die Straße und in einen vorüberfahrenden Omnibus. Der Bahnsteig. Ein Zug ist im Abfahren. Hat schon Tempo. Auf die Tür ... ein Stück mitrennen ... ein Schwung! Hilfreiche Hände ziehen ihn in den Wagen. Japsend steht er zwischen den Menschen. Der Zug rast nach dem Westen. Wenn jetzt ein Kontrolleur kommt, Ludwig, bist du geliefert.

Und Herr Hackelberg? Tat, was er tun konnte. Ließ sein Gepäck im Stich, würgte hinterdrein und schrie sein »Halt! Halt!« Sein Pech, dass gerade ein Zug abfuhr. Der Bahnsteigbeamte bezog das Halt! auf den Zug und glaubte, dass Herr Hackelberg noch aufspringen wollte. Pflichtgemäß hielt er ihn zurück. Hielt ihn fest. Und ehe Herr Hackelberg, wie man versteht etwas konsterniert, alles erklären konnte, war Ludwig über alle Täler und Höhen. Nur das Gepäck war noch zu retten. Also zurück zum Präsidium. Schriftlichen Bericht aufsetzen. Seine Schuld war es nicht. In den Transportpapieren stand ausdrücklich: Von einer Fesselung kann abgesehen werden.

Drei Stationen fährt Ludwig. Dann steigt er um und fährt nach einer anderen Richtung. Steigt wieder um. Stets steht er an der Tür, um sofort, wenn ein Kontrolleur zusteigt, den Wagen verlassen zu können. Was jetzt? Zurück zur Clique! Allein ist man aufgeschmissen in Berlin. Nicht einen Sechser Geld hat er. In die Gegend der Münze , der Blutsbrüder Heimat, so überaus nahe dem Polizeipräsidium, traut er sich nicht. Wie aber soll er Jonny oder einen anderen der Clique benachrichtigen? Er könnte bei Schmidt anrufen, um diese Zeit ist sicher einer von der Clique dort. Aber der Groschen zum Telefonieren! Der Zug rast. Ludwig sieht nicht einmal auf die Stationsnamen. Woher den Groschen nehmen? Drüben auf dem Sitz liegt eine herrenlose Zeitung vom heutigen Tag. Neu, kaum auseinandergefaltet. Ludwig nimmt sie an sich. B. Z. am Mittag. Eine Idee blitzt in Ludwig auf. Der Zug hält auf einer Station. Gesundbrunnen. Schnell steigt er aus. Ans Oberlicht, auf die Brunnenstraße. Er geht in Richtung Badstraße. Guckt auf die Uhr, in die Zeitungsstände. Nein, sie ist noch nicht hier. Hier, im hohen Norden, kommt sie immer erst gegen halb ein Uhr.

Noch einmal blickt Ludwig sich nach allen Seiten um....

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Autor

Ernst Haffner, ein bis vor kurzem vergessener Autor, der soweit man weiß nur dieses eine Werk hinterließ, kannte die Szene aus eigener Anschauung, denn neben seiner literarischen Tätigkeit scheint er auch als eine Art Streetworker die Jugendbanden begleitet zu haben. Er schreibt in einem schnörkellosen, reportagehaften Stil, zu verorten zwischen Jack London und Egon Erwin Kisch. Und dieser Roman ist kein bloßer Versuch, sondern ein Meisterwerk. Ein Buch wie ein Sturm, mitreißend, schockierend, nackt und realistisch. Ein Klassiker der dramatischsten Zeit deutscher Geschichte, den man gelesen haben muss.