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Liebeskrank

E-BookEPUBDRM AdobeE-Book
128 Seiten
Deutsch
Oesch Verlagerschienen am26.06.2012
Der Chefarzt einer renommierten psychiatrischen Klinik wird ermordet. Vor seinem gewaltsamen Tod gibt er eine Reihe von Interviews über die sogenannte Liebeskrankheit. Doch was sind das für seltsame Gespräche: Auf Mitschnitten ist allein die Stimme des Psychiaters zu hören, der Reporter stellt keine einzige Frage. Das hindert den redseligen Arzt freilich nicht daran, Antworten zu geben. Was bewegt ihn dazu, sich diesem bizarren Interview zu stellen? Und was spielt sich hinter den Kulissen der Klinik ab? Dieser Krimi der etwas anderen Art verrät es.

Kaspar Wolfensberger, *1942, ehemaliger Chefarzt einer psychiatrischen Klinik, ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie und heute in eigener Praxis tätig. Er ist verheiratet, Vater zweier erwachsener Kinder und lebt in Zürich. 'Liebeskrank' ist sein dritter Kriminalroman.
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Produkt

KlappentextDer Chefarzt einer renommierten psychiatrischen Klinik wird ermordet. Vor seinem gewaltsamen Tod gibt er eine Reihe von Interviews über die sogenannte Liebeskrankheit. Doch was sind das für seltsame Gespräche: Auf Mitschnitten ist allein die Stimme des Psychiaters zu hören, der Reporter stellt keine einzige Frage. Das hindert den redseligen Arzt freilich nicht daran, Antworten zu geben. Was bewegt ihn dazu, sich diesem bizarren Interview zu stellen? Und was spielt sich hinter den Kulissen der Klinik ab? Dieser Krimi der etwas anderen Art verrät es.

Kaspar Wolfensberger, *1942, ehemaliger Chefarzt einer psychiatrischen Klinik, ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie und heute in eigener Praxis tätig. Er ist verheiratet, Vater zweier erwachsener Kinder und lebt in Zürich. 'Liebeskrank' ist sein dritter Kriminalroman.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783035040128
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisDRM Adobe
FormatE101
Erscheinungsjahr2012
Erscheinungsdatum26.06.2012
Seiten128 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse612 Kbytes
Artikel-Nr.8731157
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

1

Eilige Schritte in einem Korridor halten abrupt an.

Oh! Haben Sie mich erschreckt! Sie waren aber auch kaum zu sehen in dieser Nische. Wollten Sie etwa zu mir?

Ach, das tut mir leid. Ich habe leider keine Zeit. Meine Sekretärin wird Ihnen aber gern einen Termin ⦠Nanu, was ist denn das? Darf ich sehen? Kleiner geht s nicht! Eines dieser winzigen Wunder der Elektronik? Dann kommen Sie wohl für ein Interview?

(Seufzt:) Das dritte in dieser Woche. Moment, ich schau nach. Wo habe ich bloss meine Agenda?

Hand klopft auf die Kleidung.

Da.

Seiten werden umgeblättert.

Augenblick, ich hab s gleich.

(Murmelnd:) Tz, tz, tz, sieht nicht gut aus. Hmm, warten Sie. Vielleicht, vielleicht. (Wieder lauter:) Doch, es sollte gehen. Ein kurzes Gespräch liegt drin. Treten Sie ein.

Türe wird geöffnet.

Bitte nach Ihnen.

Frau Mantel hätte Sie wirklich nicht da draussen warten lassen dürfen. Seltsam, dass sie Ihnen keinen Platz im Vorzimmer angeboten hat. Aber angemeldet sind Sie doch, oder?

Ach, egal.

Was haben Sie denn da? Ist das Ihr Presseausweis?

Nicht nötig, stecken Sie den ruhig wieder ein. Ich kann mir die Namen ohnehin nicht merken. Kommen Sie. Bitte â¦

Türe fällt ins Schloss.

⦠nehmen Sie Platz.

Papiere werden auf Tischplatte geklatscht.

Sessel quietscht.

Läuft Ihr Gerätchen schon?

Gut. Schiessen Sie los!

Pause.

Keine Sorge, ich beisse nicht.

Räuspern.

Ihr erstes Interview? Wie ein Neuling sehen Sie mir zwar nicht aus.

Hüsteln.

Liege ich richtig: Sie sind nicht neu in diesem Geschäft, oder? Ich glaube, ich habe Ihr Gesicht schon mal gesehen. An einer Pressekonferenz oder so.

(Freundlich:) Trotzdem, lassen Sie sich Zeit.

Pause.

Kein Problem, wirklich nicht.

Pause.

Lampenfieber? (Wohlwollend:) Prüfungsangst, so ähnlich?

Ach, das muss Ihnen doch nicht peinlich sein. Ich kenne das. Bin schliesslich vom Fach. Vielleicht fange ich am besten selber an.

Räuspern.

Sie werden wissen wollen, worum es bei der Liebeskrankheit geht. Stimmt doch, oder?

(Heiter:) Sehen Sie, schon kommen wir ins Gespräch.

Also - (ernst:) gegen einen Vorwurf muss ich mich gleich im Voraus wehren: dass ich die Liebe pathologisiere.

Nichts liegt mir ferner. Liebe ist niemals pathologisch. Liebe ist eine zutiefst menschliche Erfahrung. Vielleicht die grösste. Die tiefste. Nein, die Liebe steht jenseits jeder Krankheitslehre, ausserhalb jeder medizinischen oder psychiatrischen Begrifflichkeit. Mein Syndrom bezieht sich denn auch gar nicht auf die Liebe selbst. Sondern auf das Leiden, das sie verursacht. Es beschreibt die Folgen, schmerzliche, qualvolle oder unerträgliche Auswirkungen der Liebe. Das Leid, das entsteht, wenn Liebe nicht erwidert, wenn sie enttäuscht oder verraten wird. Darum geht es. Verstehen Sie?

Ach so, Liebeskummer!, denken Sie jetzt, nicht wahr?

Nun, das wäre eine Verharmlosung. Offen gestanden kann ich das Wort nicht mehr hören: Liebeskummer! Wir sprechen hier von einer gravierenden gesundheitlichen Störung. Liebeskrankheit muss es heissen. Nicht zu verwechseln mit dem Liebeswahn, der pathologischen Eifersucht und andern Krankheitsbildern, die längst in den Psychiatriebüchern figurieren. Der Begriff Liebeskrankheit dürfte den meisten Ärzten geläufig sein, seit ich das Syndrom beschrieben habe.

Räuspern.

Beschrieben, nicht entdeckt. Entdeckt stand bloss in der Zeitung: »Doktor List, Entdecker einer neuen Krankheit«, aber mir klingt das zu grossspurig. In einer stand sogar »Erfinder«. Ich bitte Sie! Niemand erfindet eine Krankheit.

Nein, erfunden habe ich nichts. Entdeckt eigentlich auch nicht. Ich bin ja kein Seefahrer. Sagen wir lieber: erkannt. Ich habe etwas, was unnötiges Leid verursacht, als Krankheit erkannt. Das ist auch schon alles. Immerhin wurde das Leiden dadurch der Behandlung zugänglich gemacht. So wie vor gar nicht langer Zeit die soziale Phobie - Sie wissen doch, wovon ich rede? - als Krankheit erkannt und therapierbar gemacht wurde. Zuvor hatte man jenes Leiden als Schüchternheit abgetan, man apostrophierte die Kranken als ängstlich, als befangen, als gehemmt. Wenn das keine Verharmlosung war! Aber das ist vorbei: Soziale Phobie nennen wir diesen Zustand heute. Und zwar mit Recht. Seit das Leiden als Krankheit erkannt wurde, erhalten Tausende, nein, Hunderttausende, was sage ich: Millionen von Kranken endlich effiziente Hilfe. Mit kognitiver Verhaltenstherapie und modernen Psychopharmaka. Sehr effizient, das können Sie mir glauben. Vor allem die Medikamente.

Kurze Pause.

Zurück zur Liebeskrankheit. Nachdem ich meine Patientendaten systematisch ausgewertet hatte, war es einfach nicht mehr zu übersehen. Zuerst wollte ich es ja selbst nicht wahrhaben. Aber ich konnte es drehen und wenden, wie ich wollte, es blieb dabei: Der Zustand, den man gemeinhin als Liebeskummer bezeichnet, ist medizinisch gesehen - und zwar nach allen Kriterien der WHO! - eine Krankheit. Eindeutig. Ohne Wenn und Aber. Heute ist es mir schleierhaft, wie man dieses Faktum hatte übersehen können. Das, nicht mein bescheidener Beitrag ist das Erstaunliche an der ganzen Geschichte: dass die Krankheit nicht schon längst als solche erkannt wurde. (In angeregtem Gesprächston:) Da gibt es übrigens einen interessanten Aspekt: In der Weltliteratur wurde das Syndrom nämlich schon tausendfach, und bis ins kleinste klinische Detail, beschrieben: Romeo und Julia, Werther, Die Kameliendame, Madame Bovary, Tod in Venedig, und, und, und. Der Volksmund kannte die Krankheit schon immer: Man ist verrückt nach jemandem, krank vor Eifersucht, stirbt beinahe vor Sehnsucht, Sie kennen diese Redensarten.

Beim Anblick des Geliebten - erst recht des heimlich Geliebten, der nichts davon weiss oder wissen will - stockt der Atem. Das Herz droht zu zerspringen, das Blut schiesst ins Gesicht. Nicht nur den Appetit verschlägt es dem Liebenden, auch die Sprache. Die Stimme versagt - nicht viel anders als bei der Prüfungs- oder Autoritätsangst, Sie wissen, was ich meine. Früher wurde das Leiden mit Hexerei und Zaubertränken behandelt. Bei Naturvölkern heute noch. Das waren, wenn man so will, untaugliche - wie soll ich sagen? - alternativmedizinische Therapieversuche. Aber es wurde behandelt. Was will man mehr? Das ist doch der Beweis dafür, dass Liebesleid schon immer und in allen Kulturen als Krankheit betrachtet wurde. Bloss nicht von der medizinischen Wissenschaft! Sagen Sie selbst: Ist das nicht verrückt?

Räuspern. Kurze Pause.

Manche Liebeskranke werden immer noch ihrem Schicksal überlassen. Ohne jeden ärztlichen Beistand. Einzig und allein deshalb, weil niemand wahrhaben will, dass sie tatsächlich krank sind. Kein Wunder, dass Drogen- und andere Suchtkrankheiten überhand nehmen: Die Flucht in die Sucht ist nämlich oft nichts anderes als der Selbstheilungsversuch eines Liebeskranken. Sekten und Freikirchen florieren. Warum wohl? Weil man ihnen diese Patienten förmlich in die Arme treibt. - Verzeihung, ich schweife ab. Überhaupt, ich rede und rede. Aber so bin ich: Ich gerate rasch in Fahrt. Ich fange leicht Feuer. Also: Was war Ihre Frage?

Räuspern.

Warten Sie, ich hab s wieder: Alles über die Liebeskrankheit, stimmt s?

Nun (betont sachlich), wie die meisten Krankheiten kann sich das Syndrom in leichter, mittelschwerer oder schwerer Form manifestieren. Es kann akut oder chronisch verlaufen. Es kann spontan auftreten und spontan wieder ausheilen. Es kann aber auch einen fatalen Verlauf nehmen. Leichte Fälle sind kaum oder überhaupt nicht behandlungsbedürftig. Wie ein leichter Sonnenbrand, verstehen Sie? (Hörbar schmunzelnd:) Wie ein milder Kater. Zu viel Sonne, zu tief ins Glas geschaut, das sind zwar zweifellos gesundheitliche Schädigungen. Doch werden sie, wie man weiss, gar nicht ungern in Kauf genommen. Oder sogar willentlich herbeigeführt. Nicht anders verhält es sich mit der Liebeskrankheit in ihrer leichtesten Form: Nachwirkung eines leichten Seelenrauschs. Psychischer Sonnenbrand, sozusagen. Nicht weiter bedenklich. Daneben gibt es aber die schweren und schwersten Formen, die dringend der Behandlung bedürfen. Manche sind allerdings schwer behandelbar. Oder unheilbar, fast wie psychischer Krebs.

Holt Atem.

(Dozierend:) Die Krankheit äussert sich in einer Reihe von Symptomen, die in ihrer Gesamtheit ein charakteristisches Syndrom bilden. Ich nenne es LIPS: Love Induced Psycho-Syndrom, Sammelbegriff für alle Formen der Liebeskrankheit. Die einzelnen Symptome sind uns aus anderen psychischen Krankheitsbildern bekannt: aus der manischen und der depressiven Krankheit, der Schizophrenie und dem Kreis der Angst- und Zwangsstörungen. In diesem Feld psychischer Störungen sind die verschiedenen Formen der Liebeskrankheit anzusiedeln: mal näher bei der Depression, das ist der häufigste Fall, mal näher bei der Manie oder einer Wahnkrankheit, dann wieder näher bei der Angst- oder Zwangsstörung. (Freundlich, sachlich:) Ist das so weit verständlich?

Gut. Dann darf ich weiterfahren?

Das heisst, erst möchte ich Sie etwas fragen: Haben Sie Psychologie studiert?

Nein? Medizin?

Dann wohl Naturwissenschaften.

Auch nicht? Publizistik?

Na, so was, Sie schütteln...
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