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Kleine Geschichte Afghanistans

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
177 Seiten
Deutsch
C.H. Beckerschienen am17.02.20225. Auflage
Afghanistan ist ein zerklüftetes Land. Unterschiedliche Sprachen, Ethnien, Religionen und mächtige Clans haben bisher jede Zentralregierung und jede Besatzungsmacht scheitern lassen. Conrad Schetter macht eindrucksvoll deutlich, warum auch der massive Einsatz des Westens in den letzten zwanzig Jahren so erfolglos blieb und die Taliban sogleich an die Macht zurückkehren konnten. Afghanistan ist eines der wenigen Länder der kolonisierten Welt, das nie für längere Zeit von fremden Mächten - seien es Briten, Sowjets oder die USA - beherrscht werden konnte. Conrad Schetter schildert knapp und kenntnisreich die Geschichte des Landes von der Antike bis zur Gegenwart. Der Schwerpunkt liegt auf den letzten beiden Jahrhunderten, in denen sich die Spannungen zwischen Stadt und Land und zwischen Moderne und Tradition immer wieder in Rebellionen, Umstürzen und Kriegen entluden. Auch nach dem Machantritt der Taliban machen es diese Spannungen jeder Zentralregierung schwer. Besonderes Augenmerk gilt auch den besonderen Beziehungen zwischen Afghanistan und Deutschland.

Conrad Schetter ist Professor für Friedens- und Konfliktforschung an der Universität Bonn und wissenschaftlicher Direktor des Bonn International Center for Conversion (BICC). Bei C.H.Beck erschienen von ihm außerdem "Pakistan. Land der Extreme" (mit K. Mielke, 2013) sowie "Die Taliban" (2022).
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR14,95
E-BookPDF1 - PDF WatermarkE-Book
EUR10,99
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR10,99

Produkt

KlappentextAfghanistan ist ein zerklüftetes Land. Unterschiedliche Sprachen, Ethnien, Religionen und mächtige Clans haben bisher jede Zentralregierung und jede Besatzungsmacht scheitern lassen. Conrad Schetter macht eindrucksvoll deutlich, warum auch der massive Einsatz des Westens in den letzten zwanzig Jahren so erfolglos blieb und die Taliban sogleich an die Macht zurückkehren konnten. Afghanistan ist eines der wenigen Länder der kolonisierten Welt, das nie für längere Zeit von fremden Mächten - seien es Briten, Sowjets oder die USA - beherrscht werden konnte. Conrad Schetter schildert knapp und kenntnisreich die Geschichte des Landes von der Antike bis zur Gegenwart. Der Schwerpunkt liegt auf den letzten beiden Jahrhunderten, in denen sich die Spannungen zwischen Stadt und Land und zwischen Moderne und Tradition immer wieder in Rebellionen, Umstürzen und Kriegen entluden. Auch nach dem Machantritt der Taliban machen es diese Spannungen jeder Zentralregierung schwer. Besonderes Augenmerk gilt auch den besonderen Beziehungen zwischen Afghanistan und Deutschland.

Conrad Schetter ist Professor für Friedens- und Konfliktforschung an der Universität Bonn und wissenschaftlicher Direktor des Bonn International Center for Conversion (BICC). Bei C.H.Beck erschienen von ihm außerdem "Pakistan. Land der Extreme" (mit K. Mielke, 2013) sowie "Die Taliban" (2022).
Details
Weitere ISBN/GTIN9783406784880
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Verlag
Erscheinungsjahr2022
Erscheinungsdatum17.02.2022
Auflage5. Auflage
Reihen-Nr.1574
Seiten177 Seiten
SpracheDeutsch
Illustrationenmit 5 Karten und 1 Stammtafel
Artikel-Nr.8733323
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

Einleitung: Mythos Afghanistan

Zwanzig Jahre nach ihrer Vertreibung durch die USA und deren Verbündete im Jahr 2001 sind die Taliban seit August 2021 zurück an der Macht in Afghanistan. Innerhalb weniger Monate eroberten sie nahezu ohne Gegenwehr Distrikt für Distrikt und marschierten am 15. August in Kabul ein. Wieder einmal rückte der über vierzig Jahre andauernde Krieg in Afghanistan in das globale Rampenlicht und zeigte schonungslos das Scheitern einer weiteren Weltmacht in Afghanistan, dieses Mal der USA. Ihnen und ihren Verbündeten wird vorgeworfen, in ein Land einmarschiert zu sein, das sie überhaupt nicht verstanden haben oder verstehen wollten. Die große Andersartigkeit Afghanistans gibt dem Westen Rätsel auf. Eine Beschreibung der Verhältnisse dort erfolgt oft mit Begriffen wie «Fundamentalismus», «Stämme», «steinzeitlich», «mittelalterlich», «Anarchie» oder «Blutrache» - also Begriffen, die einer vergangenen Welt angehören, von der die westliche Zivilisation glaubt, sie längst hinter sich gelassen zu haben. Afghanistan avancierte daher in der öffentlichen Wahrnehmung zur «Schattenseite der Globalisierung» (Robert Kaplan), zum «Herz der Finsternis» (Ahmed Rashid) und zum «Gegenpol der zivilisierten Welt»: Alles, was die moderne Gesellschaft für zivilisatorische Errungenschaften hält, ist in Afghanistan Mangelware; alles, was die moderne Gesellschaft verabscheut, findet sich in Afghanistan. Besonders die Taliban entsprechen diesem Negativbild, und nach den Anschlägen von 9/11 wurden sie zu den Dämonen und Monstern der aufgeklärten Welt.

Jedoch gerade die Tatsache, dass die moderne Gesellschaft in Afghanistan ein Land sieht, das all ihre Werte und Normen zu verneinen scheint, übt eine magische Faszination, Sehnsucht und Bewunderung aus. Viele Besucher des Landes erblicken in den Afghanen die «edlen Wilden», die über authentische, unverdorbene Werte und Normen verfügen und noch nicht der Dekadenz der modernen Welt anheimgefallen sind. Die afghanische Gastfreundschaft gilt als sprichwörtlich. Gerade diese positive Wertung der Afghanen bedingte, dass das Land in den sechziger und siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts zum Ziel von Reisenden wurde, die nach dem Ursprünglichen, dem Wahren suchten. So bildete Kabul neben Katmandu und Kuta (Bali) eines der drei großen «Ks» auf der Hippieroute zwischen Europa und Australien.

Diese «Kleine Geschichte Afghanistans» will zeigen, dass man dem Land mit einfachen Klassifizierungen nicht gerecht wird. Wenn man aus der Geschichte eines Landes auch nicht dessen Zukunft herauslesen kann, so kann Geschichtsschreibung dennoch gewisse Strukturen aufzeigen, die historisch gewachsen sind und die Zukunft zumindest beeinflussen werden. In diesem Sinne ist mein Buch über Afghanistan zu verstehen.
Geschichtliche Annäherung

Wo liegt Afghanistan, und seit wann gibt es Afghanistan? Der Begriff «Afghanistan» war in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts als Herrschaftsbezeichnung noch nicht etabliert, stattdessen wurde vom «Königreich Kabul» gesprochen. Unter Afghanistan verstand man damals recht verschwommen die Stammesgebiete der Paschtunen, die gegenwärtig im Süden und Osten des Landes sowie im Nordwesten Pakistans liegen. Erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts setzte sich der Begriff «Afghanistan» als Landesbezeichnung durch. Allerdings lag die Region, die nun als Afghanistan verstanden wurde, weiter nördlich als noch Anfang des 19. Jahrhunderts. Denn mit dem Vordringen britisch-indischer Truppen in die östlichen paschtunischen Stammesgebiete war eine Abgrenzung zum Nachbarn Afghanistan über tribale oder ethnische Grenzen obsolet geworden. Unter der Landesbezeichnung «Afghanistan» wurde nun nicht mehr das Stammesgebiet der Paschtunen, sondern die herrschaftslose Pufferzone zwischen Russland, Britisch-Indien und Persien verstanden.

An die räumliche Lage knüpft sich die Frage an, wann die afghanische Geschichte eigentlich begann. Afghanische Historiker sind stets bemüht, diese Geschichte als eine sehr alte darzustellen, die bis in die frühe Antike zurückreicht: Das antike Aryana, das mittelalterliche Khorassan und das neuzeitliche Afghanistan werden in einer kontinuierlichen Linie dargestellt und zu einer historischen Einheit verschmolzen. Die Entstehung des modernen afghanischen Nationalstaats datiert die afghanische Geschichtsschreibung auf das Jahr 1747, als Ahmad Schah Durrani ein dynastisches Imperium gründete. Da dieses Reich jedoch nicht einmal Afghanistan genannt wurde und auch keine Institutionen der modernen Staatlichkeit hervorbrachte, kann in diesem Zeitpunkt kaum die Gründung eines modernen afghanischen Staats gesehen werden. Als Datum für den Beginn der afghanischen Nationalgeschichte bietet sich viel eher die Regierungszeit Ê¿Abdur Rahmans im ausgehenden 19. Jahrhundert an. Damals versahen die Kolonialmächte Britisch-Indien und Russland den halbautonomen Staat Afghanistan mit festen politisch-geographischen Grenzen und baute Ê¿Abdur Rahman staatliche Strukturen auf. Sehr selten wird dagegen der Beginn der afghanischen Nationalgeschichte auf das Jahr 1923 datiert, als Amanullah die völlige Souveränität von Britisch-Indien erreichte, die konstitutionelle Monarchie einrichtete und seine Herrschaft verfassungsrechtlich mit dem Willen der afghanischen Nation legitimierte. Obwohl sich frühestens seit Ê¿Abdur Rahman von einem Staat Afghanistan sprechen lässt, beschäftigt sich dieses Buch auch mit dessen historischen Vorläufern. In der Geschichte Afghanistans lassen sich vor allem im 19. und 20. Jahrhundert fünf Grundzüge erkennen, die bis heute die Entwicklung des Landes prägen:

Erstens war der raue, abweisende Naturraum eine ungünstige Voraussetzung für die Etablierung von Herrschaft. Aufgrund der kargen landwirtschaftlichen Erträge war allein der Überlandhandel zwischen China, Indien und Persien eine prosperierende Wirtschaftsform. Alle Reiche, die sich in dieser Region herausbildeten, waren daher stets bemüht, eine der drei umliegenden fruchtbaren Regionen, also Khorassan, Punjab oder Transoxanien, einzuschließen, um einen wirtschaftlichen Überschuss zu erwirtschaften. Sobald ein Reich nur auf das Gebiet des heutigen Afghanistan beschränkt war, reichten die Überschüsse aus der Landwirtschaft nicht aus, um eine dauerhafte Herrschaft abzusichern. Dies hatte zur Folge, dass seit dem 19. Jahrhundert jeder Herrscher von ausländischer Hilfe abhängig war, um sich an der Macht zu halten; im 19. Jahrhundert war es die finanzielle Unterstützung der Briten und im 20. Jahrhundert die Entwicklungshilfe der USA, der Sowjetunion und Deutschlands. Seit 1957 stammten über 40 Prozent der Staatseinnahmen von auswärts, namentlich aus der Entwicklungszusammenarbeit. Gleichzeitig führte die karge wirtschaftliche Ausstattung Afghanistans dazu, dass die afghanische Bevölkerung stets durch eine hohe Mobilität geprägt war - ob in Form des traditionellen Nomadismus, ob durch Raubzüge nach Indien (vor allem im 18. Jahrhundert) oder durch Arbeitsmigration und Flucht seit den 1970er-Jahren.

Zweitens ist der eklatante Gegensatz zwischen Stadt und Land zu nennen. Die wenigen Städte bildeten die wesentlichen Stationen an den Karawanenwegen und waren Teil des kosmopolitischen Handelsnetzwerks der Seidenstraße, während die ländlichen Regionen sich weitgehend selbst überlassen blieben und nur in geringem Austausch mit den urbanen Zentren standen. Dieser Gegensatz zwischen Stadt und Land wurde im Verlauf des 20. Jahrhunderts zur beherrschenden Konfliktlinie. Die Städte, allen voran Kabul, bildeten die Entwicklungsmotoren von Staat und Modernisierung, während im ländlichen Raum traditionelle Gesellschaftsstrukturen bestehen blieben. Dass im August 2021 Tausende Menschen in Kabul vor den anrückenden Taliban in Panik Zuflucht auf dem Flughafen suchten, spiegelt die große Angst wider, dass die Taliban erneut sämtliche Errungenschaften der Moderne bekämpfen werden, wie sie es bereits während ihrer Schreckensherrschaft in der zweiten Hälfte der 1990er-Jahre taten.

Drittens ist die afghanische Gesellschaft durch einen extremen Partikularismus gekennzeichnet. Dörfer, Talschaften, Clans, Stammesgruppen und religiöse Gemeinschaften stellten in Afghanistan die wichtigsten Identitäts- und Handlungsbezüge dar, auf denen Patronage- und Klientelsysteme aufbauten. Einhergehend mit dieser Gesellschaftsstruktur, konnten sich bis heute egalitäre Herrschaftsformen vielerorts erhalten. Hieraus folgt, dass gesellschaftliches Prestige und politische Hierarchien stets infrage gestellt werden und stark umkämpft sind. In vielen Epochen der afghanischen Geschichte zerfielen politische Bündnisse wegen persönlicher Rivalitäten und wurden Thronstreitigkeiten zwischen den potenziellen Nachfolgern blutig ausgetragen. Symptomatisch hierfür ist, dass - abgesehen von Dost Mohammad, Ê¿Abdur Rahman und Hamid Karzai - jeder Herrscher des Landes in den letzten 200 Jahren entweder vom Thron vertrieben wurde oder eines unnatürlichen Todes starb.

Viertens diente die starke kulturelle Zerklüftung immer wieder der politischen Mobilisierung. Nicht allein in sprachlicher und ethnischer, sondern auch in religiöser Hinsicht bildet Afghanistan ein äußerst mannigfaltiges Land. Diese kulturelle Vielfalt nutzten Herrscher und Politiker stets für ihre Interessen. Gerade im Prozess der Entwicklung zum Nationalstaat wurde dieses kulturelle Mosaik als besonderes Hindernis empfunden.

Fünftens ist auffällig, dass Afghanistan immer wieder weltpolitisch Geschichte schrieb. Im 19. Jahrhundert bildete das «Great Game» in Afghanistan zwischen England und Russland den Höhepunkt des Zeitalters des Imperialismus. 1979 beendete die sowjetische...
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