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Der grössere Teil der Welt

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
400 Seiten
Deutsch
FISCHER E-Bookserschienen am01.01.20221. Auflage
»?Buddenbrooks? fu?r die Twitter-Generation.« Handelsblatt. »Der größere Teil der Welt«, ausgezeichnet mit dem Pulitzer-Preis 2011 ist in 28 Sprachen übersetzt und ein internationaler Bestseller. Bennie Salazar, Musikproduzent und Ex-Punkrocker hat scheinbar alles erreicht. Ebenso Sasha, seine Assistentin, von der niemand vermutet, dass sie eine zwanghafte Kleptomanin ist. Als Scotty, ehemaliger Gitarrist und Bennies erfolgloser Schatten, im Büro seines Freundes erscheint, taucht die Vergangenheit blitzartig wieder auf. In einem schwindelerregenden Kaleidoskop lässt Jennifer Egan eine Epoche lebendig werden: von den 70er Jahren in San Francisco über die 90er Jahre in New York bis hinein in eine ungewisse Zukunft.  Im Sommer 2022 erscheint »Candy Haus«, Jennifer Egans neuer Roman, in dem sie das Netz aus Lebensgeschichten weiter knüpft bis in unsere digitale Gegenwart.  »Ein tollkühnes Buch mit einem süchtig machenden Sog.« Andrea Köhler, Neue Zürcher Zeitung

Jennifer Egan wurde 1962 in Chicago geboren und wuchs in San Francisco auf. Sie lebt heute mit ihrem Mann und zwei Söhnen in Brooklyn, New York. Neben ihren Romanen und Kurzgeschichten schreibt sie für den »New Yorker« sowie das »New York Times Magazine« und lehrt an der Columbia University Creative Writing. Für ihren Roman »Der größere Teil der Welt« erhielt sie 2011 den Pulitzer Prize, den National Book Critics Circle Award und den Los Angeles Times Book Prize. Zuletzt erschien ihr Roman »Manhattan Beach« (2017), der wochenlang auf der »New York Times«-Bestsellerliste stand.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR13,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR9,99

Produkt

Klappentext»?Buddenbrooks? fu?r die Twitter-Generation.« Handelsblatt. »Der größere Teil der Welt«, ausgezeichnet mit dem Pulitzer-Preis 2011 ist in 28 Sprachen übersetzt und ein internationaler Bestseller. Bennie Salazar, Musikproduzent und Ex-Punkrocker hat scheinbar alles erreicht. Ebenso Sasha, seine Assistentin, von der niemand vermutet, dass sie eine zwanghafte Kleptomanin ist. Als Scotty, ehemaliger Gitarrist und Bennies erfolgloser Schatten, im Büro seines Freundes erscheint, taucht die Vergangenheit blitzartig wieder auf. In einem schwindelerregenden Kaleidoskop lässt Jennifer Egan eine Epoche lebendig werden: von den 70er Jahren in San Francisco über die 90er Jahre in New York bis hinein in eine ungewisse Zukunft.  Im Sommer 2022 erscheint »Candy Haus«, Jennifer Egans neuer Roman, in dem sie das Netz aus Lebensgeschichten weiter knüpft bis in unsere digitale Gegenwart.  »Ein tollkühnes Buch mit einem süchtig machenden Sog.« Andrea Köhler, Neue Zürcher Zeitung

Jennifer Egan wurde 1962 in Chicago geboren und wuchs in San Francisco auf. Sie lebt heute mit ihrem Mann und zwei Söhnen in Brooklyn, New York. Neben ihren Romanen und Kurzgeschichten schreibt sie für den »New Yorker« sowie das »New York Times Magazine« und lehrt an der Columbia University Creative Writing. Für ihren Roman »Der größere Teil der Welt« erhielt sie 2011 den Pulitzer Prize, den National Book Critics Circle Award und den Los Angeles Times Book Prize. Zuletzt erschien ihr Roman »Manhattan Beach« (2017), der wochenlang auf der »New York Times«-Bestsellerliste stand.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783104916057
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2022
Erscheinungsdatum01.01.2022
Auflage1. Auflage
Reihen-Nr.18940
Seiten400 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse6926 Kbytes
Illustrationen76 s/w-Abbildungen
Artikel-Nr.8781051
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe


2 Die Goldkur


Die peinlichen Erinnerungen setzten bei Bennie an diesem Tag früh ein, gleich bei der Morgenbesprechung, als er sich anhören musste, wie eine seiner wichtigsten Mitarbeiterinnen dafür plädierte, Stop/Go fallen zu lassen, eine Band, mit der Bennie drei Jahre zuvor einen Vertrag über drei Alben gemacht hatte; die Schwestern waren jung und hinreißend, ihr Sound war rau, schlicht und eingängig (»Cyndi Lauper meets Chrissie Hynde« war Bennies ursprünglicher Slogan gewesen), mit einem lauten, dröhnenden Bass und witzigen Schlaginstrumenten - er erinnerte sich an eine Kuhglocke. Außerdem hatten sie brauchbare Lieder geschrieben; verdammt, sie hatten von der Bühne weg zwölftausend cds verkauft, ehe Bennie sie auch nur hatte spielen hören. Etwas Zeit, um erfolgversprechende Singles zu entwickeln, etwas cleveres Marketing und ein brauchbares Video hätten den Durchbruch bringen können.

Aber die Schwestern gingen auf die dreißig zu, wie Bennies Produzentin Collette ihm jetzt mitteilte, und waren als kürzlich erst von der Highschool abgegangene Mädels nicht mehr zu verwerten, zumal die eine eine neun Jahre alte Tochter hatte. Die Mitglieder der Band studierten jetzt Jura. Sie hatten zwei Produzenten gefeuert, ein dritter war ausgestiegen. Und noch immer kein Album.

»Wer managt sie?«, fragte Bennie.

»Ihr Vater. Ich hab die neuen Sachen in abgemischter Fassung«, sagte Collette. »Der Gesang ist unter sieben Tonspuren Gitarre begraben.«

In genau diesem Moment brach die Erinnerung über Bennie herein (hatte das Wort »Schwestern« sie ausgelöst?): Er hockte nach einer durchfeierten Nacht bei Sonnenaufgang hinter einem Nonnenkloster in Westchester - war das jetzt zwanzig Jahre her? Oder länger? Er hörte Wellen aus purem, glockenreinen, gespenstisch-süßen Klang, die zum heller werdenden Himmel emporschwebten: in Klausur lebende Nonnen, die außer einander keinen Menschen sahen, die ein Schweigegelübde abgelegt hatten und jetzt in der Messe sangen. Nasses Gras unter seinen Knien, das leuchtende Grün pochte gegen seine erschöpften Augäpfel. Noch heute klang Bennie die überirdische Süße dieser Nonnenstimmen in den Ohren.

Er hatte damals einen Termin mit der Mutter Oberin gemacht - der einzigen Ordensfrau, die mit Außenstehenden sprechen durfte -, hatte zur Tarnung zwei Mädchen aus dem Büro mitgebracht und in einer Art Vorraum gewartet, bis die Mutter Oberin hinter einer viereckigen Öffnung in der Wand, die aussah wie ein Fenster ohne Glas, aufgetaucht war. Sie war ganz in Weiß, die Haube lag eng um ihr Gesicht. Bennie erinnerte sich daran, dass sie viel gelacht hatte, rosige Wangen hatten sich zu Girlanden gehoben, entweder aus Freude über den Gedanken, Gott in Millionen Wohnzimmer zu bringen, oder angesichts der ganz neuen Erfahrung, dass ein Plattenfuzzi in lila Cord ihr ein Angebot machte. Ruck, zuck war das Geschäft beschlossen.

Er näherte sich der viereckigen Öffnung, um sich zu verabschieden (an dieser Stelle wand sich Bennie in der Vorahnung des Augenblicks, auf den das alles hinauslief, in seinem Konferenzsessel). Die Mutter Oberin beugte sich ein wenig vor und neigte dabei ihren Kopf auf eine Weise, die etwas in Bennie ausgelöst haben musste, denn er lehnte sich blitzschnell über die Fensterbank und küsste sie auf den Mund: flaumige Samthaut, ein intimer Hauch von Babypuder in dem Sekundenbruchteil, ehe die Nonne aufschrie und zurückfuhr. Er wich zurück und grinste trotz seines Entsetzens, als er ihr empörtes, verletztes Gesicht sah.

»Bennie?« Collette stand vor der Anlage und hielt die Stop/Go-cd hoch. Alle schienen zu warten. »Möchtest du das hören?«

Aber Bennie war in einer zwanzig Jahre zurückliegenden Zeitschleife gefangen: Wie eine Aufziehfigur in einem Glockenspiel beugte er sich durch den Wandausschnitt zur Mutter Oberin vor, wieder und wieder.

»Nein«, stöhnte er. Er drehte sein schwitzendes Gesicht in den Wind, der vom Fluss her durch die Fenster des alten Kaffeekontors in Tribeca fegte, wo Sow´s Ear Records seit sechs Jahren zwei Stockwerke belegte. Es war nie zu der Aufnahme mit den Nonnen gekommen. Bei seiner Rückkehr aus dem Kloster hatte ihn die Absage schon erwartet.

»Nein, danke«, sagte er zu Collette. »Ich möchte den Mix nicht hören.« Es schüttelte ihn, er fühlte sich besudelt. Bennie ließ ständig irgendwelche Künstler fallen, manchmal drei pro Woche, aber jetzt übertrug sich sein eigenes Versagen auf das der Stop/Go-Schwestern, als sei er daran schuld. Im Widerspruch dazu regte sich in ihm der unbezwingliche Wunsch, das wieder zu erleben, was er an diesen Schwestern damals so aufregend fand - er wollte diese Aufregung noch einmal verspüren. »Ich könnte sie doch besuchen?«, entfuhr es ihm.

Collette sah erst verwirrt aus, dann misstrauisch, dann besorgt, eine Abfolge, die Bennie belustigt hätte, wenn er nicht so durch den Wind gewesen wäre. »Wirklich?«, fragte sie.

»Sicher. Ich mach das gleich heute, sobald ich meinen Kleinen abgeholt habe.«

Bennies Assistentin Sasha brachte ihm Kaffee: mit Milch und zwei Stück Zucker. Er fischte ein rotes Emailledöschen aus der Tasche, öffnete den widerspenstigen Verschluss, nahm mit zitternden Fingern eine Prise Goldflocken und ließ sie in die Tasse fallen. Mit dieser Diät hatte er zwei Monate zuvor begonnen, nachdem er in einem Buch über aztekische Medizin gelesen hatte, dass Gold und Kaffee zusammen sexuelle Potenz garantierten. Bennie ging es um Grundlegenderes als Potenz: um den sexuellen Drang als solchen, da sein eigener auf mysteriöse Weise verflogen war. Er wusste nicht so ganz, wann das passiert war und woran es lag: An der Scheidung von Stephanie? Dem Gerangel um Christopher? Daran, dass er kürzlich vierundvierzig geworden war? An den empfindlichen runden Brandstellen auf seinem linken Unterarm, die er auf »der Party« abbekommen hatte, einem nicht lange zurückliegenden Debakel, das niemand anderes organisiert hatte als Stephanies ehemalige Chefin, die jetzt im Gefängnis saß?

Das Gold landete auf der milchigen Oberfläche des Kaffees und wirbelte umher. Bennie war fasziniert von diesem Gewirbel, das ihm wie ein Beweis für die explosive Chemie zwischen Kaffee und Gold vorkam. Eine hektische Aktivität, die ihn selbst meistens im Kreis herumgeführt hatte, wenn das keine treffende Beschreibung für Lust war! Manchmal störte es Bennie nicht einmal, dass die Lust verschwunden war; es war eine Art Erleichterung, nicht dauernd irgendwen ficken zu wollen. Die Welt war zweifellos ein friedlicherer Ort ohne den halben Ständer, seinen ständigen Begleiter, seit er dreizehn gewesen war, aber wollte Bennie in einer solchen Welt leben? Er nippte an seinem mit Gold angereicherten Kaffee und schielte zu Sashas Busen hinüber, der der Lackmustest geworden war, an dem er seine Fortschritte maß. In all den Jahren, in denen sie nun schon für ihn arbeitete, zuerst als Praktikantin, dann als Vorzimmerdame und schließlich als seine Assistentin (und das war sie geblieben, mit einem seltsamen Widerstreben, selbst eine Führungsrolle zu übernehmen) war er immer scharf auf sie gewesen - doch sie hatte es jedes Mal irgendwie geschafft, sich Bennie zu entziehen, ohne jemals Nein zu sagen, seine Gefühle zu verletzen oder ihn zu verärgern. Und jetzt: Sashas Busen in einem dünnen gelben Pullover, und Bennie empfand nichts. Nicht das geringste Anzeichen harmloser Erregung. Würde er überhaupt noch einen hochkriegen, wenn er es wollte?

Als er losfuhr, um seinen Sohn abzuholen, wechselte Bennie zwischen den Sleepers und den Dead Kennedys ab, Bands aus San Francisco, mit denen er groß geworden war. Er lauschte auf unsaubere Stellen, ob man hören konnte, dass da echte Musiker an einem echten Ort echte Instrumente spielten. Heutzutage war dieses Echte (wenn es das überhaupt gab), meistens die Folge von Analogprogrammierung, kein echtes Aufnahmetape - alles bloße Effekte in den blutleeren Konstrukten, die Bennie und seinesgleichen auf den Markt warfen. Er arbeitete fieberhaft und unermüdlich, um alles richtig zu machen, oben zu bleiben, Songs zu produzieren, die das Publikum liebte, kaufte und sich als Klingelton herunterlud (und natürlich klaute) - vor allem, um den weltweit tätigen Ölkonzern zufriedenzustellen, dem er seine Firma vor fünf Jahren verkauft hatte. Aber Bennie wusste, was er der Welt da servierte, war Scheiße. Zu steril, zu clean. Es lag an der Präzision, der Perfektion; an der Digitalisierung, die jegliches Leben aus allem saugte, das durch ihre mikroskopisch feinen Maschen gequetscht wurde. Film, Fotografie, Musik: tot. Ein ästhetischer Holocaust! So was würde Bennie natürlich nie laut sagen.

Aber die alten Songs rissen ihn mit und versetzten ihn in die Zeit zurück, als er sechzehn war: Bennie und seine Highschoolclique - Scotty und Alice, Jocelyn und Rita -, die er seit Jahrzehnten nicht mehr gesehen hatte (abgesehen von einer verstörenden Begegnung mit Scotty in seinem Büro vor einigen Jahren), und doch hatte er noch immer das Gefühl, er würde sie in San Francisco mit grünen Haaren und Sicherheitsnadeln in der Warteschlange vor den (längst nicht mehr existenten) Mabuhay Gardens antreffen, wenn er sich dort mal samstagabends sehen ließe.

Und während sich Jello Biafra durch »Too drunk to fuck« grölte, schweifte Bennie in Gedanken ab zu einer Preisverleihung vor einigen Jahren, wo er eine Jazzpianistin als »unvergleichlich« vorstellen wollte und stattdessen »unerträglich« gesagt hatte, und das vor zweitausendfünfhundert Leuten. Er hätte gar nicht erst versuchen sollen, »unvergleichlich« zu sagen - es war kein Wort für ihn, zu abgehoben: Schon als er seine Rede vor Stephanie geübt hatte, war es...
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Autor

Jennifer Egan wurde 1962 in Chicago geboren und wuchs in San Francisco auf. Sie lebt heute mit ihrem Mann und zwei Söhnen in Brooklyn, New York. Neben ihren Romanen und Kurzgeschichten schreibt sie für den New Yorker sowie das New York Times Magazine und lehrt an der Columbia University Creative Writing. Für ihren Roman »Der größere Teil der Welt« erhielt sie 2011 den Pulitzer Prize, den National Book Critics Circle Award und den Los Angeles Times Book Prize. Zuletzt erschien ihr Roman »Manhattan Beach« (2017), der wochenlang auf der New York Times-Bestsellerliste stand.
Weitere Artikel von
Zeltmann, Heide
Übersetzung