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Nordbucht

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
420 Seiten
Deutsch
Books on Demanderschienen am24.01.20222. Auflage
In einer abgelegenen Bucht im Norden Norwegens steht einsam und verlassen ein altes Internat, in welchem es seit Jahren immer wieder zu mysteriösen Todesfällen kommt. Als der neue Lehrer an der Schule, Sondre Iversen, sich mit der Institution auseinanderzusetzen beginnt, fühlt er gleich, dass innerhalb dieser Mauern so manches nicht mit rechten Dingen zugeht. Viele der Bewohnerinnen und Bewohner wirken auf ihn seltsam und verschlossen, so als müsse ein altes Geheimnis bewahrt werden. Und dann verschwindet erneut eine Schülerin! Für Sondre ist klar, dass jemand im Haus ein falsches Spiel treibt. Seine Nachforschungen bleiben jedoch nicht unentdeckt und schon bald muss er feststellen, dass auch sein Leben in Gefahr ist.

Reto Koller, geboren 1980 in Solothurn (Schweiz), lebt heute mit Frau und Tochter in der Nähe von Solothurn auf dem Lande. Die Liebe zu Nordnorwegen begleitet ihn beim Geschichtenerzählen und dies widerspiegelt sich in seinen Büchern von der ersten bis zur letzten Seite.
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Verfügbare Formate
BuchKartoniert, Paperback
EUR18,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR9,99

Produkt

KlappentextIn einer abgelegenen Bucht im Norden Norwegens steht einsam und verlassen ein altes Internat, in welchem es seit Jahren immer wieder zu mysteriösen Todesfällen kommt. Als der neue Lehrer an der Schule, Sondre Iversen, sich mit der Institution auseinanderzusetzen beginnt, fühlt er gleich, dass innerhalb dieser Mauern so manches nicht mit rechten Dingen zugeht. Viele der Bewohnerinnen und Bewohner wirken auf ihn seltsam und verschlossen, so als müsse ein altes Geheimnis bewahrt werden. Und dann verschwindet erneut eine Schülerin! Für Sondre ist klar, dass jemand im Haus ein falsches Spiel treibt. Seine Nachforschungen bleiben jedoch nicht unentdeckt und schon bald muss er feststellen, dass auch sein Leben in Gefahr ist.

Reto Koller, geboren 1980 in Solothurn (Schweiz), lebt heute mit Frau und Tochter in der Nähe von Solothurn auf dem Lande. Die Liebe zu Nordnorwegen begleitet ihn beim Geschichtenerzählen und dies widerspiegelt sich in seinen Büchern von der ersten bis zur letzten Seite.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783754388044
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Erscheinungsjahr2022
Erscheinungsdatum24.01.2022
Auflage2. Auflage
Seiten420 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.8810542
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe

Kapitel 2 Tromsø, 2016

Mein Name ist Sondre Iversen. Ich bin fünfundvierzig Jahre alt.

Komisch - vor einem Jahr hätte ich geschworen, dass ich das sechsundvierzigste Lebensjahr nicht erleben werde. Nun ja, so wie es jetzt aussieht, werde ich meinen nächsten Geburtstag dennoch feiern können. Wenn ich mich heute im Spiegel betrachte, finde ich zwischen den braunen Haaren das eine oder andere ergraute, und ich bin mir sicher, dass diese vor einem Jahr noch nicht zugegen waren. Auch der Haaransatz hat sich im Vergleich zu früher zurückgezogen, aber wenigstens muss ich meine längeren Haupthaare nicht nach vorne kämmen, um es zu kaschieren.

Seit ich meine Arbeit als Polizist nicht mehr ausführen kann, trage ich einen Bart. Der Bauch hat die sechs schokotafelförmigen Muskeln durch weiches Fettgewebe ersetzt und meine Bizepse, auch wenn nach wie vor gut trainiert, haben dennoch an Festigkeit verloren. Doch ich mache mir deswegen keine Sorgen. Vielmehr habe ich mir vorgenommen, vermehrt Sport zu treiben, was bisher am nicht vorhandenen Willen gescheitert war. Andererseits gerate ich schneller ausser Atem als zu meiner Dienstzeit, was nur logisch ist. Mein Sohn sagt mir zwar immer, dass das vom Rauchen komme.

Vielleicht hat er recht, und ich sollte tatsächlich mit dem Laster aufhören. Immerhin habe ich es geschafft, in den letzten Monaten von einer Packung auf vier Zigaretten pro Tag zu reduzieren. Immer mit dem Ziel vor Augen, dass ich bis Ende Jahr ganz damit aufhöre.

Seit meinem ersten Lebensjahr wohne ich in Tromsø. Ich besuchte hier sämtliche Schulen, arbeitete als Jugendlicher in öden Sommerjobs, wurde schliesslich Polizist, hängte diesen Job nach vier Jahren mit zwei weinenden Augen an den Nagel und liess mich zum Lehrer ausbilden. Ein Skiunfall in den Lyngenalpen hatte mir die linke Hand fast unbrauchbar gemacht. Ich musste etliche Therapien über mich ergehen lassen, und dennoch schaffe ich es bis heute nicht, meine linke Hand vollumfänglich einzusetzen. Für den Polizeidienst war ich nicht mehr zu gebrauchen, da ich keine Verbrecher mehr festhalten, geschweige denn, ihnen Handschellen anlegen konnte, auch wenn solche Aktionen in unserer Gegend nur selten nötig waren. Die Personalabteilung hatte mir daraufhin einen Schreibtischjob angeboten, aber da hätte ich lieber Vogelkacke von den Parkbänken geschrubbt als mich acht Stunden pro Tag in ein Büro zu quetschen. Das hiesse also, dass ich mich anderweitig orientieren musste. Da ich mich schon vor Arbeitsantritt bei der Polizei für den Lehrerberuf interessiert hatte, entschied ich mich, in die Fussstapfen meines Vaters zu treten. Er war jahrelang Lehrer gewesen, und das mit Herzblut. Inzwischen geniesst er die Pension, leider ohne meine Mutter, die vor einem Jahrzehnt an einem Herzinfarkt starb.

Soweit kann ich sagen, dass mir das Lehrerdasein gefiel. Geregelte Arbeitszeiten, keine Nachtschichten, keine Betrunkenen, die einem das Auto vollkotzten. Trotzdem kann ich nicht bestreiten, dass mir die Ungewissheit zu Beginn des Arbeitstages fehlte, die Anspannung vor Schichtbeginn, das Adrenalin während der Einsätze. Das alles war in meiner aktuellen Tätigkeit leider nicht mehr anzutreffen. Der Tagesablauf war mehr oder weniger gegeben, grosse Abweichungen gab es selten und heftige Adrenalinschübe schon gar nicht mehr. Ich spürte, dass tief in mir drinnen etwas fehlte. Ein Hohlraum, der gefüllt werden wollte.

Im Sommer 1999 heiratete ich Marit, unterdessen ist sie meine Exfrau.

Warum es zur Scheidung kam?

Ich wünschte, ich müsste mich das nicht fragen und noch mehr wünschte ich mir, dass mein verstorbener Sohn dabei keine Rolle gespielt hätte. Raik starb im Alter von fünf Jahren an Leukämie. Ein derartiger Verlust kann kaum ein Ehepaar verkraften. Entweder driftet man auseinander, wie Eisschollen im Nordmeer, oder man findet einen gemeinsamen Weg, mit einem solchen Schicksalsschlag umzugehen. Bei uns war leider Ersteres der Fall gewesen. Zum Zeitpunkt von Raiks Ableben hätte ich mir niemals vorstellen können, dass diese Tragödie Marit und mich jemals auseinanderbringen könnte. Wir waren von Anfang an ein Herz und eine Seele gewesen, hatten alles gemeinsam unternommen, nahmen Rücksicht auf den jeweils anderen, stritten uns wenig, liebten uns dafür umso mehr. Für mich gab es in meinem Leben nichts Wichtigeres als Marits Wohlergehen. Jeden Tag stellte ich mir dieselbe Frage: Wie kann ich sie heute glücklich machen? Ich versuchte ihr jeden Wunsch von den Lippen abzulesen, wollte der beste Ehemann sein. Marit genoss die Aufmerksamkeit, und sie gab sie mir in Form von bedingungsloser Liebe zurück. Doch auch Märchen haben eine letzte Seite. Und meines endete nicht mit dem bekannten Satz: Und so lebten sie glücklich bis ans Ende ihrer Tage!

Unser Märchen endete anders; der kleine Prinz starb bereits am Anfang der Geschichte und der Palast der Königin und des Königs begann zu bröckeln, so als bestünde er nur aus Schiefergestein. Die Trauer frass uns auf, sie raubte uns alle Energie und die Lust aufs Leben. Marit hatte kein Verlangen mit mir über den Tod unseres Kindes zu sprechen. Sie verbarrikadierte sich hinter einem undurchdringlichen Vorhang aus Selbstmitleid und Kummer. Auch unser älterer Sohn Jørn spürte die Veränderungen und suchte durch den Mangel an mütterlichem Trost nur noch mehr ihre Gegenwart.

Den unaufhaltsamen Zerfall des eigenen Kindes mitzuerleben und schliesslich dessen Tod mit niederschmetternder Klarheit akzeptieren zu müssen, ist wohl das Schlimmste, was Eltern passieren kann. Oft hört man von anderen Familien, welche dasselbe Schicksal teilten, wie sie mit so einem Verlust umzugehen versuchten. In dem Moment fühlt man mit, man denkt an sie, doch was es bedeutet, das eigene Blut zu verlieren, begreift man erst, wenn man selbst in den Schlund des Todes geblickt hat.

Es gibt Tage, da möchte ich gar nicht erst aus dem Bett steigen, nicht die Zähne putzen, keinen Kaffee machen und schon gar nicht zur Arbeit fahren. Man liegt auf einer viel zu harten Matratze, starrt ein Loch in die Decke und fragt sich immer und immer wieder, wie es mit dem eigenen Leben weitergehen soll. An solchen Tagen setze ich mich oft ins Auto und fahre an einen Strand auf Håkøya, von wo aus ich stundenlang auf den Sund und die schattigen Berge hinter Tromsøya blicke. Nur dort, an diesem einsamen Flecken Erde, habe ich das Gefühl, dass die finsteren Gedanken von der Strömung fortgetragen werden und ich danach wieder für ein paar Stunden frei atmen kann.

Trotz all der Trauer und der Differenzen, die sich zwischen Marit und mir aufgetan hatten, war das nicht der alleinige Grund für die Trennung gewesen. Das Fass zum Überlaufen brachte schliesslich ein anderer Vorfall.

An einem verregneten Abend im August begab ich mich ins Arbeitszimmer. Ich hatte noch Prüfungen zu korrigieren und setzte mich an den Computer. Als die Fotos des Bildschirmschoners verschwunden waren, bemerkte ich eine, an meine Frau adressierte, geöffnete E-Mail. Ich wollte die Nachricht schliessen, doch die Anrede liess mich stutzen. Ich ging näher an den Bildschirm und begann die Nachricht zu lesen:

Hey, wildes Tier
War einmal mehr ein aufregender Abend gewesen Du bist unglaublich, Marit. Meine Frau kriege ich nie dazu, solche Dinge mit mir zu machen.

Ich freue mich schon aufs nächste Mal.

Fredrik

Fredrik?

Woher kannte ich diesen Namen?

Ach ja, richtig; ihr Arbeitskollege im Spital.

Ich las die Nachricht ein zweites Mal und ignorierte dabei das Ziehen und Rumpeln in meinem Verdauungstrakt. Eine Welle von Übelkeit und Kälte schwappte über mich und meine Hände fingen an zu zittern.

Was sollte das? War das ein Scherz?

Es musste ein Scherz sein, Marit würde mir so etwas nie antun? Marit ging gestern Abend mit ihrer Freundin Selma essen. Hatte sie jedenfalls behauptet.

Ich starrte auf den Bildschirm, unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen. Ich hörte unseren Sohn Jørn im Wohnzimmer, wie er ein Videospiel am Fernseher anschrie. Ich hörte das rhythmische Ticken der Uhr auf dem Schreibtisch, ich hörte den Regen gegen die Fensterscheiben prasseln, und ich hörte meinen hämmernden Herzschlag, wie Paukenschläge auf einer römischen Galeere. Was sollte ich jetzt tun? Sie ansprechen? Selma anrufen und fragen, wo sie gestern zu Abend gegessen hätten?

Marit kam die Treppe herunter und blieb vor dem Arbeitszimmer stehen. Etwas in meinem Gesichtsausdruck liess sie wohl innehalten. Sie sah mich an. «Was hast du?»

Zuerst brachte ich kein Wort heraus. Ich hätte am liebsten an Ort und Stelle losgeheult, doch das hätte die Sache auch nicht besser gemacht. «Kannst du mir diese Nachricht erklären?» Ich nickte in Richtung Bildschirm.

Marits Gesichtsausdruck fror ein. Ihre Wangen veränderten ihre Farbe in tomatenrot. «W-welche Nachricht?», stotterte sie und kam zögernd näher.

«Diese Nachricht da?» Ich zeigte auf die E-Mail.

Marit blickte auf den Bildschirm und schluckte umständlich. «Gehst du meine Nachrichten durch?», sagte sie...
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