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Die Entstehung von Angsträumen durch die Wahrnehmung mangelnder sozialer Kontrolle

E-BookPDF0 - No protectionE-Book
98 Seiten
Deutsch
GRIN Verlagerschienen am16.02.20221. Auflage
Bachelorarbeit aus dem Jahr 2020 im Fachbereich Soziologie - Recht und Kriminalität, Note: 1,0, Universität Koblenz-Landau (Soziologie), Sprache: Deutsch, Abstract: Anhand des Koblenzer Stadtteils Lützel wird dieser Sachverhalt analysiert: Es wird untersucht, inwiefern die Wahrnehmung mangelnder sozialer Kontrolle und Zeichen sozialer Desorganisation zur Ausprägung von Kriminalitätsfurcht führen, die sich in vermeidendem Verhalten und dem Ergreifen von Schutzmaßnahmen äußert. Der Stadtteil gilt aufgrund der hohen Bevölkerungsdichte und Mobilität und des hohen Anteils sozial schwacher Personen und solchen mit Migrationshintergrund als 'Problemviertel'. Mithilfe eines mixed-method-designs wird das vergleichsweise gering ausgeprägte subjektive Sicherheitsempfinden im Stadtteil in den Kontext städtebaulicher und sozialräumlicher Aspekte gestellt und ein Blick auf Präventions- und Gegenmaßnahmen geworfen. Mittels Fragebögen wurden die Außenwirkung des Stadtteils und die Wirksamkeit von Präventions- und Gegenmaßnahmen aus Sicht der Anwohnenden sowie deren Schutz und Vermeideverhalten erhoben und Leitfadeninterviews dienen zugunsten einer Perspektiventriangulation der Beleuchtung der Thematik aus der Sicht ausgewählter ExpertInnen.mehr
Verfügbare Formate
BuchKartoniert, Paperback
EUR47,95
E-BookPDF0 - No protectionE-Book
EUR36,99

Produkt

KlappentextBachelorarbeit aus dem Jahr 2020 im Fachbereich Soziologie - Recht und Kriminalität, Note: 1,0, Universität Koblenz-Landau (Soziologie), Sprache: Deutsch, Abstract: Anhand des Koblenzer Stadtteils Lützel wird dieser Sachverhalt analysiert: Es wird untersucht, inwiefern die Wahrnehmung mangelnder sozialer Kontrolle und Zeichen sozialer Desorganisation zur Ausprägung von Kriminalitätsfurcht führen, die sich in vermeidendem Verhalten und dem Ergreifen von Schutzmaßnahmen äußert. Der Stadtteil gilt aufgrund der hohen Bevölkerungsdichte und Mobilität und des hohen Anteils sozial schwacher Personen und solchen mit Migrationshintergrund als 'Problemviertel'. Mithilfe eines mixed-method-designs wird das vergleichsweise gering ausgeprägte subjektive Sicherheitsempfinden im Stadtteil in den Kontext städtebaulicher und sozialräumlicher Aspekte gestellt und ein Blick auf Präventions- und Gegenmaßnahmen geworfen. Mittels Fragebögen wurden die Außenwirkung des Stadtteils und die Wirksamkeit von Präventions- und Gegenmaßnahmen aus Sicht der Anwohnenden sowie deren Schutz und Vermeideverhalten erhoben und Leitfadeninterviews dienen zugunsten einer Perspektiventriangulation der Beleuchtung der Thematik aus der Sicht ausgewählter ExpertInnen.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783346592361
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatPDF
Format Hinweis0 - No protection
Erscheinungsjahr2022
Erscheinungsdatum16.02.2022
Auflage1. Auflage
Seiten98 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1187 Kbytes
Artikel-Nr.8921509
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe


3. Aktueller Forschungsstand

 

Mit dem Aufkommen der Chicago School wurde die Theorie der sozialen Desorganisation entwickelt (Shaw & McKay 1969/ 1942), im Rahmen derer benachteiligte Wohnquartiere als Entstehungsort für problematische Entwicklungen betrachtet wurden; Kriminalität ist die Folge sozialer Missstände (Oberwittler 2018, S. 319) und als Möglichkeit der Verhinderung gilt die kollektive Fähigkeit der Viertel, soziale Kontrolle auszuüben (ebd., S. 326). Den geographischen Raumeinheiten werden Merkmale zugeschrieben, die sich entweder aus der sozialen Zusammensetzung und den wechselseitigen Beziehungen der Menschen, die sich in ihnen aufhalten, entwickeln, oder sich aus physischen und städtebaulichen Eigenschaften, der geographischen Lage, der Verkehrswege usw. ergeben. (ebd.). Dieser Ansatz wurde von Sampson und Kollegen (1997) weiterentwickelt zum Konzept der kollektiven Wirksamkeit (collective efficacy); hier ist zur Eindämmung der Kriminalität eine Basis gegenseitigen Vertrauens und gemeinsam geteilter Werte erforderlich. Die kollektive Wirksamkeit wird durch sozialen Rückzug gemindert, der aus Unsicherheitswahrnehmungen und Beobachtungen von Kriminalität und Unordnung resultiert (Oberwittler 2018, S. 328). In diesem Zusammenhang erhielten vor allem die Arbeiten von Wilson und Kelling (1982) und Lewis und Salem (1986) große Aufmerksamkeit. Laut Wilson und Kelling (1982) sind informelle Beziehungen im Nachbarschaftskontext nicht relevant für die Verringerung der Kriminalität und damit einhergehenden Kriminalitätsfurcht, sondern eher die Demonstration von Ordnung durch die Präsenz von PolizistInnen und eine sofortige Entfernung der broken windows bzw. der Incivilities, um zu verhindern, dass weitere hinzukommen. Dem entgegen stehen die Ergebnisse von Lewis und Salem (1986), die anhand multipler Regressionsanalysen einen eher schwachen Zusammenhang zwischen Incivilities und Kriminalitätsfurcht postulieren und eine Wirksamkeit der Stärkung der informellen Sozialkontrolle. Markowitz et al. stellten anhand der Daten des British Crime Surveys die Relevanz von kollektiver Wirksamkeit heraus: Cohesion decreases disorder, which increases fear, which decreases cohesion (2001, S. 310).

 

Die negativen Auswirkungen von Unordnung und Kriminalität sind Gegenstand mehrerer Längs- und Querschnittuntersuchungen (u.a. Garcia et al. 2007, Häfele 2013a, Brunton-Smith 2011), jedoch ist nach wie vor umstritten, inwiefern Unordnung als Prädiktor von Kriminalitätsfurcht zu betrachten ist, da die Vermutung besteht, dass diese starke Korrelation zwischen der Wahrnehmung von Unordnung und Kriminalitätsfurcht Ausdruck einer Überschneidung der Bedeutungsinhalte der Fragen ist und deswegen erheblich überschätzt wird (Oberwittler 2018, S. 328). Um dem entgegenzuwirken, wurden beispielsweise im Rahmen der Untersuchung der Stadt Hamburg von Häfele (2013a) Incivilities systematisch beobachtet; diese objektive Kenngröße hatte einen deutlich geringeren Einfluss auf das Ausüben von Schutz- und Vermeideverhalten als die subjektive Problembelastung (S. 210-211). Auch bei Oberwittler, Janssen und Gerstner (2017) zeigte sich ein geringerer Effekt auf das Unsicherheitsgefühl durch systematisch beobachtete Incivilities im Gegensatz zu subjektiv wahrgenommenen; sichtbare ethnische Minderheiten waren der stärkste Prädiktor für Kriminalitätsfurcht (S. 194). Incivilities lassen sich jedoch nicht lediglich auf das objektive Vorhandensein reduzieren, da sonst der subjektive Charakter sozialräumlicher Wahrnehmung vernachlässigt würde und mit ihm die realen Konsequenzen gemäß dem Thomas-Theorem (Sampson 2009, zit. n. Oberwittler, Janssen & Gerstner 2017, S. 187).

 

Hohage (2004) untersuchte, in welchem Zusammenhang der Einfluss von Incivilities auf die verschiedenen Dimensionen der personalen Kriminalitätseinstellungen und die Ressourcen des Nachbarschaftskontextes stehen und zog zu diesem Zwecke Daten einer Befragung in Bielefeld heran. Es ergeben sich lediglich schwache Zusammenhänge zwischen mehreren Verhaltensweisen, die der Vermeidung dienen, und der Wahrnehmung von Incivilities bzw. der Intensität des Nachbarschaftserlebens; Alter und Geschlecht hingegen stellen sich als wesentlich stärkere Prädiktoren heraus (S. 90). Des Weiteren gelten Incivilities und der Nachbarschaftskontext zwar als Faktoren, die auf die Entstehung von Kriminalitätsfurcht Einfluss nehmen, sie scheinen sich jedoch, zumindest im Rahmen dieser Untersuchung, nicht auf die anderen beiden Komponenten der personalen Kriminalitätseinstellungen auszuwirken (ebd., S. 92). Außerdem zeigt sich, dass die Verbundenheit mit der Nachbarschaft nicht mit einer Reduktion der Kriminalitätsfurcht einhergeht, Incivilities werden in diesen Vierteln allerdings eher als Problem wahrgenommen als in weniger integrierten Nachbarschaften (ebd.). Anhand derselben Daten stellte Bals (2004) fest, dass Gruppen herumstehender Jugendlicher mit einem Mangel an Sozialkontrolle assoziiert und gemieden werden - auch hier konnte die Wirksamkeit der Integration in die Nachbarschaft in Hinblick auf eine Verringerung des Schutz- und Vermeideverhaltens nur bedingt festgestellt werden (S. 69). Lüdemann (2006) untersuchte mithilfe einer Mehrebenenanalyse im Raum Hamburg u.a. den Zusammenhang zwischen der Wahrnehmung von Incivilities und den drei Komponenten der personalen Kriminalitätseinstellungen sowie zwischen dem Vertrauen zu Nachbarn bzw. der Häufigkeit der Nachbarschaftskontakte und Kriminalitätsfurcht. Es zeigt sich ein statistisch signifikanter Zusammenhang zwischen der Wahrnehmung von Incivilities und allen Dimensionen der personalen Kriminalitätseinstellungen sowie ein furchtverringernder Effekt durch das Vertrauen zu Nachbarn; die Häufigkeit der Nachbarschaftskontakte scheint jedoch keinen Einfluss zu nehmen und auch der Collective-Efficacy-Ansatz konnte nicht bestätigt werden (S. 300). Bei einer Untersuchung in Wuppertal und Stuttgart erweist sich die Wahrnehmung von Incivilities als verstärkend in Hinblick auf das Schutz- und Vermeideverhalten und in Stuttgart nimmt dieses außerdem - entgegen den Vorannahmen - mit der Integration in die Nachbarschaft zu (Starcke 2019, S. 202). Eine Befragung in Winterthur (Schweiz) ergab, dass die Personen, die in einem weniger privilegierten Quartier leben, deutlich häufiger bei Dunkelheit zu Hause bleiben, öffentliche Verkehrsmittel meiden oder zum Schutz eine Waffe bei sich tragen (Eisner 2000, S. 72); außerdem hegen diejenigen, die im eigenen Wohnumfeld mehr Probleme wahrnehmen und ihre allgemeine Lebensqualität schlechter einschätzen, mehr Kriminalitätsfurcht (ebd., S. 64). Bei einem Vergleich zweier Berliner Stadtteile stellte sich heraus, dass die Befragten, die eine hohe Problembelastung durch Incivilities wahrnehmen, eher dazu geneigt sind, in Sicherheitsvorkehrungen zu investieren; das Vermeideverhalten ist stärker ausgeprägt im Zusammenhang mit der Wahrnehmung von Incivilities (z.B. Graffiti und herumhängende Jugendliche) als mit der von konkreten Bedrohungen (z.B. Gewalt, Belästigung und Drogenabhängige auf der Straße), was dafür spricht, dass das Vermeideverhalten seinen Ursprung eher in allgemeiner Beunruhigung hat als dass es tatsächlich mit dem Schutz vor Kriminalität zusammenhängt (Lukas 2010, S. 240).

 

In den vergangenen Jahren wurden Incivilities immer wieder zum Forschungsgegenstand in Verbindung mit Kriminalität und Kriminalitätsfurcht (vgl. Skogan 2015); der Grundgedanke, dass Incivilities mit einer höheren perzipierten Viktimisierungswahrscheinlichkeit des/ der Einzelnen einhergehen, die sich durch Kriminalitätsfurcht äußert, gilt als weitgehend bestätigt (Hirtenlehner, Hummelsheim-Doß & Sessar 2018, S. 7). Wie bereits beschrieben, herrschen jedoch Unstimmigkeiten v.a. in Hinblick auf die Methodologie und mögliche zugrundliegende Konstrukte, die die Forschungsergebnisse beeinflussen.

 

Auffällig ist, dass fernab von den bereits genannten Untersuchungen - soweit ersichtlich - die Aspekte der konativen Dimension der personalen Kriminalitätseinstellungen und die Wahrnehmung von Disorder-Phänomenen nicht miteinander in Verbindung gebracht werden. Dies ist vermutlich damit zu begründen, dass das Schutz- und Vermeideverhalten als eine der Ausprägungen der personalen Kriminalitätseinstellungen als umstritten gilt und dass der Standardindikator trotz aller Kritik sehr häufig als Messinstrument angewendet wird - dieser misst allerdings lediglich die affektive Komponente.

 

Dass die Wahrnehmung von Incivilities einen kriminalitätsfurchtsteigernden Einfluss hat, wurde mehrfach gezeigt (z.B. Starcke 2019, Oberwittler, Janssen, Gerstner 2017, Häfele 2013a, Lüdemann 2006, Markowitz et al. 2001), außerdem hängt die Verbreitung von Incivilities mit der Zusammensetzung der BewohnerInnen zusammen; je größer der Anteil an Personen mit niedrigem Sozialstatus und Einkommen ist und je mehr Personen ethnischer Minderheiten vorhanden sind, desto mehr Disorder-Phänomene und Kriminalitätsfurcht gibt es (z.B. Pritsch & Oberwittler 2016, Oberwittler & Gerster 2016, Brunton-Smith & Sturgis 2011, Oberwittler 2008, Lüdemann 2006, Landeskriminalamt NRW, Sampson & Raudenbush 2004, Skogan & Maxfield 1981). Entsprechend ist auch der Ruf eines Stadtteils relevant; ein Prozess der Stigmatisierung findet statt, wenn einem ganzen Stadtteil ein schlechter Ruf anhaftet aufgrund der sozialen Benachteiligung der BewohnerInnen bzw. ihrer Zugehörigkeit zu (ethnischen) Minderheiten und im Umkehrschluss alle Anwohnenden Diskriminierung aufgrund ihres...

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