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Dagegen die Elefanten!

E-BookEPUB0 - No protectionE-Book
272 Seiten
Deutsch
Jung und Jung Verlagerschienen am25.02.20221. Auflage
Herr Harald ist der Mann in der Garderobe. Er gehört zum Theater wie der Vorhang, aber niemand kommt seinetwegen, das Rampenlicht ist für andere. Er nimmt den Menschen die Mäntel ab, die Taschen, was immer sie ihm anvertrauen, um für kurze Zeit unbeschwert zu sein, und wartet bis zum Schlussapplaus, das ist sein Einsatz. Doch eines Abends bleibt ein Mantel zurück, und in dem Mantel findet sich eine Pistole. Herr Harald trägt sie nach Hause, nur: Was will er damit tun? Er kann sich schlecht gegen alles zur Wehr setzen, was ihm an der Welt und den Mitmenschen als Zumutung erscheint. Aber vielleicht kann er ihre Aufmerksamkeit auf jemanden lenken, der wie er ein Schattendasein führt: die Frau, die für einen anderen die Noten umblättert und die er aus der Ferne verehrt.Der tragische wie komische Protagonist dieser hinreißend erzählten Geschichte ist ein Held des Alltags, ein Mann in Dienstkleidung, einer, dem es niemand dankt. Und gäbe es die Literatur nicht - und Autorinnen wie Dagmar Leupold -, wie sollten wir wissen, was für ein Reichtum an Gedanken und Gefühlen, wie viel waches Leben und wehe Sehnsucht sich dahinter verbirgt.

geboren 1955 in Niederlahnstein, Rheinland-Pfalz, studierte Germanistik, Philosophie und Klassische Philologie in Marburg, Tübingen und New York, lebt als Autorin und Übersetzerin in München. Ihr Werk umfasst Romane, Erzählungen, Gedichte und Essays. Für die Romane Unter der Hand (2013) und Die Witwen (2016) war sie für den Deutschen Buchpreis nominiert.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR23,00
E-BookEPUB0 - No protectionE-Book
EUR17,99

Produkt

KlappentextHerr Harald ist der Mann in der Garderobe. Er gehört zum Theater wie der Vorhang, aber niemand kommt seinetwegen, das Rampenlicht ist für andere. Er nimmt den Menschen die Mäntel ab, die Taschen, was immer sie ihm anvertrauen, um für kurze Zeit unbeschwert zu sein, und wartet bis zum Schlussapplaus, das ist sein Einsatz. Doch eines Abends bleibt ein Mantel zurück, und in dem Mantel findet sich eine Pistole. Herr Harald trägt sie nach Hause, nur: Was will er damit tun? Er kann sich schlecht gegen alles zur Wehr setzen, was ihm an der Welt und den Mitmenschen als Zumutung erscheint. Aber vielleicht kann er ihre Aufmerksamkeit auf jemanden lenken, der wie er ein Schattendasein führt: die Frau, die für einen anderen die Noten umblättert und die er aus der Ferne verehrt.Der tragische wie komische Protagonist dieser hinreißend erzählten Geschichte ist ein Held des Alltags, ein Mann in Dienstkleidung, einer, dem es niemand dankt. Und gäbe es die Literatur nicht - und Autorinnen wie Dagmar Leupold -, wie sollten wir wissen, was für ein Reichtum an Gedanken und Gefühlen, wie viel waches Leben und wehe Sehnsucht sich dahinter verbirgt.

geboren 1955 in Niederlahnstein, Rheinland-Pfalz, studierte Germanistik, Philosophie und Klassische Philologie in Marburg, Tübingen und New York, lebt als Autorin und Übersetzerin in München. Ihr Werk umfasst Romane, Erzählungen, Gedichte und Essays. Für die Romane Unter der Hand (2013) und Die Witwen (2016) war sie für den Deutschen Buchpreis nominiert.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783990271841
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format Hinweis0 - No protection
FormatE101
Erscheinungsjahr2022
Erscheinungsdatum25.02.2022
Auflage1. Auflage
Seiten272 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse864 Kbytes
Artikel-Nr.8951780
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

IM
FEBRUAR

Da ist er.

Herr Harald lässt seinen Blick über die Mäntel, Schirme, Rucksäcke, Aktentaschen und Einkaufstüten schweifen, deren vorübergehender Hüter er ist. Inventur. Am Geruch erkennt er den Unterschied zwischen Reichtum und Behauptung. Er könnte es beschreiben - aber wem und wozu? Sein Einsatzort: Die Oper, Balkon links, und, wenn Not am Mann ist, die Philharmonie, im unwirtlichen Untergeschoss. Ein Wald aus Gestänge, wie Totholz. Als Einspringer, wenn auch selten, übernimmt er zusätzlich einen Garderobenabschnitt im Schönsten Theater der Stadt. Am liebsten die Nummern 700 bis 850, genau gegenüber der zweiflügeligen Eingangstür und der Vorfreude in den Gesichtern der Gäste. Meist ist er bei Klavier solo oder Kammermusikabenden im Einsatz, die feierlich sind, ohne einzuschüchtern, darum liebt er sie. Zugig ist es dort in der Garderobe, deshalb ist er besonders froh um die weißen, vornehm fadenscheinigen Handschuhe, die er, der Schuppenflechte wegen, trägt. Wie ein Archivar, der Kostbares verwaltet. Warme Hände, warmes Herz.

Einsam wacht, wie es im Weihnachtslied heißt, wäre die zutreffendste Beschreibung für das, was er tut. Würde er, fragte jemand nach seiner Arbeit, womöglich sagen. Überhaupt hat er schöne Antworten auf nicht gestellte Fragen parat, schlanke Gedanken. Schlank, denn sie haben eine gute Figur. Er denkt zum Beispiel über den Unterschied zwischen Hintergrund und Untergrund nach. Aussprechen lassen sich solche Gedanken jedoch nicht, sie würden bei Luftkontakt zerstäuben, so flaumig sind sie. Lange denkt er an diesem Abend über das Wort »Sitzfleisch« nach - Zeit gibt es im Übermaß -, und wartet, wie an vielen anderen Abenden, die ersten Klänge ab, die wie durch ein Federkissen gedämpft zu ihm dringen, bevor er sich auf einen in den äußersten Winkel verbannten Schemel setzt. Öffnet, wenn nicht das gelegentlich mitgebrachte Wochenblatt, das im Hausflur ausliegt, die Diensttasche, ein altes Stück Leder mit zerkratzten Metallschnallen, entnimmt ein heftgroßes Buch und notiert dies und das. Besser gesagt: Der Stift tut das. Zum Beispiel, den Bildern einer Fernsehsendung über Vulkane und Erdbeben am gestrigen Abend nachhängend: Die Lavaschlange kringelt an der Bergflanke hinab wie eine Haarlocke im Nacken einer Frau. Dann steckt er den gespitzten Bleistift zurück in den Gummizug seines Notizbuchs. Der Einband aus Kunststoff fühlt sich lebendig an, weich, das spürt er durch die Handschuhe hindurch, und es ist Nähe genug. Herrn Haralds Gesicht, gegen Ende der Woche mit leichtem Bartschatten - Rasur nur am Wochenende -, leuchtet inmitten der im gedimmten Licht verschwimmenden Mäntel. Wie ausgeweidet hängen sie an den wuchtigen Haken. Herr Harald hat einen Nachnamen erst nach Dienstschluss oder vor Dienstantritt. Und möglicherweise heißt er nicht einmal Harald, es hat sich so eingebürgert, auch in ihm. In der Oper kontrolliert er die Eintrittskarten, denn niemand darf an seiner Garderobe etwas abgeben, das nicht zum Bereich Balkon links gehört. Wenn alles seine Richtigkeit hat, übergibt er, weiß behandschuht, die gestanzte Messingmarke mit der Nummer an den Eigentümer des noch körperwarmen Mantels. Frauen verstauen die Plakette behutsam, als wäre sie eine Oblate, die sie später auf ihre Zunge zu betten gedenken.

Er liebt den Unterschied zwischen den ruhigen Stunden, wenn im großen Kessel des Opernhauses Schicksale ausgesungen werden, und den geschäftigen, wenn alle Besucher, leicht erhitzt, einen dünnen Schweißfilm auf Stirn und Schläfen, noch halb in der gerade bezeugten und überwundenen Intrige oder dem gelösten Liebesknoten gefangen steckend, nach ihrem Eigentum verlangen, die Nummernschildchen mal sanft, mal herrisch auf der zerschürften Glasfläche der Theke deponieren und gegen andere Anwärter verteidigen, indem sie sie möglichst unauffällig, gleichwohl auffordernd, in seine Richtung schieben. Wie ein Anrecht, sie haben schließlich viel mitgemacht.

Herr Harald hatte einen Trick erfunden, wie schwere Mäntel schadlos von den Haken gelöst werden können. Ohne dass die Schlaufen reißen oder der Kragen leidet. Er packt den Mantel von hinten im Schulterbereich, so als wolle er einen Delinquenten verhaften, mit sehr festem Griff, und schiebt ihn hinauf. Bis er über der oberen Halterung der Garderobe schwebt, dann lässt er ihn auf sich zufallen, stellt sich dabei vor, bei einer Ohnmacht einzuspringen, und achtet sorgsam darauf, den Mantel nicht ungebührlich eng in die Arme zu schließen. Das gelingt ihm mit bis zu drei Mänteln auf einmal. Die Schlange vor seinem Garderobenbereich schrumpft am schnellsten. Neugierig ist er jedes Mal auf die letzte Person, deren Habseligkeiten im Handumdrehen so ergreifend vereinsamen. Alle benachbarten, schützenden Mäntel und Jacken sind ausgegeben, nur dieser eine hängt am Messinghaken, mit gebrochenem Genick. Vielleicht - hoffentlich! - der einer jungen Frau, sie nimmt ihn entgegen, verträumt, die letzten im Duett vorgetragenen Liebesschwüre klingen und schwingen in ihr nach, und sie hat gar nicht gemerkt, dass andere sich an ihr vorbeigedrängelt haben. Auch im Moment der Übergabe ist sie es noch, und sie übersieht Herrn Harald, der ihr den Mantel als Geschenk, ausgebreitet über beide Unterarme, zureicht. Dabei lugt ein Schal aus dem Ärmel hervor, wie ein Tierchen aus seinem Versteck. Herr Harald tröstet sich angesichts ihrer Unaufmerksamkeit mit der Vorstellung, dass sie beide an dasselbe denken, zum Beispiel - ja, warum nicht? - an das Erdbeben in der Sendung von gestern Abend. An die harten Kanten der Erdkrusten, die zusammenkrachen wie die Karren beim Autoscooter.

Gegenüber seiner Garderobe hängt das Porträt eines im vorigen Jahrhundert berühmt gewesenen Kammersängers. Er ist als Donnergott verkleidet, ein lächerlicher Metallkegel auf dem Haupt entstellt ihn noch mehr als das schurzähnliche Gewand, das ihm bis zum Knie reicht, wo es auf zu Stiefeln geschnürte Lappen stößt. Eine traurige Gestalt. Herr Harald schenkt dem Sänger jedesmal einen Blick, das gehört sich. Und malt sich aus, das Bild umzudrehen und die vernagelte Leinwand der Rückseite zur Schau zu stellen. Wie gesagt: ausmalen, nicht ausführen.

In der Garderobe herrscht striktes Essverbot. Es ist nicht mehr zu ermitteln, ob Herr Harald es sich selbst auferlegt hat oder ob es eine entsprechende Vorschrift seitens der Betreiber gibt. Aber wer sind sie, diese Betreiber? Was sind sie, außer unsichtbar? Ist es der Staat, die Stadt, ein Verein? Ein Mäzen? Eigentlich ist es gar kein Geheimnis, so schade. Es ist der Staat, der über dieses prächtige Haus mit Balkonen, Rängen und Logen bestimmt. Und der den gewaltigen Kronleuchter wartet, von dessen Absturz Herr Harald häufig träumt. Dann kracht er ins Parterre, und die abertausend Kristallscherben funkeln mit den Geschmeiden der Zerschmetterten um die Wette. Und doch bleibt der Betrieb dieses gewaltigen Opernleibs mysteriös, sein Atmen, sein Herzschlag, seine springlebendigen Nerven. Herr Harald ist im Besitz eines Vertrags. Punktum. Das hat einmal angefangen, als etwas anderes zu Ende gegangen war, nach Vorfällen, und jetzt gilt er. Er, Herr Harald, nimmt die Arbeit, die ihm jemand gibt, so einfach. Er isst nicht, nein, aber er gestattet sich Bonbons mit Eukalyptusgeschmack. Und weiß, dass Eukalyptuswälder lichterloh brennen, wenn man sie lässt. Und die Koalas zu fliegen beginnen. Vor Angst.

In einer geräumigen Schublade unter der Theke verwahrt Herr Harald den Grundkurs Italienisch I. Bella Italia. Das Buch hat ein Operngast vergessen abzuholen. Obwohl am Jutebeutel, in dem es steckte, eine Nummer angebracht war, hatte auch Herr Harald nicht rechtzeitig unter der Theke kontrolliert, ob alles ausgehändigt worden war. Und Bella Italia schließlich behalten wie etwas, das ihm zugedacht war. Im Buch lag noch der Kassenzettel, billig, das schöne Italien, denkt Herr Harald, er hätte sich eine neue Sprache teurer vorgestellt. (Aber recht bedacht, ist es eigentlich ja eine gebrauchte). Es freut ihn, dass er nun anstelle von jemand anderem Italienisch lernt. Er liest darin herum, wie auch mitunter in den liegengebliebenen Programmheften mit abgedruckten Libretti. Sein bescheidener aufgeschnappter Wortschatz aus Opernarien rund um Liebesdinge - bramare zum Beispiel, schmachten, oder stelle spietate, grausame Sterne, oder cara speme, liebe Hoffnung, oder lusingare, schmeicheln oder dolor, Schmerz, traditor, Verräter - wird nun eingebettet in ein Italienisch, mit dem er auch in einer Bar etwas bestellen oder sich über schlechte Matratzen und Straßenlärm beschweren könnte. Wenn er denn reiste. Aber darum geht es nicht, es geht um den Klang, um das Runde und Weiche, an dem man sich, anders als in der eigenen Sprache, keine blauen Flecken holt beim Sprechen. Die Zunge ist, hat sie italienische Fahrgäste, viel flinker unterwegs. Manchmal ergibt sich die Gelegenheit, einem italienischen Operngast den Mantel und die...
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Autor

Dagmar Leupold, geboren 1955 in Niederlahnstein, Rheinland-Pfalz, studierte Germanistik, Philosophie und Klassische Philologie in Marburg, Tübingen und New York, lebt als Autorin und Übersetzerin in München. Ihr Werk umfasst Romane, Erzählungen, Gedichte und Essays. Für die Romane »Unter der Hand« (2013) und »Die Witwen« (2016) war sie für den Deutschen Buchpreis nominiert.