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Blinder Spiegel

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
120 Seiten
Deutsch
Septime Verlagerschienen am23.02.2022
Paris. Sie und er. Elle und Lui. Sie begegnen sich in einem Café. Lui ist Fluglotse. Er wechselt die Städte und Flughäfen immer dann, wenn ihm das Leben zu eng wird. Sie ist die Frau eines Unternehmers, der in die Politik drängt und sie zu oft über lange Zeit allein zurücklässt. In einer obsessiven Affäre flüchten sie in Tagträume und halten sich gegenseitig in ihrer abgründigen Verlorenheit. Um etwas zu fühlen, suchen sie den Schmerz. Lui, indem er nach Nähe strebt, um dann vor ihr zu flüchten, und Elle in ihrer masochistischen Neigung, die ihr Mann an ihr ausnutzt. Beide ahnen, dass es für sie kein glückliches Ende geben wird, bis ihnen die Realität eine Entscheidung abverlangt. Salih Jamal zeichnet mit zärtlicher, poetischer und schonungslos ehrlicher Sprache eine tragische Liebe in fünf Akten. Existenziell, grausam und schön. Eine Geschichte, die sich anfühlt wie ein französischer Film. Triggerwarnung: Dieses Buch enthält eine Beschreibung psychischer Gewalt, ausgehend von einer narzisstischen Mutter.

Salih Jamal hat seine Wurzeln in Palästina. Er lebt und arbeitet in Düsseldorf. 2021 erschien sein Roman Das perfekte Grau. Der vielbeachtete Roman kam auf die Hotlist 2021 und zählte zu den 10 besten Büchern Deutschlands aus unabhängigen Verlagen. Schon sein Debüt Briefe an die grüne Fee - Über die Langeweile, das Begehren, die Liebe und den Teufel wurde 2018 auf der Frankfurter Buchmesse mit dem »SKOUTZ Award« für das beste Buch in der Kategorie »Zeitgenössische Literatur« gewürdigt. Blinder Spiegel (2022) ist sein zweiter Roman, der bei Septime erscheint.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR16,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR9,99

Produkt

KlappentextParis. Sie und er. Elle und Lui. Sie begegnen sich in einem Café. Lui ist Fluglotse. Er wechselt die Städte und Flughäfen immer dann, wenn ihm das Leben zu eng wird. Sie ist die Frau eines Unternehmers, der in die Politik drängt und sie zu oft über lange Zeit allein zurücklässt. In einer obsessiven Affäre flüchten sie in Tagträume und halten sich gegenseitig in ihrer abgründigen Verlorenheit. Um etwas zu fühlen, suchen sie den Schmerz. Lui, indem er nach Nähe strebt, um dann vor ihr zu flüchten, und Elle in ihrer masochistischen Neigung, die ihr Mann an ihr ausnutzt. Beide ahnen, dass es für sie kein glückliches Ende geben wird, bis ihnen die Realität eine Entscheidung abverlangt. Salih Jamal zeichnet mit zärtlicher, poetischer und schonungslos ehrlicher Sprache eine tragische Liebe in fünf Akten. Existenziell, grausam und schön. Eine Geschichte, die sich anfühlt wie ein französischer Film. Triggerwarnung: Dieses Buch enthält eine Beschreibung psychischer Gewalt, ausgehend von einer narzisstischen Mutter.

Salih Jamal hat seine Wurzeln in Palästina. Er lebt und arbeitet in Düsseldorf. 2021 erschien sein Roman Das perfekte Grau. Der vielbeachtete Roman kam auf die Hotlist 2021 und zählte zu den 10 besten Büchern Deutschlands aus unabhängigen Verlagen. Schon sein Debüt Briefe an die grüne Fee - Über die Langeweile, das Begehren, die Liebe und den Teufel wurde 2018 auf der Frankfurter Buchmesse mit dem »SKOUTZ Award« für das beste Buch in der Kategorie »Zeitgenössische Literatur« gewürdigt. Blinder Spiegel (2022) ist sein zweiter Roman, der bei Septime erscheint.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783903061927
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2022
Erscheinungsdatum23.02.2022
Seiten120 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse2418 Kbytes
Artikel-Nr.8953706
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe


1

 

Grüne Augen sind die seltensten der Welt, und man sagt, dass sie auch die schönsten sind. In ihren schimmerte hinter dem Grün ein leuchtendes Rotgold, und um das Schwarz der Pupillen stand ein brennender Kreis, der wenn sie mich lange und tief anblickte, flimmernd zitterte. Dann war es mir so, als stünde ich allein am Rande der Welt.

 

Mein Name ist Lui, und das ist die Geschichte von Elle und mir. Ich sitze vor weißem Papier. Nichts will ich verschweigen. Nichts soll in den Nebelschleiern der Zeit verschwinden.

Ich sah sie das erste Mal an einem der letzten Tage im April bei der Metro Rambuteau an der Rue Beaubourg, und ohne zu wissen, wer sie war, schien es mir für einen Augenblick, als würde ich sie erkennen. Sie ging in eine Bar, in der sich die Menschen kurz vor der Arbeit einen Kaffee und ein schnelles Croissant holen, bevor sie in ihren Tagen verschwinden. Eine Frau in einem gelben, knielangen Mantel, hochgesteckten Haaren und roten Stiefeln. Keine Handtasche. Sie kam mir entgegen, schritt über das Trottoir in Richtung des kleinen Cafés, und mein Blick band sich an sie, an ihren Gang. Bis ich sie hinter der weinroten Tür mit den Scheiben aus milchigem Glas wieder verlor, und ich fühlte einen ersten heiligen Schmerz, der Preis jedes Glücks?

Ich erinnere mich, wie ich aus dem Fenster auf das kleine Lokal, das gegenüber meiner Wohnung liegt, blicke. Ich schaue aus dem vierten Stock hinunter, als suchte ich sie. Es ist noch sehr früh. Ich hatte wie immer keinen langen Schlaf gefunden. Nur kurz fielen mir die Augen zu, und nach traumloser Zeit wachte ich wieder auf. Ich mag die Lautlosigkeit der Zwitterstunden am Ende der Nacht. Mit dumpfem Geschmack im Mund beobachte ich das Draußen. Das sich hebende Licht des neuen Morgens, der wie eine schlafende Schöne noch gleichmäßig atmet. Nicht mehr lange, und die Stadt würde vom Lärm und der Rastlosigkeit der Straße ruppig und rüde geweckt werden.

Meine Wohnung in dem Haus gegenüber der Bar mit der roten Tür ist eigentlich eine Kammer. Ich habe sie von einem jungen Kollegen übernommen, als dieser zu einer neuen Stelle in eine andere Stadt wechselte. Es gibt nur dieses eine Zimmer. Eine hölzerne Treppe nach oben. Der Raum mit schäbigen Tapeten. Ein Tisch zum Schreiben und eine alte Hollywoodschaukel aus einem rostigen Gestell. Ich wollte irgendwann etwas Richtiges finden. Was Besseres. Eine Wohnung mit einem separaten Schlafzimmer. Gerne mit Balkon oder sogar einer Terrasse. Vielleicht zur Nordseite ausgerichtet, damit die Sonne am Mittag nicht so brennt. Am liebsten schön »lauschig« oder »verwunschen«, so wie es unterhalb der Hochglanzbilder in den Wohn- und Gartenzeitschriften beschrieben wird. Illustriertes Papier für die, die nichts Besseres wissen, als mit ihren Mini Coopern oder in ihren Vuittontaschen Kleinigkeiten oder auf antik gemachten Sperrmüll zu überteuerten Preisen in ihre Altbauwohnungen zu bringen, um dann dort das ganze Zeug neben ihren glänzenden Espressomaschinen wie erlesenes Hochwertiges aussehen zu lassen. Drüben im Marais oder in Belleville wimmelt es nur so von diesen unbezahlbaren Wohnträumen mit hohen Decken und Stuck aus überspachtelten Styroporattrappen. Bald wird in den Häusern mit den hohen Fenstern, den schönen Fassaden und den sauber abgezogenen Holzdielenböden auch die letzte Kammer aufs Feinste renoviert sein. In Straßen mit Baumbestand und alten Gaslaternen, die von einem Anwohnerverein gegen die Stadt verteidigt werden. Überall gibt es Kindergärten mit sonderlichen und niedlichen Namen, und in jeder Straße finden sich kleine Cafés mit fair gehandeltem Zeug sowie Geschäfte mit ebensolchen »verwunschenen« oder auch »lauschigen« Accessoires-Kram. Kürmel zu Höchstpreisen. Was heißt schon lauschig oder verwunschen? Ich misstraue allen Adjektiven. Grundsätzlich. Dennoch war ich froh darüber, nicht wie so oft in einem billigen Plastikhotel außerhalb an einer Schnellstraße leben zu müssen.

Meine Gedanken schweben weiter und ich sehe mich, wie ich mit einem ersten Kaffee in der Hand das Fenster öffne, um ein wenig von dem Wind abzubekommen, der über die aufziehende Morgenröte des sanft glasierten Himmels weht. Ich sehe die fasrigen und federartigen Sommerwolken und fühle die Brisen in den Schluchten der Häuser, die um die Ecken bis durch mein Zimmer wirbeln. Ich höre das Gezwitscher der Vögel, die keine Schwere kennen, frei und ohne Mühe in der Luft gleiten und alles, was unter ihnen ist, überwinden. Jetzt ist es noch kühl, doch bald wird es wieder so heiß werden, dass dünne und verbrauchte Luft die Menschen nach unten drückt. Nach der Hitze kommen die Gewitter, und draußen ist nur noch eine dunkle, graue und neblige Masse. Ohne oben und ohne unten. Ohne nah und ohne fern.

Die Gehsteige sind noch leer, und über die Treppe der U-Bahnstation tröpfeln nur zaghaft die Menschen auf die Fußwege. Die Wagen der Stadtreinigung spritzen die Straßen, verschwommenes Öl spiegelt sich in den Fenstern der Häuser. Müllmänner wuchten die vollen Tonnen gleichgültig an die eisernen Presslufthaken des riesigen Schlunds hinten an dem grünen Laster, der ächzend pfeift, wenn die gestaute Luft der Hydraulik wieder freigegeben wird, während das stinkende, schwarze Maul den Unrat fortwährend kaut und schluckt. Die Müllmänner da draußen stellen sich dem Kampf. Jederzeit bereit, dem Leben zu trotzen. Wenn es dich packt und an die Wand wirft, dir deinen Mund zudrückt, bis du nicht mehr atmen kannst, und dir dann mit Gewalt unter den Rock fasst und sich nimmt, was es verlangt.

 

Zurück in der Realität gibt es keinen Kaffee und um mich herum ist überall das gleiche nackte Grau. An den Wänden, den Decken, der Mauer und sogar in den Gesichtern. Sie haben mir zwei Stifte und etwas weißes Papier gebracht. Ich denke an sie. Ich schreibe unsere Geschichte auf. Weil ich nichts anderes machen kann. Ich schreibe gegen die Stille und die Verzweiflung an.

Wir tranken Wein am Nachmittag, kochten Spaghetti mit roter Soße, bis wir gleichzeitig hungrig und satt waren. Alles, was hinter uns lag, war in einem unbemerkten Moment zurück auf Null gestellt. Es gab keine Zeit mehr davor. Wir nahmen dem Immer die Last und besaßen fortan das Jetzt. Das war alles, was wir hatten, und das Alles, das waren wir. Nur wenige Wochen im Sommer. Wir naschten an uns und von der Welt.

Hier an meinem Tisch, vor den leeren Seiten, fange ich an zu verstehen, dass es nicht das war, was uns für eine Zeitlang aneinander band. Es war die Traurigkeit. Jetzt, nachdem es vorbei ist, weiß ich aber auch, dass sie es gewesen ist, die uns voneinander getrennt hat. Weil wir unser Vorleben aus früheren Zeiten nicht in unser kurzes Hier und Jetzt hineinlassen konnten. Es gelang uns nicht. Alle Gegenwart ohne die Gewichte der Vergangenheit ist so leicht und betörend wie ein Gas. Und doch ist sie ohne das Gestern zerbrechlich wie Glas.

Heute hat die Zeit wieder ein Damals, und das Danach und das Immer sind nicht mehr jetzt, und das Jetzt, das ist nicht mehr alles. Ich sehe sie in meinen Träumen. Und wer weiß schon, wohin man geht, wenn man gegangen ist.

Ich habe wieder Angst vor der Schwere der Zeit, meiner beklemmenden existenziellen Verlassenheit, die hier, wo ich jetzt bin, ins Unermessliche ausufert. Ich muss mich beeilen, alles schnell aufschreiben, bevor sie zu einer blassen Erinnerung wird, die immer weiter zuziehen will, so wie das Unendliche des Himmels an neblig grauen Tagen. Ohne Horizont, der Linie, die Äther und Erde trennt.

 

Damals, an unserem ersten Tag, folgte ich ihr in diese Bar. Ich bin nicht der, der auf Frauen zugeht. Aber etwas rief mich, und ich nahm nicht wie sonst die Treppen der Metro. Vor den Stufen stand eine Pfadfindergruppe. Sechs oder acht Kinder mit farbigen Halstüchern, im Alter von vielleicht zwölf. Ich würde zu spät zur Arbeit kommen. Wenn ich Frühschicht hatte, nahm ich immer den Zug um zwanzig vor sieben, um pünktlich im Turm, draußen am Flughafen, zu sein. Ich bin Fluglotse und verbringe meine Stunden vor schwarzen Bildschirmen mit grünen Punkten. Jeder von ihnen einer mit hundertsechzig Träumen. Manche mit schwerem, andere mit leichtem Gepäck. Den Kaffee trinke ich zu Hause, ich esse nichts, weil ich es mag, hungrig in den Tag zu starten. Es schärft die Sinne. Denn die brauche ich, wenn ich rausgehe. Seit drei Jahren lebe ich in dieser Stadt und ich verlaufe mich noch heute, nehme die falsche Bahn und verliere mich zwischen Häuserschluchten und in Metroschächten. Ich bin ein lausiger Fluglotse, der es nicht schafft, sich im Verkehr zurechtzufinden. Meine Tour zur Arbeit kannte ich jedoch. Jetzt fahre ich nicht mehr dahin. Doch damals, als ich sie sah, würde es eine spätere Bahn sein müssen, weil mich ein Impuls in ihre Richtung lenkte und ich auch die Milchglastüre des Cafés nahm.

Also verpasste ich an jenem Tag meine Linie um zwanzig vor sieben und öffnete die rote Tür des Lokals, in das sie zuvor gegangen war. Es war voll. Der Wirrwarr aus Stimmen mischte sich mit dem Dampf und dem fortwährenden Fauchen und Zischen der mächtigen, chromblitzenden Espressomaschinen zu einer dumpfen Decke aus Klang und Geruch. Geschirr klimperte über die Theke hinweg und die Bedienungen schlugen das nasse, gepresste Kaffeepulver aus den Siebträgern über die Kanten der Mülleimer. Alles befand sich in absurdem Gegensatz zu den Menschen an der Bar, die eine eigene morgendliche Ruhe ausstrahlten, dort tranken und in den frischen Zeitungen lasen oder auf ein kurzes Wort miteinander über ihr Gestern, das Heute oder ein Morgen redeten. Die Pariser Bars in der Frühe sind eine der wenigen Orte, wo die Grenzen nicht zwischen oben und unten verlaufen, sondern nur und ausschließlich vor und hinter dem Tresen....
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Autor

Salih Jamal hat seine Wurzeln in Palästina. Er lebt und arbeitet in Düsseldorf. 2021 erschien sein Roman Das perfekte Grau. Der vielbeachtete Roman kam auf die Hotlist 2021 und zählte zu den 10 besten Büchern Deutschlands aus unabhängigen Verlagen. Schon sein Debüt Briefe an die grüne Fee - Über die Langeweile, das Begehren, die Liebe und den Teufel wurde 2018 auf der Frankfurter Buchmesse mit dem »SKOUTZ Award« für das beste Buch in der Kategorie »Zeitgenössische Literatur« gewürdigt. Blinder Spiegel (2022) ist sein zweiter Roman, der bei Septime erscheint.