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All die Farben, die ich dir versprach

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
400 Seiten
Deutsch
Dressler Verlagerschienen am07.10.2022
Die junge Salama lebt inmitten der syrischen Revolution in Homs. Sie hilft im Krankenhaus aus, muss dort aber oft hilflos zusehen, wie Menschen sterben. Während ihr Land zerbricht, sucht sie fieberhaft nach Möglichkeiten, Syrien zu verlassen. Auch um ihre schwangere Schwägerin Layla, die einzige Überlebende ihrer Familie, in Sicherheit zu bringen. Im Krankenhaus lernt Salama den jungen furchtlosen Kenan kennen. Die beiden verlieben sich, doch Kenan will bleiben und mit Internetvideos auf das Leid in seinem Land aufmerksam machen. Salama muss sich entscheiden: zwischen Sicherheit und ihrer großen Liebe.

Zoulfa Katouh ist syrisch-stämmige Kanadierin und studiert Pharmazie in der Schweiz. Ozeane, Sterne und Sonnenuntergänge sind einige ihrer Lieblingsinspirationen. Sie ist BTS- und Studio Ghibli-Fan.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR22,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR15,99

Produkt

KlappentextDie junge Salama lebt inmitten der syrischen Revolution in Homs. Sie hilft im Krankenhaus aus, muss dort aber oft hilflos zusehen, wie Menschen sterben. Während ihr Land zerbricht, sucht sie fieberhaft nach Möglichkeiten, Syrien zu verlassen. Auch um ihre schwangere Schwägerin Layla, die einzige Überlebende ihrer Familie, in Sicherheit zu bringen. Im Krankenhaus lernt Salama den jungen furchtlosen Kenan kennen. Die beiden verlieben sich, doch Kenan will bleiben und mit Internetvideos auf das Leid in seinem Land aufmerksam machen. Salama muss sich entscheiden: zwischen Sicherheit und ihrer großen Liebe.

Zoulfa Katouh ist syrisch-stämmige Kanadierin und studiert Pharmazie in der Schweiz. Ozeane, Sterne und Sonnenuntergänge sind einige ihrer Lieblingsinspirationen. Sie ist BTS- und Studio Ghibli-Fan.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783986420079
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2022
Erscheinungsdatum07.10.2022
Seiten400 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1203 Kbytes
Artikel-Nr.8996410
Rubriken
Genre9200
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Inhalt/Kritik

Leseprobe

1

Drei verschrumpelte Zitronen und eine Tüte Fladenbrot, eher trocken als schimmlig, liegen nebeneinander. Mehr hat der Supermarkt nicht im Angebot.

Meine müden Augen starren einen Moment vor sich hin, ehe ich beides vom Regal nehme. Mit jeder Bewegung schmerzen meine Glieder. Noch einmal gehe ich an den verstaubten, leeren Regalen entlang, in der Hoffnung, etwas übersehen zu haben. Doch alles, was ich spüre, ist ein starkes Gefühl von Nostalgie. Die Erinnerung an damals, als mein Bruder und ich nach der Schule zu diesem Supermarkt geeilt sind und bergeweise Chips und Gummibärchen gekauft haben. Dann denke ich an Mama, wie sie ihren Kopf geschüttelt hat und ihr Lächeln unterdrücken musste beim Anblick der geröteten Gesichter und strahlenden Augen ihrer Kinder, die versuchten, ihre Beute in ihren Rucksäcken zu verstecken. Sie streichelte uns übers Haar und ...

Ich schüttle meinen Kopf.

Genug.

Nachdem ich mich versichert habe, dass die Regale nun tatsächlich völlig leer sind, schlurfe ich zur Kasse und bezahle die Zitronen und das Brot mit ein paar Dinaren aus Babas Ersparnissen, die er vor jenem schicksalshaften Tag noch abheben konnte. Der Besitzer des Ladens, ein Mann um die sechzig, lächelt mich mitfühlend an und gibt mir mein Wechselgeld.

Vor dem Supermarkt erwartet mich ein Bild der Verwüstung. Es erschreckt mich nicht mehr. Längst habe ich mich an dieses Grauen gewöhnt, aber es verstärkt dennoch die Angst in meiner Seele.

Zerstörte Straßen, zu Schotter zerbombter Asphalt. Graue Gebäude, ausgehöhlt und verfallen, als versuche die Natur zu beenden, was die Bomben des Militärs begonnen haben. Chaos und absolute Zerstörung.

Die Sonne hat allmählich die letzten Reste des Winters weggeschmolzen, trotzdem ist es noch kalt. Der Frühling als Symbol für allen Neuanfang hat es nicht ins erschöpfte Syrien geschafft. Am wenigsten in meine Heimatstadt, Homs. Zwischen Tod und Trümmern ist das Elend allgegenwärtig. Nur die Hoffnung in den Herzen der Menschen bietet noch Widerstand.

Am Himmel senkt sich die Sonne langsam und sagt Gute Nacht, wobei die Himmelsfarben von Orange in ein tiefes Blau gleiten.

Gänseblümchen, Gänseblümchen, süße, süße Gänseblümchen, murmle ich vor mich hin.

Vor dem Supermarkt stehen ein paar Männer beieinander, ihre Gesichter sind eingefallen und ausgemergelt, doch ihre Augen glänzen. Als ich an ihnen vorbeigehe, schnappe ich ein paar Fetzen ihres Gespräches auf, bleibe jedoch nicht stehen. Ich weiß genau, worüber sie reden. Worüber alle reden seit über neun Monaten.

Schnell gehe ich weiter, will nicht zuhören. Ich weiß, dass der Militärangriff auf uns ein Todesurteil bedeutet. Dass unsere Nahrungsvorräte versiegen und wir verhungern werden. Ich weiß, dass uns die Medikamente im Krankenhaus jeden Moment ausgehen werden. Ich weiß das, weil ich heute Operationen ohne Betäubung durchgeführt habe. Menschen sterben an ihren Verletzungen und Infektionen, und ich habe keine Möglichkeit, ihnen zu helfen. Und ich weiß auch, dass uns ein Schicksal weit schlimmer als der Tod erwartet, wenn es der Freien Syrischen Armee nicht gelingen sollte, die Angriffe des staatlichen Militärs auf Homs zu stoppen.

Während ich meinen Heimweg fortsetze, kommt ein kalter Wind auf, und ich ziehe meinen Hijab enger um meinen Kopf. Ich kann die Tropfen getrockneten Bluts auf den Ärmeln meines Arztkittels sehen. Jedes Leben, dass ich während meiner Schichten nicht zu retten vermag, fügt meinem eigenen Blut einen weiteren Tropfen hinzu. Egal wie oft ich versuche, mir die Hände zu waschen - das Blut unserer Kämpfer dringt durch meine Kleidung in meine Haut, in meine Zellen, in meine eigene DNA.

Heute hallt außerdem noch der schrille Lärm der Knochensäge von der Amputation in mir nach, bei der Dr. Ziad mich assistieren ließ.

Siebzehn Jahre lang hat Homs mich großgezogen und meine Träume genährt: Ich wollte die Universität mit Auszeichnung abschließen und eine gute Stelle als Pharmazeutin im Zaytouna Krankenhaus antreten, ehe ich dann endlich reisen und die Welt sehen könnte.

Doch nur einer dieser Träume hat sich erfüllt und auch nicht in der Art, wie ich es mir gewünscht habe.

Vor einem Jahr hat sich die Revolution in unsere Nachbarländer ausgebreitet und auch wir in Syrien streckten die Hände nach der Hoffnung aus und forderten Freiheit. Der Staat antwortete, indem er die Hölle über uns hereineinbrechen ließ. Das Militär griff gezielt Krankenhäuser an, und Ärztinnen und Ärzte waren inzwischen so rar wie lautes Gelächter. Trotzdem fielen die Bomben weiter, und im Zaytouna Krankenhaus wurde jede helfende Hand benötigt. Selbst Verwaltungsmitarbeiterinnen wurden zu Krankenschwestern befördert. Als Pharmaziestudentin im ersten Jahr war ich quasi gleichgestellt mit einer erfahrenen Ärztin, und nachdem der frühere Pharmazeut unter den Trümmern seines Hauses begraben wurde, hatte niemand mehr eine Wahl, und ich musste seine Nachfolge antreten.

Es spielte keine Rolle, dass ich erst achtzehn Jahre alt war. Dass mein medizinisches Wissen beschränkt war auf das, was ich aus meinen Lehrbüchern kannte. Als der erste Schwerverletzte vor mir lag, den ich zu versorgen hatte, war alles andere egal. Der Tod ist der beste Lehrmeister.

In den letzten sechs Monaten habe ich bei mehr Operationen assistiert, als ich zählen kann, und habe mehr Menschen sterben sehen, als ich es mir je hätte vorstellen können.

Das kann einfach nicht mein Leben sein.

Der Anblick meines Heimwegs erinnert mich an die Schwarz-Weiß-Bilder in meinen alten Schulbüchern, die Deutschland oder London nach dem Zweiten Weltkrieg zeigen. Zerbombte Häuser, deren Innenleben aus Holz und Beton nach außen quillt wie Organe. Dazu der Geruch von verbrannten Bäumen.

Der kalte Wind zieht durch den dünnen Stoff meines abgetragenen Arztkittels und lässt mich zittern. Ich murmle: Mutterkraut. Sieht aus wie Gänseblümchen. Für die Behandlung von Fieber und Arthritis. Mutterkraut. Mutterkraut. Mutterkraut.

Endlich sehe ich mein Haus und atme erleichtert auf. Es ist nicht das Haus, in dem ich früher mit meiner Familie gelebt habe, sondern das Zuhause, das Layla mir gegeben hat, als Bomben das unsere zerstört hatten. Ohne sie würde ich auf der Straße leben.

Laylas Haus - unser Haus - ist ein kleines, einstöckiges Gebäude in einer Reihe identischer Häuser. Überall sind Einschusslöcher in den Wänden, die aussehen wie ein Kunstwerk des Todes. Die Häuser stehen still, traurig und allein da. Unser Viertel ist eines der wenigen, das noch halbwegs verschont geblieben ist von den Bomben. In anderen Teilen der Stadt schlafen die Menschen unter Geröll oder auf der Straße.

Das Schloss ist rostig und knarzt, als ich den Schlüssel umdrehe. »Ich bin wieder da!«, rufe ich.

»Hier hinten!«, antwortet Layla.

Layla und ich haben gemeinsam das Licht der Welt erblickt, da unsere Mütter sich ein Krankenzimmer teilten. Sie ist meine beste Freundin, mein Fels in der Brandung, und weil sie sich in meinen Bruder Hamza verliebte, ist sie nun auch meine Schwägerin.

Und heute, nach allem, was passiert ist, habe ich auch die Verantwortung für sie, denn sie ist die einzige Familie, die ich noch habe.

Als Layla dieses Haus zum ersten Mal sah, war es Liebe auf den ersten Blick, und Hamza hat es sofort für sie gekauft. Mit seinen zwei großen Zimmern war es perfekt für ein frisch verheiratetes Paar. Sie malte grüne Weinreben an eine Wand, lila Lavendelblüten an eine andere und legte die Wohnung mit dicken Teppichen aus, die wir gemeinsam im Bazar gekauft hatten. Die weißen Küchenwände hoben sich von den Regalen aus Walnussholz ab, auf die sie ihre selbst designten Kaffeetassen platzierte. In jeder Ecke des Wohnzimmers lagen damals Laylas Mal- und Bastelsachen. Papier mit ihren farbigen Fingerabdrücken, Pinsel und Malkästen überall. Wenn ich zu Besuch kam, lag sie oft auf dem Boden neben ihrer Staffelei, starrte an die Decke und sang eines der alten arabischen Lieder, die sie so liebte. Das Haus war zu dieser Zeit der Inbegriff von Laylas Seele.

Heute hat es seinen Glanz verloren. Die Farben sind verblasst, und es ist nur noch die graue Hülle eines Heims.

Als ich die Küche betrete und Layla auf der blumenbedruckten Couch liegen sehe, verfliegt meine Erschöpfung augenblicklich. Ich lege die Tüte mit dem Brot ab. »Ich mache mal die Suppe warm, möchtest du etwas?«

»Nein, danke«, antwortet sie. Im Gegensatz zu meiner eigenen klingt ihre Stimme stark und voller Leben - wie eine warme Decke aus Erinnerungen, die sich um mich legt. »Wie lief es mit dem Boot?«

Verdammt, denke ich und gebe vor, ganz und gar damit beschäftigt zu sein, die verwässerte Linsensuppe in einen Topf zu gießen und die Gasflamme des Herdes anzuzünden. »Sicher, dass du nichts möchtest?«

Layla setzt sich auf, wobei sich ihr blaues Kleid über ihren im siebten Monat schwangeren Bauch spannt. »Erzähl mir, wie es lief, Salama!«

Ich wende meinen Blick nicht von der Suppe ab und lausche der zischenden Gasflamme. Seit ich eingezogen bin, liegt mir Layla in den Ohren, im Krankenhaus mit Am zu sprechen. Sie hat gehört, dass viele Syrer in Deutschland Asyl bekämen. Auch ich kenne diese Geschichten. Einige meiner Patientinnen und Patienten haben es dank Am geschafft, über das Mittelmeer zu fliehen. Ich habe keine Ahnung, wie er die Boote findet, aber mit Geld geht ja bekanntlich alles.

»Salama!«

Ich seufze und teste mit dem Finger die Temperatur der Suppe. Sie ist gerade mal lauwarm, aber mein Magen grummelt so sehr, dass ich den Topf vom Herd nehme und mich mit meiner Schüssel...
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Autor

Zoulfa Katouh ist syrisch-stämmige Kanadierin und studiert Pharmazie in der Schweiz. Ozeane, Sterne und Sonnenuntergänge sind einige ihrer Lieblingsinspirationen. Sie ist BTS- und Studio Ghibli-Fan.