Hugendubel.info - Die B2B Online-Buchhandlung 

Merkliste
Die Merkliste ist leer.
Bitte warten - die Druckansicht der Seite wird vorbereitet.
Der Druckdialog öffnet sich, sobald die Seite vollständig geladen wurde.
Sollte die Druckvorschau unvollständig sein, bitte schliessen und "Erneut drucken" wählen.

Kein Glück ohne Freiheit. Die Familie Schopenhauer

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
301 Seiten
Deutsch
Reclam Verlagerschienen am16.03.2022Originalausgabe
»Man könnte die Familiengeschichte der Schopenhauers als Seifenoper erzählen, als Tragödie griechischen oder zumindest melodramatischen Ausmaßes, als Emanzipationsdiskurs, Entwicklungsroman, Krisenbericht, Seelenschau oder Epochenstudie. Die Lebensläufe der Eltern Heinrich Floris und Johanna sowie der Kinder Adele und Arthur bergen all dies in ungewöhnlichem Maß.« Die Familienbiographie der Schopenhauers erzählt die Geschichte einer reisefreudigen und bildungshungrigen Kaufmannssippe, die der Sphäre des Ökonomischen den Rücken kehrt und die Geistesgeschichte des 19. Jahrhunderts entscheidend prägt. Dabei macht Anett Kollmann die Pläne, Zerwürfnisse und Sehnsüchte der Familienmitglieder greifbar, indem sie diese anhand ihrer Briefe, Werke und Tagebücher ausführlich selbst zu Wort kommen lässt. Die hier erstmals vollständig und pointiert erzählte Familiengeschichte gleicht einem Entwicklungsroman über zwei Generationen, der das Ringen um individuelle Freiheit als Voraussetzung für geistige Kreativität anregend schildert.

Anett Kollmann, promovierte Literatur- und Medienwissenschaftlerin, publiziert zu historischen, biographischen und literarischen Themen. Sie lebt als freie Autorin in Berlin und Dresden.
mehr
Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR25,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR21,99

Produkt

Klappentext»Man könnte die Familiengeschichte der Schopenhauers als Seifenoper erzählen, als Tragödie griechischen oder zumindest melodramatischen Ausmaßes, als Emanzipationsdiskurs, Entwicklungsroman, Krisenbericht, Seelenschau oder Epochenstudie. Die Lebensläufe der Eltern Heinrich Floris und Johanna sowie der Kinder Adele und Arthur bergen all dies in ungewöhnlichem Maß.« Die Familienbiographie der Schopenhauers erzählt die Geschichte einer reisefreudigen und bildungshungrigen Kaufmannssippe, die der Sphäre des Ökonomischen den Rücken kehrt und die Geistesgeschichte des 19. Jahrhunderts entscheidend prägt. Dabei macht Anett Kollmann die Pläne, Zerwürfnisse und Sehnsüchte der Familienmitglieder greifbar, indem sie diese anhand ihrer Briefe, Werke und Tagebücher ausführlich selbst zu Wort kommen lässt. Die hier erstmals vollständig und pointiert erzählte Familiengeschichte gleicht einem Entwicklungsroman über zwei Generationen, der das Ringen um individuelle Freiheit als Voraussetzung für geistige Kreativität anregend schildert.

Anett Kollmann, promovierte Literatur- und Medienwissenschaftlerin, publiziert zu historischen, biographischen und literarischen Themen. Sie lebt als freie Autorin in Berlin und Dresden.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783159620015
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2022
Erscheinungsdatum16.03.2022
AuflageOriginalausgabe
Seiten301 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse2951 Kbytes
Illustrationen14 s/w-Abbildungen
Artikel-Nr.9013352
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Inhaltsverzeichnis
»Alle glücklichen Familien sind einander ähnlich, jede unglückliche Familie ist unglücklich auf ihre Art.«1 Ohne AllfanzereienDer BräutigamDie Braut2 Eiche und EfeuVerheiratetUnterwegs ins Land der FreiheitVornehmes BadelebenParis, Wunder der WeltLondoner Zustände3 Kommen und Gehen»Ein Sohn geboren!«Empörte BürgerDie Preußen kommen, die Schopenhauers gehenHamburg»Merkwürdige Bekanntschaften«Ein zartes KindDas Ende eines Traumes4 Reisen als >Erkenntnis aus der Betrachtung der Dinge selbstmehr
Leseprobe

Der Bräutigam

Heinrich Floris stammte aus einer Familie mit kurzer, aber erfolgreicher Kaufmannstradition seit gerade einmal zwei Generationen. Die Schopenhauers waren seit Jahrhunderten in und um Danzig als Bauern ansässig. Heinrich Floris Großvater Johann war zur Handelslehre in die Stadt geschickt worden und mit einer Danziger Kaufmannstochter als Ehefrau zurückgekehrt. Durch die Pacht des verschuldeten Stutthofs, der größten städtischen Domäne, begründete er einen soliden Wohlstand. Anders als seine Vorgänger machte er Gewinne, weil er die Mühle, die Brauerei und die Schnapsbrennerei kommerziell betrieb, statt nur Erzeuger zu sein. Er starb mit Mitte fünfzig und hinterließ zwei Söhne, von denen der Jüngere, Heinrich Floris Vater Andreas, gerade fünf Jahre alt war. In der Obhut des Großvaters und eines Onkels mütterlicherseits wuchs er als Halbwaise unter Kaufmännern der Danziger Altstadt auf - und wurde selbst einer. Im Jahr seiner Mündigkeit 1741 starb auch sein älterer Bruder, was ihn zum Alleinerben des väterlichen Kapitals machte.



Abb. 1: Heinrich Floris Schopenhauer, um 1787



Der Nachlass war der Grundstein seines kaufmännischen Aufstiegs, der von Beginn an so glänzend verlief, dass Andreas Schopenhauer vier Jahre später eine der lukrativsten Töchter der Stadt als Braut für sich gewinnen konnte. Anna Renata Soermans war eine mehr als gute Partie. Ihr Vater Hendrik Soermans stand an der Spitze der angesehensten und reichsten Großkaufmänner Danzigs. Er war zwanzig Jahre zuvor fast mittellos aus den Niederlanden eingewandert. Mit Fleiß und hart gegen seine Konkurrenten hatte sich der Neuankömmling in kurzer Zeit ein kaufmännisches Imperium aufgebaut, in dem der ehrgeizige Schwiegersohn als Compagnon der Firma Soermans & Schopenhauer ein willkommener Gewinn war. Außer dem Handelshaus mit dem Schwiegervater, das er bald allein führte, gehörte Andreas Schopenhauer eine Aschbude und eine Kraftmehlfabrik, in denen er die wichtigsten polnischen Handelsgüter, Holz und Weizen, verarbeiten ließ, was einen noch größeren Gewinn beim Weiterverkauf einbrachte. Pott- und Weedasche brauchte man als Flussmittel für die Glasherstellung und beim Bleichen, Seifensieden und Färben. In der Kraftmehlfabrik wurde das beste Getreide zu feinem Stärkemehl verarbeitet. Der Bedarf stieg stetig bei Zuckerbäckern, Pastetenherstellern und Köchen, aber auch bei Perückenmachern und Friseuren, seit ihre bürgerliche Kundschaft kulinarisch und modisch dem Adel nacheiferte.3 Andreas Schopenhauer beteiligte sich am Bau von drei Schiffen und hielt Anteile an vier Seeschiffen.4 Während der Inflation der 1750er Jahre trat er als gewiefter Bankier auf. Das brachte ihm den Ruf eines Danziger Fuggers ein und einige höhere Geldstrafen wegen Übertretung der Münzedikte. Die Soermans und die Schopenhauers lavierten mit ihren Geschäften nicht selten an der Grenze des Zulässigen. Mehr als einmal hatten sie sich vor der örtlichen Handelsinstanz des Wettgerichts zu verantworten, weil sie die merkantilen Regeln zu ihrem Vorteil auslegten und mit ihren Transaktionen gegen die teils noch spätmittelalterlichen Handelsbräuche verstießen. Manchmal bekamen sie Recht, manchmal Bußgeldbescheide, die ihre Geschäftsbilanz jedoch nicht sonderlich belasteten.5 Nachdem Danzig in drei Jahrhunderten durch seine Kaufleute zu einer prächtigen Stadt gewachsen war, gehörte das Aushandeln von Regeln zur lokalen Mentalität wie das Aushandeln von Preisen.

Danzig war eine Stadt der Kaufleute, vielsprachig und tolerant. Nichts zählte so sehr wie das Vermögen und der wirtschaftliche Erfolg, nicht der Adel, nicht die Gelehrsamkeit oder der Anstand. Auch Konfessionen und Nationalitäten waren unter den Kaufleuten gleichgültig. Stadtfremde in den unterschiedlichsten Trachten belebten die Gassen und machten die Danziger wohlhabend. Fast der gesamte Import nach Polen sowie große Teile des Exports gingen über den baltischen Hafen mit der günstigen geographischen Lage durch den freien Zugang zur Ostsee und die Weichsel als Wasserstraße ins Landesinnere.6 Warenströme trafen aus allen Himmelsrichtungen ein und setzten ihren Weg erst fort, wenn sie nach dem Handelsprivileg gegen eine Stapelgebühr in den Speichern der örtlichen Kaufleute zwischengelagert und von ihnen zum Verkauf angeboten worden waren. Stadtfremde durften nach hanseatischer Sitte bis auf wenige Wochen im Jahr nicht untereinander handeln. Danzig zog drei Jahrhunderte lang seinen immensen Reichtum daraus und bot mit grandiosen barocken Neubauten den Anblick einer blühenden Handelsmetropole, die zu ihren besten Zeiten wichtigen Handelskreuzen wie Venedig, Marseille oder Hamburg nahekam. Das Handbuch für Kaufleute von 1786 gibt für Danzig »in ältern Zeiten« eine Einwohnerzahl von »100 000 und darüber« an.7 Als das Handbuch erschien, waren die fetten Jahre vorbei. Die Pestepidemie von 1708 hatte fast 25 000 Danzigern den Tod gebracht, Zuwanderer blieben aus.8 Der Nordische Krieg und der polnische Erbfolgekrieg kosteten Stadt und Einwohnern ihre Vermögen. Sie hatten Kontributionszahlungen zu leisten, Befestigungsarbeiten zu finanzieren und Schäden zu verbuchen, die ihnen durch Freibeuterei, Belagerungen, Einquartierungen und die Plünderung der Domänen entstanden. Erst in den 1740er Jahren ging es wirtschaftlich zaghaft bergauf, ohne dass Danzig die Handelskraft der Hansezeit wieder erlangte. Der Weltmarkt war in der Hand neuer Akteure. Statt der niederländischen Geschäftspartner beherrschten nun englische Kaufleute den Danziger Handel. Die Niederländer lieferten weiter die Kolonialwaren Tee, Kaffee, Tabak, Reis, Zitrusfrüchte, Zucker und Gewürze wie Safran, Kardamom und Pfeffer. Die britischen Importe umfassten vor allem eigene Fabrik- und Manufakturwaren wie Tuche, Keramik, verarbeitetes Metall sowie Salz, schottische Heringe und englisches Bier. Auf ihrer Rückreise luden die Schiffe Flachs, Hanf und Wolle für die Textilhersteller, Holz und Chemikalien, zum Beispiel die polnische Exportspezialität Antimonium zur Veredelung von Metallen, für Spiegel und Teleskope und die Platten im Buchdruck sowie zur Goldreinigung.9

Auch die Pott- oder Weedasche aus Andreas Schopenhauers Aschebude war ein typischer Exportartikel. Im Namen der Firma Soermans & Schopenhauer wurden Kupfer und Rauchwaren aus dem polnischen Hinterland sowie Wolle aus dem Ermland verschickt. In ihren Speichern lagerte Handelsgut, das als Kolonialware aus Westindien über Frankreich, England oder die Niederlande kam, um vor Ort oder weiter in den Osten nach Petersburg verkauft zu werden. Mit der Konjunktur der 1740er Jahre wurde in Danzig neben den Soermans nun auch der Name der Schopenhauers mit kaufmännischer Fortune und hohem Ansehen assoziiert. In Sachen Geschäftssinn und Unternehmergeist standen sie einander in nichts nach.

In diese Familie mit den vitalen Kaufmannsgenen wurde Heinrich Floris im Juni 1747 hineingeboren und erwies sich als tüchtiger Spross. Sein zweiter Vorname verband ihn mit den niederländischen Ahnen und, als gutes Omen, mit Florenz, dem Glanzstück von Bürgerlichkeit und Handel. Unter den fünfzehn Kindern, die seine Mutter zur Welt brachte, war er der Zweitälteste. Er scheint keine Zweifel an seiner kaufmännischen Bestimmung gehegt zu haben. Der Familientradition folgend absolvierte er eine Ausbildung in Danzig und im Ausland. Er reiste mehrere Jahre durch Holland, Frankreich und England, lernte die Landessprachen, übte sich in fremden Handelsgebaren und knüpfte Geschäftsbeziehungen. Insbesondere das Britische war so in Mode, dass er wie viele seiner Landsleute »nationalisiert Englisch, wieder in sein Vaterland zurückkehrte«.10 Heinrich Floris las nach seiner Rückkehr regelmäßig die Times - denn aus diesem Blatte könne man alles lernen - und liebte alles, was von der Insel kam, vom Stil bis zum politischen System.11

Mit der französischen Lebensart wurde er als Volontär bei einem Geschäftspartner seines Vaters in Bordeaux bekannt. Die »Colonie germanique« agierte gewinnträchtig als merkantiles Relais zwischen den Bordelaiser Händlern mit ihren Karibikimporten und dem baltischen Marché du Nord, den die Franzosen nicht belieferten.12 Johann Jakob Bethmann hatte 1741 mit einem Kompagnon das Handelshaus und die Reederei Bethmann & Imbert gegründet und nahm regelmäßig Kaufmannsnachwuchs in seinem Kontor auf. Er galt als strenger Lehrherr, der Pünktlichkeit, Gehorsam und konzentrierte Arbeit erwartete. Seine Angestellten standen um sechs Uhr auf, begannen ihren Arbeitstag gegen sieben und blieben oft bis acht Uhr abends im Kontor.13 Die Ordnung in den geschäftlichen Abläufen hat Heinrich Floris so imponiert, dass er seine Belehrungen später oft mit einem »So hat es Herr Bethmann gehalten« quittierte und sein Kontor genauso straff führte.14

Anfang 1773 verließ Heinrich Floris Bordeaux, um in seiner Heimatstadt mit seinem jüngeren Bruder...
mehr