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Morden und lügen

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
304 Seiten
Deutsch
Suhrkamp Verlag AGerschienen am26.09.2022Originalausgabe
Im Jahr 2000 wird die Studentin Angelika R. vor ihrem Studentenwohnheim in einer österreichischen Universitätsstadt ermordet - mit einem einzigen Stich ins Herz. Der Täter wurde nie gefunden. Sechzehn Jahre später taucht plötzlich ihre Mutter bei Jan Halder auf, einem Kommilitonen, in den Angelika verliebt war. Die Mutter bezichtigt ihn, mehr zu wissen, als er damals ausgesagt hat, und möglicherweise selbst der Mörder zu sein. Jan, inzwischen ein mittelmäßiger Autor in der Schaffenskrise, ist gerade in eine Kleinstadt gezogen, um sich neu zu sortieren. Die quälende Erinnerung an den Mord zwingt ihn, in die Universitätsstadt aufzubrechen und das Verbrechen noch einmal zu rekonstruieren. Ein Problem dabei ist, dass Jan ein notorischer Lügner ist, der auch sich selbst die Wahrheit zurechtgelegt hat. Als er die Bloggerin und Aktivistin Haddah trifft, die dort hinter den Mördern zweier südafrikanischer Studenten her ist, erkennen beide, dass sie einem Komplott auf der Spur sind. Jan muss sich, ob er will oder nicht, der Wahrheit stellen, denn inzwischen ist auch er ins Fadenkreuz der Täter von damals geraten.


André Pilz, geboren 1972, lebt in Vorarlberg. Jobbte in verschiedenen Berufen, seit 2007 freier Schriftsteller. Romane: No llores, mi querida - Weine nicht, mein Schatz. Ein Skinhead-Roman (2005) und Man Down (2010) wurden dramatisiert und in Berlin und München uraufgeführt. Weitere Romane: Bataillon d'Amour. Eine Geschichte von Liebe und Gewalt (2007), Die Lieder, das Töten. Roman (2012), Der anatolische Panther. Kriminalroman (2016, Krimibestenliste Februar 2017).
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR16,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR13,99

Produkt

KlappentextIm Jahr 2000 wird die Studentin Angelika R. vor ihrem Studentenwohnheim in einer österreichischen Universitätsstadt ermordet - mit einem einzigen Stich ins Herz. Der Täter wurde nie gefunden. Sechzehn Jahre später taucht plötzlich ihre Mutter bei Jan Halder auf, einem Kommilitonen, in den Angelika verliebt war. Die Mutter bezichtigt ihn, mehr zu wissen, als er damals ausgesagt hat, und möglicherweise selbst der Mörder zu sein. Jan, inzwischen ein mittelmäßiger Autor in der Schaffenskrise, ist gerade in eine Kleinstadt gezogen, um sich neu zu sortieren. Die quälende Erinnerung an den Mord zwingt ihn, in die Universitätsstadt aufzubrechen und das Verbrechen noch einmal zu rekonstruieren. Ein Problem dabei ist, dass Jan ein notorischer Lügner ist, der auch sich selbst die Wahrheit zurechtgelegt hat. Als er die Bloggerin und Aktivistin Haddah trifft, die dort hinter den Mördern zweier südafrikanischer Studenten her ist, erkennen beide, dass sie einem Komplott auf der Spur sind. Jan muss sich, ob er will oder nicht, der Wahrheit stellen, denn inzwischen ist auch er ins Fadenkreuz der Täter von damals geraten.


André Pilz, geboren 1972, lebt in Vorarlberg. Jobbte in verschiedenen Berufen, seit 2007 freier Schriftsteller. Romane: No llores, mi querida - Weine nicht, mein Schatz. Ein Skinhead-Roman (2005) und Man Down (2010) wurden dramatisiert und in Berlin und München uraufgeführt. Weitere Romane: Bataillon d'Amour. Eine Geschichte von Liebe und Gewalt (2007), Die Lieder, das Töten. Roman (2012), Der anatolische Panther. Kriminalroman (2016, Krimibestenliste Februar 2017).
Details
Weitere ISBN/GTIN9783518774397
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Erscheinungsjahr2022
Erscheinungsdatum26.09.2022
AuflageOriginalausgabe
Reihen-Nr.5285
Seiten304 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.9096119
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe




1
GELI


»Schöne alte Mauern hat das Haus, nicht?«, sagte sie. »Man fühlt sich irgendwie geborgen darin.«

Ich stellte den Umzugskarton auf den Boden und sah mich um. Delma hatte es geschafft, ein wenig Ordnung in das Chaos zu bringen, und das in der einen Stunde, in der ich weg gewesen war, um uns in der Gemeinde unseres neuen Wohnorts anzumelden.

Sie stand gebeugt am Fenster, stützte sich mit den Ellbogen auf dem Sims ab und sah hinaus. »Ich habe den Schwimmer im Spülkasten repariert«, sagte sie. »Weißt du, warum da ein Leck war?«

»Weil die Wohnung uralt ist?«

»Da ist eine tote Maus drinnen gelegen.«

»What the fuck«, sagte ich. »Ich hätte das machen sollen. Tut mir leid.«

»Mir tut die kleine Maus leid. Sie hat so arm ausgesehen.«

Ihre Haare waren länger denn je, es fehlte nicht mehr viel, dann würden sie ihr bis zum Hintern reichen. Wir waren nun dreieinhalb Jahre verheiratet, aber nie hätte ich mir träumen lassen, dass wir jemals in eine solche Bruchbude in einer trostlosen Einöde ziehen würden, weitab jeden Stadtlebens.

»Wenn ich mir die Bude ansehe, tu ich mir selber leid«, sagte ich leise, biss mir auf die Unterlippe und stapfte aus dem Zimmer. Über eine hohe Schwelle und durch einen winzigen, dunklen Flur ging es links in das kleine Badezimmer mit Waschbecken, Toilette und Dusche, das gleichzeitig auch Küche war, mit Mikrowelle, Kühlschrank und einer verschmutzten Herdplatte auf einem Minitisch.

Das also war nun unser Zuhause. Eine winzige Dachbodenwohnung in einem Haus aus dem sechzehnten Jahrhundert, das, wie schon bei der ersten Besichtigung nicht zu übersehen gewesen war, dringender Reparaturarbeiten bedurfte.

»Wir haben alles, was wir brauchen«, sagte sie, als sie ihren roten Lieblingsmantel an den Kleiderhaken neben der Eingangstür hängte. »Du kannst wochenlang noch so ein langes Gesicht ziehen, es wird nichts ändern.«

Ich öffnete den Kühlschrank, bückte mich und sah hinein, er war gut gefüllt, ich musste heute nicht mehr zum Supermarkt im Nachbarort. Delma quittierte meinen zufriedenen Blick mit einem Lächeln. »Das richtige Bier?«

»Lieblingsbier.«

»Siehst du«, meinte sie. »Und da draußen liegt ein Paradies für dich, wenn du Laufen gehen willst. So viel Wald und Wiese. Vielleicht ist das der Arsch der Welt, aber ein bisschen sexy ist er ja doch auch. Sogar ein Fluss fließt da hinter den Büschen und Bäumen.«

»Fluss ist eine Übertreibung. Sieht mir mehr wie ein Bach aus.«

»Wasser auf jeden Fall. Du liebst doch dieses romantische Naturzeugs, Bäumchen, Bienchen, Flüsschen. Wir können uns ans Ufer legen und faulenzen. Du wirst hier sicher nicht an Traurigkeit zugrunde gehen.«

Sie stand in der Tür, den Kopf erhoben, keine Spur von Frust, Erschütterung. Delma war nicht kleinzukriegen, und das nicht nur, weil sie siebzehn Jahre jünger war. In Mittelamerika zu Bürgerkriegszeiten geboren, das hatte sie abgehärtet. Alles schien gut zu sein, wenn es ein Dach über dem Kopf, eine funktionierende Dusche und genügend Milch gab, während ich, privilegiert und satt, so oft wegen Kleinigkeiten jammerte, in Selbstmitleid zerfloss und in Weltuntergangsstimmung verging.

Sie kam zu mir, wir umarmten uns, während draußen zwei Motorräder in Düsenjetlautstärke auf der Bundesstraße um die Wette fuhren und auf dem Bauernhof über dem Fluss ein Hahn krähte.

Ich war nicht in Kuschelstimmung. Das alles war meine Schuld. Von A bis Z. Keine Entschuldigung. Keine Ausrede. Ich hatte es vermasselt, niemand sonst. Ich bekam in letzter Zeit nichts mehr auf die Reihe. Kein verkaufbares Skript, nicht einmal ein Treatment, mit dem ich wieder mal etwas Geld beim Film verdienen hätte können, kein Theaterstück, keine Lesungen. Nichts.

Es war ein seltenes Glück gewesen, vom Schreiben leben zu können, das wusste ich, es gab dafür keine Urlaubsreise, keinen Schnickschnack, kein Erspartes. Meine Romane hatten es auf Theaterbühnen geschafft, und Filmproduzenten hatten sich die Rechte gesichert. Ich schrieb weder Rohrkrepierer noch Bestseller. Die Leidenschaft für das Schreiben war nie erloschen, ich hatte nur ganz selten, in kurzen, verzweifelten Momenten voller Frust und Zorn, bereut, diesen Weg eingeschlagen zu haben. Ich genoss die Reisen zu Lesungen in anderen Städten und Ländern, genoss die Fanpost, die Mails, die mir zeigten, dass ich treue Fans hatte, denen meine Geschichten und Figuren etwas bedeuteten. Aber ich konnte nur so lange davon leben, solange ich konzentriert arbeitete, etwas schrieb, das ich verkaufen konnte. Und im Moment wollte man mein Zeug nicht mal geschenkt.

Dass Delma trotzdem an meiner Seite stand, war ein ebenso seltenes Glück, denn der Job war verdammt egoistisch. Er gab mir viel, o ja, aber er war riskant, und das Risiko übertrug sich auch auf die Person, mit der man lebte. Zukunftsplanung? Umzug in eine andere Stadt, eine bessere Wohnung? Kinder? Das konnte man alles vergessen. Ich balancierte ohne Sicherheitsnetz, und sollte ich fallen, war alles aus und vorbei und ich würde mich mit Schulden wiederfinden und wahrscheinlich für den Rest meines Lebens Jobs annehmen müssen, die ich hasste.

»Mach dir doch nicht ständig Sorgen«, flüsterte Delma und riss mich aus den trüben Gedanken. »Alles wird gut.«

»Und wenn nicht? Was, wenn wir auch die Miete nicht mehr bezahlen können? Wohin ziehen wir dann?«

»Papa hat immer ein Zimmer für uns.«

Ich küsste sie auf die Stirn. »Ich liebe den Dschungel. Ich liebe deinen Papa. Aber ich hasse Moskitos und ewigen Sommer. Ich bin im Schnee aufgewachsen.«

»Wenn du einen Ozelot siehst, vergisst du die langweilige Gegend hier.« Sie machte ein fauchendes Geräusch, biss mich so heftig in die Schulter, dass ich aufschrie. »Wenn du an unserer Pazifikküste stehst und ein mächtiger Wal aus dem Meer aufsteigt, wirst du nie mehr zurückwollen.«

»Ich werde langsam ein alter Arsch«, meinte ich nach ein paar Küssen.

»Du bist alt«, sagte Delma und kniff mich in den Hintern. »Aber immer noch sexy. Solange du kein schlecht gelaunter Jammerlappen wirst.«

»Ich bin müde.«

»Der Umzug war anstrengend und stressig, jetzt ist er vorbei.« Sie stand vor mir auf den Zehenspitzen, kampfbereit wie ein wütender Teenager, hob den Zeigefinger, fuchtelte damit vor meiner Nase. »Ruh dich ein bisschen aus, aber dann krieg deinen Hintern hoch, hörst du? Ich will meinen Mann zurück« - und ganz leise - »den Kerl von Mann, in den ich mich verliebt habe.«

Ihre Haare waren pechschwarz, ihre Augen dunkel, sie hatte in kürzester Zeit Deutsch gelernt, während ich bis heute nur ein paar Brocken Spanisch beherrschte.

Als wir hörten, dass jemand mit klappernden Stöckelschuhen die Holztreppe hochkam, hielten wir beide inne. »Wir machen einfach nicht auf«, flüsterte sie und legte ihren Zeigefinger auf meine Lippen. Aber schon klopfte jemand an die Außentür, zaghaft nur, kaum hörbar.

»Könnt aber wichtig sein«, sagte ich. »Vielleicht der Hausmeister. Mit den Münzen für die Waschmaschine im Keller.«

»Wenn der Hausmeister Stöckelschuhe trägt, ist er eine interessantere Person, als ich gedacht habe.« Delma verschwand in unserem künftigen Mehrzweck-Wohn-Arbeits-und-Schlaf-Zimmer. »Vielleicht ist es auch deine Verlegerin, die nachschaut, ob du endlich ein neues Skript fertig hast.«

Ich öffnete erst die wurmstichige Holztür, dann die solide, graue Metalltür, die aussah, als würde sie einen Schließfachraum einer großen Bank verbergen. Das Licht im Gang war düster, eine Frau, etwa sechzig Jahre alt, stand vor mir, schlank, mit den Stöckelschuhen etwas größer als ich, grau-schwarze, lange Haare und tiefe Schatten unter den Augen. »Hallo, Jan«, sagte sie. »Ich bin Angelikas Mama.« Sie streckte mir ihre Hand entgegen. »Elisabeth Reitmann.«

Ich schluckte, nahm ihre Hand und quälte mich zu einem Lächeln. »Aaah.«

»Meine Tochter Angelika hat mit dir im Studentenheim Rathenau gewohnt.«

»Jaja, natürlich.« Ich nickte wie blöd, und mein Herz schlug sofort ganz wild, ganz bös. »Na klar. Die Geli.«
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André Pilz, geboren 1972, lebt in Vorarlberg. Jobbte in verschiedenen Berufen, seit 2007 freier Schriftsteller. Romane: No llores, mi querida - Weine nicht, mein Schatz. Ein Skinhead-Roman (2005) und Man Down (2010) wurden dramatisiert und in Berlin und München uraufgeführt. Weitere Romane: Bataillon d'Amour. Eine Geschichte von Liebe und Gewalt (2007), Die Lieder, das Töten. Roman (2012), Der anatolische Panther. Kriminalroman (2016, Krimibestenliste Februar 2017).