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Kafka und der Tote am Seil

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
432 Seiten
Deutsch
Penguin Random Houseerschienen am23.11.2022
Gestatten: Kafka, Franz Kafka.
Was wäre, wenn Franz Kafka nicht mit 40 Jahren an Tuberkulose verstorben wäre? Wenn er stattdessen am Tag nach seinem vermeintlichen Tod die Augen aufgeschlagen und sich an seinem Krankenbett eine ungewöhnlich große, ungewöhnlich eloquente Kakerlake als Pflegekraft befunden hätte? Die ihm noch dazu ungewöhnlich bekannt vorkäme? Schon bald werden Kafka und Gregor Samsa von einer geheimnisvollen Agentur als Privatermittler engagiert, denn im Wien des Jahres 1924 kommt es zu einer ebenso mysteriösen wie bizarren Mordserie - und des Rätsels Lösung ist absurder als alles, was Kafka sich jemals selbst hätte ausdenken können ...

Jon Steinhagen schreibt Drehbücher, Musicals und preisgekrönte Theaterstücke. Gelegentlich sieht man ihn auch vor der Kamera und auf der Bühne. Er liebt seine Heimatstadt Chicago, alte Schwarz-Weiß-Filme mit Cary Grant und sein hundert Jahre altes Klavier. »Kafka und der Tote am Seil« ist sein erster Roman.
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Verfügbare Formate
BuchKartoniert, Paperback
EUR18,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR9,99

Produkt

KlappentextGestatten: Kafka, Franz Kafka.
Was wäre, wenn Franz Kafka nicht mit 40 Jahren an Tuberkulose verstorben wäre? Wenn er stattdessen am Tag nach seinem vermeintlichen Tod die Augen aufgeschlagen und sich an seinem Krankenbett eine ungewöhnlich große, ungewöhnlich eloquente Kakerlake als Pflegekraft befunden hätte? Die ihm noch dazu ungewöhnlich bekannt vorkäme? Schon bald werden Kafka und Gregor Samsa von einer geheimnisvollen Agentur als Privatermittler engagiert, denn im Wien des Jahres 1924 kommt es zu einer ebenso mysteriösen wie bizarren Mordserie - und des Rätsels Lösung ist absurder als alles, was Kafka sich jemals selbst hätte ausdenken können ...

Jon Steinhagen schreibt Drehbücher, Musicals und preisgekrönte Theaterstücke. Gelegentlich sieht man ihn auch vor der Kamera und auf der Bühne. Er liebt seine Heimatstadt Chicago, alte Schwarz-Weiß-Filme mit Cary Grant und sein hundert Jahre altes Klavier. »Kafka und der Tote am Seil« ist sein erster Roman.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783641272760
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2022
Erscheinungsdatum23.11.2022
Seiten432 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1707 Kbytes
Artikel-Nr.9099335
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe


KAPITEL 1

Ein unerwarteter Mittwoch

Eines Morgens erwachte Franz Kafka aus unangenehmen Träumen und fand sich einem gewaltigen Insekt gegenüber, das versuchte, bei ihm Fieber zu messen. Allerdings hielt das Insekt - entweder weil es nicht recht wusste, wohin mit dem Thermometer, oder weil es gewillt war, Franz auf jähe und grobe Weise aufzuwecken - das Thermometer nicht auch nur in die Nähe von Franz´ Mund.

Franz schreckte zurück und erstaunte darüber, dass er die Kraft hatte, um zurückzuschrecken. Als er es das letzte Mal versucht hatte - gestern Abend? - , war er zu schwach gewesen, um irgendetwas anderes zu tun, als die Augen zu schließen und, so meinte er, ein allerletztes Mal einzuschlummern, doch nun war er wach und schreckte vor einem Insekt mit einem Thermometer zurück.

Ein Insekt.

»Ich wollte Sie nicht wecken«, sagte es. »Ich hoffe, Sie können mir das nachsehen.« Sagte. Nicht krächzte, sondern sagte. Seine klare Stimme überraschte ihn noch mehr als der Umstand, dass das Rieseninsekt, das ihn pflegte, der Sprache mächtig war.

Franz betrachtete den gewölbten braunen Bauch des Insekts, der von bogenförmigen Versteifungen geteilt war. Die vielen, im Vergleich zu seinem sonstigen Umfang kläglich dünnen Beine bewegten sich besorgniserregend in mehrere Richtungen gleichzeitig. Eines der Beinchen hielt gerade das Thermometer, das so groß wie ein Taktstock war, während zwei andere Wasser aus einer eingedellten Kanne in ein Glas gossen.

»Ich sehe es Ihnen nach, wenn Sie mit diesem Thermometer woanders herumfuchteln«, sagte Franz. Er nahm an, dass er sich in einem tiefen Traum befand, auch wenn der Traum ganz anders war als alle anderen, die er während seines vierzigjährigen Lebens über sich hatte ergehen lassen müssen: hell, sonnig, ruhig und höflich. Deswegen schloss er die Erklärung »Traum« aus und bemühte sich, seine Gedanken der Wirklichkeit anzupassen.

Das Zimmer, ein normales, menschengemachtes Zimmer, lediglich ein wenig zu klein, lag zwischen seinen vier sterilen Wänden völlig ruhig da. Außer dem Bett stand hier noch ein Stuhl mit dürren Beinen für Besucher und ein schäbiger Kleiderschrank, von dem die Knäufe abgegangen waren. Neben Franz befand sich der Nachttisch, an dem eine kleine elektrische Lampe angeschraubt war. Lampe und Tisch befanden sich vor dem einzigen Fenster des Zimmers, das keine Läden hatte und den Blick freigab auf - was?

»Sie sind noch im Sanatorium«, erklärte das Insekt und reichte Franz das Wasserglas. Ganz instinktiv verzog Franz das Gesicht und wandte sich ab, bevor das Glas seine Lippen berührte. »Sie müssen Durst haben«, sagte das Insekt. »Trinken Sie etwas.«

Die Stimme des Insekts war sanft und unfein, roh, aber nicht unangenehm, wie samtene Kiesel, die eine Abflussrinne hinunterkullern. Sein Kopf war eine braune Kugel aus Übertreibungen: glänzende schwarze Augen, die so groß waren wie Teller, und ein Mund, der an irgendwelche komplizierten Gartenwerkzeuge erinnerte und scherenartige Bewegungen machte, wenn es sprach.

»Sie kriegen das jetzt schon hin«, sagte das Insekt und drängte ihm das Wasser auf. »Glauben Sie mir.«

Franz glaubte dem Ding beinahe, doch heftige Erinnerungen an Schmerz hielten ihn davon ab, das Wasser anzunehmen. Seine Kehle war wund und trocken, eine verkrampfte Hölle, die nur dazu taugte, brennende Messerstiche zu produzieren, gefolgt von Blut, und keines von beiden konnte er als erfreulich erachten.

»Glauben Sie mir«, wiederholte das Insekt.

Doch Franz tat es nicht.

Das Insekt rasselte oder seufzte, oder vielleicht war sein Rasseln auch ein Seufzen. »Sie brauchen Flüssigkeit, Herr K.«, sagte es.

Die laxe Anrede verärgerte Franz. »Kafka«, sagte er. »Herr Kafka.«

»Entschuldigen Sie, dass ich so frei war«, sagte das Insekt.

»Ist schon gut«, sagte Franz. Und schluckte.

Nichts.

Kein brennender Schmerz, kein Krampf, kein Husten.

Und kein Blut.

Das machte ihm Mut.

Und es machte ihn misstrauisch.

Er schluckte noch einmal.

Nichts. Vielmehr eine Freude.

Und er hatte höllischen Durst.

Er nahm dem Insekt das Glas aus der Hand und trank, wie er noch nie zuvor getrunken hatte. Innerhalb eines Augenblicks war das Wasser weg. »Mehr«, sagte er.

Das Insekt reichte ihm die Kanne. »Das können Sie auch gleich selber machen.«

Franz setzte die Kanne an die Lippen, und das Zinn schmeckte köstlich auf seiner vormals geschwollenen Zunge. Ohne Luft zu holen, stürzte er das Wasser hinunter.

Zum Abschluss rülpste er.

Das Insekt nahm ihm die Kanne ab. »Sie sollten nicht gleich losrennen, wenn Sie erst zu krabbeln gelernt haben«, sagte es. »Aber in Ihrem Fall kann man bestimmt ein Auge zudrücken.« Es legte Franz eines seiner Steckenbeine an die Stirn, worauf Franz schauderte. »Entschuldigen Sie, dass ich mich etwas schroff anfühle. Ich neige dazu, mindestens zwei linke Beine zu haben«, sagte es und legte mit einem anderen Bein das Thermometer weg. »Sie sind ja kalt wie ein Fisch«, sagte es, »vorausgesetzt, dass Fische kalt sind. Ich habe noch nie einen berührt. Aber die Redewendung gefällt mir.«

Bei der Erwähnung von Fisch knurrte Franz´ frisch gewässerter, aber ansonsten leerer Magen, und es klang wie das Gurgeln eines abfließenden Spülsteins. Franz entschuldigte sich.

»Ich habe schon Schlimmeres gehört«, sagte das Insekt, »und normalerweise tönt es aus mir selber heraus.«

Franz legte sich auf das Kissen zurück. Was immer mit ihm geschah, passierte ihm zu schnell und holte ihn nun ein. Er betrachtete die weißen Wände und die weiße Decke, die frische weiße Tagesdecke auf seinem Bett, die dunkelblauen Paspeln auf seinem billigen Pyjama. Das Leintuch fühlte sich wie Leintuch an, das Kissen wie ein Kissen, die Luft roch nach Luft (mit nur einer Spur Karbol), und das Junisonnenlicht, das träge durchs Fenster strömte, war eindeutig sonnig.

Aber war es denn überhaupt Juni?

Gestern war Juni gewesen, aber Franz war sich nicht sicher, ob heute auch Juni war. Ihm war vage bewusst, dass er offenbar von seiner Krankheit geheilt worden war, aber sofern es stimmte: Konnte so etwas über Nacht geschehen sein?

»Heute ist der vierte Juni«, kam das Insekt erneut Franz´ Frage zuvor. »Oder haben Sie etwa gerätselt, welchen Wochentag wir haben? In dem Fall wäre das der Mittwoch.«

»Und welches Jahr?«, fragte Franz.

»Wir haben immer noch 1924«, sagte das Insekt. »Sie sehen keinen Tag älter aus. Oder vielmehr: Sie sehen tatsächlich einen Tag älter aus, denn Sie sind ja auch einen Tag älter als gestern. Ich möchte Sie nur be...«

»Über Nacht«, sagte Franz.

Er war kein verkrampftes Knäuel aus wundem, blutigem Gewebe mehr. Er konnte die Arme und Beine ausstrecken, ohne dass sich sein ganzer Leib widerspenstig in Qualen zusammenzog. Er konnte sprechen. Er konnte trinken. Er konnte atmen.

Was er jedoch nicht konnte: sich das gewaltige, sprechende Insekt neben seinem Bett erklären.

»Und trotzdem ist mir klar, dass ich das nicht träume«, sagte er.

Das Insekt zog den Stuhl ans Bett und gab sich alle Mühe, seine unpassende Gestalt darauf zu drapieren, doch sein mächtiger runder Rücken machte es ihm unmöglich. Es fluchte, drehte den Stuhl um und setzte sich, so gut es ging, rittlings darauf.

»Erzählen Sie mal, woher Sie wissen, dass Sie das nicht träumen«, sagte das Insekt.

Franz prüfte sorgfältig seine Gedanken und stellte fest, dass sie zu wünschen übrig ließen. »Wenn etwas echt ist«, sagte er, »vermittelt es einem den starken Eindruck, dass es nichts anderes sein könnte.« Da das Insekt nicht gewillt schien, seine Erklärung zu kommentieren, fuhr Franz fort. »Was nicht heißt, dass ich keine Fragen hätte.«

Das Insekt nickte. »Schießen Sie los.«

»Gestern noch war es aus mit mir«, sagte Franz. »Daran herrschte kein Zweifel. Die Tuberkulose, gegen die ich seit Ewigkeiten angekämpft habe, hatte gewonnen. Ich wusste es, die Ärzte wussten es, die Krankheit wusste es. Ich hatte den Kampf aufgegeben. Ich habe die Augen zum allerletzten Mal geschlossen, so hat es sich zumindest angefühlt.«

Und so war es auch gewesen. Er hatte nicht einmal gewusst, wer noch bei ihm im Zimmer geblieben war - falls überhaupt jemand. Er war davon ausgegangen, dass er völlig allein war, verlassen. Nicht einmal Dora hatte an seinem Bett gesessen. Oder war sie doch dort gewesen? Im öligen, undeutlichen Gewaber seiner anstrengenden letzten Augenblicke war er sich keines anderen Menschen und keiner anderen Sache bewusst gewesen, nur seiner selbst, verloren auf einem harten Sanatoriumsbett, wo ihm die Luft ausging, bis selbst der allerleiseste Hauch zugleich ein Geschenk und ein Abschied gewesen war. Er erinnerte sich daran, wie er schließlich die Lider geschlossen hatte - als würde man einen Vorhang herunterlassen - , mit einem Gefühl von Erleichterung und Aufgabe.

»Und jetzt«, sagte Franz, »bin ich wach, durstig, hungrig, sauge kübelweise Luft in meine frische, rosige Lunge - zumindest fühlt sie sich rosig an - , als wäre ich nie im Leben krank gewesen. Ich nehme zwar eine Karbolnote im Zimmer wahr, und ich meine gehört zu haben, wie sich eine arme Seele nebenan übergeben hat. Mir aber geht es gut. Besser als gut. Mir...

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Jon Steinhagen schreibt Drehbücher, Musicals und preisgekrönte Theaterstücke. Gelegentlich sieht man ihn auch vor der Kamera und auf der Bühne. Er liebt seine Heimatstadt Chicago, alte Schwarz-Weiß-Filme mit Cary Grant und sein hundert Jahre altes Klavier. »Kafka und der Tote am Seil« ist sein erster Roman.